Auf dem V. Weltsozialforum in Porto Alegre haben 19 Persönlichkeiten, darunter die Nobelpreisträger José Saramago (Portugal) und Adolfo Perez Esquirel (Argentinien) sowie der ehemalige Berater des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, Frei Betto, und der Herausgeber der französischen Zeitschrift "Le Monde diplomatique", Ignacio Ramonet, den Text eines "Manifests von Porto Alegre" veröffentlicht, der nachfolgend im Wortlaut wiedergegeben wird. (Arbeitsübersetzung)
"Seit dem ersten im Januar 2001 in Porto Alegre abgehaltenen Weltsozialforum hat sich das Phänomen der Sozialforen auf alle Kontinente und bis auf die nationalen und lokalen Ebenen ausgeweitet.
Es ließ einen erdballweiten öffentlichen Raum der Bürgerverantwortung (orig.: "citoyenneté") und der Kämpfe entstehen. Es hat es ermöglicht, Vorschläge für politische Alternativen zur Tyrannei der neoliberalen Globalisierung zu erarbeiten, die von den Finanzmärkten und den transnationalen Konzernen vorangetrieben wird und deren bewaffneter Arm die imperiale Macht der USA darstellt. Durch ihre Verschiedenartigkeit und durch die Solidarität zwischen den Akteuren und sozialen Bewegungen, die sie ausmachen, ist die Bewegung für eine andere Welt (orig.: "altermondialiste") nunmehr eine Kraft geworden, die im Weltmaßstab Gewicht hat.
In der Vielfalt der aus den Foren hervorgegangenen Vorschläge gibt es eine große Anzahl, die in den Reihen der sozialen Bewegungen eine sehr breite Übereinstimmung zu finden scheinen. Unter diesen haben die Unterzeichner des Manifests von Porto Alegre, die sich in strikt persönlicher Eigenschaft äußern und in keiner Weise vorgeben, im Namen des Forums zu sprechen, zwölf identifiziert, die insgesamt sowohl Sinn wie Projekt für den Aufbau einer möglichen anderen Welt ausmachen. Wenn sie verwirklicht würden, würden sie es den Bürgern endlich ermöglichen, sich gemeinsam ihre Zukunft wieder anzueignen.
Dieser Minimalsockel wird der Beurteilung der Akteure und sozialen Bewegungen aller Länder unterbreitet. Ihnen wird es zukommen, auf allen Ebenen - weltweit, kontinental, national und lokal - die nötigen Kämpfe zu führen, damit sie Realität werden. Wir machen uns allerdings keinerlei Illusion über den realen Willen der Regierungen und der internationalen Institutionen, diese Vorschläge spontan in die Tat umzusetzen, selbst wenn sie sich aus purem Opportunismus daraus das Vokabulär entleihen.
Porto Alegre, 29. Januar 2005.
Auf der deutschsprachigen Internet-Seite des Weltsozialforums wurde unter dem Stichwort "Berichte" folgende Information zur Publikation des "Manifests von Porto Alegre" veröffentlicht
(http://weltsozialforum.org/2005/2005.wsf.1/2005.wsf.meldungen/news.2005.10/):
"Obwohl Artikel 6 der Prinzipien von Porto Alegre, welche seit dem ersten Weltsozialforum die Arbeitsweise aller Sozialforen festlegen, eine verbindliche Absichtsbekundung im Namen aller Forumsteilnehmer explizit ausschließt, haben 19 Einzelpersonen, darunter Frei Betto, Ignacio Ramonet und Riccardo Petrella, bereits am 29. Januar und damit zwei Tage vor dem offiziellen Ende des WSF in der Weltpresse ein Dokument in Umlauf gebracht, das u.a. über die Deutsche Presseagentur verbreitet nunmehr in vielen Zeitungen als Abschlusserklärung dargestellt wird.
