@VN: Im Bestreben, die Bewegung gegen die Konzernherrschaft zu kriminalisieren, versuchen die Regierung, Polizei und Justiz immer wieder eine Zusammenarbeit und Komplizenschaft zwischen dem Schwarzen Block und den Tute bianche nachzuweisen. Unterkunft und Block der Tute bianche waren in Genua die Hauptzielscheibe der Verfolgung. Die italienische Tageszeitung La Repubblica interviewte den Sprecher der Tute bianche, Luca Casarini über ihre Beziehungen zum Schwarzen Block und die Folgen von Genua. (v. der Red. gekürzt)
@FO: Einer eurer Texte hat sich im Vorfeld von Genua für einen Dialog mit dem Schwarzen Block ausgesprochen.
@FT: Wir haben diesen Vorschlag nach den Demonstrationen in Quebec City gemacht. Das ist kein Geheimnis, wir haben das auf unserer Webseite veröffentlicht. Wir haben gefordert, es solle in Genua nur einen großen Protest geben, ohne Aufteilung in verschiedenfarbige Blöcke wie in Prag. Wir wollten, daß alle zusammen auf die Straße gehen, von den Katholiken bis zum Schwarzen Block.
@FO: Ist es nicht gefährlich, die Gewaltaktionen zu legitimieren?
@FT: Ich rechtfertige gar nichts. Ich stelle fest, daß es solche Aktionen seit mindestens zehn Jahren gibt. Ich glaube, daß der Weg, den der Schwarze Block einschlägt, eine Sackgasse und eine Verliererstraße ist, aber man kann ihn nicht einfach ignorieren. Er ist eine historische Tatsache, ein Symptom für ein tiefes gesellschaftliches Unbehagen. Im Ausland gibt es einen solchen Dialog, nur in Italien ist er uns nicht gelungen.
@FO: Ist das eine Kritik am Genoa Social Forum?
@FT: Der Fehler lag in der Überheblichkeit: Wir haben gedacht, das Genoa Social Forum könnte die gesamte Bandbreite des Protests widerspiegeln. Vielleicht waren wir auch etwas naiv. Wir haben zuviel Zeit verloren darüber zu reden, mit welchen Gegenständen wir auf die Straße gehen würden, und haben nicht genügend über die anderen Gruppen außerhalb des GSF gesprochen.
@FO: Stimmt es, daß der Block der Tute bianche die Umkleidekabine vieler aus dem Schwarzen Block war?
@FT: Ich weiß es nicht, ich glaube nicht. Sicher waren wir für viele isolierte Demonstrierende eine Rettung.
@FO: Ihr habt Barrikaden gebaut und die Ordnungskräfte angegriffen.
@FT: Wir wurden aus heiterem Himmel angegriffen, wo unser Block sich völlig friedlich verhalten hat. Wir wurden erst mit Tränengas beschossen, dann mit Panzerwagen in uns reingefahren, ohne uns Fluchtwege zu lassen. Am Freitag nachmittag ging die Hölle los und die Leute haben Angst gehabt, sie sterben. In dieser Situation haben wir uns das Recht herausgenommen, Barrikaden zu bauen.
@FO: Ihr habt einen symbolischen zivilen Ungehorsam versprochen.
@FT: Wir haben uns solange daran gehalten wie wir konnten. Aber als der Walzer mit den Panzerwagen anfing, als man die ersten Schüsse hörte, haben wir reagiert indem wir uns hinter Müllcontainern verschanzt und Steine geworfen haben.
@FO: Auch Mollis?
@FT: Nein, keine Mollis.
@FO: Carlo Giuliani war im Begriff, einen Jeep der Carabinieri anzugreifen.
@FT: Carlo und seine Freunde haben aus der Wut heraus reagiert, weil sie in einer Falle saßen, auf dem Platz gab es keine Fluchtmöglichkeit mehr.
@FO: Es droht die Rückkehr zu selbstverteidigten Demonstrationen. Was soll das geben?
@FT: Ich fürchte das sehr. Es gibt Individuen und kleine Gruppen, die versucht sein könnten, sich in bewaffnete Avantgarden zu verwandeln. Das ist es, was dieses Land, seine Institutionen und die Zivilgesellschaft, begreifen müssen. Vor diesem Abgrund können wir in den nächsten Monaten stehen, wenn wir nicht sofort eine andere Richtung einschlagen. Wir müssen das um jeden Preis verhindern. Unsere Geschichte lehrt uns, daß wir auf dieser Straße alle verlieren. Tausende von jungen Leuten haben in Genua Angst gehabt, sie werden von der Polizei umgebracht, und jetzt stehen sie vor der Alternativen: entweder sie verzichten aufs Demonstrieren, oder sie demonstrieren bewaffnet. Ich weiß nicht, was der Abgeordnete D'Alema von all dem verstanden hat. Ich weiß nur, wenn er davon spricht, daß es in Italien so zugeht wie in Chile, dann drängt er meine Generation in die zweite Richtung. Ich glaube aber, es gibt eine dritte Möglichkeit.
@FO: Und die wäre?
@FT: Nach Genua wird nichts mehr so sein wie vorher. Wir müssen wissen, ob das Abbrennen eines Feldes mit genmutierten Pflanzen der Fa. Monsanto uns das Leben kosten kann oder nur einen gerechten Prozeß. Die Antwort auf diese Frage wird über den Verlauf der Bewegung entscheiden. Violante (von den Linksdemokraten, DS) glaubt, diese Frage können man nur mit dem Strafgesetzbuch beantworten. Ich sage, nur die Politik kann diejenigen entwaffnen, die heute zu Waffen greifen wollen. Der andere Weg, der uns angeboten wird, ist der der militärischen Konfrontation, das ist der Weg von Fini.
@FO: Und der dritte Weg?
@FT: Das bleibt für uns der zivile Ungehorsam. Seht ihr denn nicht, daß es in Genua eine außerordentliche Wiederbelebung der Verantrwortungsethik gegeben hat? Hunderte von Rechtsanwälten haben sich eingesetzt, nicht weil sie Kommunisten sind, sondern weil sie an den Rechtsstaat glauben. Hunderte von Ärzten sind uns beigestanden, Dutzende von Journalisten haben mit eigenen Recherchen begonnen noch bevor die Justiz aktiv geworden ist. Jeder von ihnen hat im Rahmen seiner beruflichen Möglichkeiten Ungehorsam geleistet. Hoffen wir, daß dies weitergeht.
aus: La Repubblica vom 3.8.2001