Ein Polizist des Mobilen Einsatzkommandos, der im Gefängnis Bolzaneto vor den Toren von Genua Dienst hatte, erzählt von der "chilenischen Nacht", als die die Verhafteten aus der Scuola Diaz erst ins Krankenhaus, dann ins Gefängnis abtransportiert wurden. Das Mobile Einsatzkommendo heißt im Italienischen auch "Celere" und ist wegen seiner Gewalttätigkeit berüchtigt. Beim Überfall auf die Schule waren Einheiten aus Rom eingesetzt.
Leider ist alles wahr. Auch noch mehr. Ich hab den Geruch dieser Stunden immer noch in der Nase, den Geruch der Exkremente der Verhafteten, denen nicht erlaubt wurde, auf die Toilette zu gehen. Aber diese Nacht hat eine Woche vorher begonnen. Als bei uns in Bolzaneto eine Hundertschaft der Mobilen Operativen Einheit der Gefängnispolizei (Gom) angekommen ist."
Es ist das erste der vielen noch unbekannten Hintergrundbilder vom dramatischen Samstag der G8. Unser Gesprächspartner gibt zu: "In der Polizei gibt es noch viel Faschismus, die Subkultur vieler Junger, die leicht beeinflußbar sind, und diejenigen von uns, die an diesem Abend geklatscht haben. Aber die Schlächterei haben die andern angestellt, die von der Gom."
Und die systematische Schlägerei in der Schule? "Das waren wir. Einige sagen, das sei ein Racheakt gewesen, andere, es habe genaue Order aus Rom gegeben, Verhaftete um jeden Preis zu machen. Den Einsatz haben die Kollegen des Mobilen Einsatzkommandos aus Rom ausgeführt, die "Celere" der Hauptstadt. Geleitet wurde er von den Führungen der Sco (ein Sonderkommando zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität) und der Nocs (eine Antiterror-Einheit, die 1978 zur Bekämpfung der Roten Brigaden geschaffen wurde). Nicht die Polizei von Genua; der wurde die Befehlsgewalt entzogen. Es war ein Wahnsinn. Für die Opfer wie für unser Image, wie auch wegen des Risikos eines Volksaufstands. In der Nacht haben einige im Polizeipräsidium geflucht, denn wenn die Nachricht die 20000 erreicht hätte, die im Bahnhof Brignole auf ihre Abreise warteten, hätte ein Aufstand gedroht."
Die Umwandlung des Gefängnisses Bolzaneto in ein "Lager" beginnt am Montag mit dem Eintreffen der Gom, eine Spezialeinheit, die 1997 geschaffen wurde und einem ehemaligen General der Geheimpolizei untersteht. Sie ist bekannt geworden durch eine brutale Unterdrückungsaktion in der Haftanstalt Opera. Ihr Habit ist ein graugrüner Tarnanzug, darüber eine ärmellose schwarze Weste mit vielen Taschen, schwarzer Gürtel mit Pistolenhalterung, Fesseln und Knüppel und ein Funkgerät an den Schulterklappen. Sie nehmen von dem Teil der Polizeikaserne Besitz, der schon Wochen zuvor zum Gefängnis umgebaut wurde, mit angrenzender Krankenstation für die Verhafteten des G8.
Die Turnhalle wurde in eine Sammelstelle für die Ankommenden verwandelt, dort wurden sie identifiziert. Alle Verhafteten wurden erst hierher gebracht, wer Dokumente hat, zeigt sie vor, allen werden die Fingerabdrücke genommen. Links von der Turnhalle, neben dem Tennisplatz, ist ein kleines Gebäude, das extra für den Gipfel hergerichtet wurde; daraus wurde das eigentliche Gefängnis gemacht. Im Eingang befinden sich zwei offene Räume, die als Vorraum dienen. Hier hatte Samstag nacht bis weit in den Sonntag morgen hinein der stellvertretende Chef der Digos von Genua mit einigen diensthabenden Polizisten und einigen Carabinieri sein Quartier aufgeschlagen.
"Was in der Schule und später hier in Bolzaneto passiert ist, war eine Aufhebung der Rechte, die Außerkraftsetzung der Verfassung. Ich habe versucht, mit Kollegen darüber zu reden, und weißt du, was sie antworten: Wir müssen keine Angst haben, wir werden gedeckt."
In jener Nacht. "Das Tor ging ständig auf, aus den Wannen entstiegen die jungen Leute und wurden verprügelt. Sie mußten mit dem Gesicht zur Wand stehen. Einmal drinnen, haben sie ihnen den Kopf gegen die Wand geschlagen. Auf einige haben sie draufgepißt, andere geschlagen, wenn sie nicht die faschistische Hymne gesungen haben ("Facetta nera"). Ein Mädchen hat Blut gespuckt und der Kapo der Gom schauten zu. Den Mädchen drohten sie, sie mit den Knüppeln zu vergewaltigen..."
Und ihr, die anderen? "Von uns waren nicht viele da. Die meisten waren noch in Genua, die rote Zone zu bewachen. Unter den Hiesigen waren solche, die zugestimmt haben, aber auch solche wie der Inspektor, der eine Knüppelei mit den Worten unterbrochen hat: "Ihr seid hier nicht zu Hause." Und es gab solche wie mich, die vielleicht zu wenig getan haben und sich jetzt schämen." Und wenn es die Gom nicht gegeben hätte? "Ich glaube, dann hätte es diese Schlächterei nicht gegeben. Unser Kommandant ist ein Harter, aber einer von der alten Schule, die einen Ehrenkodex haben und Männer erziehen knnen, wir nennen ihn Rommel."
Wo sind die demokratischen Polizisten gelandet? "Wir sind noch viele, aber heute empfinden wir Angst und Scham."
aus: La Repubblica, 26.7.2001