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Indymedia.de
Von: elf99      17.08.2001 02:38

genova liberà?

"Alle waren gut bewaffnet, die meisten auch maskiert, sie konnten tagelang ihr Werk der Gewalt verrichten, jeder auf eigene Faust, denn die schlagkräftigen Trupps agierten ohne Koordination. Drei Tage anarchische Gewalt in Genua" was sich wie eine Schilderung des schwarzen Blocks liest, ist der Befund der italienischen Regierungsinspektoren zu den Polizeieinsätzen in der Stadt.
(taz, 04.08.2001)

Genua. Eine Stadt, die mystifizierend für alle Ereignisse vor, während und nach den Protesten gegen den G8-Gipfel als Begriff verwendet wurde. PolitikerInnen, JournalistInnen, PolizistInnen und DemonstrantInnen trugen dazu bei, dass selbst einige Wochen nach Gipfel und Gegengipfel eine breite Öffentlichkeit diesen Begriff als Synonym für ein neues Eskalationsniveau im Kontext sozialer Bewegungen zu verstehen glaubte. Dieser Text versucht, basierend auf Erfahrungen aus Genua und unabhängig von der "Realität" journalistischer und politischer Publikationen, eine politische Betrachtung des Protestes gegen den G8-Gipfel in Genua zu schaffen.

reclaim the media

Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Proteste in Genua wurde durch vier Faktoren erreicht. Zum ersten bedeutete allein die schlichte Zahl der DemonstrantInnen ein hohes Medieninteresse. Der zweite erfüllte Faktor war die Radikalität der Aktion. Die Straßenschlachten, die vielen Verletzten und der Tod eines Demonstranten während des Gipfels machten diesen erst zum medialen Großereignis. Der dritte Faktor, die Originalität der Aktion, geriet allerdings durch die einseitige Berichterstattung der Presse ins Hintertreffen. Die Beteiligung von Prominenten stellte den vierten Faktor dar, der die öffentliche Aufmerksamkeit sicherte. Zum einen war die politische Elite der Welt mit den Regierungschefs der 7 reichsten Länder und Russlands vertreten. Zum anderen wurden Personen wie Jose Bové, Viviane Forrester und Naomi Klein schon im Vorfeld des Gipfels irrtümlich zu den « Ikonen der Gegenbewegung » stilisiert.

Wie gewohnt ließen sich die etablierten Medien auf ihrer Suche nach Schlagzeilen willfährig für Politikinteressen instrumentalisieren. Durch verschiedenste Presseberichte wurden Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck vermittelt, dass sich extra für den G8-Gipfel Horden von islamischen SelbstmordattentäterInnen in die Luft sprengen, dass Mini-Flugzeuge AIDS-verseuchtes Blut über Genua abwerfen und dass der einzige politische Inhalt der AnarchistInnen aus Gewalt besteht. Es gehe den G8 um die Hilfe für « die armen Länder der Dritten Welt » und andere Irrtümer wurden ebenfalls unkommentiert publiziert.

Diese Kritik traf aber kaum auf viele der unabhängigen Medieninitiativen vor Ort zu. Projekte wie Radio GAP, Kanal B, AK Kraak u.a. mussten ihre Informationspolitik nicht von Kapitalinteressen abhängig machen. Die Abgrenzung gegenüber etablierten Medien erreichten diese nicht nur durch eine objektivere Berichterstattung, sondern auch durch den Versuch der Schaffung einer Gegenöffentlichkeit gegenüber dem vertrauten Blätterwald.

Die bürgerliche Berichterstattung während des Gipfels verdeutlicht den Widerspruch zwischen dem selbsterklärten Anspruch des « kritischen Journalismus » und der Realität der verkaufsfördernden Falschmeldungen. Angesichts der unkritischen Informationsverwertung stellt sich die Frage, ob die Mediengesellschaft es nicht verstanden hat etablierte Medien zu hinterfragen oder ob Medien nicht doch einfach nur Ausdruck der Gesellschaft sind?

« es gibt kein recht auf ausreise »

Die Interessen der italienischen Regierung waren eher politischer, denn medialer Natur. Da den G8 die Legitimation von über 100 000 Menschen bestritten wurde, war es dem Gastgeberland Italien vorbehalten, die Legitimation des westlichen Demokratiemodells zu präsentieren. 15 000 Polizisten, 8 000 Soldaten, Luftabwehrraketen, Kampfjets, Kriegsschiffe und ein Flugzeugträger ließen eher den Eindruck entstehen, dass Italien sich auf einen Krieg vorbereite als auf angemeldete Demonstrationen.

