Entgegen seiner Zusagen will der neue bolivianische Präsident nun doch Gas exportieren
« Sandwich » nennt die bolivianische Presse die Regierung von Carlos Mesa, der seit gut einer Woche das höchste Staatsamt des Andenlandes ausübt. Sandwich deshalb, weil sie von zwei Seiten unter Druck steht: Die USA und Spanien drängen Mesa, die neoliberale Wirtschaftspolitik seines Vorgängers Gonzalo Sánchez de Lozada fortzusetzen. Die sozialen Bewegungen, die Gewerkschaften und die linken Oppositionsparteien fordern dagegen von ihm, daß er eine wirtschaftspolitische Kehrtwende vollzieht: Statt die Bodenschätze seines Landes, wie das Gas und Erdöl, weiter billig zu exportieren, sollen sie in Zukunft in Bolivien selbst verarbeitet werden.
90 Tage « Waffenruhe » hat die Opposition Carlos Mesa nach dessen versöhnlicher Amtsantrittsrede zugesagt. Der ehemalige Journalist und Medienunternehmer hatte sich einen Großteil der Forderungen der Oppositionspartei MAS zueigen gemacht. Nach Ansicht von deren Anführer, Evo Morales, stimmten Mesas Auffassungen zu « fast 80 Prozent » mit dem Programm der MAS überein.
Doch der Jubel war verfrüht. Nach nur einer Woche hat die neue Regierung den Inhalt ihrer Verlautbarungen merklich geändert. Hatte Mesa angekündigt, er würde nur für einen Übergang zur Verfügung stehen, denken seine Berater inzwischen laut darüber nach, ob Mesa die volle Amtszeit ausfüllen soll. Außerdem ist von einem Stopp des Gasexports nicht mehr die Rede. Vielmehr hat der Präsident angekündigt, daß er die Gasausfuhr in die USA, die wesentlich zu dem Aufstand der Opposition im September und Oktober beigetragen hatte, vorantreiben will. Von dem zugesagten verbindlichen Referendum über das Gasprojekt ist Mesa allem Anschein nach auch abgerückt. Zum einen steht ein Termin noch nicht fest. Zum andern soll es laut Mesa bei dem Referendum nun darum gehen zu bestimmen, welche Pläne zum Gasexport die Bevölkerung favorisiert und nicht mehr darum, ob Bolivien überhaupt Gas ausführen soll. Der zuständige Minister für Bergbau und Treibstoff, Álvaro Ríos Roca, erklärte gegenüber der Presse klipp und klar seine Ziele: « Das Gas muß exportiert werden, da es nicht im Innern der Erde verbleiben kann. »
Inzwischen haben die Botschafter der USA und Spaniens erklärt, daß es nicht zu einer Revision des umstrittenen Treibstoffgesetzes kommen dürfe. Die reichen Länder des Nordens fürchten um die Gewinne ihrer Konzerne, die das Ölgeschäft in Bolivien kontrollieren. Die USA versuchen darüber hinaus, die Opposition zum Verstummen zu bringen, indem die Auszahlung eines vor kurzem in Paris zugesagten Kredits über acht Millionen US-Dollar an Bolivien davon abhängig gemacht wird, daß es im Land keine weiteren Ausschreitungen gibt. US-Botschafter David Greenlee verkündete, die einzige Bedingung, daß sein Land wirtschaftliche Hilfe leiste, sei, daß es in Bolivien zu keinen Ereignissen wie zwischen dem 10. und 17. Oktober komme.
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