von Dr. No - 07.08.2002 02:46
http://de.indymedia.org/2002/08/27411.shtml
Der Widerstand in Argentinien und anderen lateinamerikanischen Staaten nimmt zu. Während in Argentinien sich seit dem Aufstand im Dezember die basisdemokratische Organisierung der Bevölkerung weiter festigt und notgedrungen eine Tauschwirtschaft eingeführt wurde, reissen die Proteste nicht ab. Momentan bereist US-Finanzminister Paul O'Neill die drei am stärksten vom neoliberalen Kollaps betroffenen Staaten Argentinien, Uruguay und Brasilien. Während in Uruguay und Brasilien das "Schlimmste" durch kräftige Finanzspritzen von USA und IWF abgewendet werden konnte (ohne daß die Krise wirklich beendet wurde), wird Argentinien weiterhin keine Unterstützung erhalten. Laut Nachrichtenagentur vwd sehen Beobachter in erster Linie die Komplexität der Finanz- und Wirtschaftskrise des Landes als Ursache für die ausbleibende Hilfe. "Darüber hinaus hat es mittlerweile den Anschein, dass vor allem die USA die zweitgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas mehr oder weniger aufgegeben haben. Anders als im Falle Brasiliens erwarten sie von einem weiteren Abrutschen Argentiniens in die Krise offenbar keine zusätzlichen negativen Auswirkungen auf die gesamte Region, insbesondere auf das über die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA eng an das eigene Land angebundene Mexiko." (Original-Meldung)
Anlässlich des Besuchs von O'Neill wird es in Buenos Aires und anderswo in Argentinien Demonstrationen, Blockaden und mehr geben. Bereits gestern demonstrierten etwa 7000 Menschen in der Hauptstadt.
Die meisten Aktionen sollen dann heute laufen.
- In Uruguay fand am vergangenen Freitag ein Generalstreik statt, bei dem es zu schweren Auseinandersetzungen kam. Für heute wird ein weiterer Generalstreik erwartet. Nur eine Finanzspritze von 1,5 Mrd. Dollar verhinderte, daß Uruguay in dieselbe Situation (corralito = einfrieren der sparkonten) kam wie Argentinien im vergangenen Dezember. Dennoch spitzt sich die Krisedurch Abwertung der Währung und Kapitalflucht weiter zu. Da die Banken wegen der Finanzspritze geöffnet bleiben konnten, hoben aber sehr viele Anleger (auch Argentinier, die das Geld in Uruguay angelegt haben) ab, so daß die Krise dadurch zusätzlich verschärft wurde. Eine der Ursachen für die Krise: Uruguay lebte besonders von Touristen aus Argentinien.
Zusammenstellung bei Indy.de: Proteste, Plünderungen & Rsepression in Chile, Uruguay, Venezuela
Bilder der Repression der letzten Wochen
- Im Bundestaat Rio Grande in Brasilien fand am 3.8. auf der internationalen Brücke in der Stadt Uruguayana ein Workers March mit 8000 Teilnehmern statt. Diese Brücke verbindet Brasilien mit Argentinien. Aufgerufen hatten unter anderem die CUT, die PIT-CNT (Central Uruguayan) und CTA (Central Argentine), MTD (Movement of Dismissed Workers) und andere. Die argentinische Armee und die brasilianische Bundespolizei begleiteten die Demonstration. Demonstriert wurde in erster Linie gegen das FTAA-Abkommen (ALCA in spanisch) und weiterhin für Selbstbestimmung, und gegen Grundrechteabbau, Arbeitslosigkeit und andere neoliberale "Segnungen".
Weitere Berichte bei Indy-Brasilien
- Auch in anderen Staaten Lateinamerikas spitzen sich die sozialen Kämpfe zu.
Texte bei Indy.de:
- Mexiko: Update und Hintergrund von Atenco
- Venezuela: Policia Metropolitana auf der Anklagebank
- Lateinamerika: Die Krise in Argentinien breitet sich über den Kontinent aus
- Kolumbien:Kolumbiens neuer Präsident
Ausserdem: poonal - "poonal" (Pool de Nuevas Agencias de América Latina) ist ein wöchentlicher Pressedienst Lateinamerikanischer Agenturen, der jeden Freitag aktuelle Nachrichten und Hintergrundberichte aus Lateinamerika auf deutsch publiziert.
Hier ein Bericht aus Poonal vom 5.August:
Von Marcos Salgado
(Buenos Aires, 5. August 2002, npl).- Die Finanzkrise einiger Länder Südamerikas bereitet den USA zunehmend Kopfzerbrechen. Erstmals gewährte die Bush-Administration, die sich stets gegen spontane Finanzspritzen an Länder in Geldnot aussprach, einen Sofortkredit, der den Bankensektor in Uruguay vor dem Kollaps retten soll.
Zugleich begann der US-Finanzminister Paul O'Neill einen Arbeitsbesuch in den Ländern des Südkegels Lateinamerikas. Am Dienstag traf er in Argentinien ein, dessen Wirtschaft seit Monaten am Boden liegt und inzwischen die Nachbarländer in Mitleidenschaft zieht.