Das Demokratieverständnis westlicher Prägung verdeutlichte sich auch anhand der sogenannten « Zona Rossa », der Roten Zone. Sie deckte den Westen von Genua ab. In ihr waren das Kongresszentrum und der Hafen, in dem das Kreuzfahrtschiff der Regierungschefs ankerte, untergebracht. Die Rote Zone wurde von einem 4m hohen Zaun begrenzt, der von Soldaten und Carabinieri bewacht wurde. Ursprünglich war auch noch die Einrichtung einer Gelben Zone geplant, die fast die gesamte Innenstadt abdeckte und in der ein allgemeines Demonstrations- und Versammlungsverbot herrschen sollte.

Die Regierenden in Rom zeigten zudem kaum Interesse daran mit den OrganisatorInnen des Gegengipfels, dem Genua Social Forum, zusammenzuarbeiten. So wurden viele Erfolge, wie z.B. die Bereitstellung von Unterkünften oder die Aufhebung der Gelben Zone, erst wenige Tage vor dem Großereignis in zähen Verhandlungen mit der Stadt Genua und der italienischen Regierung erreicht. Diese machte durch ihr Auftreten schon im Vorfeld der Gespräche klar, dass ihr an konkreten Verhandlungserfolgen nicht gelegen war. Ziel war es eher durch eine ungewisse Versorgungssituation und repressive Maßnahmen die Organisation zu erschweren. Die Praxis der Behinderung des Gegengipfels fand in Meldepflicht, Ausreiseverboten und Grenzkontrollen ihre Fortsetzung. Die Grundlage für letzteres bildete die zeitweise Aussetzung des Schengener Abkommens. Damit konnten die sonst als « Errungenschaft der Zivilisation » verkauften « Grund- und Freiheitsrechte », wie etwa, die in der EU-Verfassung garantierte, Freizügigkeit der EU-BürgerInnen (Artikel16), außer Kraft gesetzt werden. Dass Menschen dieses Recht verweigert wurde, kommentierten verschiedene Gruppen zynisch: « Deutschland ist kein Auswanderungsland. »

never change a running system?

Trotz der staatlichen Repression erreichten jedoch ca. 120 000 Menschen Genua [siehe Kommentar]. Die relative Stärke der Linken innerhalb der italienischen Gewerkschaften und Parteien, die Nähe zu anderen Ländern mit linken Strömungen, wie Frankreich und Spanien und eine früh beginnende internationale Mobilisierung, waren bedeutende Faktoren für die neue Quantität des Widerstands.

Diese Quantität war aber auch Ausdruck verschiedener Politikansätze der Beteiligten. Der Begriff der « GlobalisierungsgegnerInnen » erwies sich demnach auch für Genua wieder als, von etablierten Medien und Politik konstruierte, Homogenisierung der DemonstrantInnen. Die am Protest beteiligten Gruppierungen fielen also eher durch ihre divergierenden politischen Positionen auf. Man kann also allenfalls von einer einheitlichen, auf den symbolischen Protest gegen globale Gipfel der Weltwirtschaft konzentrierten, Bewegung sprechen. Der Eindruck der Verknüpfung verschiedener Themen, wie Gleichstellung, Ökologie und Menschenrechte entstand nur äußerlich durch die Beteiligung verschiedenster Gruppierungen, wie etwa Umweltinitiativen, Gewerkschaften und Parteien an den Protesten. Eine wirkliche Verständigung über Inhalte wurde nicht erzielt. Die Ziele des Genua Social Forums entsprachen demnach auch nur dem kleinsten gemeinsamen Nenner der, im Forum organisierten, Gruppen. So bezog sich die Kritik eher allgemein auf die « Verflechtung » der Finanzmärkte, die Ausbeutung der Natur und das Elend der « Dritten Welt ».

