Zum Stand der Zwangsvollstreckung in Italien

Der Fall Distomo

Bei unseren letzten Reise nach Athen und Distomo haben viele den Wunsch geäußert, dass wir noch einmal zusammenfassen, wie die Rechtslage im "Fall Distomo" derzeit aussieht. Der juristische Streit dauert ja seit 20 Jahren an.

Ausgangspunkt ist das Urteil des Landgerichts Levadia vom 30.10.1997, mit dem die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von umgerechnet ca. € 28 Mio. Schmerzensgeld an die Klägerinnen und Kläger aus Distomo verurteilt worden ist. Dieses Urteil wurde vom Areopag mit Urteil vom 4.5.2000 bestätigt. Es ist rechtskräftig und damit vollstreckbar. Wesentliches Argument der Bundesrepublik Deutschland war in dem Rechtsstreit der Einwand der Staatenimmunität. Konkret bedeutet das, dass die Opfer der NS-Massaker in ihrem Land, in dem das Verbrechen begangen wurde, nicht gegen Deutschland klagen dürfen. Diesen Einwand wies der Areopag zurück, weil er nicht für Verbrechen gegen die Menschheit gelte.

Die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil gegen deutsches Staatseigentum ist in Griechenland versucht worden. Der Rechtsanwalt Iannis Stamoulis hatte die Vollstreckung in deutsche Liegenschaften (Staatseigentum) im Jahre 2001 bereits begonnen. Betroffen waren das Goethe-Insititut in Athen, das deutsche archäologische Institut sowie die deutschen Schulen in Athen und Thessaloniki. In Griechenland darf gegen ausländisches Eigentum nur vollstreckt werden, wenn der Justizminister zustimmt (Art. 923 ZPO). Das hat der damalige Justizminis-ter verweigert.

Wegen dieser Weigerung wandte sich Rechtsanwalt Iannis Stamoulis an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser lehnte die Beschwerde mit dem Argument ab, das Urteil könne zu einem späteren Zeitpunkt oder in einem anderen europäischen Land vollstreckt werden.

Unter Beteiligung des AK-Distomo wurde in der Folge überlegt und entschieden, das Urteil in Italien zu vollstrecken. Hier hatte Rechtsanwalt Dr. Joachim Lau schon im Jahr 2004 ein aufsehenerregendes Urteil gegen Deutschland bezüglich der Entschädigungsansprüche der eines ehemaligen NS-Zwangsarbeiters (Fall Ferrini) erstritten, der aus Italien nach Deutschland verschleppt und zur Arbeit gezwungen worden war. Auch in jenem Verfahren hatte Deutschland Staatenimmunität eingewandt und behauptet, ein italienisches Gericht könne Deutschland nicht verurteilen. Der Kassationshof in Rom aber entschied - wie der griechische Areopag - gegen Deutschland und wies den Immunitätseinwand zurück.

Rechtsanwalt Dr. Lau konnte gewonnen werden, das Vollstreckungsverfahren in Italien zu übernehmen und die Ansprüche der Kläger nun in Italien gegen den deutschen Staat durchzusetzen. Wieder wurde die Staatenimmunität eingewandt, Deutschland verlor aber durch alle Instanzen bis zum Kassationshof in Rom, der am 29.05.2008 den Klägern Recht gab. Damit war der Weg für die Zwangsvollstreckung zunächst frei.

Doch Deutschland erhob am 23.12.2008 mit Zustimmung der italienischen Regierung Klage gegen Italien vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Es wurde argumentiert, Deutschland werde durch die italienischen Gerichtsentscheidungen unzulässig in seine völkergewohnheitsrechtlich verbürgte "Staatenimmunität" verletzt. In diesem Zusammenhang erließ die italienische Regierung ein Dekret, nach dem mit sofortiger Wirkung sämtliche Vollstreckungsmaßnahmen gestoppt wurden und die Durchsetzung der Rechte aus dem Distomo-Urteil auch in Italien zunächst nicht mehr möglich war.

Das Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof dauerte mehr als drei Jahre. Mit Urteil vom 3.2.2012 wurde der Klage Deutschlands stattgegeben. Der Gerichtshof bestätigte damit den Grundsatz der Staatenimmunität auch für die NS-Massaker. Im Urteil heißt es, die italienischen Gerichte seien völkerrechtswidrig davon ausgegangen, dass das Distomo-Urteil in Italien gegen Deutschland vollstreckt werden könne.

