~~==++ Antirassistische Gruppe Leipzig ++==~~
veröffentlicht in: incipito Nr. 2

Buchbesprechung:

Internationalismus - Nationalismus - Privatisierung

So lässt sich in Kurzform die Entwicklung der Eugenik im weltweiten Maßstab zusammenfassen. In dem Buch "Die Internationale der Rassisten" beschreibt Stefan Kühl, wie die (erst sehr anerkannte) deutsche Eugenik im Dritten Reich in eine Sackgasse geraten ist, während das britische, amerikanische und skandinavische Erfolgsmodell gleichsam auf der Autobahn des Fortschritts Allgemeingültigkeit erlangt hat.

Die Evolutionstheorie von Darwin stellte nicht nur eine Veränderung an den Argumentationsmustern für Rassismus und Biopolitik dar, sondern markierte einen strukturellen Bruch. Die Verwissenschaftlichung hat dabei zwar eine wichtige Rolle gespielt, den gesellschaftlichen Bruch, der mit der Durchsetzung der kapitalistischen Moderne einherging und die Rolle von "Herrschaftsverhältnissen" grundlegend änderte, hätte es aber auch mit anderen wissenschaftlichen Theorien gegeben.
Deutlich wird dies bei der Entwicklung der Eugenik und ihrer ProtagonistInnen, die - wie Stefan Kühl in seinem Buch zeigt - anfänglich den Anspruch hatten, eine Wissenschaft zu begründen, dies aber bald aufgeben mussten, ohne dass die Eugenik an gesellschaftlicher Wirkungsmächtigkeit verloren hätte.
Hier soll aber nicht weiter auf das Verhältnis von "Herrschaftsverhältnissen" und kapitalisitischer Moderne eingegangen werden, weil wir dies an anderer Stelle schon zur Genüge getan haben (siehe unsere Homepage am Ende des Textes). Vielmehr soll mit Hilfe des Buches untersucht werden, wie sich die Eugenik politisch und sozial trotz des Bruchs nach 1945 durchsetzen konnte.

Der Darwinismus wurde von zwei politischen Strömungen aufgegriffen. Während die RassistInnen den Kampf ums Dasein auf die verschiedenen höher- und minderwertigen "Völker" und "Rassen" übertragen wollten, deren Existenz mit dieser Theorie erstmals (vermeintlich) wissenschaftlich untermauert werden konnte, ging es den RassehygienikerInnen eher um die Verbesserung innerhalb der eigenen "Rasse" - auch mit dem Ziel, dadurch anderen "Rassen" überlegen sein zu können. Obwohl die Grenzen sowohl personell als auch ideologisch oft fließend waren, konnte sich die Rassenhygiene trotzdem als alternatives und vermeintlich fortschrittlich sozialdarwinistisches Konzept gegenüber dem Rassismus profilieren. Während die RassistInnen sich nur am Anfang wirklich auf die Naturwissenschaften stützen konnten, schnell aber als widerlegt galten (und zwar schon lange vor der oft zitierten UNESCO-Studie aus dem Jahre 1950), erhalten die RassenhygienikerInnen bis heute wissenschaftliche Rückendeckung. Die rassistische Argumentationsweise hat zwar im Alltagsverstand ihre ungebrochene Gültigkeit, die entsprechenden Theorien galten allerdings in der scientific community schon seit dem Ersten Weltkrieg als obsolet. Die RassenhygienikerInnen "bewiesen" z.B. mit Schädelmessungen, dass "Juden" keine eigene Rasse seien, sondern Arier, und betonten, wie wertvoll jüdisches Genmaterial sei, weil es einen besonders harten Selektionsprozess unterworfen gewesen wäre (so die Umschreibung für die jahrtausendlange antijudaistische Verfolgungspraxis). Oder dass die Vermischungen zwischen den "Rassen" so groß wären, dass Nationen nicht mehr mit einer homogenen Rasse zusammenfielen und es eher darum ging, das vorhandene Menschenmaterial wie in der Tierzucht zu veredeln. Es ging also nicht um die rassistische Exklusion von Menschen, sondern um die Nutzbarmachung der besten Teile der Menschheit, egal wo sie herkamen. Die Beurteilung, was denn zu den "besten Teilen" gehören würde, war natürlich wiederum rassistisch geprägt. Insofern überrascht es auch nicht, dass die von Beginn an internationalistisch ausgerichtete Rassenhygiene sich auf den "zivilisierten" Teil der Erde, die Erste Welt, die "weiße Rasse" (daneben sollte es noch die rote und die gelbe geben) beschränkte.
Diese Ideen standen konträr zu den von NationalistInnen und RassistInnen: Letztere, wenn sie z.B. in Deutschland beheimatet waren, hassten Juden und riefen kriegslüstern zum Kampf gegen den Erzfeind Frankreich auf. Die RassehygienikerInnen hingegen betonten spätestens nach dem Ersten Weltkrieg, dass Krieg kontraselektiv sei, weil dabei die "besten Männer", die Träger wertvollen Genmaterials, drauf gehen würden, während die ausgemusterten "Krüppel" an der Heimatfront "ungeniert über die Frauen herfallen" und sich vermehren konnten. Der Zusammenhalt der "weißen Rasse" (die Franzosen und Französinnen einschloss und in der aufgeklärten Variante eben auch Juden und Jüdinnen) und deren Veredlung waren wichtiger als nationalistisches Geplänkel innerhalb von Europa. Es ging dabei um das Überleben der gesamten Zivilisation, d.h. der "weißen Rasse" bzw. später der gesamten Menschheit.
Nach dem ersten Weltkrieg waren die meisten RassehygienikerInnen und deren AnhängerInnenschaft von rechts bis links radikal pazifistisch (verbreitet war allerdings auch der Vorschlag, die Krüppel im Krieg als Kanonenfutter zu verheizen und die gesunden Männer zu schonen) und vermeintlich antirassistisch gesinnt. In der Argumentation unterschied sich da der sozialdemokratische August Bebel kein bißchen vom erzkonservativen Ernst Haeckel.

