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Von: gipfelstürmerInnen 15.08.2001 14:07
Wir Betroffene des Überfalls auf die Diaz-Schule, die zufällig durch das gemeinsam Erlebte verbunden wurden, durch unsere individuellen körperlichen und seelischen Folgen des Erlebten, haben uns nach einigen Treffen zu einer gemeinsamen Presseerklärung entschieden. Die Inhalte wurden gleichberechtigt zusammengetragen, ihre Gewichtung in einer offenen Diskussion abgestimmt und obwohl es sich bei den Betroffenen keineswegs um eine homogene Gruppe handelt und die politischen Ansätze der einzelnen Personen durchaus unterschiedlich sind, zeigte es sich, das ein gemeinsamer Nenner existiert, auf den sich alle verständigen konnten.
Falls einige unter ihnen nun hoffen weitere scheußliche, blutige Details des Überfalls und der Inhaftierung zu erfahren, müssen wir sie enttäuschen. Einstimmig haben alle Betroffenen entschieden, hier nicht ihre Misshandlungen zu schildern ,da die ständige Betonung der eigenen Opferrolle weder bei der eigenen Aufarbeitung, noch bei der öffentlichen Aufklärung des Geschehenen sinnvoll ist. Einige von uns stellen sich für Interviews zur Verfügung und wir bitten sie zu respektieren, das die meisten über traumatische Erlebnisse nur zu Personen ihres Vertrauens sprechen. Vielmehr halten es alle Betroffenen für ihre Pflicht, in erster Linie auf das Schicksal der 41 immer noch Inhaftierten hinzuweisen, gegen die nach wie vor die gleichen absurden Vorwürfe erhoben werden, denen sich auch alle Betroffenen aus der Diaz-Schule ausgesetzt sahen und sehen, denn die Anklagepunkte wurden bei den meisten nach wie vor nicht zurückgezogen. So gibt es selbst, was die Einreiseverbote betrifft, noch keine tatsächliche und schriftlich zugegangene Bestätigung seiner Aufhebung von italienischer Seite. Die offensichtliche Willkür, sowohl bei den Verhaftungen wie auch bei den Anklagen wird gegenüber der Öffentlichkeit offensiv aufrechterhalten. Selbst geltendes italienisches Recht wurde und wird von italienischen Institutionen, die dieses eigentlich vertreten sollen, nicht respektiert, wenn nicht gar mit Füssen getreten. Die Art und Weise, wie in Genua und danach mit Globalisierungsgegnern, unter Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien, verfahren wurde ist keineswegs neu. Wie es auch die willkürlichen Ausreiseverbote für potenzielle Globalisierungsgegner im Vorfeld von Genua bereits vorher gab. In Prag und Göteborg werden nach wie vor Globalisierungsgegner gefangengehalten. In Göteborg wurden in Gerichtsverfahren, die mehr wie Schauprozesse anmuteten, mehrere Demonstranten auf der Basis von quasi nicht existenten Indizien zu absurd langen Gefängnisstrafen verurteilt. Gerade jene Gefangenen haben unsere Unterstützung dringend nötig. Es ist uns bewusst, dass die Bewegung aufgrund ihrer globalen Ausrichtung auch global Repressionen ausgesetzt ist und sein wird. In Italien jedoch wurde ein, für europäische Verhältnisse, qualitatives Höchstmass an Repression erreicht.
Das diese Eskalationspolitik seitens der Regierenden bewusst betrieben wird, zeigt sich an deren Äußerungen zu den Vorfällen in Genua. Herr Scajola lies kurz nach den Ereignissen von Genua verlauten, man habe gute Arbeit geleistet. Da er als Innenminister für das Vorgefallene letztendlich massgeblich verantwortlich ist, scheint er tatsächlich mit dem menschenverachtenden Vorgehen der italienischen Ordnungskräfte einverstanden zu sein und dies tatkräftig zu unterstützen. In Deutschland taten bzw. tun sich besonders Bundeskanzler Schröder und Innenminister Schily hervor, die Vorfälle zumindest billigend in Kauf zu nehmen. Bekanntlich forderte Herr Schröder bereits während des G8-Gipfel, mit entschiedener Härte gegen die Globalisierungsgegner vorzugehen. Herr Schily sah sich wenige Tage später zu einem Treffen mit seinem italienischen Amtskollegen veranlasst. Seine Forderung nach einer europäischen Spezialeinheit sowie das Ausbleiben einer entschiedenen Kritik am Vorgehen der italienischen Polizei, sind als volle Unterstützung dieser brutalen Form der Repression seitens der italienischen Ordnungskräfte zu werten.
