Reader zur Veranstaltungsreihe der antirassistischen Gruppe Leipzig
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Alles neu macht die Einwanderungdebatte?

Deutsche Ausländerpolitik seit 1945: Kontinuität trotz Wandel

Die Diskussion um ein deutsches Einwanderungsgesetz geht auch an linken Kreisen nicht vorüber. Wie die mit der Green Card Initiative Gerhard Schröders initiierte Debatte einzuschätzen ist, darin scheiden sich die Geister. Sehen wir uns, seitdem Deutschland auch ganz offiziell Einwanderungsland ist, einem Paradigmenwechsel in der deutschen Einwanderungspolitik gegenüber, der ganz neue Chancen linker Intervention eröffnet? Bieten die Entwürfe von Süssmuth-Kommission, Innenminister Schily, die Einwanderungskonzepte der Parteien, die Standpunkte von Wirtschaft und Kirchen Anlass, vom allmählichen Verschwinden völkisch-rassistischer Prämissen in der Ausländerpolitik zu reden? Wird das Asylrecht noch mehr eingeschränkt und Abschiebepolitik und Sonderbehandlung von Flüchtlingen in bisher ungekannter Weise verschärft?

Oder handelt es sich bei den geplanten Veränderungen nicht vielmehr um eine Flexibilisierung des Migrationsregimes, während die Parameter die gleichen bleiben?

Eine Betrachtung deutscher Ausländerpolitik seit 1945 soll diesen Fragen nachgehen.

Die Grundlagen der Ausländerpolitik sind die selben geblieben

Das Ergebnis dieser kurzen Reise durch nur einige Jahrzehnte deutscher Ausländerpolitik an den Anfang gestellt: Die deutsche Ausländerpolitik ist mehr von Kontinuitäten als von Brüchen geprägt. Hatten die einzelnen Unternehmen schon immer ein Interesse an mehr und flexibel gehandhabter Einwanderung, so war die staatliche Politik eher davon geprägt, langfristige z.B. demographische Entwicklungen im Blick zu haben und zwischen dem eigenen Rassismus und dem der Bevölkerung und den Interessen des nationalen Wirtschaftsstandortes zu vermitteln. Diese Vermittlung fiel in Deutschland seit jeher eher zuungunsten der Wirtschaftsinteressen aus. Grund dafür ist der in Europa einmalige völkische Nationalismus , für den nicht-deutsche Personen nie Teil des Staatsvolks und damit Träger gleicher Rechte und gesellschaftlicher “Wertschätzung” werden können. Trotzdem gibt und gab es natürlich Diskursverschiebungen. So wird zur Zeit auf den ersten Blick weniger nach völkisch-rassistischen als nach Nützlichkeitsgesichtspunkten ausgesiebt. Bei einer Betrachtung dessen, was hinter diesen Diskursen steht, stellten wir aber fest, dass die Grundlagen der Ausländerpolitik die selben sind: Erst die Einteilung und Hierarchisierung der Menschen in ideologische Konstruktionen wie Rasse, Nation, Geschlecht ermöglichen unterschiedliche Bewertung und Behandlung und legitimieren diese. Rassistische Politik und Denkmuster und ökonomische Interessen im kapitalistischen System, bedingen sich gegenseitig. Völkischer Rassismus und kapitalistische Verwertung sind also zwei Seiten einer Medaille. Als minderwertig stilisierte und mit weniger Rechten ausgestattete Menschen können leichter ausgebeutet , also verwertet werden, so die ökonomische Seite. Die andere ist, dass Rassismus nicht einfach mit der Abschaffung des Kapitalismus verschwinden wird, er hat sich tief in die Gesellschaft und ihre Akteure, seien es die Eliten oder die breite Masse eingeprägt.