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Sozialdarwinismus vorrangig als Legitimationsideologie für die bestehenden Verhältnisse herangezogen. Dass es so war, wie es war (Armut, Ausbeutung, Krieg), war gut, weil es sich aus den natürlichen Gesetzen ableiten würde. Mit der Jahrhundertwende kippte der Diskurs um. Jetzt ging es um Intervention, denn wie es war (Sozial- und Gesundheitspolitik, Klassenkampf, Überbevölkerung, Krieg), war es nicht gut, weil es nicht mehr den Naturgesetzen entsprach. Der Mensch hätte sich zu seinem eigenem Verderben über die Natur erhoben. Dies hieß nicht, dass es ein Zurück-zur-Natur geben (z.B. keine Gesundheitspolitik), sondern dass im Interesse der Evolution staatlich gegengesteuert werden sollte (Gesundheitsfürsorge nur für die Reichen, Schönen und Kräftigen, nicht mehr für die, die vermeintlich in der rohen Natur sowieso keinerlei Überlebenschancen gehabt hätten). Die Eugenik kann sich als humane Form des brutalen Kampf ums Dasein präsentieren: Während im Tierreich gilt "Fressen und gefressen werden" propagieren deren VerfechterInnen so sanfte Mittel wie Fortpflanzungsanreize oder Sterilisation. Diese Entwicklung geschah nicht zufällig, sondern geht einher mit ersten kapitalistischen Krisentendenzen, die erklärt und gelöst werden wollen. Außerdem gibt es zunehmende staatliche Interventionen auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Darüberhinaus findet die Effektivierung der Produktion ihre Entsprechung in der Effektivierung der Fortpflanzung - schließlich sind Menschen als Arbeitskräfte auch nur Produktionsmittel, die dem Kriterium der Effektivität unterworfen sind.

1905 wird in Deutschland die "Gesellschaft für Rassenhygiene" gegründet, die schon zwei Jahre später in eine zwar deutsch dominierte, aber internationale (d.h. westeuropäische und amerikanische) Gesellschaft transformiert wird. Die deutschen EugenikerInnen waren damals am internationalistischsten ausgerichtet, während die britischen noch eher für einen Wettstreit zwischen den europäischen Arten plädierten.
Nach dem ersten eugenischen Kongreß 1912 in London, an dem sich u.a. der bekannte russische Anarchist Kropotkin beteiligte, gründeten sich nach dem deutschen Vorbild fast überall in Europa eugenische Gesellschaften - die in den katholischen Ländern favorisierten in Folge aufgrund des Verhütungs-/Abtreibungsverbots die positive Eugenik (Förderung der Fortpflanzung von hochwertigem Menschenmaterial), während in den protestantischen Ländern die negative Eugenik (Verhinderung der Fortpflanzung unwürdiger Menschen) populär wurde. Auf dem Kongress in London wurde eine gemeinsame Resolution verabschiedet, die vorschlug, zur Verhinderung der Fortpflanzung von "Geisteskranken, Epileptikern ... Trunksüchtigen, Gewohnheitsverbrechern, professionellen Bettlern & Arbeitsverweigerern" diese in Anstalten und Arbeitskolonien zu isolieren. Deutlich wird, wie soziale Eigenschaften ("Faulheit") biologisiert und verdrängt oder abgeschafft werden sollen.

