08. März 2015

Hagen Fleischer: Die Mär des Aly Baba

Hagen Fleischer ist Professor für neuere Geschichte an der Universität Athen. Der folgende Beitrag ist die ungekürzte Replik auf eine Kolumne der Berliner Zeitung.

Eben erst erhielt ich Götz Alys Kolumne vom 23.2.2015, in der er erneut versucht alle griechischen Ansprüche infolge der brutalen deutschen Okkupation 1941-44 mit höchst problematischen Argumenten abzuschmettern. Zugleich attackiert er diesmal auch den Unterzeichneten, der sich seit Jahrzehnten um historische Flurbereinigung zwischen seinen beiden Heimatländern müht. Wenn Aly dabei dem Vertreter der Gegenposition "Verfälschung" vorwirft, macht er sich deren selbst schuldig: So exkulpiert er etwa den von den deutschen Besatzern allmonatlich bei der griechischen Zentralbank eingetriebenen Zwangskredit als griechische bzw. Fleischersche Legende. Diese stütze sich, wie Aly zweimal behauptet, auf ein "einzelnes" Dokument: den in den letzten Kriegsmonaten von NS-Experten ausgearbeiteten Schlussbericht, den ich vor Jahrzehnten - damals noch unsigniert im Keller des Bundesarchivs - entdeckte.

Weiss Aly wirklich nicht, dass es zahllose Dokumente hoher NS-Stellen zum Kredit gibt, zur "Anlastung des Reichs" und der regelmäßig nach Berlin gemeldeten (steigenden) "Reichsverschuldung gegenüber Griechenland"? Absurd ist auch Alys Behauptung, die Athener Regierung habe die Anleihe nicht als solche gesehen, zumal er keine griechischen Quellen kennt. Dubios ist sein Vorwurf, ich hätte die "Aktiva" der Nazi-Besatzung ignoriert! Abgesehen davon, dass mediale Anfragen bei mir fast immer das "historische Kuriosum" der Anleihe betrafen, ist der Bericht von 1945 essentiell, da er für die deutsche Schuld einen als Minimum anzusehenden Richtwert errechnet. Hingegen entsprangen die darin behaupteten Importüberschüsse zuvörderst den allseits bekannten Clearingmanipulationen der Besatzungsmacht, die nun - Aly sei Dank - späte Rechtfertigung finden.

Trotz eines Alibisatzes ("Es liegt mir fern, die deutsche Besatzung Griechenlands zu verharmlosen") macht Aly genau das: Er verliert kein Wort zur deutschen Ausplünderung des Landes, primär schuld an der Hyperinflation sowie der apokalyptischen Hungersnot mit etwa 100.000 Toten allein im ersten Besatzungswinter. Kein Wort zum Terror gegen die Zivilbevölkerung, blutiger als in jedem anderen nichtslawischen Land. Kein Wort zur Zerstörung der Infrastruktur. Stattdessen gibt Aly vor, Griechenland stünde in der Schuld auch der ehemaligen Co-Okkupanten aus Bulgarien! Auf deutschen Druck musste das Regime in Sofia nämlich einen Bruchteil der Produktion aus den 1941-44 annektierten griechischen Überschussgebieten den rechtmäßigen Besitzern überlassen!

Was steckt aber hinter den genannten sowie den aus Platzmangel ungenannten historischen "Fouls"? Ignoranz oder etwas anderes? Zumindest die Bundesregierung schuldet Aly Dank, sekundiert er doch ihrem fadenscheinigen Argument vom Reparationscharakter der sogar vom NS-Regime vielfach anerkannten und berechneten deutschen Kreditschuld.

Hagen Fleischer, Universität Athen

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