Documenta 2017
”von Athen lernen? - an Distomo erinnern!”

Bericht von der Eröffnung am 9./10. Juni in Kassel

Am Tag der Eröffnung der Documenta 14 waren wir in Kassel, um am Tag dieses kulturellen Großereignisses die Forderung der von Deutschland bis heute verweigerten Entschädigungsansprüche für Opfer von Nazi-Kriegsverbrechen in den Fokus der öffentlichen Debatte zu rücken. Hierfür bietet die Documenta 14, die unter dem Motto ”von Athen lernen” genügend Anknüpfungspunkte. So fiel der Tag der Eröffnung auf den wichtigsten Gedenktag an die Opfer der Naziherrschaft in Griechenland, dem Jahrestag des Massakers von Distomo. Gleichtzeitig ist der 10. Juni auch Gedenktag an die Massaker in Lidice und Oradour.

Den Bock zum Gärtner gemacht: Entschädigungsverweigerer eröffnete Documenta

Die Eröffnungsrede hielt der neue Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Kunstwerk ”die Blutmühle”, welche er - gelernt ist gelernt - zuvor feierlich gedreht hatte. In gewohnt schwülstigen Worten beschwor Steinmeier den deutsch-griechischen Dialog, der dazu diene ”Gemeinsamkeiten zu finden”. Im Hinblick auf ein zukünftiges friedliches Miteinander scheint es uns jedoch angebracht, auf die Unterschiede zwischen Deutschland und Griechenland hinzuweisen: Griechenland hat Reparationsansprüche, während Deutschland Reparationsschulden hat. In Griechenland sind in Folge der Besatzung mindestens 30.000 Zivilisten im Rahmen der ”Bandenbekämpfung” ermordet worden, wohingegen zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte deutsche Zivilisten von griechischen Soldaten ermordet wurden. 58.000 griechische Jüdinnen und Juden wurden deportiert und ermordet - Auschwitz wurde von Deutschen gebaut.

Der vollständige Bericht befindet sich hier als Pdf-Dokument

Documenta 2017
”von Athen lernen? - an Distomo erinnern!”
Zur Eröffnung am 9./10. Juni in Kassel


Zu den folgenden gemeinsamen Aktivitäten laden wir ein:

9. Juni 2017, 19 Uhr (Philipp-Scheidemann-Haus, Holländische Straße 74, 34127 Kassel)
Filmvorführung ”EIN LIED FÜR ARGYRIS”
Vom Leben und Kampf des Argyris Sfountouris, der das Massaker am 10. Juni 1944 als knapp 4-Jähriger überlebte und heute seinen Entschädigungsanspruch vollstreckt. Argyris Sfountouris wird anwesend sein und nach der Vorführung mit uns sprechen.

10. Juni 2017, 10 Uhr Opernplatz Kassel
KUNDGEBUNG IN GEDENKEN AN DIE OPFER DES SS-MASSAKERS VON DISTOMO

Es spricht Argyris Sfountouris.
Das THEATERPROJEKT DISTOMO aus Berlin präsentiert Teile ihres dokumentarischen Theaterstücks über das Massaker von Distomo.

10. Juni 2017, 18:30 - 19:30 Uhr, ”Parlament der Körper” im Rahmen der documenta
Fridericianum, Friedrichsplatz 18, Kassel
Arbeitskreis Distomo mit Argyris N. Sfountouris und Margarita Tsomou
http://www.documenta14.de/de/calendar/22532/arbeitskreis-distomo

Am 10. Juni 2017 öffnet die 14. documenta in Kassel ihre Pforten. Begonnen hat sie am 8. April in Athen. Das Motto dieser weltweit größten Ausstellung zeitgenössischer Kunst lautet ”Von Athen lernen”. Doch was heißt das? Der künstlerische Leiter der documenta, Adam Szymczyk, will von Athen lernen, weil es die ”globale Situation und die ökonomischen, politischen, sozialen Dilemmata Europas verkörpert”. Diese ”Dilemmata” haben eine Geschichte, die sich bis heute fortsetzt.

Der 10. Juni ist in Griechenland der wichtigste Gedenktag an die Opfer der Naziherrschaft. Für uns - dem AK Distomo aus Hamburg, der Gruppe ”Deutschlands unbeglichene Schulden” aus Berlin und der Kassler Griechenland-Solidaritätsgruppe - ist dieser Tag Anlass zu kulturpolitischer Intervention am Tag der Eröffnung der documenta in Kassel.