Während des Ersten Weltkrieges wird aufgrund des aufkommenden Nationalismus aus der internationalen Gesellschaft wieder eine deutsche; diese bleibt nach dem Krieg innerhalb der internationalen Gemeinde der EugenikerInnen isoliert und darf erst 1927 wieder an internationalen Kongressen teilnehmen. Während sich in Folge die USA zu einem "fortschrittlichen" Musterland der Eugenik entwickelt (das Einwanderungsgesetz, das Alkoholverbot und die Sterilisierung von Behinderten gehen auf die eugenischen Diskurse zurück), radikalisierte sich die Eugenik in Deutschland, wurde rassistisch aufgeladen und unwissenschaftlicher. Parallel dazu spalten sich aber auch die französischen EugenikerInnen ab, die an die Vererbung erworbener Eigenschaften glaubten und hofften, mit Sozialhygiene die Menschheit verbessern zu können - eine Position, die zwar ebenfalls unwissenschaftlich war, jedoch noch den meisten emanzipatorischen Gehalt in sich barg, da der Mensch nicht auf seine Natur, seine Gene reduziert wurde und Raum für gesellschaftliche Veränderung zugestanden wurde.

In allen Ländern gab es allerdings auch breite feministische und sozialistische eugenische Strömungen, die allerdings nicht in den eugenischen Gesellschaften organisiert waren, sondern eher in ihren eigenen politischen Gruppierungen und Parteien. Zugespitzt ließe sich sogar formulieren, daß damals die komplette Linke eugenisch argumentierte, nur eben anders als die konservativen IdeologInnen innerhalb des Eugenik-Mainstreams. Die feministischen und sozialistischen EugenikerInnen waren in ihrer Mehrheit NeomalthusianerInnen, d.h. sie propagierten die Abnahme der Gesamtbevölkerung. Die orthodoxen EugenikerInnen waren dagegen, weil dies innerhalb der "weißen Rasse" den Selektiondruck mindern würde sowie nach außen hin die anderen "Rassen" bevorteilen und die Empfängnisverhütung schließlich doch nur von den höheren Schichten genutzt werden würde, während die Behinderten zu blöd und die Arbeiterklasse zu arm dafür wäre. Außerdem führten Verhütungsmittel zu sexuellen Ausschweifungen, d.h. nicht nur zur genetischen, sondern auch zu moralischen Degeneration. Die sozialistischen EugenikerInnen betonten darüberhinaus, dass nicht klar sei, worin die Natur des Menschen bestünde. Solange die Menschen unterschiedliche soziale Ausgangsvoraussetzungen hätten, eine unterschiedliche Klassenlage oder verschiedene Geschlechterrollen, könne gar nicht bestimmt, was sozial und was natürlich sei. Das bewahrte die SozialistInnen aber nicht davor, ihre Verachtung gegenüber dem "Lumpenproletariat" zu äußern und das bürgerliche Arbeitsethos hochzuhalten. Sozialismus und Eugenik wurden somit als Grundbedingung für eine humane Gesellschaft angesehen. Menschenzüchtung war in diesem Verständnis nur gut, wenn sie in der Hand der sozialistischen Gesellschaft lag und nicht von einzelnen egoistischen KapitalistInnen gelenkt wird.