So konnte auch in Genua von einer einheitlich antikapitalistischen Bewegung keine Rede sein. Statt einer radikalen Kritik der bestehenden Verhältnisse wurde seitens Organisationen wie Attac, Ya Basta und GSF vielmehr gegen die Globalisierung der Ökonomie, den Abbau der Sozialsysteme und die Transformation des Nationalstaats argumentiert. Doch dies sind bereits bekannte Formen der kapitalistischen Realität und entsprechen dem grundsätzlich expansiven Charakter des Kapitalismus. Dem gegenüber wird moralisierend das Modell des Sozialstaats mit einer territorialen Beschränkung der Ökonomie und der Stärkung der nationalen Souveränität gestellt. Dieses Modell bedeutet allenfalls eine Milderung der kapitalistischen Zwangsverhältnisse und verfehlt dabei die Kritik am System selbst.

die kunst des widerstands

Neben den politischen Standpunkten gab es in den aktiven Widerstandsformen eine ebenso große Divergenz zwischen den AktivistInnen. Charakteristisch war dies besonders am 20. Juli, dem Tag des Gipfelsturms. Das schon in Seattle und Prag erfolgreiche Block-Prinzip wurde auch für die Verhinderung des G8-Gipfels in Genua angewandt. Dabei gestaltete sich die Teilnahme der AktivistInnen in den Blöcken eher aufgrund der Favorisierung einer einheitlichen Aktionsform als aufgrund politischer Inhalte. Da sich die Blöcke jedoch aus vielen verschiedenen Gruppierungen zusammensetzten, war eine Teilnahme aus politischen Motiven grundsätzlich möglich. Es ließ sich zwischen dem erklärtermaßen gewaltfreien Konzept des Pink- und Silver-Blocks, der Strategie des « zivilen Ungehorsams » (Tute Bianche) von Attac und Ya Basta und der konfrontativen Taktik verschiedener militanten Gruppen unterscheiden. Übergeordnetes Ziel aller sieben Blöcke war es jedoch in die Rote Zone einzudringen und den Gipfel zu verhindern.

Allerdings lässt sich die Frage, wie es zu so einem hohem Eskalationsniveau kommen konnte, nicht allein im Kontext der Aktionsformen und der Militanz beantworten. Stattdessen sollte mensch in seine Überlegungen mit einbeziehen, dass bis jetzt alle sozialen Bewegungen, die sich für eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse von unten einsetzten, mit staatlicher Repression konfrontiert waren. Gewalt war auch für viele soziale Bewegungen ein dynamisierendes Element, wie es schon die ’68er Bewegung und die Zapatistas zeigten. Davos, Salzburg und Göteborg ließen auch keine Zweifel an der staatlichen Reaktion auf die neue Stärke der noch jungen internationalen Protest- und Widerstandsbewegung: Die Militarisierung der Polizei, Ausreiseverbote und andere repressive Maßnahmen sind symptomatisch für den neuen Umgang des Staates mit den so genannten « GlobalisierungsgegnerInnen ».

konstrukt « schwarzer block »

Auch die Ereignisse während des G8-Gipfels in Genua sollten vor dem Hintergrund des taktischen Ausdrucks einer politischen Konfrontation betrachtet werden. Gerade die bisher umstrittene Bewertung der, als "Schwarzer Block" homogenisierten, militanten Gruppen sollte aus dieser Perspektive unternommen werden.

Der Begriff des « Schwarzen Blocks » selbst drückte sich als konstruiertes Stigmata der Medien aus. So agierte in Genua kein einheitlicher Block, wie behauptet wurde. Vielmehr waren es verschiedene, voneinander relativ unabhängig, agierende Gruppen. Als besagte Gruppen am 20. Juli mehrere Stunden in der Innenstadt Geschäfte, Banken und Autos zerstörten, gab es keine bedeutenden Eindämmungsversuche seitens der zahlenmäßig weit überlegenen Polizei. Erst als die großen Demonstrationszüge sich der Roten Zone näherten, fing die Polizei mit massivem Einsatz von CS-Gas, Wasserwerfern und Knüppeln die DemonstrantInnen anzugreifen. Die äußerst brutalen Angriffe richteten sich dabei nicht etwa primär gegen die militanten Gruppen sondern vornehmlich gegen die nicht-militante Masse, während in der Innenstadt die militanten AktivistInnen nahezu unbehelligt agieren konnten.

der staatsterror geht weiter

Am selben Tag hatte die Anti-Globalisierungsbewegung Bewegung Ihren ersten Toten. Nach den Schüssen von Göteborg zielte die Polizei diesmal besser. Zwei platzierte Kopfschüsse aus der Pistole eines Carabinieri töteten den Demonstranten Carlo Giuliani. Dass beim « Ausparken » des Carabinieriwagens der tote Demonstrant noch überfahren wurde, änderte auch nichts mehr daran, dass der besorgten Weltöffentlichkeit der Mord als « Notwehr » verkauft wurde. So konnte sich die Zivilgesellschaft mit dem Gedanken trösten, dass der Demonstrant « selbst Schuld » an der eigenen Ermordung getragen hätte.

