Soziale Kämpfe in Lateinamerika

von Dr. No - 12.08.2002 03:59
http://de.indymedia.org/2002/08/27616.shtml

Immer stärker sind weltweit die Auswirkungen des Neoliberalismus zu spüren - Lateinamerika steht dabei erst am Anfang einer beispiellosen Strukturkrise. Besonders hier, wo starke soziale Bewegungen seit über hundert Jahren Tradition haben und oft nur mit Militärdiktaturen begegnet werden konnten, wächst der Widerstand der Bevölkerung immer mehr.

Anfang August bereiste US-Finanzminister Paul O'Neill die drei am heftigsten vom neoliberalen Kollaps betroffenen Staaten Argentinien, Uruguay und Brasilien. Während in Uruguay und Brasilien das "Schlimmste" durch kräftige Finanzspritzen von USA und IWF abgewendet werden konnte -ohne daß die Krise wirklich beendet wurde- wird Argentinien weiterhin keine Unterstützung erhalten.

Da in Argentinien sich seit dem Aufstand im Dezember die basisdemokratische Organisierung der Bevölkerung weiter festigt und notgedrungen eine Tauschwirtschaft eingeführt wurde, versuchte die Regierung mehrmals die nicht abreissenden Proteste blutig niederzuschlagen. Aus Uruguay kommen ganz ähnliche Bilder: Generalstreiks, Besetzungen, Protestdemonstrationen und Repression als Antwort darauf. In Uruguay wird seit dem sich die Krise verschärft, verstärkt gegen kritische Medien vorgegangen - darunter auch gegen Indymedia.Uruguay. In Brasilien nimmt mit Verschärfung der Krise ebenfalls der Widerstand zu. Hier sind neben Demonstrationen besonders Landbesetzungen an der Tagesordnung.

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Aktuell:

Argentinien

Am 6.August besuchte US-Finanzminister Paul O'Neill die drei am stärksten vom neoliberalen Kollaps betroffenen Staaten Argentinien, Uruguay und Brasilien. Dabei wurde er mit massiven Protesten begrüsst. In Buenos Aires demonstrieren 15.000 Menschen, von denen 3.000 sich gegen die Polizei durchsetzten und auf dem Plaza de Mayo über Nacht ein Camp errichteten. In anderen Landesteilen gingen ebenfalls Tausende auf die Straße, Piequteoros blockierten die Straßen und Arbeiter blockierten eine Ford-Werstatt (Bilder), die O'Neill besuchen wollte. Bericht: hier und hier. Unterdessen gab es eine Offensive durch die Regierung, die Keramikfabrik Zanon, die sich in ArbeiterInnenhand befindet, zu räumen. Am Sonntag haben sich zahlreiche Menschen im Ort Neuquen an einer Unterstützungsaktion beteiligt, um sich gegen die angedrohte gewaltsame Räumung mit den ArbeiterInnen zu solidarisieren. (Bilder hier)

Von Seiten der USA und des IWFs hat das Land bisher keine Unterstützung erhalten. Laut Nachrichtenagentur vwd sehen BeobachterInnen in erster Linie die Komplexität der Finanz- und Wirtschaftskrise des Landes als Ursache für die ausbleibende Hilfe. "Darüber hinaus hat es mittlerweile den Anschein, dass vor allem die USA die zweitgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas mehr oder weniger aufgegeben haben. Anders als im Falle Brasiliens erwarten sie von einem weiteren Abrutschen Argentiniens in die Krise offenbar keine zusätzlichen negativen Auswirkungen auf die gesamte Region, insbesondere auf das über die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA eng an das eigene Land angebundene Mexiko." (Original-Meldung)