Da wir am eigenen Leib erfahren haben, was diese Politik an Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen demokratischer Grundrechte beinhaltet, müssen wir die Öffentlichkeit ausdrücklich warnen, daß hier Grundrechte und Werte in Gefahr sind, die eigentlich zum Selbstverständniss rechtsstaatlicher Demokratie gehören.
Gleichzeitig möchten wir an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, daß die G-8 kein Mandat besitzen, welches die Macht der Gipfelteilnehmer auch nur annährend demokratisch legitimieren könnte. Um von dieser Legitimationskrise abzulenken, werden nur vage politische Aussagen getroffen , wobei die eigentlichen politischen Inhalte der G8-Staaten und ihre Konsequenzen für die Welt jedoch so gut wie nicht an die Öffentlichkeit dringen.
Diejenigen die dieses Vorgehen für gefährlich halten und nicht wollen, daß wichtige Entscheidungen an der Öffentlichkeit vorbei getroffen werden, wurden seit Beginn der Bewegung von Seiten der Politik und einem Teil der Medien angegriffen. Demonstranten wurden oftmals pauschal diffamiert und als Krawallmacher verunglimpft, eine Gruppe gar als Terroristen bezeichnet. Diese undifferenzierten Darstellungen kriminalisieren entweder die gesamte Bewegung ("Die Bombe der G8-Gegner") oder Gruppen innerhalb der Bewegung ("Der Black Block ist eine internationale Terrororganisation"). Die einseitige, apokalyptische Berichterstattung, welche die zunehmend brutalere Vorgehensweise der Polizei relativiert, wenn nicht gar gerechtfertigt hat, hatte gleichzeitig die Tendenz politische Themen der Globalisierungsgegner nicht zu berücksichtigen: So wurden beispielsweise Inhalte und Ergebnisse der stets parallel oder im Vorfeld stattfindenden Gegengipfel nur am Rande oder gar nicht erwähnt.
Um dem Problem der einseitigen Medienberichterstattung zu begegnen und die globale Kommunikation und Koordination der Bewegung gegen die undemokratischen Ausrichtung der Globalisierung zu ermöglichen, wurde das unabhängige Nachrichtenforum IndyMedia geschaffen, welches inzwischen in 60 Ländern existiert. Der Angriff der Polizei auf die Diaz-Schule und das Independent Media Center (IMC) galt also der Struktur der Antiglobalisierungsbewegung, das Konstrukt der "Terrororganisation Black Block" dient und diente der nachträglichen Legitimierung der unglaublichen Polizeibrutalität, mit der die Demonstranten in Genua konfrontiert wurden.
Angesichts der Tragweite des Themas Globalisierung und der Bedrohung verschiedener Grundrechte (wie dem Demonstrationsrecht und dem Recht auf Reisefreiheit) fordern wir die Medien auf, dem Vertrauen, das ihnen von großen Teilen der Öffentlichkeit entgegengebracht wird, gerecht zu werden und in Zukunft ausgewogen Bericht zu erstatten.
Unser Schicksal wurde wesentlich durch das persönliche Engagement Annelie Buntenbachs, Christian Ströbeles, Heidi Lippmanns , und dem daran anknüpfenden Medieninteresse beeinflusst. Die Reiseberichte sind bekannt und wir möchten die heutige Presseerklärung auch dazu nutzen, diesen Bundestagsmitgliedern zu danken und unsere Anerkennung auszusprechen. Wir würden uns wünschen, das den immer noch Inhaftierten die gleiche Aufmerksamkeit zuteil wird und fordern:
Text war anlässlich:
Gemeinsame Pressekonferenz der Angehörigen der Genua-Gefangenen und der Diaz-Schulen-Betroffenen am 14.08.01, 10.30 Uhr, Lichtblick Kino, Kastanienallee 77, Bln.
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