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Keine Black-Bianche-Malerei!

Eine Zu- und Nachbereitung in feministischem Lila und frivolem Pink-Silber

VON FRIEDERIKE HABERMANN

Wer hat den kürzesten? Stephan Grigat meinte diejenigen, die an ungleichen Tausch auf der Wertseite glauben, weshalb sich ihr Niveau nicht von entwicklungspolitischen Foren auf Kirchentagen unterscheide. Gerhard Hanloser deutete auf jene, welche nur die ersten 100 Seiten des Kapitals gelesen haben und Schuld sind, wenn andere Anti-Imps werden oder an die katholische Soziallehre glauben. Pierluigi Sullo forderte zwar: Bewegt euch endlich! - auch wenn mal jemand einen Fehler macht. Doch Udo Wolter ließ sich nicht verwirren und verwies auf den evangelischen Kirchentag und die linksrevolutionären Anti-Imps und alle, die an den Mythos Finanzkapital glauben.

Was lernen wir daraus? Erstens: Den kürzesten Kapitalismusbegriff haben immer die anderen, den längsten hat mann selber. Zweitens: Diese empirische Stichprobe beweist, dass Menschen ein und derselben Identitätszuschreibung (männlich, weiß) durchaus unterschiedliche Standpunkte vertreten können. Drittens: Diese empirische Stichprobe zeigt, dass linke deutsche Männer immer noch glauben, ihre Identität nicht problematisieren zu müssen. Stattdessen beharren sie unverdrossen auf dem Western-Setting: cool auftreten, einmal lässig in die Waffe der Kritik pusten und dann zu sagen "Diese deutsche Linke ist nicht groß genug für uns alle!".

Jetzt kommt also der feministische Nachtisch. "Natürlich" angerichtet von einer Frau - trotzdem nicht sprechend für diese Identitätszuschreibung, da auch Frauen bekanntlich unterschiedliche Standpunkte vertreten können. Doch wenn frau sich mit jüngeren linken antikapitalistischen Diskussionen beschäftigt, erstaunt es, wie unberührt manche Positionen die Neuen Sozialen Bewegungen, nicht zuletzt die Frauenbewegung, überstanden haben. Vermutlich hat es mit meinen weiblichen Genen zu tun, dass ich bei Veranstaltungen im oben beschriebenen Western-Style sofort Kopfschmerzen bekomme und am liebsten den Saal verlasse.

Schön ist zu wissen, wo Einigkeit herrscht: Keiner von den Jungs setzte sich ein für den Wohlfahrtsstaat des Fordismus, und das, obwohl weiße Männer darin bekanntlich privilegiert waren. Doch schon Marx kritisierte eine rein ökonomische Gleichheit als falsch verstandene Utopie, in welcher die Persönlichkeit des Menschen nach wie vor negiert bliebe. Ganz zu schweigen davon, dass die Absicherungen im Wohlfahrtsstaat einher gingen mit einer Art Klassenkompromiss zu Lasten des globalen Südens, der "Ausländer" und der Frauen. Denn nicht umsonst waren es im Fordismus in erster Linie die Hausfrauen, welche in Depressionen versanken, statt sich - befreit von Lohnarbeit - auf dem Sofa zu fläzen. Robert Kurz verweist an anderer Stelle zurecht darauf, dass die bürgerliche Familie oder die Geschlechtsbeziehung keine nicht-warenförmigen sozialen Räume sind, welche außerhalb und unabhängig von der Warengesellschaft existieren. Im Gegenteil war und ist der weibliche Lebenszusammenhang in seiner "Abgespaltenheit" (Roswitha Scholz) genauso entfremdetes Moment der warenproduzierenden Deformations- und Destruktionsgeschichte wie Arbeit im Binnenraum der Ware.

Nur Attac & Co müssen also noch lernen, dass auch die Tobin-Tax die Persönlichkeit des Menschen noch nicht zur Entfaltung bringt, und auch noch keine "andere Welt möglich" macht. Zur Beschränkung der Konzernmacht ruft auch Der Spiegel inzwischen auf. Bereits direkt nach Seattle ließ sich Bill Clinton mit der Forderung nach einem "dritten Weg" vernehmen. Hier findet sich oft das Missverständnis, Neoliberalismus sei lediglich aufgewärmter Liberalismus. In Wirklichkeit jedoch impliziert der Neoliberalismus Regulierung, Protektionismus und auch Keynesianismus (siehe Reagenomics) überall dort, wo es der Herrschafts- und Wohlstandssicherung dient. Insofern liegen Norbert Trenkle und Ernst Lohoff falsch, wenn sie meinen, das Ende des Neoliberalismus verkünden zu können.

Dort wo nicht Einigkeit herrscht, soll nicht Kritik vermieden werden, sondern es geht darum, miteinander in Dialog zu treten. Sich gegenseitig mit Adjektiven wie "moraltriefend" (Carlos Kunze) zu versehen, ist da nicht hilfreich, das Votum gegen das "deutsches Reinheitsgebot" von dem Forum Genova Libera und fels dagegen nur zu unterstützen. Begegnungen mit den Zapatistas schulen zwar nicht in "harter Feldarbeit" und "Technikfeindlichkeit in der Utopie" (Hanloser), wohl aber in der Erkenntnis, dass unsere Antworten genauso wenig die Lösung für sie sein können wie umgekehrt - bloß, dass die Zapatistas nie den Anspruch formulierten.

