Verfasser : Walden Bello
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Vom 23. bis 28. Januar werden tausende Menschen aus der ganzen Welt in Porto Alegre in Brasilien zusammenströmen.
Von Walden Bello, Professor für Soziologie und Öffentliche Verwaltung an der Universität der Philippinen und Direktor des "Focus on the Global South" mit Sitz in Bangkok
Dieser Artikel wurde für Interpress Service [IPS] verfasst.
Vom 23. bis 28. Januar werden tausende Menschen aus der ganzen Welt in Porto Alegre in Brasilien zusammenströmen. Unter den Pilgern werden afrikanische landlose Bauern, philippinische Gewerkschafter, palästinensische Befreiungskämpfer, Eingeborene aus ganz Lateinamerika und große Delegationen von Aktivisten aus Indien, Nordamerika und Europa. Anlass ist das Welt-Sozialforum (WSF).
Die diesjährige Zusammenkunft ist die dritte in Folge in dieser Millionenstadt und erhält eine besondere Bedeutung durch den vielbeachteten Wahlerfolg von Luis Inacio da Silva, besser bekannt unter dem Namen Lula, bei den Präsidentschaftswahlen, die vor kurzem in Brasilien stattgefunden haben. Lula ist die Hauptfigur der Arbeiterpartei (PT), einer der wichtigsten Stützpfeiler bei der Organisation des WSF.
Das WSF, auch als "Porto-Alegre-Prozess" bekannt, hat sich zum wichtigsten organisierten Ausdruck einer aufstrebenden Bewegung gegen die kapitalgetriebene Globalisierung entwickelt. Seit den Ereignissen des 11. September hat diese Bewegung auch eine starke Anti-Kriegs-Dimension angenommen und die Opposition gegenüber den Plänen der Vereinigten Staaten, einen Krieg gegen den Irak zu beginnen, wird erwartungsgemäss die Vorgänge in diesem Jahr bestimmen.
Das Porto Alegre Phänomen wurde durchaus auch kritisiert, selbst von progressiven Stimmen. Ein prominenter amerikanischer Intellektueller hat es als Zusammenkunft hauptsächlich von Leuten, die die Globalisierung "reformieren" wollen, charakterisiert. Ein anderer hat verkündet, das Forum werde sowohl intellektuell als auch politisch von den sozialen und politischen Bewegungen des Nordens dominiert.
Diese Kritik hat das WSF jedoch nicht daran gehindert, eine weltweit verbreitete Anhängerschaft anzuziehen. In diesem Jahr werden etwa 100 000 Teilnehmer erwartet, gegenüber 75 000 im Jahr 2002 und 15 000 im Jahr 2001.
Der Grund dafür ist vielleicht, dass das WSF für die Anti-Globalisierungs-Bewegung drei unverzichtbare Funktionen erfüllt
Zunächst bietet es dieser vielfältigen Bewegung einen Raum - sowohl räumlich als auch als Zeitraum - um sich zu treffen, zu vernetzen und, sich ganz einfach selbst zu erleben und zu bestätigen.
Dann ist es ein Rückzugsgebiet, in dem sich die Bewegung mit neuer Energie versorgt und die Richtung für das weitere Vorgehen festlegt, um gegen die Prozesse, Institutionen und Strukturen des globalen Kapitalismus anzugehen und sie umzukehren.
Drittens stellt Porto Alegre für die Bewegung ein Forum dar, um Visionen, Werte und Institutionen für eine alternative Weltordnung zu erarbeiten und zu diskutieren.
Das ESF und das ASF 2002 waren durch eine Ausweitung und Vertiefung des WSF gekennzeichnet. Das Treffen in diesem Jahr wird daher in der Tat zum Kulminationspunkt eines spannenden, sich über ein Jahr hinziehenden, globalen Prozesses. Verschiedene Städte, darunter Buenos Aires und Caracas, haben Sozialforen im Stil von Porto Alegre abgehalten. Die wirkliche Innovation in diesem Jahr waren aber die regionalen Sozialforen.