Die Ankündigung als Pdf-Dokument und in griechischer Sprache als Pdf-Dokument (griechisch)

Veranstaltung des AK-Distomo im Rahmen des Jour Fixe Gewerkschaftslinke HH

Mittwoch, 1. März 2017, 18.30 Uhr
Curiohaus, Rothenbaumchaussee 15, Hamburg

Ich bleibe immer der vierjährige Junge von damals
Das SS-Massaker von Distomo und der Kampf eines Überlebenden um Gerechtigkeit

- Argyris Sfountouris berichtet über seinen Kampf um Gerechtigkeit
- Patric Seibel trägt Auszüge aus seiner Biografie über Argyris Sfountouris vor
- Vertreter_innen des AK Distomo berichten über den Stand der politischen und juristischen Auseinandersetzung in der Entschädigungsfrage. (Der AK Distomo setzt sich seit vielen Jahren für die Entschädigung von NS-Opfern ein)
- Anschließend Diskussion



Argyris Sfountouris war noch nicht vier Jahre alt, als deutsche Soldaten während der Besatzung Griechenlands am 10. Juni 1944 in seinem Heimatdorf Distomo seine Eltern und 216 andere Dorfbewohner jeden Alters und Geschlechts grauenhaft hinmetzelten. Er hatte großes Glück, dass er überlebte.

Der Hamburger Autor Patric Seibel hat eine Biografie über Argyris Sfountouris verfasst, die im Oktober 2016 im Westendverlag unter dem Titel ”Ich bleibe immer der vierjährige Junge von damals” erschienen ist. Patric Seibel zeichnet darin ein einfühlsames Portrait eines vielschichtigen Lebens. Argyris wird nach dem Krieg getrennt von seinen Schwestern, überlebt zunächst in Waisenhäusern in Griechenland und gelangt schließlich in die Schweiz, wo er in einem Kinderdorf für Kriegswaisen aus ganz Europa aufwächst. Er studiert, wird Physiker, Lehrer, Entwicklungshelfer, Übersetzer und Autor. Argyris kämpft Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre von der Schweiz aus gegen die Militärdiktatur in Griechenland.

Argyris Sfountouris ist unter anderem durch den Dokumentarfilm ”Ein Lied für Argyris” von Stefan Haupt sowie durch einen Auftritt in der am 31. März 2015 im ZDF ausgestrahlten Satiresendung ”Die Anstalt” zu einer international bekannten Persönlichkeit geworden. Zuletzt erschien sein Buch ”Schweigen ist meine Muttersprache: Griechenland - seine Dichter, seine Zeitgeschichte.”

Immer wieder geht es ihm um Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen von Distomo und um das Einfordern deutscher Verantwortung. Argyris Sfountouris kämpft für eine wahrheitsgetreue Geschichtsschreibung und für die Aufarbeitung deutscher Kriegsverbrechen in Griechenland. Seit über 20 Jahren setzt er sich für eine Entschädigung der Opfer ein. Er klagte gemeinsam mit vielen Menschen aus Distomo vor Gerichten in Deutschland und in Griechenland auf Entschädigungszahlungen. Mit der deutschen Verweigerungshaltung in dieser Frage findet er sich bis heute nicht ab.

Unterstützer: GEW Hamburg, ver.di (Ortsverein Hamburg, Fachbereich 08), Westendverlag

Die Ankündigung als Pdf-Dokument

1. Februar 2017, 20:00 Uhr, Polittbüro (Steindamm 45, 20099 Hamburg)
Hamburgpremiere

Distomo Unbeglichene Schuld(en)

Am 10. Juni 1944 überfällt eine deutsche SS-Einheit das griechische Dorf Distomo und ermordet 218 Dorfbewohner*innen. Die Täter werden strafrechtlich nie verfolgt, die umgerechnet 28 Millionen Euro an eingeklagten Entschädigungsansprüchen nie gezahlt.

Das Stück spannt den Bogen vom historischen Ereignis des Überfalls durch die SS, über die hartnäckigen Zahlungsverweigerungen seitens Deutschlands bis zu den juristischen Kämpfen der Überlebenden.

Verwendet werden Dokumente, die Zeugnis über die SS- und Wehrmachtsverbrechen in Griechenland ablegen, Auskunft über deutsche Politik in Entschädigungsfragen geben und den Verlauf der langwierigen Prozesse der Entschädigungskläger*innen nachvollziehbar machen. Thematisiert wird außerdem der Umgang Deutschlands mit den Tätern, die ohne Furcht vor Strafverfolgung leben konnten und sich bis in die 1980er Jahre ungehindert öffentlich versammeln durften.

Das Theaterstück richtet sich gegen diese Abwehrstrategien, erinnert an die Opfer deutscher NS-Massaker und solidarisiert sich mit den finanziellen und politischen Forderungen der Überlebenden.

Die Ankündigung als Pdf-Dokument