Deutschland ist kein Einwanderungsland eine
Chronologie
Über 7 Mio. Menschen nicht-deutscher Herkunft oder/und ohne
deutschen Pass leben derzeit in Deutschland. Nach dem jahrelangen
Bedrohungsszenario haben sich die Vorzeichen der Debatte wie über Nacht
verändert. Der Standort Deutschland brauche Zuwanderung heißt es
jetzt. Gleichzeitig konstatiert der Migrationsbericht von 1999, dass die
Zuzüge nach Deutschland seit1992 kontinuierlich gesunken seien und 1998
die Fortzüge (638.955) die Zuzüge (605.500) überstiegen. Ein
Negativsaldo also und das bei sinkender Deutschenzahl. Es muss etwas getan
werden und wie so oft wird zu allererst die Rhetorik angepasst. Eine
Rückschau auf 40 Jahre Einwanderung: Die Geschichte der ignorierten
Einwanderung nach Deutschland beginnt Ende der 50er / Anfang der 60er
Jahre, als Gastarbeiterlnnen nach Deutschland geholt wurden. Diese
sollten, so die Vorstellung, eine Zeit lang ihre Arbeitskraft zur
Verfügung stellen und dann wieder in ihre Heimat
zurückkehren. Mit dem Anwerbestopp von 1973 hätte sich das
Problem eigentlich erledigen sollen, man erwartete, dass die nun nicht
mehr gebrauchten Gastarbeiter Deutschland verlassen würden.
Doch viele blieben und holten noch ihre Familien nach. Nun sah sich die
Öffentlichkeit mit dauerhaft in Deutschland lebenden Nicht-Deutschen
konfrontiert, die fortan als Ausländer wahrgenommen wurden.
Die deutsche Staatsangehörigkeit, sprich politische und soziale Rechte,
wurden ihnen nicht zugestanden. Dennoch: Akkulturation wurde als möglich
erachtet. Erst Ende der 70er Jahre entdeckten Medien und Politik das
Fremde in den Ausländerlnnen. Fremd waren vor allem
diejenigen, die Integration nicht als Assimilation interpretiert hatten und von
der Mehrheitsgesellschaft unterscheidbar blieben. Fremdsein wurde nicht als
Prozess sozialer und kultureller Konstruktion erkannt, sondern galt als
natürlicher, herkunftsbedingter Zustand. Das neue Zauberwort
Ethnizität sollte erklären, warum die Integration oftmals misslang.
Gerade der Bevölkerung türkischer Herkunft wurde vorgeworfen, sich
selbst zu ghettoisieren. Gewalt und Kriminalität aus den Ghettos wurden
vermehrt als eine für die deutsche Gesellschaft unzumutbare Bedrohung
ausgemacht. Mit der Konstituierung der Europäischen Union und der darin
geltenden freien Wahl von Wohn- und Arbeitsort erhöhte sich die
innereuropäische Mobilität. Zudem konnten für
EU-Ausländerlnnen begrenzte politische Rechte (z.B. Kommunales Wahlrecht)
durchgesetzt werden, die Nicht-EU-Bürgerlnnen nicht zugestanden wurden.
Damit verfestigte sich auch auf juristischer Ebene eine Unterscheidung, die in
der öffentlichen Meinung längst galt und nach wie vor gilt: Es gibt
fremde und weniger fremde Nicht- Deutsche, gute und schlechte
Ausländer.
Allen nichtwestlichen Migrantlnnen in Deutschland wurde eine statische
kulturelle Orientierung zugeschrieben, die mit demokratischen Regeln und
christlichen Grundwerten unvereinbar schienen. Die von der Sozialwissenschaft
entdeckte kulturelle Identität der türkischen und
außereuropäischen Einwanderer galt sowohl als Resultat wie als
Ursache für eine Lebensweise, die einer deutschen entgegen stehe. In den
80er Jahren entstand so der Mythos vom Leben zwischen zwei
Kulturen, das die Betroffenen vor schwere innere Konflikte stelle. Eine
zunehmende Selbstethnisierung der Deutschen, die in einem neuen Nationalismus
seit der Wiedervereinigung ihren Ausdruck findet, entspricht die üblich
gewordene Fremdethnisierung von Nicht-Deutschen. Es folgte die Panik vor
Einwandererfluten und die Erfindung des Asylanten zu deren Eindämmung.
Asyl und Flüchtlinge (1993 Reform der Asylgesetzgebung) wurden zu einem
auch Wahlkämpfe beherrschenden Thema. In den 90er Jahren lieferten so
Politik, Wissenschaft und Medien die Legitimierung der zunehmenden,
alltäglichen rassistischen Aggressionen, die sich mehr und mehr auf
Flüchtlinge außereuropäischer Herkunft konzentrieren. An der
verschärften Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen wird
der jetzt entdeckte Einwanderungsbedarf nichts ändern. Auch für
lllegalisierte, die bereits in Deutschland leben, wird es weder einen
gesicherten Aufenthalt noch Möglichkeiten legaler Arbeit geben.
aus: iz32 253/2001 |