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Das Undenkbare formulieren

Peter Nowak 15.08.2001

Mehr als drei Wochen nach den G8-Gipfel von Genua sind immer noch viele Fragen über die Festgenommen und Verschwundenen ungeklärt

Der Polizeieinsatz von Genua während des G8-Gipfels beschäftigt auch nach drei Wochen noch die Medien. Das zeigte sich wieder bei einer gut besuchten Pressekonferenz, zu der mehrere in Genua Festgenommene und deren Angehörige am Dienstagmittag eingeladen hatten. Der Grund: Noch immer müssen zahlreiche Globalisierungsgegner, darunter 16 mit deutschen Pass, in italienischen Gefängnissen verbringen. Für 10 von ihnen steht nach dem Haftprüfungstermin vom vergangenen Sonntag fest, dass sie mindestens noch weitere 2 Wochen in Haft bleiben müssen. Nach der massiven, durch zahlreiche Augenzeugenberichte und Fotos belegten Kritik am Polizeieinsatz wird nun befürchtet, dass an den noch Inhaftieren durch harte Anklagen und hohe Strafen ein Exempel statuiert werden soll.

Wie die taz am Dienstag berichtete, werfen verschiedene der in Genua Verhafteten und ihre Anwälte der italienischen Polizei Beweismanipulation vor. So behauptet der Berliner Victor A., von der Polizei zum Anfassen eines Stempelkissens aufgefordert worden zu sein, das aus einer bei den Auseinandersetzungen am Rande der Demonstrationen verwüsteten Bank stammt. Victor A. lehnte es ab, das ominöse Beweismittel mit seinen Fingerabdrücken zu versehen. Auch Mandanten des Bremer Rechtsanwalt Jan Syrig wurden mit diesen ungewöhnlichen Verhörmethoden konfrontiert. Italienische Zeitungen berichten schon vom "Genueser Beweis-Puzzle". Da werden schnell aus Zeltstangen dicke Eisenrohre, wie bei dem Leipziger Peter Kunze. Ähnliche Vorwürfe werden auch die auf einem Campingplatz festgenommenen Mitglieder einer politischen "Volkxtheatergruppe" erhoben (Kommt die VolxTheater-Karawane noch heute frei?). Doch die Vorwürfe waren so dünn, dass 13 der österreichischen Mitglieder am Dienstag Abend noch freigelassen und abgeschoben wurden.

Auf der Berliner Pressekonferenz haben von der Verhaftung Betroffene und ihre Angehörige noch einmal eindrücklich an die Medien appelliert, nicht einfach die offizielle Version aus Polizeiberichten und Regierungsämter zu übernehmen. Ein Negativbeispiel für einen solchen affirmativen Journalismus lieferte die Berlinerin Juliane K..

Die Berliner Indymedia-Mitarbeiterin war mit vier Freundinnen am 16. Juli in der Innenstadt von Genua festgenommen wurden. Selbst in seriösen Medien wie der Tagesschau wurde sogleich von "deutschen Krawalltouristinnen" berichtet. Sogar von einem geplanten Sprengstoffanschlag gegen den G8-Gipfel wurde in manchen Medien fabuliert. Aus einem vom TÜV abgenommenen zum Wohnmobil umgebauten UPS-Lieferwagen wurde ein "schußsicherer Wagen zum Überwinden von Polizeisperren". Campingutensilien wie Messer, Zeltstangen oder das Rückenteil eines Rucksacks mussten als Beweis für die schwere Bewaffnung für die Wageninsassen herhalten. Nach 3 Tagen wurde Juliane K. und ihren Freundinnen aus der Haft entlassen. Die Vorwürfe hatten sich sämtlich als gegenstandslos erwiesen.

Doch das war den Medien keine Meldung wert. "Wäre ich nach dem G8-Gipfel festgenommen worden, würde ich noch im italienischen Gefängnis sitzen", ist K. überzeugt. Nicht nur sie macht sich Sorgen um die noch Inhaftierten. In einem von zahlreichen Politikern, Journalisten und Wissenschaftlern aus Deutschland, Kroatien, Schweden, der USA, Schweiz und Kroatien unterzeichneten Aufruf wird die sofortige Freilassung aller im Zusammenhang mit Genua Inhaftieren gefordert.

Das fordert auch eine Initiative, die die Eltern von vier in der Armado Diaz-Schule festgenommenen und misshandelten Demonstranten gegründet haben. Sie wollen ihre Aktivitäten nicht nur als die Tätigkeit besorgter Eltern verstanden wissen. "Für uns bedeutet es das Ende des Rechtsstaats und der Demokratie in Italien und in Europa, wenn gegen Menschen, die anders als die Regierenden denken, im Namen und im Auftrage des Staates ungestraft Terror ausgeübt werden darf", erklärte der Berliner Politologieprofessor Bodo Zeuner als Sprecher der Gruppe.

Noch immer sind 18 Gipfelgegner seit dem 20. Juli vermisst. Die Gerüchteküche brodelte, nachdem italienische Zeitungen berichteten, dass eine verschwundene Gewerkschaftlerin in einem Flussbett in der Nähe von Padua erdrosselt aufgefunden wurde. Ob ihr Tod einen politischen Hintergrund ist allerdings noch unklar. Die als seriös bekannte liberale Schweizer Weltwoche wagt zumindest in Möglichkeitsform gekleidet das bisher Undenkbare zu formulieren:

"... Aber die Verschwundenen sind namentlich bekannt. Anwälte haben die Spitäler des Landes abgesucht, ergebnislos. Die seien wohl ans Meer gefahren, frotzelt Außenminister Renato Ruggiero, den man bislang für einen zivilisierten Mann gehalten hatte. Nein, sagt die Opposition, die Verschwundenen seien nicht am, sondern wohl im Meer, von den Ordnungshütern ertränkt. Agnoletto ( der Sprecher des Genoa Social Forum P.N.) vermutet, die 18 würden derzeit in Armeespitälern zusammengeflickt, um die schlimmsten Spuren der Misshandlungen zu tilgen", heißt es in einem Artikel, der in der aktuellen Ausgabe der linksliberalen Wochenzeitung Freitag nachgedruckt wurde.


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