Ja, es geht auch anders: Tactical Frivolity heißt das Konzept des Pink-Silver-Blockes, welcher - zum ersten Mal entstanden letztes Jahr in Prag - sich in Genua dem Motto "Dance down the G8" verschrieben hatte: "While we dance we denounce the brutality of capitalism, patriarchy, racism and all the forms of oppression and domination, denying any legitimacy to those 8 men" hieß es in dem Aufruf vor Ort. Es ginge darum, in die rote Zone einzudringen und wenn möglich die Konferenz zu stoppen, jedoch ohne "Gewalt gegen Polizisten". Dies wurde präzisiert: "Among us there are people who will not respond to police violence, no matter how brutal it is, but there are also people who are not willing to take high levels of aggression without offering resistance. We respect all these options and will try to create spaces for all of them to express themselves without interfering with each other. But we clearly do NOT want heroes, machos or marthyres: we want to act in a collective and consensed manner at all times".

Mensch beachte hier die Ablehnung von Gewalt gegen Menschen (hier: Polizisten) - über jede Form von Sachbeschädigung wurde damit keinerlei Aussage getroffen. Eine solche sprachliche Abgrenzung zwischen Gewalt und Direkter Aktion täte der gesamten Diskussion gut. Werner Rätz ist deshalb zuzustimmen, wenn er sagt, ein abstraktes Bekenntnis zu Militanz oder Gewaltfreiheit übersehe die Vielzahl von real existierenden Vorstellungen, was Militanz, was Gewalt, was legitime Gegenwehr, was Gewaltfreiheit überhaupt sein sollen. Die Attac-Erklärung bejaht zwar einerseits "Aktionen zivilen Ungehorsams" und "begrenzte Regelverletzungen", gegen welche Untaten von Seiten der Demonstrierenden in Genua aber wendet sich der Koordinierungskreis dann? Als die Fee Venus, welche den Pink-Silber-Block anführte, hinterher feststellen muß, dass der Schwarze Block selbst von Demonstrierenden zu Kriminellen gestempelt wurde, wird sie deutlich: "That sucks."

Über die Sinnhaftigkeit verschiedener Formen direkter Aktion soll an dieser Stelle nicht gestritten werden, wohl aber eingefordert, dass es kein Tabu sein darf, die Sinnhaftigkeit von Aktionen zu diskutieren. Wird dies mit Entsolidarisierung gleichgesetzt, machen wir uns gegenseitig mundtot und implizieren neue Hierarchien zwischen "besseren" und "schlechteren" Demonstrierenden.

Das, was die Vielfältigkeit einer durch die Zapatistas inspirierte, und sich u.a. in Peoples Global Action ausdrückende Bewegung ausmacht, lässt sich als 'gegen-hegemonial' ausdrücken. Denn wird auch der Kapitalismus nicht nur als ökonomisches Verhältnis gesehen, sondern in seiner Durchdringung von Kultur, Umwelt, Geschlecht, Rassismus und Identität überhaupt. Dabei geht es gerade nicht um die Festschreibung von Identität, da diese nicht unabhängig von der Hegemonie zu denken ist, in welcher sie besteht. Udo Wolter tut dies ab als "Neusprech der New Economy", wenn beim Bericht vom europäischen Treffen von Peoples Global Action einem das Lob der Vernetzung "entgegenschwallt". Es gehöre zum guten linken Ton, die grundsätzliche Ablehnung jeder Form von Herrschaft und Unterdrückung "zu propagieren". Tatsächlich liegt darin der wohl wesentlichste Unterschied zu traditionellen internationalistischen Bewegungen: es wird eine Verkürzung auf Kapitalismus vermieden. Eine adäquate linke Kritik am Phänomen der Globalisierung muss eben nicht nur von einer "Totalität des kapitalistischen Vergesellschaftungszusammenhanges ausgehen" (Wolter), sondern von einer Hegemonie, welche sich aus einer Vielzahl von miteinander verwobenen Herrschaftsverhältnissen zusammensetzt. Tina Leisch fragt daher ganz richtig nach den Bildern von den "allgegenwärtigen Mikromaschinen der Machterhaltung". Was international geschieht, ist, dass die sich nach '68 herausbildenden Neuen Sozialen Bewegungen nach langer Zeit separatistisch ausgerichteter, identitätsbezogener oder Ein-Punkt-zentrierter Politikansätze zusammenkommen, miteinander in Austausch treten, dabei die Kämpfe der anderen und auch Kapitalismus wieder thematisieren.

Die hegemonialen Kategorien und Kritierien sind diejenigen, welche uns am leichtesten in den Kopf kommen - dies ist, was Gramsci "Alltagsverständnis" nennt - und dies gilt auch für Marginalisierte selber, auch sie werden von der Hegemonie strukturiert, denn ein völliges Außerhalb kann es nicht geben. Daher muss ein gegenhegemoniales Verständnis immer erst erkämpft werden - auch im Kampf mit dem eigenen Alltagsverstand und dem jener, die gerade mit verprügelt werden. Dies bedarf sowohl der systematischen Analyse als auch der gemeinsamen Erfahrung in politischer Aktion. Oder wie es in einem Vorschlag einer Pink-Silver Deklaration heißt: "We can only live these changes: we cannot think our way to humanity. ... All of us are crippled - some physically, some mentally, some emotionally. We must therefore strive cooperatively to create the new world."


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