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Verstaatlichung gefordert Bolivien: Umstrittenes Gasprojekt wirft Schlaglicht auf ungerechte Weltwirtschaftsordnung
Timo Berger Junge Welt 22.10.2003
http://www.jungewelt.de/2003/10-22/007.php

Boliviens Straßen sind wieder frei, der umstrittene Gasexport in die USA ist vorerst gestoppt und in La Paz regiert mit Carlos Mesa ein neuer Präsident. Doch die Ruhe täuscht: Der Umgang mit den Gas- und Erdölvorräten des Andenstaates hat nicht nur das Schicksal des geflohenen Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada bestimmt. Die führende Gewerkschaftsvereinigung COB jedenfalls fordert weiterhin die Wiederverstaatlichung der in den neunziger Jahren privatisierten Gasvorkommen. Mesa indes hat sich dazu noch nicht geäußert. Schon einmal hatte ein Präsident die fossilen Energieträger des Landes verstaatlicht. Am 17. Oktober 1969 ordnete der damalige Präsident Alfredo Ovando Candia die Nationalisierung der Erdölfelder der US-amerikanischen Gulf Oil Company an. Der bolivianische Staat erhielt damit die Kontrolle über 90 Prozent der Öl- und Gasreserven zurück.

Wenn die COB jetzt, 34 Jahre später, die Revision des aktuellen Öl- und Gasgesetzes verlangt, geht es in erster Linie darum, die multinationalen Erdölgesellschaften zu mehr Abgaben zu verpflichten. So schaltete sich der ehemalige Planungsminister der Regierung Ovanda, José Ortiz Mercado, in die aktuelle Debatte mit der Forderung ein, das Gesetz mit dem Ziel zu überprüfen, « einen größeren Gewinnanteil für den Staat (zu) erzielen ». Enrique Mariaca, der Expräsident der staatlichen Erdölgesellschaft YPF Bolivien, sieht das Land sogar « an der Schwelle zu einer dritten Verstaatlichung unserer Gas- und Erdölvorkommen ».

Bis 1969 zahlte Gulf Oil gemäß dem damaligen « Davenport-Gesetz » lediglich eine Konzessionsabgabe von elf Prozent auf das unverarbeitete Erdgas und eine 30prozentige Gewinnsteuer. Tatsächlich aber ließ der Konzern seine Investitionen abschrieben. Heutzutage sind die Erdölfirmen zwar zu einer 18prozentigen Abgabe angehalten, vor der Verabschiedung des umstrittenen Öl- und Gasgesetzes von 1997 betrug dieser Satz jedoch noch bis zu 50 Prozent. Theoretisch müssen die Ölmultis heute 25 Prozent ihrer Gewinne versteuern. Berichten der bolivianischen Privatisierungskommission zufolge sind in den vergangenen Jahren aber nicht mehr als ein Prozent an den Staat gezahlt worden.

1972 beendete der Diktator Hugo Banzer das staatliche Öl- und Gasmonopol und öffnete den Markt erneut für transnationale Konzerne. Der bis dahin florierende Gasexport nach Argentinien wurde von nordamerikanischen Firmen übernommen. Sánchez de Lozada knüpfte an die Politik des Diktators an, als er während seiner ersten Amtszeit 1997 das bis heute geltende Gesetz durchsetzte, das die Grundlage für den 2001 beschlossenen Gasexport in die USA bildete. Endgültig soll darüber nun die Bevölkerung in einem bindenden Referendum entscheiden. Zur Abstimmung steht dann ein für Pacific LNG - einem Zusammenschluß von Britisch Gas, British Petroleum und Repsol/YPF - äußerst lukratives Geschäft. Dem Exportplan zufolge würde Pacific LNG jährlich 1,37 Milliarden US-Dollar einstreichen, der Staat nur 40 bis 70 Millionen US-Dollar. « Die Rentabilität der Mineralölindustrie in Bolivien ist sehr hoch: für jeden investierten Dollar, macht ein Unternehmen zehn Dollar Gewinn », bestätigte Roberto Mallea von Repsol YPF Bolivien jüngst.

Die Ausbeutung der bolivianischen Vorkommen ist für die transnationalen Konzerne aber nur solange interessant, wie sie hohe Gewinne herausschlagen können. Zwar ist das Gasvorkommen im Süden Boliviens eines der größten Lateinamerikas, die bislang bestätigten 28,7 Trillionen Kubikfuß (TKF) entsprechen, aber nur 0,5 Prozent der weltweiten Reserven. Allein in Rußland lagern 1680 TKF, in Südamerika insgesamt 347,6 TKF. Der weltweite Gasverbrauch liegt so hoch, daß die bolivianischen Reserven in siebeneinhalb Monaten verbraucht wären. Bolivien hingegen könnte bei seinem aktuellen Verbrauch mehr als 1200 Jahre damit auskommen. In Bolivien sind damit in aller Deutlichkeit die Probleme des US-dominierten « Freihandels » zutagegetreten: Die Länder des Südens werden auf den Status billiger Rohstofflieferanten degradiert, ohne daß nachhaltigen Entwicklung auch nur erwogen wird. Von den Gasvorkommen hat die Bevölkerung selbst bislang wenig profitiert. Zum einen wegen der niedrigen Exportabgaben, zum anderen, weil fast achtzig Prozent der Haushalte immer noch mit Holz heizen.

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