http://de.biz.yahoo.com/020806/11/2w96h.html
Dienstag 6. August 2002, 20:10 Uhr

O'Neill wird Argentinien wohl nur seine Anwesenheit schenken

Frankfurt (vwd) - Während die USA der Regierung Uruguays bereits mit einem Überbrückungskredit in Höhe von 1,5 Mrd USD unter die Arme gegriffen haben und US-Finanzminister Paul O'Neill nach einer beeindruckenden Kehrtwende am Dienstag mit "sehr günstigen Eindrücken" Brasilien verlassen hat, hat Argentinien von den drei krisengeschüttelten lateinamerikanischen Staaten wohl am wenigsten Unterstützung zu erwarten. Außer seiner Anwesenheit werde O'Neill dem Land wohl wenig anzubieten haben, mutmaßte der argentinische Kabinettschef Alfredo Atanasof bereits am Montag mit Blick auf die Südamerikareise des US-Finanzministers. Als einen Grund für die bislang weitgehend selbst verbal ausgebliebene Unterstützung Argentiniens durch die USA und den Internationalen Währungsfonds (IWF) sehen Beobachter in erster Linie die Komplexität der Finanz- und Wirtschaftskrise des Landes. "Die Probleme sind so grundlegend, dass nur groß angelegte Unterstützung sinnvoll wäre", meint dazu Nelson Cunningham, ehemals Südamerikaberater von US-Präsident Bill Clinton. Darüber hinaus hat es mittlerweile den Anschein, dass vor allem die USA die zweitgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas mehr oder weniger aufgegeben haben. Anders als im Falle Brasiliens erwarten sie von einem weiteren Abrutschen Argentiniens in die Krise offenbar keine zusätzlichen negativen Auswirkungen auf die gesamte Region, insbesondere auf das über die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA eng an das eigene Land angebundene Mexiko. Die Bedeutung, die eine Stabilisierung Brasiliens mittlerweile für die USA gewonnen zu haben scheint, macht die jüngste Kehrtwende O'Neills deutlich. Noch vor gut einer Woche hatte er sich ablehnend zu weiteren Hilfen für Brasilien geäußert, und dabei darauf verwiesen, dass Unterstützung sinnlos sei, wenn sie letztlich auf schweizerischen Bankkonten lande. Nach Abschluss seiner unter anderem mit dem brasilianischen Präsidenten Fernando Enrique Cardoso geführten Gespräche nannte O'Neill Brasilien am Dienstag hingegen "ein exzellentes Land um zu investieren" und stellte die Unterstützung der US-Regierung für die Verhandlungen des Landes über ein neues Hilfspaket mit dem IWF in Aussicht. Welches Ausmaß die Misere in Argentinien hingegen mittlerweile angenommen hat, wird an der Teuerungsrate exemplarisch deutlich, die sich für die ersten sieben Monate 2002 auf 34,7 Prozent verglichen mit dem Vorjahreszeitraum beläuft. Darüber hinaus will die argentinische Regierung in den Verhandlungen mit dem IWF eine Lösung für die weiterhin eingefrorenen Bankguthaben erreichen. Doch selbst bei einer nur begrenzten Freigabe der Einlagen wird sich der Inflationsdruck weiter beschleunigen, entweder über eine verstärkte Nachfrage oder über eine erneute Abwertung des Peso. Auch hat die Regierung bereits angekündigt, im Zuge der fiskalpolitischen Konsolidierung ebenfalls die administrierten Preise anzuheben. Eine Ahnung des Vorhandenen Inflationspotenzials vermittelt der Index der Großhandelspreise, der im Juli um 97,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr zulegte. Darüber hinaus verweisen Beobachter auf den insgesamt fehlenden Fortschritt der Reformen in Argentinien. So stehe der Forderungskatalog des IWF nach einer geldpolitischen Konzeption, einer Neuordnung des Bankensystems sowie einer Konsolidierung der Staatsfinanzen in allgemeiner Form bereits seit Monaten im Raum. Gegen eine zügige Umsetzung der eingeforderten Reformen spricht darüber hinaus auch die um sechs Monate auf März kommenden Jahres vorgezogene Neuwahl des argentinischen Präsidenten. Damit hat der amtierende Präsident Eduardo Duhalde, der als Mann für den Übergang eigentlich unpopuläre Schritte hätte durchsetzen können, sich wichtigen Spielraum für die Sanierung des Landes genommen. Angesichts des nunmehr bereits angelaufenen Wahlkampfs ist mit durchgreifenden Reformen wohl nicht vor der zweiten Hälfte des kommenden Jahres zu rechnen. vwd/12/DJ/6.8.2002/jej


Berichte bei Indy.de:
Proteste und Soziale Kämpfe in Argentinien
Regierungsgebäude in Feuerland besetzt
Buenos Aires: Protestcamp auf der Plaza de Mayo
Proteste gegen Besuch des US-Finanzministers O'Neill / weiteres
Argentinien: Regierung versucht Aufstand mit Gewalt zu unterdrücken - Feature vom 28.06.2002
argentina! resistencia! - Feature vom Dezemberaufstand
El Argentinazo - Aufstand in Argentinien - Wildcat-Sonderheft als pdf