Am Sonntagabend entschied Washington, dem kleinen Staat Uruguay, das einst als 'Schweiz Lateinamerikas' gepriesen wurde, 1,5 Milliarden US-Dollar zukommen zu lassen. Diese Sofortzahlung, die mit dem Weltwährungsfonds und der Weltbank abgestimmt ist, soll die Wiedereröffnung der Banken ermöglichen, die am Dienstag vergangener Woche wegen Zahlungsengpässen im ganzen Land geschlossen worden waren. Damit haben die Uruguayer wieder Zugang zu den meisten ihrer Konten - nur langfristige Anlagen auf Dollarkonten sollen für mehrere Jahre eingefroren bleiben, beschloss der Kongress am Wochenende. Zugleich erklärte die Regierung, dass zwei Geldinstitute geschlossen würden.
Die Schließung der Banken hatte zu heftigen Protesten im ganzen Land geführt. Während Tausende vor Geldautomaten Schlange standen, wurden in ärmeren Stadtteilen, vor allem in der Hauptstadt Montevideo kleine Geschäfte und Supermärkte gestürmt. Der Unmut erreichte nicht das Ausmaß wie in Argentinien, wo der Bankencrash nach tagelangen Ausschreitungen im Dezember vergangenen Jahres zum Rücktritt der Regierung führte.
Dennoch ist die Lage in Uruguay alles andere als beruhigend. Die Landeswährung hat im Lauf dieses Jahres fast die Hälfte ihres Werts verloren, drei Viertel der Devisenreserven sind aufgebraucht. Am meisten jedoch macht dem Finanzsystem die Kapitalflucht zu schaffen: Immer mehr nationale Anleger, aber auch Sparer aus Argentinien, die vor der Zahlungsunfähigkeit des eigenen Landes nach Uruguay auswichen, hoben in den vergangenen Wochen ihr Geld ab. Der Aderlass beträgt inzwischen offiziellen Angaben zufolge über 45 Prozent aller Geldanlagen. v Angesichts dieser Lage steht dem US-Finanzminister Paul O'Neill keine einfache Mission bevor. Zumal er mit unbedachten äußerungen im Vorfeld viel Unmut erregte: Kredite an die Länder Südamerikas sollten nicht auf Schweizer Konten verschwinden, erklärte er in Anspielung auf den argentinischen Ex-Präsidenten Carlos Menem, dessen Geldanlagen in der Alpenrepublik kürzlich bekannt wurde. Brasilien verlangte unumwunden eine Entschuldigung und drohte, den Finanzminister aus dem Norden nicht zu empfangen - zumal dessen Besuch wegen des Skandals um die doppelte Buchführung wichtiger US-Unternehmen verlegt worden war.
Um es sich mit dem einflussreichen fünffachen Weltmeister nicht zu verscherzen, präzisierte die US-Regierung, dass O'Neill nicht Brasilien, sondern nur Uruguay und Argentinien gemeint habe. Argentiniens Präsident Eduardo Duhalde hatte hingegen nicht den Mumm zu protestieren, im Gegenteil: Er pflichtete dem Bush-Minister zu, hatte dieser doch seinen Intimfeind Carlos Menem aufs Korn genommen.
In Brasilien und Uruguay geht es O'Neill vor allem darum, die Folgen der regionalen Finanzkrise einzudämmen und zu signalisieren, dass die ökonomien Südamerikas auf die USA und den Weltwährungsfonds zählen können, wenn deren Vorgaben befolgt werden. In Brasilien beinhaltet dies den Hinweis, dass ein Sieg des in Umfragen führenden Linkspolitikers Ignacio Lula da Silva bei der Präsidentschaftswahl im Oktober nicht gerade willkommen ist. Diese Haltung der US-Regierung hat bereits die Landeswährung Real stark unter Druck gesetzt und das Vertrauen von Anlegern in Brasilien derart geschwächt, dass es auch dort zu Zahlungsengpässe kommen könnte.
In Argentinien, wo die Arbeitslosigkeit inzwischen 21,6 Prozent beträgt und die Hälfte der 36,5 Millionen Einwohner in Armut lebt, wird der US-ökonom mit sehr unterschiedlichen Emotionen erwartet. Präsident Duhalde hofft inständig auf Unterstützung für die Zusage neuer internationaler Kredite, da er sein politisches Schicksal mit dieser Art Krisenmanagement verbunden hat. Zum Jahresende wird die Rückzahlung von 4,8 Milliarden US-Dollar Kredit und 730 Millionen US-Dollar Zinsen fällig.
Doch nicht nur die ausländischen Geldgeber, die in der Vergangenheit die korrupten Regierungen am Rio de la Plata großzügig mit immer neuen Milliarden ausstatteten, sind jetzt plötzlich misstrauisch. Einer Umfrage zufolge sind über 80 Prozent der Argentinier davon überzeugt, dass die Regierenden jegliche Finanzhilfe zur eigenen Bereicherung nutzen würden.
So glaubt die Mehrheit in Argentinien auch nicht daran, dass Besuche von Repräsentanten dieses Finanzsystems wie US-Minister Paul O'Neill sinnvoll sind. Die Opposition will gegen ihn und die Wirtschaftspolitik von Präsident Duhalde demonstrieren, während die sogenannten Piqueteros - Arbeitslose, die Straßenblockaden organisieren und die breiten Proteste von Dezember organisierten - ankündigten, dem hohen Besuch einen heißen Empfang zu bereiten.
Argentina | IMF | www.agp.org