Quasi alle während der Ereignisse am Freitag und Samstag festgenommenen Demonstranten hat die Polizei erst einmal in die Kaserne der mobilen Einheit Bolzaneto gebracht, in den Außenbezirken von Genua. Nach einigen Stunden wurden die Verhafteten dann in die Gefängnisse von Pavia oder Alessandria überführt. Bolzaneto war der Spezialknast des G8. Nach vielen Zeugenaussagen, die den Anwälten des Genua Social Forum übermittelt wurden, war Bolzaneto "ein Zentrum des Horrors". "Wir haben den Beweis, dass es in dieser Kaserne systematische physische und psychische Folter gegeben hat", so lautet die Anklage der Anwälte. Dario Rossi, einer der Anwälte, der jetzt ein Weißbuch über die Gewalt von Genua vorbereitet, präsiziert: "Dieses Zentrum wird im Mittelpunkt einer Kollektivklage wegen schwerer Verstöße sein."
Die Kaserne von Bolzaneto ist der Sitz der mobilen Einheit von Genua, die auch die Erstürmung der Schule Díaz Samstag nacht ausgeführt hat. Durch dieses Zentrum sind ein großer Teil der 280 Menschen gegangen, die während des G8 verhaftet wurden. Hier wurden die festgenommenen Demonstranten erst einmal identifiziert, bevor sie in ein Gefängnis gebracht wurden. "Für einige hat die Identifizierung bis zu 15 Stunden gedauert", sagen die Anwälte.
"Alptraumnacht in Bolzaneto" hat gestern Le Monde getitelt. Vincent, organisiert bei der französischen Gruppe Aarrg, hat der Zeitung folgendes berichtet: "Wir sind in dieser Kaserne am Samstag so gegen 19 Uhr angekommen. Dutzende von Demonstranten. Ich habe einige schreien gehört. Einige Krankenschwestern haben Eis hin- und hergebracht, um Hämatome zu vermeiden. Einer der Polizisten hat zu mir gesagt: "Komm her zu französisches Stück Scheiße. Ich werde Dich zum Leiden bringen." Vincent hat eine Nahtstelle mit zwölf Stichen am Schädel, sein Gesicht ist geschwollen. "Kaum hatte ich gewagt zu schreien, haben sie mir einen noch stärkeren Schlag verpasst. Dann musste ich ganz langsam rausgehen, dort haben sie mich gezwungen, in der Mitte von zwei Reihen Polizisten zu gehen, die mich geschlagen haben." Gegen 3 Uhr morgens wurde er dann auf der Autobahn freigelassen, nachdem er eine Freilassungserklärung unterschreiben musste, auf der eine falsche Uhrzeit stand: 23.30h. Seine ganzen Dokumente, sein Geld und die Kreditkarte sind verschwunden. "Es ist schwer vorzustellen, dass sich eine Polizei in einem Land der EU derartig verhält", bemerkt Le Monde.
Die Gewalt in der Kaserne von Bolzaneto ist von vielen bestätigt worden, die als erstes festgenommen wurden und schon Sonntag aus dem Gefängnis von Alessandria wieder freigelassen wurden. So sagte einer aus Neapel: "Nach einem Tag in Auschwitz, in Bolzaneto, sind wir endlich im Knastparadies angekommen." Auch zwei spanische Demonstranten haben der Zeitung El País von schweren Folterungen berichtet. "Sie haben uns geschlagen und verprügelt, während wir zwischen den Polizisten hindurch mußten", erzählen Adolfo Sesma und Luis Alberto Lorente aus Zaragoza. "Sie haben uns auch beschuldigt, dass wir einen Polizisten getötet hätten - das war ein wirkliche Psychofolter, dass wir gedacht haben, dass wir jetzt des Mordes beschuldigt würden."
Nach Bolzaneto sind auch die Demonstranten gebracht worden, die während der Erstürmung der Schule Díaz festgenommen wurden. Laura Tartarini, Anwältin in Genua, fügt hinzu: "Vielen Frauen ist eine Vergewaltigung angedroht worden". Gilberta Pagani gehört zu den Anwälten des GSF und betreut einige dieser Festgenommenen. Auch ihr hat man zahlreiche Berichte über Gewalt in dieser Kaserne zugetragen. "Wir werden eine Anzeige machen, aber sind uns sicher - sagt sie - dass die Verwaltung von Genua wegen dieser schweren Verstöße ein Verfahren eröffnen wird."
Evandro Fornasier, aus Turin, 39 Jahre, Bankangestellter und Absolvent im Fach Psychologie, wurde Samstag nachmittag in die Kaserne Bolzaneto gebracht, nachdem er zusammen mit einer Gruppe festgenommen wurde, die durch das Tränengas zerstreut worden war. Das ist sein Bericht:
"Einer nach dem anderen wurde in einen Mannschaftswagen der Polizei hineingeworfen, mitten in eine Gruppe Polizisten, die mit Schlägen verschiedenster Art wütete. Dann wurden wir alle in einen Raum gebracht, wo wir auf den Füßen standen, das Gesicht zur Wand, die Beine gespreizt und die Hände gehoben. Ungefähr 15 Stunden mussten wir so ausharren. Abwechselnd kamen Soldaten rein und übten verschiedene Gewalt aus:
Sie stießen den Kopf gegen die Wand, sie schlugen unsere Hoden, sie gaben uns Ohrfeigen, Schläge gegen den Brustkorb, Gas ins Gesicht.
Und ständig Beleidigungen: "Scheiß-Kommunisten" oder "Warum ruft Ihr nicht Bertinotti oder Manu Chao?", "Jetzt, für die nächsten fünf Jahre bin ich Euer Chef". Sie haben ein Lied gesungen, an dessen Text ich mich erinnern kann:
"eins, zwei, drei, es lebe Pinochet, vier, fünf, sechs, Tod den Juden, sieben, acht, neun, der Neger rührt sich nicht mehr - Sieg Heil - Apartheid." Dann haben sie in das Zimmer Tränengas geworfen - in kleinen Mengen. Am nächsten Morgen sind wir dann in den Knast Alessandria gebracht worden, immer zwei in Handschellen aneinander gefesselt. Später sind ich und andere dann freigelassen worden, weil es keine ausreichenden Haftgründe gab.
aufgeschrieben am 31.7.2001 (leider habe ich die Notizen, die ich im Zug anfertigte, verloren)