Öffentliche Güter und der Traum von der Marktwirtschaft Einen Kühlschrank bekommt man im Fachgeschäft für Haushaltsgeräte. So studieren Frau Meier und Herr Schmidt Prospekte, vergleichen das Preis-Leistungs-Verhältnis und schlagen im Bericht der Stiftung Warentest nach. Die Kaufentscheidung fällt und der neue Kühlschrank wird geliefert. Wenn ihre Kinder Peter und Sabine in die Schule gehen oder studieren, gehen sie normalerweise in eine staatliche (Hoch-)Schule. Sie erhalten dort eine Ausbildung und können sich ggf. auch echte Bildung aneignen. Neoliberale Theoretiker wie Friedrich August von Hayek fordern, dass ein Studienkontenmodell das « knappe Gut Bildung » zuteilt. Gutscheine und Studiengebühren würden es Sabine und Peter so ermöglichen, sich durch hohe Schulden die beste Bildung zu kaufen. Doch bieten wirklich Wettbewerb, ungleiche Kaufkraft und der Markt die effizienteste Antwort auf den PISASchock und das chronisch unterfinanzierte Hochschulsystem?
Märkte koordinieren knappe Güter zur Befriedigung konkurrierender und unbegrenzter Bedürfnisse. Die Wirtschaftswissenschaft untersucht die Allokation (Zuteilung) von Ressourcen, die Produktion von Gütern (z.B. Kühlschränken) und deren Distribution. Dienstleistungen wie Bildung unterscheiden sich von realen und anfassbaren Waren wie Kühlschränken dadurch, dass sie immaterieller Art sind und gleichzeitig produziert und konsumiert werden. Neben der Einteilung in Güter und Dienstleistungen unterscheiden die ÖkonomInnen auch nach Güterarten. Grundsätzlich gibt es private Güter und Öffentliche Güter. 16 Märkte können private Konsumgüter sehr gut effizient verteilen, aber bei Öffentlichen Gütern wie Leuchttürmen, Ampeln, Infrastruktur, Polizei etc. versagt der Markt. Ein Leuchtturm besitzt zwei Unterschiede zum Kühlschrank. Kein Schiff kann vom Sehen des Leuchtturmsignales ausgeschlossen werden (= Nicht-Ausschluss). Auch wenn 30 Frachter gleichzeitig um die Seeenge herumfahren, entsteht keine Konkurrenz um die Nutzung des Leuchtturms und das Leuchtsignal nimmt nicht ab (= keine Rivalität im Konsum). Ein Kühlschrank hingegen hat eine Kapazitätsgrenze und ich kann in meiner Küche jeden, der nicht in der WG wohnt, von der Mitbenutzung ausschließen. Ein Kühlschrank ist daher eher ein privates Gut, obwohl er auch gemeinschaftlich - mit dem Problem der abgelaufenen Milchtüte - genutzt werden kann.
Im Gegensatz zum Kühlschrank versorgen Schulen und Universitäten die Menschen mit dem Öffentlichen Gut (Aus-) bildung. Obwohl Hörsäle eine Kapazitätsgrenze haben, hört niemand dem anderen die Worte der Professorin weg. Es entsteht zwar Konkurrenz um Sitzplätze in zu kleinen Hörsälen, aber Studierende können sich wechselseitig nicht vom Zuhören ausschließen. Vorlesungen sind also ein Öffentliches Gut. Auch die (Hoch-)Schulbildung allgemein besitzt diesen Charakter, da sie aus zahlreichen Vorlesungen, Eigenstudium oder Klausuren zusammengesetzt ist. Bei Klausuren, Seminaren, Hausarbeiten oder Betreuung durch Lehrpersonal kann es zwar zu Rivalität und Ausschluss von Mitstudierenden kommen, aber einmal vorbereitete Seminare können wiederholt und Bibliotheksbücher oft benützt werden. Außerdem hat Bildung große gesellschaftliche (externe) Effekte, die der Markt nicht bereitstellen kann. Bildung als Öffentliches Gut kann daher nur von der öffentlichen Hand in ausreichendem Maße und angemessener Qualität angeboten werden.