Fachkräftemangel – die Erste: Die “Gastarbeiterabkommen”

Die Parallelen zu heute sind unverkennbar: Ökonomische und demographische Gründe waren es, die Deutschland 1955 das erste Anwerbeabkommen mit Italien schließen ließen. Sorgten nach dem Krieg die Vertriebenen aus Osteuropa und DDR-Flüchtlinge noch für genügend Arbeitskräfte, entstand Ende der 50èr verstärkt durch den Mauerbau und die Einberufung von Rekruten zur Bundeswehr erneut Arbeitskräftemangel. Dem Abkommen mit Italien folgten 1960 Abkommen mit Spanien und Griechenland, 1961 mit der Türkei, 1964 mit Portugal und 1968 mit Jugoslawien mittels derer die später Gastarbeiter genannten Arbeitskräfte nach Deutschland geholt wurden. Ein Gast bleibt bekanntlich nur vorübergehend und so wurde die Arbeitsmigration auch nur als provisorische aufgefasst: vorgesehen war ein Rotationsprinzip, nach dem die Arbeitnehmer nach 1 bis 2 Jahren ausgetauscht wurden, bis die Arbeitgeber, die ein Interesse an eingearbeiteten ArbeiterInnen hatten, es schließlich ablehnten, diese immer neu anzulernen. Auch über die Unterbringung in isolierten Barackensiedlungen sollten Integration und damit der Wunsch zu bleiben, verhindert werden. Die ins Land geholten ArbeiterInnen führten in den folgenden Jahren niedrigqualifizierte aber dringend gebrauchte Arbeiten ohne Aufstiegschancen aus, und sicherten damit deutschen Facharbeitern wiederum den Aufstieg. Auch damals wurde vordergründig gastarbeiterfreundliche Stimmung mit Nützlichkeitsargumentation inszeniert. Ohne freilich zu vergessen, die Wertigkeiten klarzustellen: Im Rahmen der Begrüßungsaktionen für den einmillionsten Gastarbeiter antwortete der Repräsentant eines Arbeitgeberverbandes auf die Frage ob er sich nun auf den zweimillionsten Gastarbeiter freue, dass er sich vor allen Dingen auf den Tag freue, “wo wir ganz ohne die immer auch schwierigen und teuren Gastarbeiter auskommen.”

Und bereits 1964 - die Anwerbung war in vollem Gange - forderte Kanzler Erhard die Deutschen auf, länger und härter zu arbeiten, um nicht mehr auf die GastarbeiterInnen angewiesen zu sein. Und bereits in den 60er Jahren wurden ausländische ArbeiterInnen abgeschoben, wenn sie sich gegen Diskriminierung gewehrt, sich organisiert oder gestreikt hatten. Während der ersten Rezension von 66/67 kam es dann zu einer größeren öffentlichen Debatte über die Daseinsberechtigung der AusländerInnen. Mit Ausbruch der selbstorganisierten Streiks gegen Unterbringung, Diskriminierung und Löhne und der Radikalisierung der ausländischen ArbeiterInnen nahm die Stimmung gegen diese zu. Seit dem Anwerbestopp jedoch mit dem Unterschied, dass sie zunehmend als Problem behandelt und Gegenstand populistischer Kampagnen wurden. Jener Anwerbestopp erging 1973 und die angeworbenen Arbeitskräfte, die aufgrund der Rezension, der Ölkrise und der damit einhergehenden konjunkturellen Flaute nicht mehr benötigt wurden, sollten mit einer Politik gezielter Rückkehrförderung, allerdings unter Verlust ihrer eingezahlten Sozialversicherungsprämien und Rentenansprüche in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Die Realität sah jedoch anders aus: Die MigrantInnen siedelten sich noch über die 80er Jahre hinaus vor allem in Städten und Regionen an, in denen ihre während der Anwerbezeit zugewiesenen Beschäftigungsmöglichkeiten lagen und holten ihre Familien nach.

Einwanderung fand nach dem Anwerbestopp auch über den Familiennachzug hinaus statt. Staatsangehörige von EU-Staaten durften seit 1967 auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr kriminalisiert werden, genossen also weitgehendes Freizügigkeits- und Niederlassungsrecht. Wobei, unterschiedslos zu den heute diskutierten Übergangsfristen für Arbeitskräfte aus den EU-Beitrittskandidaten, die Freizügigkeit für Staatsangehörige aus Portugal und Spanien “zum Schutz des deutschen Arbeitsmarktes” erst einige Jahre später in Kraft trat. Und mit einigen Staaten wurden über den Anwerbestopp hinaus Verträge geschlossen, die ein bestimmtes Kontingent von Saison- und Werkvertragsarbeitern zuließen und bis heute praktiziert werden, zu denken sei an den oft zitierten Einsatz von VertragsarbeiterInnen in der Landwirtschaft und im Gaststättengewerbe.