Das Europäische Sozialforum (ESF), das vom 6. bis 9. November 2002 im italienischen Florenz stattfand, zog mit 40 000 Teilnehmern mehr als dreimal mehr als die erwartete Zahl von Teilnehmern an. Noch erstaunlicher war die vom ESF gesponserte Anti-Kriegs-Demonstration, die mit 1 Mio. Demonstranten am 9. November stattfand, um gegen den geplanten Krieg der Vereinigten Staaten gegen den Irak zu protestieren: es kam zu keinem einzigen Zwischenfall durch gewalttätige Massen, wie sie Angstmacher wie die italienische Journalistin Oriana Fallaci vorhergesagt hatten.
Genauso eindrücklich war das kürzlich beendete Asiatische Sozialforum (ASF), das vom 2. bis 7. Januar in der historischen indischen Stadt Hyderabad stattfand und über 14 000 Teilnehmer registrierte, die hauptsächlich aus dem Gastland stammten, obgleich auch aus 41 anderen Ländern Teilnehmer angereist waren.
Vom ersten Tag an war die Stimmung wie elektrisiert. Das Gelände des Nizam College, des Hauptveranstaltungsortes der Konferenz, wurde während nahezu jedem Moment des fünftägigen Veranstaltungsmarathons von den Trommelschlägen und Gesängen von Minidemonstrationen erfüllt. Dort, und an ungefähr 40 anderen über die Stadt verstreuten Orten fanden 18 Konferenzen und Plenarversammlungen, 178 Seminare und Workshops, ein Jugendcamp und hunderte von Kulturveranstaltungen statt.
Themen waren der Widerstand gegen die Welthandelsorganisation (WTO), die Rechte der Dalit (Kastenlose), die Bedrohung durch Fundamentalisten, Stärkung der Frauenrechte, Unabhängigkeit in Bezug auf Lebensmittel, große Staudämme, der Kampf der Palästinenser, Raubbau an der Natur und alternative Wirtschaftspolitik
Militärischer Kampf gegen Militarismus war der Programmpunkt mit dem die Zusammenkunft begann, mit Nora de Cortinas, Mitgründerin der argentinischen Menschenrechtsgruppe Madres de Plaza de Mayo, als Referentin, die auf der Eröffnungsvollversammlung am 2 Januar sagte: "Wir dürfen den Vereinigten Staaten nicht gestatten, einen Krieg gegen den Irak zu beginnen."
Mehda Patkar, Vorsitzende der Nationalen Allianz der Volksbewegungen betonte den Widerstand gegen das "Gift des kommunalen Hasses" und rief zur Bildung einer breiten Koalition der Bevölkerung gegen die staatlich unterstützten fundamentalistischen Kräfte auf, die für das kürzliche Abschlachten von über 2000 Muslimen in Gujarat verantwortlich sind.
Widerstand gegen die Globalisierung war dagegen der Aufruf des früheren indischen Präsidenten K.R. Narayanan bei der Abschlusskundgebung im Freien. "Wir wollen, die Welt, als eine Welt, aber nicht globalisiert und von einem einzigen Land beherrscht." sagte er, "Die Welt ist pluralistisch und wird auch so bleiben.". Narayanan beschrieb die "Stimme, die beim ASF erhoben wird" als "eine Stimme für Menschenrechte, gegen Gewalt, gegen Imperialismus, und es ist nur richtig, dass es [das Forum] nach Indien gekommen ist, denn es war Indien, das einem Reich, in dem die Sonne nie unterging, das Totenglöckchen geläutet hat."
Wie beim ESF auch, gab es beim ASF einige logistische Unfälle, wie nicht funktionierende Lautsprecheranlagen und Veranstaltungsorte, die man stundenlang suchen musste. Genau wie beim ESF, gab es auch beim ASF Reibungen zwischen den Gruppen, die an der Organisation beteiligt waren. Das ASF war mit heisser Nadel, in weniger als einem Jahr, von einer Koalition zusammengestrickt worden, die der bekannte indische Aktivist Minar Pimple mit den Worten "ein Drittel Gandhi-Sozialisten, ein Drittel Linksparteien, ein Drittel unabhängige Organisationen und Personen" charakterisiert hat.
Angesichts der Zersplitterung der progressiven Bewegung sowohl in Europa als auch in Asien, ist es aber eine überwältigende Leistung, dass ASF und ESF schliesslich auf so großartige Weise zustande kamen. Die ASF-Teilnehmerin Nancy Gaikward von der Bewegung Unterdrückter Völker, fasste die Gefühle vieler Menschen zusammen, indem sie sagte: "Das ist das erste Mal seit langer Zeit in Indien, dass Menschen aus verschiedenen politischen Strömungen in der Lage waren, auf einer gemeinsamen Basis zusammenzuarbeiten."
