Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Gemeinde Distomo, sehr
geehrte kirchliche Würdenträger sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,
es ist eine sehr große Ehre für uns hier zu Ihnen zu sprechen,
sprechen zu dürfen - an diesem Ort der Erinnerung an die Ermordeten
(des Massakers vor 60 Jahren) und der Mahnung zum Frieden. Dafür
danken wir vom Arbeitskreis Distomo aus Hamburg dem Bürgermeister,
der Gemeinde Distomo und dem Nationalrat für die
Entschädigungsforderungen gegenüber Deutschland. (Bedanken möchten
wir uns auch für die herzliche Begrüßung und herzliche Aufnahme im
Ort.)
Die Massaker an der Zivilbevölkerung wie in Distomo und Kalavryta,
Kommeno, Kragujevac, Lidice, Lyngiades, Oradour-sur-Glane, Viannos
(um einige zu nennen), diese Verbrechen von Nazi-Truppen waren
staatlich nicht nur geduldet, sondern im Vernichtungskrieg
strategisch geplant. Die Anerkennung dieser Verbrechen und des Leids
der Opfer muss Konsequenzen haben. Moral besteht eben nicht nur aus
Worten, sondern sie entsteht in materiellen und rechtlichen
Schritten.
Von "Trauer und Scham" sprach Bundespräsident Johannes Rau im Jahr
2000 in Kalavyrta Doch das Resümee des Auschwitz-Überlebenden Jean
Amery über den deutschen Umgang mit den Verbrechen des
Nationalsozialismus wird dadurch nicht verändert. "Ohne Schuld und
Sühne." Keine Verurteilung der Täter und keine Entschädigung der
Opfer.
Die Schuld trägt sich nicht ab, auch nicht nach 60 Jahren. Die lange
Zeit ausgebliebener Konsequenzen stellt vielmehr eine weitere
Verhöhnung der Opfer dar. Die "zweite Schuld" wie es der
Schriftsteller Ralph Giordano nennt.
Bis zum Ende der 90er Jahre wurde das Massaker von Distomo von
offizieller deutscher Seite zynisch "als Maßnahme im Rahmen der
Kriegsführung" bezeichnet. Die Täter wurden nie von einem deutschem
Gericht verurteilt. Bis zur Wiedervereinigung 1990 konnten die Opfer
keine Entschädigungsansprüche geltend machen. Auch heute noch
verweigert die Bundesregierung und die deutschen Gesellschaft den
Massakeropfern die Anerkennung.
Von Distomo ging der Impuls aus, die Anerkennung und Entschädigung
auf rechtlichem Weg einzufordern. Durch die (ausgesetzte/ versuchte)
Pfändung des Goethe-Instituts (und anderer deutscher Liegenschaften)
haben wir von ihrem Kampf erfahren, den wir aus antifaschistischer
Überzeugung (erst) seit etwa drei Jahren versuchen aktiv zu
unterstützen. Andere Menschen und Gruppen aus Deutschland haben
bereits vorher über diese Verbrechen aufgeklärt und sich für die
Entschädigung eingesetzt, z.B. durch die Beteiligung an der Konferenz
in Delphi oder durch Publikationen.
Christiane Maßmann vom Arbeitskreis wird jetzt gleich anhand einiger
Bilder über die Unterstützungsaktivitäten in den letzen drei Jahren
berichten. Rechtsanwalt Martin Klingner wird anschließend den
aktuellen Stand der gerichtlichen Auseinandersetzung darlegen.
Hier zu sprechen ist für uns also auch weiterhin eine Verpflichtung
die Forderung der heutigen Veranstaltung nach Deutschland, nach
Berlin, zu den Verantwortlichen zu tragen. "Entschädigung jetzt".
Rechtliche Aspekte
Das Urteil des Bundesgerichtshofs - des obersten deutschen Gerichts
in Zivilsachen - ist bekannt. Die Klage der Geschwister Sfountouris
auf Entschädigung wurde abgewiesen. Das Gericht sah zwar in dem
Massaker von Distomo am 10.6.44 ein Kriegsverbrechen. Einen
individuellen Anspruch auf Entschädigung der Opfer wollte es dennoch
nicht anerkennen. Der BGH meinte, "mit den beschränkten Mitteln des
Rechts sei das Problem nicht zu lösen". Doch dies ist nicht die
Wahrheit. Sowohl das deutsche wie auch das Völkerrecht eröffnen die
Möglichkeit Entschädigung für Kriegs- und Besatzungsverbrechen auch
individuell einzuklagen, wenn zwischen Staaten keine Lösung gefunden
wird.
Den Opfern von Distomo und ihren Hinterbliebenen steht eine
Entschädigung nicht nur nach moralischen, sondern auch nach
juristischen Kriterien zu. Schon während des 2. Weltkriegs galt das
Haager Abkommen von 1907, das bei Verbrechen gegen die
Zivilbevölkerung ausdrücklich eine Verpflichtung zum Schadensersatz
vorsieht. Der Bundesgerichtshof lehnte eine solche Verpflichtung
gegenüber individuellen Geschädigten ab, es handele sich um ein
Problem, dass zwischen den Staaten gelöst werden müsse.
Zur Begründung erklärte der BGH, dass es auf das Verständnis und den
Gesamtzusammenhang des zur Tatzeit 1944 geltenden Rechts ankomme.
