Zum Jahrestag des Massakers von Ano Viannos lud der "Nationalrat für die Forderungen gegenüber Deutschland"
zu einem zweitägigen Kongress ein, um über die Fragen der Entschädigung und Reparationen, der Kriegsschäden, des Raubs antiker
Schätze während der Besatzung, aber auch über Erinnerungsarbeit auszutauschen. Es wurde einige neuere Forschungsarbeiten
mit regionalen Schwerpunkt vorgestellt, wie zu Kriegsschäden und Kunstraub auf Kreta, aber auch Geschichtsprojekte für
Schüler und die Sozialgeschichte der Region Viannos.
Alle griechischen Widerstandsorganisationen gegen die deutsche Besatzung waren auf dem Kongress präsent. Viele
Teilnehmer kamen aus anderen "Märtyrerorten" wie Distomo, Kommeno, Hortatis und Kalavryta, wo die Wehrmacht Massaker
verübt hat. Die Bedeutung des Kongresses wurde durch die Teilnahme der Widerstandslegende Manolis Glezos sichtbar, der am 30. Mai 1941 mit Apostolos
Sandas die Hakenkreuzfahne von der Akropolis in Athen holte.
Die Frage der offenen Reparationszahlungen Deutschlands aus dem Zweiten, aber auch Ersten Weltkrieg wurde von vielen Redner in einen
Zusammenhang mit der Forderungen an Griechenland durch die ökonomische Krise gebracht. Die Rückzahlung der Zwangsanleihe, die die Bank von
Griechenland dem deutschen Reich während der Besatzung zahlen musste, wird hervorgehoben, auch wenn sie gar nicht der größte Posten
ist, aber der am klarsten definierbare. Die griechische Regierung wurde wegen ihrer bisherigen schwachen Positionierung in dieser Frage berechtigterweise stark
kritisiert, ist aber der potenzielle Verhandlungspartner in Sachen Reparationen gegenüber Deutschland. Die derzeitigen Regierungsparteien
stellten sich auf dem Kongress nicht der Diskussion. Nur ein kleiner Teil der griechischen Sozialdemokraten (PASOK) war bisher in dieser Sache
wirklich engagiert. Die Frage der Reparationen wird wenn überhaupt nur eine anders zusammengesetzte Regierung stellen. Zwei Parlamentsabgeordnete
des linken Wahlbündnis Syriza verfolgten aufmerksam den Kongress.
Rechtsanwalt Joachim Lau analsyierte, wie die individuellen Entschädigungsansprüche vorerst durch die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs in
Den Haag (IGH) vom Februar 2012 gestoppt wurden. Im Fall des SS-Massakers von Distomo war bereits 2000 vor dem höchsten griechischen
Gerichtshof eine Entschädigung erstritten worden, deren Vollstreckung die griechische Regierung aber bis heute blockiert. Vom höchsten italienischen
Gericht war 2008 eine Vollstreckung gegen Deutschland bestätigt worden. Deutschland hatte deshalb Italien vor dem IGH verklagt. Bei diesem Prozess
waren die Opfer ausgeschlossen, da sie formal nicht Partei waren, wie Rechtsprofessor Stelios Perakis, der Vertreter der griechischen Regierung bei dem
IGH-Verfahren in Den Haag, auf dem Kongress einwarf. Rechtsanwalt Joachim Lau betonte dagegen, dass Italien oder Griechenland die Opfer in Den Haag
hätten beteiligen können.
Nach den gesetzlichen Änderungen aufgrund des IGH-Urteils hat die deutsche Regierung in Italien ein Wiedervorlageverfahren eingeleitet, um die gerichtlichen
Entscheidungen zugunsten der Opfer von Distomo zu kippen. Mitte November wird der Prozess beginnen. Rechtsanwalt Lau wird eine Vorlage für das
Verfassungsgericht beantragen, da den Opfern durch dieses Gesetze der Rechtsweg abgeschnitten wird und ihre garantierten Ansprüche nicht gewährt werden.
Aristomenis Syngelakis vom Opferverband Ano Viannos und Mitglied im Nationalrat machte in seiner Rede an der Gedenkstätte die Position der Opfer deutlich, nach
der im Gegensatz zur Sicht der deutschen Regierung die Entschädigung nicht vom Tisch ist. Es geht um die Anerkennung der Verbrechen und um die Anerkennung des Leids
der Opfer. Die diesjährige Gedenkfeier für das Massaker von Viannos fand ohne offizielle Vertreter der deutschen Regierung statt, ganz im Gegenteil zum
60ten Jahrestag, wo die Bundesregierung noch den damaligen Militärattaché entsandte, um durch Kranzabwurf Entschädigungsforderungen abzuwehren.
Lars Reissmann, AK Distomo
Der AK Distomo wird zum 70ten Jahrestag des Massakers von Distomo im Juni 2014 nach Griechenland fahren, um dort über die Entschädigung und den
aktuellen Neofaschismus in Deutschland und Griechenland zu diskutieren und an den Gedenkfeierlichkeiten teilzunehmen.
(Dieser Text erschien in leicht überarbeiteter und gekürzter Form in der Tageszeitung Junge Welt am 9. Oktober 2013.)
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