Darüber hinaus verblieb außereuropäischen MigrantInnen von Mitte der 70er bis in die späten 80er nur die Möglichkeit, Asyl zu beantragen, um einen legalen Aufenthaltsstatus zu erlangen.

Die Ära Kohl: “Deutschland ist kein Einwanderungsland”

Obwohl die Migrationspolitik dieser Zeit gern mit der “Das Boot ist voll” – Rhetorik gleichgesetzt wird: Eingewandert wurde auch während der Kohlära und das permanent und über die Beantragung politischen Asyls hinaus. Zwar spukte man vermehrt völkische Töne und der offizielle Zuwanderungsdiskurs war einer über die Verhinderung weiterer Zuwanderung. Genau so wenig sperrte sich die Politik aber gegen wirtschaftliche Interessen an Zuwanderung.

Trotz der faktischen Abschaffung des Asylrechts 1993 und der Perfektionierung der Kontrolle an der ostdeutschen Außengrenze, sollte Zuwanderung nicht gänzlich verhindert werden: Die Aussiedler, die als “Russlanddeutsche” nach dem völkischen Verständnis der Regierung Kohl natürlich lieber als “Ausländer” gesehen waren, Kontingent- und Bürgerkriegsflüchtlinge und nicht zuletzt illegale Einwanderung stehen für das Groß an Immigration in dieser Periode.

Illegalisierte waren schon damals ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und so sollte illegale Zuwanderung trotz der zunehmenden Aufrüstung der Außengrenzen nicht gänzlich verunmöglicht werden. Razzien gegen illegal Beschäftigte richteten sich dann auch immer gegen diese als Individuen und nicht primär gegen das System illegaler Beschäftigung. Die Arbeitgeber blieben oft unbehelligt und kamen durch Mitteilung an die Ausländerbehörden oft noch um die Lohnzahlung für die illegal Beschäftigen herum.

Die Neuregelung des Ausländerrechts im Jahre 1991, wies sowohl Verbesserungen als auch Verschärfungen auf. Die späte Einsicht, dass die ArbeitsmigrantInnen sich nicht einfach in ihre Herkunftsländer reintegrieren ließen, sondern im Wege des Familiennachzuges ihre Familien holten, führten einerseits zu verbesserten Familiennachzugsmöglichkeiten, eigene Aufenthaltsrechte für Familienangehörige wurden geschaffen und für Angehörige beider Ausländergenerationen die Einbürgerung erleichtert: Voraussetzung für beide Optionen war schon damals der Nachweis von ausreichendem Einkommen und Wohnraum, sowie die Einzahlung in Sozialversicherungssysteme. Der legale Zugang zum Arbeitsmarkt wurde dagegen beschränkt und ist heute geltendes Recht. Für nichtdeutsche Arbeitnehmer wurde im Ausländergesetz ein allgemeines Arbeitsverbot mit Genehmigungsvorbehalt festgeschrieben. Ausgenommen von der Genehmigungspflicht sind UnionsbürgerInnen, im Bundesgebiet geborene AusländerInnen mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis oder soweit dies zwischenstaatliche Vereinbarungen bestimmen. Eine Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung besitzt. Ohne legalen Aufenthalt ist der Zugang zum legalen Arbeitsmarkt verschlossen. Die Aufenthaltsgenehmigung kann jedoch auch mit der Auflage versehen worden sein, dass eine Arbeitserlaubnis im Interesse des deutschen Arbeitsmarktes gar nicht erteilt werden darf. Auf eine Arbeitserlaubnis bestehen Wartezeiten von bis zu 4 Jahren. Und eine einmal erteilte Arbeitserlaubnis ist räumlich auf den Bezirk des erteilenden Arbeitsamtes beschränkt und gilt für die Dauer der Beschäftigung. Generell darf eine Arbeitserlaubnis nur erteilt werden: wenn sich durch die Beschäftigung von AusländerInnen keine nachteiligen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt ergeben und wenn für die Beschäftigung keine deutschen oder EU - BürgerInnen zur Verfügung stehen (“sogenanntes” Inländerprimat). Etwas anderes sehen auch die aktuellen Konzepte für ein Einwanderungsgesetz nicht vor.