Schon 1932, auf dem dritten internationalen eugenischen Kongreß wird deutlich, daß es nicht gelungen ist, die Eugenik als eigenständige Wissenschaft zu etablieren. Die Humangenetik und Bevölkerungswissenschaften haben an Bedeutung gewonnen und die Eugenik ideell und personell beerbt - sie sind vom Ruch der politischen Instrumentalisierung frei und bis heute das wissenschaftliche Aushängeschild der Eugenik. Aus der Eugenik wird eine politische Bewegung, die trotz ihrer sinkenden wissenschaftlichen Reputation zunehmend gesellschaftliche Wirkungsmächtigkeit erlangt: während der Weltwirtschaftskrise verabschieden die meisten protestantischen Länder Sterilisierungsgesetze.
Der Bruch zwischen Humangenetik/Bevölkerungswissenschaft auf der einen Seite und der alten Eugenik auf der anderen setzt mit dem Aufkommen der NSDAP in Deutschland ein, da diese sich positiv auf die Eugenik beziehen. So taucht im "Mein Kampf" der "pazifistische" Verweis auf die eugenische Schädlichkeit von Kriegen auf. Die meisten RassenhygienikerInnen in und außerhalb Deutschlands bejubelten bis 1945 die nationalsozialistische Politik oder begleiteten zumindest mit wohlwollendem bzw. neidischem Interesse den eugenischen Großversuch. Kritisiert wurde maximal die Vertreibungspolitik von jüdischen WissenschaftlerInnen von den Universitäten, nicht die eugenischen Konzepte als solche. Einige ausländische EugenikerInnen befürchteten eine Diskreditierung ihrer Ideologie durch den ihrer Meinung nach anti-eugenischen Antisemitismus der Nationalsozialisten. 1936 starten EugenikerInnen eine Kampagne für die Verleihung des Friedensnobelpreises an den führenden deutschen Rassenhygieniker, Alfred Ploetz, der sich aus den bekannten eugenischen Gründen für den Frieden engagierte. Die Nazis werten es als Affront, dass dann nicht Ploetz, sondern der Regimegegner Carl von Ossietzky gewinnt - der allerdings auch ein Anhänger eugenischer Ideen ist.

Der Euthanasie-Diskurs, d.h. die Propagierung der Vernichtung "lebensunwerten Lebens" (Behinderte, Unangepasste, Kranke, Kriminelle etc.), läuft zwar schon seit über 100 Jahre, spielt allerdings bis zum Dritten Reich innerhalb der eugenischen Bewegung nur eine sehr marginale Rolle: es geht, wie Foucault sagen würde, mehr um das Leben machen anstatt um das Sterben lassen. Die deutschen EugenikerInnen erklären sich allerdings mit der nationalsozialistischen Euthanasiepraxis einverstanden und sind gleichzeitig deren VollstreckerInnen. Der Euthanasie-Erlass von Hitler wird auf den 1.9.1939 (Überfall auf Polen, Beginn des zweiten Weltkrieges) zurück datiert, was deutlich zeigt, dass die Eugenik/Euthanasie als Kriegserklärung nach innen begriffen wird.