Einer der Hauptgründe, dass der Porto-Alegre-Prozess so an Fahrt gewinnt, ist in der Tat der, dass er einen Ort bietet, an dem Bewegungen und Organisationen trotz ihrer Unterschiede Wege der Zusammenarbeit finden können. Während die üblichen ultra-linken Gruppierungen ablehnend aussen vor bleiben, hat der Porto-Alegre-Prozess in Brasilien, Europa und Indien die gemeinsamen Werte und Bestrebungen einer Vielzahl politischer Traditionen und Tendenzen herausgearbeitet.
Man kann den Porto-Alegre-Prozess als Ausdruck für das Zusammenkommen einer Bewegung, die seit langem durch eine Wildnis der Zersplitterung und des Wettstreits gewandert war, verstehen. Das Pendel, um es mit anderen Worten zu sagen, könnte nun auf die Seite der Vereinigung schwingen, angetrieben von der Einsicht, dass die Bewegungen in einem zunehmend harten Kampf gegen unilateralistische Militarisierung und aggressive wirtschaftliche Globalisierung keine Wahl haben, als sich zusammen zu tun, wenn sie nicht abseits stehen wollen.
Angesichts von Tausenden, die kommende Woche in Porto Alegre zusammenkommen werden, gibt es eine andere ebenso bezeichnende Entwicklung: Seit Seattle hat die Anti-Globalisierungs-Bewegung weltweit eine kritische Masse erreicht, im dem Sinne, dass ihre Fähigkeit, Kräfte bei wichtigen Zäsuren, wie der WTO-Konferenz vom Dezember 1999 in Seattle und dem G8-Treffen in Genua, zu versammeln, es ermöglicht, Einfluss auf internationale Entwicklungen zu nehmen und global ein starkes ideologisches und politisches Profil zu entwickeln.
Ein "global actor" zu sein hatte allerdings nicht notwendigerweise den Effekt, auch auf nationaler Ebene, wo die traditionellen Eliten und Parteien weiterhin die bestimmenden Positionen besetzen, als wichtiger Akteur wahrgenommen zu werden. Im letzen Jahr hat die Bewegung jedoch in einer Reihe von Staaten, zumeist in Lateinamerika, eine entschiedene Mehrheit auf nationaler Ebene erlangt,
Nicht nur hat sich die Übernahme von neoliberalen Politiken als zielstrebiger Weg in das Wahldesaster erwiesen, sondern politische Parteien oder Bewegungen, die sich für Anti-Globalisierungs-Politiken einsetzen, haben in Ecuador und Brasilien bei Wahlen gewonnen und sind in Venezuela der Regierung von Hugo Chavez beigetreten, inmitten des örtlichen anti-neoliberalen Kampfes. Vielleicht besonders bemerkenswert ist Luis Inacio da Silva, oder Lula, in Brasilien, der mit 63% der Stimmen die Präsidentschaftswahlen im letzten Oktober gewonnen hat. Lula ist die Hauptfigur der Arbeiterpartei (PT) und, wie man weiss, die Arbeiterpartei der Hauptpfeiler des WSF.
Es ist nicht überraschend, dass viele von denen, die in diesem Jahr nach Porto Alegre kommen, hauptsächlich eine einzige Frage im Kopf haben: Was können wir von Lulas Sieg bzw. dem der PT für andere Länder lernen?
Viele Persönlichkeiten der internationalen progressiven Bewegung haben vor, nach Porto Alegre zu kommen. Die bei weitem populärste, interessanteste und am meisten nachgefragte Persönlichkeit wird Lula sein, die Personifizierung der neuen lateinamerikanischen Linken. Und, dieses Jahr wird, in mancher Hinsicht, die Feier einer Bewegung sein, die, indem sie ein bemerkenswertes Mass von politischer Einigkeit inmitten von Unterschieden erreicht hat, das Gesicht der brasilianischen Politik verändert hat.
Katharina Schell coorditradattac.org Ehrenamtliche Übersetzer ATTAC Trad-Anfrage