Dies bedeutet, die heutigen Richter wenden das Recht so an, wie es
die Nationalsozialisten 1944 taten und die Nazis wollten ihre Opfer
zweifellos nicht entschädigen. Diese Begründung ist ein Skandal, denn
damit hätten die Täter von damals zu entscheiden, ob die Opfer heute
eine Entschädigung erhalten. Das Urteil ist ein Tiefpunkt
bundesdeutscher Rechtspechung.
Gegen dieses Urteil haben die Geschwister Sfountouris das
Bundesverfassungsgericht - das höchste deutsche Gericht - angerufen.
Es geht dabei nicht nur um die Durchsetzung einer Entschädigung, es
geht auch darum, der zynischen Begründung des Bundesgerichtshofs
entgegen zu treten. Wann das Bundesverfassungsgericht eine
Entscheidung treffen wird ist offen - die Chance, dass das BGH-Urteil
zugunsten der Opfer korrigiert wird, besteht.
In dem Ausschnitt aus den deutschen Nachrichten wurde auch die
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in
Strassburg erwähnt. Der Bericht war in diesem Punkt falsch. Der EGMR
hat nicht entschieden, dass den Opfern von Distomo keine
Entschädigung zusteht. Diese Frage wurde ihm gar nicht gestellt.
Das europäische Gericht hatte nur zu entscheiden, ob die griechische
Regierung die Vollstreckung des Urteils des Areopag im Fall Distomo
vom April 2000 blockieren darf oder nicht. Leider hat der EGMR
zugunsten der griechischen Regierung entschieden, dass diese
diplomatische Rücksichten auf deutsche Interessen nehmen
dürfe.Ausdrücklich hat das Gericht aber darauf hingewiesen, dass dies
nicht zeitlich unbegrenzt gelte und in anderen Ländern durchaus
Vollstreckungsmöglichkeiten bestehen. An der Rechtskraft des
Areopag-Urteils hat sich nichts geändert.
Dies bedeutet, dass die Chance fortbesteht, die deutsche Regierung
doch noch zur Erfüllung des Distomo-Urteils des Areopag zu zwingen.
Sollte dies weiterhin auf Schwierigkeiten stoßen, so könnte der EGMR
mit guten Argumenten erneut angerufen werden.
Ermutigend ist auch eine Gerichtsentscheidung in Italien. Im März
diesen Jahres fällte der Kassationshof in Rom- das oberste
italienische Gericht - ein bahnbrechendes Urteil. Es ging um den Fall
eines ehemaligen NS-Zwangsarbeiters, der 1944 von den Deutschen ins
deutsche Reich deportiert worden war.
Die Bundesregierung berief sich wie auch im Fall Distomo auf den
völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität, wonach im Ausland
nicht gegen Deutschland geklagt werden könne. Der Kassationshof
erkannte den Einwand der deutschen Seite nicht an und entschied, dass
im Falle von Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen der Grundsatz der
Staatenimmunität nicht gelte. In Italien kann nunmehr wegen
NS-Verbrechen gegen Deutschland geklagt werden.Dieses Urteil gilt für
alle Kriegsverbrechen, in Italien geschehen sind.
Die Entscheidung stellt aber auch eine neue Chance für NS-Opfer in
ganz Europa, auch in Griechenland, dar. Der Kassationshof bezog sich
ausdrücklich positiv auf den Areopag und das Distomo-Urteil. Man
wollte offenkundig einen Präzendenzfall schaffen, der auch die
Rechtsprechung in anderen EU-Ländern beeinflusst. Wir halten es für
möglich, dass sich diese Linie durchsetzt und letztlich auch die
europäischen Gerichte in gleicher Weise entscheiden.
Die deutsche Verweigerungshaltung gegenüber den Opfern des
nationalsozialistischen Terrors stützt sich ja nicht auf gute
Argumente, sondern auf die politische und wirtschaftliche Macht
Deutschlands in Europa. Die Bundesregierung hat die griechische
Regierung durch diplomatischen Druck dazu veranlasst, die
Entschädigung der Distomo-Opfer zu unterlaufen Mit Recht hat dies
nichts zu tun, mit Gerechtigkeit schon gar nicht.
Nazi-Deutschland hat in allen besetzten Ländern Verbrechen begangen
wie das von Distomo. Nirgendwo wurden die Opfer angemessen
entschädigt, wenn überhaupt. Freiwillig wurde von der Bundesrepublik
noch nie Entschädigung gezahlt, obwohl die reiche Bundesrepublik die
Möglichkeit gehabt hätte. Nur durch politischen, wirtschaftlichen und
juristischen Druck konnten die Opfer Teilerfolge erzielen. Im Falle
der ehemaligen NS-Zwangsarbeiter konnte ein solcher Teilerfolg
erzielt werden, weil der Druck auf Deutschland groß war, Imageverlust
und wirtschaftliche Einbußen drohten.
Wir halten es deshalb für notwendig und sinnvoll, den Druck auf die
Bundesregerierung zu erhöhen. Die internationale Zusammenarbeit auf
juristischer und politischer Ebene muss verstärkt werden. Dann
besteht die Chance, dass den Opfern von Distomo und anderen Orten
deutscher Verbrechen doch noch späte Gerechtigkeit widerfährt.
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