Als Beweggrund für ihr Vorpreschen geben die 19 Intellektuellen an, dass der Antiglobalisierungs-Bewegung oft vorgeworfen werde, dass sie keine konkreten Schritte vorschlage. Um diesen kritischen Stimmen zu begegnen, hätten sie die Initiative ergriffen und zwölf Vorschläge für eine andere Welt unter dem Namen "Manifest von Porto Alegre" veröffentlicht. Wohl wissend, dass es sich hierbei um eine private Erklärung handelt, die nicht im Namen des Forums und auch ohne Zustimmungdes internationalen Rates des WSF abgegeben wurde, glauben sie dennoch, in dessen Geist gehandelt zu haben."
Auf der gleichen WSF-Internetseite wurden eine Reihe von weiteren Stimmen von in Porto Alegre anwesenden Persönlichkeiten zu dem Vorgang veröffentlicht, darunter folgende:
So erklärte u.a. Candido Grzybowski, Mitglied des Brasilianischen Internationalen Komitees für das WFS, er sei zwar von Bernard Cassen ("Le Monde diplomatique") zur Unterzeichnung eingeladen worden, habe dies aber abgelehnt, allerdings nicht wegen Nichteinverständnis mit den Inhalten des Dokuments, sondern wegen der von den Unterstützern verwendeten Methode, es zu starten: "Der Inhalt dieses Vorschlags ist perfekt und ich glaube, dass 80 Prozent der Forumsteilnehmer damit übereinstimmen würden". Was den Vorschlag nicht annehmbar mache, sei "die Methode, mit der er kreiert und präsentiert worden ist. Das geht gegen den Geist des Forums selbst. Hier sind alle Vorschläge gleich wichtig und nicht nur der einer Gruppe von Intellektuellen, selbst wenn es sehr bedeutende Personen sind". Die Veröffentlichung sei "ein politischer Fehler" gewesen, "weil es nichtder vereinbarten Methode entspricht und sogar eine Ablehnung durch die Basis des Forums hervorrufen könnte".
Professor Kamal Mitra Chenoy, Mitglied des früheren Indischen Ad-hoc-Organisationskomitees, erklärte, er würde dieses Dokumet "als eine Erklärung von innerhalb des Forums, aber nicht des Forums" ansehen. "Selbst wenn 3000 Organisationen unterzeichnen, wird es keine WSF-Erklärung sein. Um das zu sein, muß es vom Internationalen Rat kommen und zuerst demokratisch einerDebatte vorgelegen haben".
Flavio Lotti von der italienischen NGO "Tavola della Pace" bezeichnete das "Manifest" als "eine legitime Initiative", deren Inhalt und Geist er persönlich teile. Seiner Ansicht nach sollte das "Manifest" auf der nächsten Tagung des Internationalen Rats des WSF Ende März diskutiert werden. Es sei an der Zeit, das "Tabu" aufzuheben und das Forum "mehr zu einer globalen politischen Kraft als nur einem Raum für Debatten" zu machen.
Minoru Kitamura vom Japanischen Asien-Afrika-Lateinamerika-Solidaritätskomitee meinte, "ein Konsensdokument könnte akzeptabel sein, aber es sollte alle Ideen enthalten". Gegenwärtig sehe sich das WSF selbst noch als ein Ort der Förderung von "dezentralisierter Koordination und Vernetzung zwischen Organisationen, die in konkreten Aktionen für den Aufbau einer anderen Welt engagiert sind, auf allen Ebenen von der lokalen bis zur internationalen, aber es hat nicht die Absicht, eine Körperschaft zu sein, die die Welt-Zivilgesellschaft repräsentiert". Das WSF sei "weder eine Gruppe noch eine Organisation".
Auch der italienische EU-Parlamentarier Giuletto Chiesa (Mitglied der liberalen ALDE-Fraktion im EP, früher Mitarbeiter der "Unità") war der Ansicht: "Das Weltsozialforum ist ein globales Laboratorium, das nicht aufgegeben werden sollte. Aber es sollte über Festivitäten und Protest hinausgehen. Es sollte eine Struktur für Aktionen haben. Wir können nicht nur sagen: Eine andere Welt ist möglich. Wir brauchen Projekte und müssen Wissenschaftler in die Lösung einbeziehen"
wsf 2005 – wsf – www.agp.org (archives) | www.all4all.org