Nun erließ Italien ein Gesetz, mit dem Deutschland die Wiederaufnahme in allen schon abgeschlossenen Fällen beantragen konnte, in denen es zu Entschädigungszahlungen verurteilt worden war. Und natürlich wurde davon sofort Gebrauch gemacht und beantragt, diese Urteile wieder aufzuheben. Doch bevor darüber entschieden wurde, kam es zu einer überraschenden Wende.

Das Landgericht Florenz hielt dieses Gesetz für verfassungswidrig und legte drei Fälle von ehemaligen italienischen NS-Zwangsarbeitern dem italienischen Verfassungsgericht vor. Das Verfassungsgericht gab den Florentiner Richtern am 22.10.2014 in einem sensationellen Urteil Recht und entschied:
Das in der Folge des Urteils des Internationalen Gerichtshofs ergangene italienische Gesetz verletze die obersten Prinzipien der italienischen Verfassung, nämlich die Menschenwürde der Kläger und ihr Recht auf Zugang zu den Gerichten in Fällen schwerster Menschenrechtsverletzungen. Das Gesetz sei darum insofern nicht anwendbar. Letztlich gibt das italienische Verfassungsgericht den Menschenrechten den Vorrang vor dem völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität.

Nach diesem folgten weitere für die jeweiligen Kläger positive Entscheidungen der italienischen Gerichte. Am 24.3.2015 wies der Kassationshof in Rom (Oberstes Zivilgericht Italiens) den Wiederaufnahmeantrag der Bundesrepublik Deutschland im Fall Distomo zurück. Es kann also wieder vollstreckt werden. Der Einwand der Staatenimmunität darf von italienischen Gerichten nicht mehr berücksichtigt werden, Deutschland muss seine seit dem Jahr 2000 bestehenden Schulden an die Überlebenden und Angehörigen der Opfer des Distomo-Massakers zahlen.

Rechtsanwalt Dr. Lau hatte bereits vor Jahren Vollstreckungsmaßnahmen in Italien eingeleitet. Zur Sicherung der Ansprüche war die im deutschen Staatseigentum befindliche Villa Vigoni am Comer See und die Ansprüche der Deutsche Bahn AG gegen die italienische Staatsbahn gepfändet. Diese Ansprüche entstehen aus dem Verkauf von deutschen Bahnfahrkarten im italienischen Ausland und werden zwischen den beiden staatlichen Bahngesellschaften abgerechnet.

Will Deutschland die Vollstreckung doch noch aufhalten, müssen Argumente vorgetragen werden, die sich nicht auf "Staatenimmunität" stützen. Und tatsächlich gibt es Einwände. So wurde der Villa Vigoni nach Einleitung der Vollstreckungsmaßnahmen vom italienischen Staat diplomatische Immunität zuerkannt. Es ist ein Trick und und es wird zu klären sein, ob das die Vollstreckung verhindern kann.

Bezüglich der gepfändeten Bahnforderungen behauptet die Bundesregierung, die Vollstreckung sei unzulässig, weil die Deutsche Bahn AG gar nicht mehr staatlich sei. Es sei eine Aktiengesellschaft, also privat und die habe nicht für Schulden Deutschlands zu haften. Die Wahrheit ist, dass die Deutsche Bahn AG zu 100% Staatseigentum ist. Die italienischen Vollstreckungsgerichte haben nun darüber zu entscheiden, ob das bereits gepfändete Geld an die Distomo-Kläger ausgezahlt werden darf. Wann diese Entscheidung getroffen wird, steht noch nicht fest.

Deutschland wird auch weiterhin mit allen politischen und juristischen Mitteln versuchen, sich aus der Zahlungspflicht zu schleichen. Soweit bekannt, wird ein neuer Prozess in Den Haag angestrebt. Inzwischen ist außerdem zu erfahren, dass hinter den Kulissen Verhandlungen mit der italienischen Regierung laufen.

Dennoch stehen nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts die Chancen für einen Erfolg so gut wie nie zuvor. Ein solcher Erfolg würde der ganzen Entschädigungsfrage neuen Auftrieb geben.

AK-Distomo
Hamburg, den 23. Juli 2015

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