Nun stellt sich doch die Frage, warum der Staat, der zahlreiche eigene Schwächen (Bürokratie, Korruption, Interessenkonflikte u.a.) besitzt, besser ist als der Markt. Das Handeln der öffentlichen Hand kann einfach mehr als der Markt. Die Marktwirtschaft funktioniert nur bei perfekter Verbreitung von Information (a). JedeR sollte nach der Theorie also den Otto-Katalog und das Stiftung Warentest-Jahrbuch auswendig kennen. Marktzugang (b) und der freie Tausch von Gütern und Geld (c) müssen ohne Einschränkungen möglich sein, aber es gibt hohe Investitionsschranken oder sozial-ökologisch notwendige Grenzen des Marktes. Menschenhandel und Kinderarbeit sind zu Recht verboten. Auch kann niemand mit BMW oder Toshiba so einfach in Konkurrenz treten. 17
Unabhängig von diesen drei Marktvoraussetzungen, die oft nicht erfüllt werden, kann der Markt versagen. Es bestehen Asymmetrien bei Informationen über z. B. Qualität der Güter. Zahlreiche Marktakteure wie Monopolisten (Microschrott, Bertelsmann etc.) können andere mittels ihrer Macht beeinflussen. Der Markt erreicht in zahlreichen Fällen keinen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage. Externalitäten wie bei Öffentlichen Gütern, z.B. die genannte Bereicherung der Gesellschaft durch gebildete Bürger oder Bewahrung der Natur können Märkte auch nicht ohne gesellschaftliche Intervention bereitstellen. Bei allen diesen Marktproblemen bleibt nur noch die öffentliche Hand, um die unsichtbare Hand 18 effektiv zu ersetzen. Und dass Märkte ungleiche Ausgangssituationen nur reproduzieren und sogar verstärken, weiß die Wissenschaft ja schon seit Adam Smith und Karl Marx (vgl. auch Zweiter Hauptsatz der Wohlfahrtstheorie).
Einige neue Richtungen der Wirtschaftswissenschaft attestieren der Marktwirtschaft sogar weitere Unzulänglichkeiten. Die Post-Autistische und Post-Walrasche Ökonomie weist die Existenz multipler Gleichgewichte im Markt nach, da der Preismechanismus Komplexität (=Interaktion von positiven und negativen Interdependenzen) besitzt. 19 Märkte funktioneren dann nur noch in Ausnahmefällen.
Wenn es also keine effizienten und sozial sinnvollen Bildungsmärkte geben kann, warum sollte dann gerade ein internationaler Markt dort helfen? Nach dem Beispiel von David Ricardo führt der internationale Handel mit Tuch aus England und Wein aus Portugal zum Wohlstand beider Nationen. In den unterschiedlichsten Erweiterungen wie dem Heckscher-Ohlin-Modell zeigten ÖkonomInnen auch bei Faktormobilität (Direktinvestitionen, Standortverlagerung, Monopolanbieter etc.), dass Globalisierung zum Wohle aller führt. Diese Aussagen hängen aber an zahlreichen Voraussetzungen, die oft nicht erfüllt sind.
Bereits Portugal verarmte aufgrund der Spezialisierung auf Weinanbau, weil die Industrialisierung die Produktivität der Tuchindustrie erhöhte. Globale Wirtschaft muss daher durch strategische Handelspolitik gestaltet werden, weil sonst die Spaltung des Weltmarktes in Arm und Reich dank der Globalisierung nur noch weiter voranschreitet.
Universitäten unterscheiden sich von Kühlschränken Bildung stellt einen gesellschaftlichen Wert und eine Kulturerrungenschaft dar. Sie ist eine öffentliche Aufgabe und muss vor Profitinteressen geschützt werden. Die gesellschaftliche Steuerung und Bereitstellung von öffentlichen Gütern muss gegen das Versagen der Märkte erfolgen; nicht nur wegen der Reproduktion sozialer Ungleichheit im Privat(hoch)schulwesen.
Bildung vom Kindergarten bis zur Universität bleibt am besten in öffentlicher Hand!
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