Uruguay

In Uruguay fand am 2. August ein Generalstreik statt, bei dem es zu schweren Auseinandersetzungen kam. Ein paar Tage später fand ein weiterer statt. Nur eine Finanzspritze des IWF von 1,5 Mrd. Dollar verhinderte, daß Uruguay in dieselbe Situation (corralito = einfrieren der sparkonten) kam wie Argentinien im vergangenen Dezember. Dennoch spitzt sich die Krise durch Abwertung der Währung und Kapitalflucht weiter zu. Da die Banken wegen der Finanzspritze geöffnet bleiben konnten, hoben aber sehr viele Anleger (auch Argentinier, die das Geld in Uruguay angelegt haben) ab, so daß die Krise dadurch zusätzlich verschärft wurde. Eine der Ursachen für die Krise: Uruguay lebte besonders von Touristen aus Argentinien, sowie von Bankgeschäften ("Die Schweiz Lateinamerikas").

Repression der letzten Wochen

Brasilien

Neben verstärkten Landbesetzungen und direkten Aktionen fand im Bundestaat Rio Grande am 3.8. auf der internationalen Brücke in der Stadt Uruguayana ein Workers March mit 8000 Teilnehmern statt. Diese Brücke verbindet Brasilien mit Argentinien. Aufgerufen hatten unter anderem die CUT, die PIT-CNT (Central Uruguayan) und CTA (CentralArgentine), MTD (Movement of Dismissed Workers) und andere. Die argentinische Armee und die brasilianische Bundespolizei begleiteten die Demonstration. Demonstriert wurde in erster Linie gegen das FTAA-Abkommen (ALCA in spanisch) und weiterhin für Selbstbestimmung, und gegen Grundrechteabbau, Arbeitslosigkeit und andere neoliberale "Segnungen".

Berichte und Bilder zur Lage bei: Indy.Brasilien

Berichte bei Indy.de aus anderen Staaten Lateinamerikas:

"Lateinamerika steht am Anfang einer beispiellosen Strukturkrise. (Es gibt Berichte von hungernden Menschen, Plünderungen und Repression, Anm. d. Übers.) Argentinien, einst ein Modell der Politik des IWF, steht seit letztem Dezember vor einer kritischen ökonomischen Krise. Die Menschen in Argentinien haben Stukturen zur Selbstorganisation ('municipal assemblies') aufgebaut, Straßen blockiert und massenhaft demonstriert. Angesichts des Bankrotts dieses einstmals reichen Landes, wehren sich nunmehr auch PeruanerInnen und ParaguayerInnen mit Aufständen gegen die Privatisierung staatlicher Firmmen. Diese Proteste wurden unter Mißachtung von Grundrechten mit staatlicher Gewalt unterdrückt." (Die Krise in Argentinien breitet sich über den Kontinent aus)

Bolivien: Bolivien: Sozialkampf der Cocabauern
Bolivien: Mehr über Evo Morales, Bolivien
Brasilien: Ein Toter bei Landbesetzung in Brasilien
Chiapas: ZapatistInnen besetzten Landstraße und beschlagnahmen Baugeraete
Chile: Chile: Schüler & Studenten rebellieren
Ecuador: Landesregierung NRW und IWF zerstören Regenwald in Ecuador
Ecuador: Camp Ecuador - Globalisiererung von Unten
Guatemala: Landbesetzungen in Guatemala
Kolumbien: Rechtsradikaler wird Präsident in Kolumbien
Kolumbien: GEWERKSSCHAFT IN KOLUMBIEN - ERFRISCHEND TÖTLICH
Mexiko: Tierra si, aviones no-Update und Hintergrund von Atenco (Mex)
Nicaragua: viva merida - haeuserkampf in nicaragua
Paraguay: Ausnahmezustand in Paraguay
Peru: Massenproteste im Süden Perus
Venezuela: Putschversuch: Wie sich IWF und US-Politiker zu früh freuten
Venezuela: Policia Metropolitana auf der Anklagebank
Lateinamerika gesamt: Lateinamerika: Die Krise in Argentinien breitet sich über den Kontinent aus
Lateinamerika gesamt: Proteste gegen Besuch des US-Finanzministers O'Neill / weiteres
Lateinamerika gesamt: Staudämme und andere Übel
Lateinamerika gesamt: Plan Condor 2


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