Nach dem zweiten Weltkrieg drängten die deutschen EugenikerInnen, die zwischenzeitlich das Handwerk als Euthanasieärzte ausgeübt oder sich an Menschenversuchen beteiligt hatten, sofort wieder in alte Positionen - und ihnen wurden dabei keine Steine in den Weg gelegt. Obwohl die EugenikerInnen anderer Länder nicht direkt Schuld auf sich geladen hatten, gingen sie nach dem Zweiten Weltkrieg viel verhaltener als ihre deutsche KollegInnen vor. Während die deutschen sich unverschämt auf die internationale Unterstützung beriefen, die ihre Aktivitäten im Dritten Reich zum Teil genossen hatten, modernisierten die ausländischen EugenikerInnen ihre Wissenschaft grundlegend. Sie wurde vom Rassismus "befreit" (die Antirassismus-Deklaration der UNESCO geht auf EugenikerInnen zurück - dort wird in der überarbeiteten Fassung allerdings nur betont, dass geistigen Unterschiede zwischen den Rassen nicht existent wären, Rassen selbst und körperliche Unterschiede aber nachwievor Gültigkeit hätten) und nun endgültig in die neuen Wissenschaftsbereiche Humangenetik und Bevölkerungswissenschaften überführt. Das änderte allerdings nichts daran, dass eugenisches Denken weiterhin weit verbreitet ist und Sterilisierungsgesetze in etlichen westlichen Ländern bis weit in die 70er Jahre galten und ihre Anwendung fanden.
Natürlich gab es weiterhin QuerulantInnen, die sich durch die Erfahrung des Dritten Reichs nicht ihre Gedanken verbieten lassen wollten - diese fanden sich unter den EugenikerInnen vor allem im Nachkriegsdeutschland: Einer von ihnen polemisierte z.B. gegen die UNESCO-Studie mit folgenden Worten: "Ich habe Sympathie auch für Schimpansen und Gorillas, und es tut mir leid, daß sie dem Aussterben entgegensehen wie so viele andere Tierarten und auch sogenannte Naturvölker." Bis heute gibt es orthodoxe EugenikerInnen, die allerdings marginalisiert sind und meist enge Kontakte zu rechten und neurechten Organisationen unterhalten. Der Mainstream der EugenikerInnen nahm jedoch Abschied vom Begriff Eugenik und dem damit verbundenen Modell staatlicher Interventionen im Dienste der Volksgesundheit und des "Rassekampfes" - zumindest was die Politik in den Ländern der sogenannten Ersten Welt betrifft. Die Menschen haben das eugenische Paradigma inzwischen so verinnerlicht, dass dies aber auch gar nicht mehr notwendig ist. Die Humangenetik präsentiert sich als freundliche, beratende Wissenschaft im Dienste der Mütter und Väter, die selbstbestimmt und eigenverantwortlich entscheiden müssen, ob sie wirklich ein behindertes Kind zur Welt bringen wollen. Der Diskurs ist insofern auch "humaner" geworden, da nicht mehr die Tötung behinderter Kinder oder die Zwangssterilisierung im Fordergrund steht, sondern aufgrund des wissenschaftlich-technischen Fortschritts inzwischen viel früher angesetzt werden kann: Die Methoden der Reproduktionsmedizin, der pränatalen Diagnostik scheinen auf den ersten Blick weniger brutal zu sein, als die Mittel der Eugenik vor 100 Jahren.
Ungebrochen lassen sich die eugenischen Diskurse in den Bevölkerungswissenschaften wiederfinden, in denen es sehr wohl noch darum geht, dass der Staat die Fortpflanzung der unbrauchbaren "Menschenmassen" im Trikont mit allen möglichen Mitteln und unter Anwendung direkten Zwangs zu verhindern versucht. Eine Aufweichung hat hier erst mit der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo 1994 eingesetzt, wo unter Einbeziehung von NGO's versucht wurde, zur Effektivierung und Akzeptanzsteigerung der Bevölkerungspolitik eine "Feminisierung" (d.h. der Appell an das Eigeninteresse der Frauen, nicht so viele Kinder in die Welt zu setzen) vorzunehmen.
Eine gegenläufige Tendenz läßt sich seit ca. 30 Jahren in der Humangenetik, beim Rassismus und der Euthanasie beobachten. Seit den 70er Jahren, im Zusammenhang mit der "Affirmative Action" in den USA (der positiven Diskriminierung ethnischer Minderheiten), kommt es zu einem Aufleben rassistischer, eugenischer Positionen im anglo-amerikanischen Raum. Die Entschlüsslung des menschlichen Genoms führte nicht nur zu einer absurden Suche nach diversen Krebsgenen, sondern sollte auch die genetische Determiniertheit für Homosexualität, Kriminalität und Alkoholismus begründen. Populärwissenschaftliche Bücher, die erklären, warum Frauen schlechter Auto fahren können und Schwarze dümmer sind, haben Hochkonjunktur. Euthanasie wurde in mehreren Ländern legalisiert, das Tabu, in Deutschland über Euthanasie nachzudenken, wird von einer breiten Front aus WissenschaftlerInnen, PolitikerInnen, aber auch vermeintlich Linken zu Fall gebracht. Diese Renaissance bedeutet keine Rückkehr zu den Diskursen aus der Jahrhundertwende, sondern stellen eine Anpassung an den Sprung innerhalb der humangenetischen Forschung dar bzw. korrespondieren mit der Verschärfung sozialpolitischer Debatten nach dem Ende des Realsozialismus.

Haeckel-AG in der Antirassistischen Gruppe Leipzig

[Die Haeckel-AG war ein temporärer Zusammenschluss für das Antirassistische Grenzcamp 2002 in Jena, der Wirkungsstätte von Ernst Haeckel (1834-1919). Haeckel hat erstmals im deutschsprachigen Raum den Darwinismus popularisiert und gilt als Miterfinder des Sozialdarwinismus, d.h. der Übertragung der Evolutionstheorie auf den Menschen. Die Entwicklung des wissenschaftlichen Rassismus' geht maßgeblich auf ihn zurück, gleichzeitig propagierte er Eugenik und Euthanasie und gilt damit als ein wichtiger Wegbereiter der nationalsozialistischen Politik. Ein Artikel von uns setzt sich ausführlich damit auseinander: ZAG 41/2002, im Internet unter: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/antira-leipzig/archiv/a26.htm. Während des Grenzcamps gab es eine Aktion gegen die Gedenkpolitik in Jena: Ernst Haeckel und Euthanasieärzte aus dem Dritten Reich sind hoch angesehene Ehrenbürger der Stadt, den Opfern von Rassismus, Antisemitismus, Eugenik und Euthanasie wird nicht gedacht. Das Flugblatt zur Aktion ist unter: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/antira-leipzig/archiv/a25.htm nachzulesen]

Stefan Kühl: Die Internationale der Rassisten. Aufstieg und Niedergang der internationalen Bewegung für Eugenik und Rassenhygiene im 20. Jahrhundert, Campus: 1997, 338 Seiten

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09.11.2003
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