Der Polizeiterror setzte sich am nächsten Tag weiter fort. Eine Großdemonstration mit ca. 100 000 Beteiligten wurde unterschieds- und grundlos von allen Seiten angegriffen. So attackierte die Polizei die DemonstrantInnen von Hubschraubern und Dächern aus mit Tränengasbombardements, fuhr mit Räumpanzern hilflose Menschen über den Haufen, während weitere Carabinieri- und Polizeieinheiten auf panisch flüchtende DemonstrantInnen und bereits Verletzte einprügelten. Über 100 Verletzte mussten in die Krankenhäuser eingeliefert werden.

Die von Berlusconi angekündigte « harte Linie » gegenüber den DemonstrantInnen setzte sich in derselben Nacht fort. Exemplarisch dafür war der nächtliche Überfall bewaffneter Polizeieinheiten auf die « Scuola Diaz » in der das Pressezentrum des Genua Social Forums, der Radiosender GAP und Schlafplätze für die DemonstrantInnen untergebracht waren. Die Polizei stürmte nachts die Schule in der viele der DemonstrantInnen noch schliefen als der schwarz-graue Block kam. 60 größtenteils schwer verletzte oder verhaftete Menschen mit Schädelhirntrauma, Blutergüssen am ganzen Körper und schweren Knochenbrüchen waren das Ergebnis der Polizeirandale. Zerstörte Computer, Blutflecken auf dem Boden, an Wänden und Heizkörpern waren Ausdruck eines beispiellosen Chaos, verursacht durch randalierende Polizeihooligans. Der Einsatzleiter der Polizei gab dazu gegenüber der Presse an, dass das Genua Social Forum Waffen und « Mitglieder des Schwarzen Blocks » beherbergt habe. Augenzeugen zufolge, wurden von der Polizei allerdings nur leere Flaschen, Sprühdosen und Transparentstoff konfisziert. Vorsatz der italienischen Justiz war es eher das Genua Social Forum durch diesen Vorwurf zu diskreditieren, da es sich trotz öffentlichem Druck nicht von den militanten AktivistInnen distanzierte.

der gewaltvorwurf

Der von Politik und Presse verfolgte Ansatz der Spaltung der DemonstrantInnen in « friedliche » und « gewalttätige » wurde besonders in Deutschland unreflektiert übernommen. Diese Taktik passt auch zu der zweigleisigen Politik der Dialogangebote für « friedliche GlobalisierungsgegnerInnen » und den Beratungen über die Ausweitung repressiver Maßnahmen gegen sogenannte « Polithooligans » und « Chaoten ». Die repressiven Maßnahmen richten sich dabei nicht, wie behauptet, gegen die militanten AktivistInnen, sondern gegen die gesamte Bewegung.

Es ist auch ein beständiges Merkmal neuerer Gewaltdiskussionen, dass sie von denen geführt werden, die Opfer der Gewalt wurden und nicht die, die sie in der größten Zahl der Fälle ausübten. Von staatlicher Seite wird nicht über Gewalt diskutiert, sie wird strukturell und exekutiv ausgeübt. Indem die Exekutivorgane die Verfassung schützen, schützen sie auch die Eigentumsverhältnisse vor denen, die ihnen Eigentumsrecht und Gewaltmonopol in Frage stellen. Gerade vor dem Hintergrund der Repression und Kriminalisierung durch den Staat und seine Exekutivorgane ist es notwendig sich die Diskussion um die Legitimität der Aktionsformen nicht von denen aufzwingen zu lassen, die selbst das Gewaltmonopol in den Händen halten. Der Sachschaden von Genua steht zudem in keinem Verhältnis zu dem Leid und Elend, was der Kapitalismus tagtäglich auf der Welt anrichtet.

Martin, Indymedia Leipzig

 
Zahlen! 17.08.2001 08:51
Hmmm, warum gehst du eigentlich im Endeffekt den Zahlen der bürgerlichen deutschen Medien auf den Leim? Auf der Demo am Samstag waren fast 300.000 Menschen! Nicht 100.000. Selbst die Polizei sprach von über 200.000. DIe Organisatioren von 200.-300.000 und sogar die rechte Tageszeitung Corriere della Sera von "fast 300.000".
Antonia


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