Die Regeln des Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisrechts waren bereits vor 10 Jahren an Nützlichkeitserwägungen gebunden. So sind ein geregeltes Mindesteinkommen, bzw. jahrelange Einzahlung in Arbeitslosen- bzw. Sozialversicherungssysteme Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. den Familiennachzug nach dem Ausländergesetz.

Die Debatte über notwendige Arbeitsmigration in die BRD wurde in Fachkreisen schon seit Anfang der 90er geführt und die heute ins Feld geführte demographische Entwicklung war schon in den 80er Jahren trotz gegenteiliger Polemik abzusehen. Auch die Wirtschaft fordert nicht erst seit 1999, sondern schon 1991 während der rassistische Hetzkampagne gegen Ausländer mehr und flexiblere Einwanderung. Und 1996 legten B90/Grüne als Neuauflage einer gescheiterten Gesetzesinitiative aus der vorangegangenen Legislaturperiode, einen Gesetzesentwurf zur Einwanderungspolitik vor, wonach Einwanderung durch jährlich festzustellenden Kontingente staatlich zu regeln und entsprechend der ökonomischen Bedürfnisse der BRD zu beschränken sei. Der damals in linksliberalen Kreisen als zukunftsweisend gefeierte Entwurf, leugnete zwar Einwanderung im Unterschied zu offiziellen Verlautbarungen der konservativen Parteien nicht, orientierte sich jedoch genauso an den Bedürfnissen des deutschen Staates, wie die heute vorgelegten Konzepte.

Rot-Grün: “Deutschland ist ein Einwanderungsland”

Die rot-grüne Koalition aus GewerkschafterInnen und Multi-Kulti-Fraktion trat an unter der Prämisse, eine weltoffene, humanistische Zivilgesellschaft zu forcieren. Im Januar 1999 zu Beginn der Debatte um die Modernisierung des veralteten deutschen Staatsangehörigkeitsrechts hin zu einem “realistischen Begriff der Nation” (Innenminister Otto Schily) feierte das rot-grüne Jubelorgan TAZ “eine Bundesrepublik Deutschland die sich vom Völkischen entfernt”. Unter dieser neuen Überschrift setzte die nun an die Macht gelangte Opposition die Ausländerpolitik ihrer Vorgängerin fort.

Die großangekündigten Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, wurde nach der rassistischen Unterschriftenkampagne der CDU ganz schnell zum halbherzigen Reförmchen, ohne dass sich endgültig vom Abstammungsprinzip verabschieden wurde. Aber nicht nur die von breiten Teilen der Bevölkerung mit Begeisterung aufgenommene Hetzkampagne führte die Einschätzung der TAZ ad absurdum, sondern auch die Reform selbst: Gesetzliche Verbesserungen für die erste “Gastarbeitergeneration”, den zum Teil über 30 Jahren hier Lebenden, sucht man vergebens. Einbürgerungserleichterungen für sie brachte das neue Gesetz nicht, außer einer in diesen Fällen nicht relevanten Reduzierung der notwendigen Aufenthaltsdauer für die Anspruchseinbürgerung von 15 auf 8 Jahre. Dafür sorgen die nun zwingend vorgeschriebenen Sprachtests und die Einbürgerungsvoraussetzungen der Straffreiheit, der Verfassungstreue und des Nichtbezugs von Arbeitslosen- und Sozialhilfe für Verschärfungen. Die EinbürgerungsbewerberInnen müssen den eigenen sowie den Lebensunterhalt ihrer Familie auf Dauer aus eigenen Einkünften bestreiten können, ohne auf öffentliche Mittel angewiesen zu sein. Ist schon für den Erwerb einer unbefristeten Aufenthaltsberechtigung eine dreijährige Beitragszahlung zur Rentenversicherung notwendig, wird die sozialstaatliche Diskriminierung nun nochmals gesteigert: bei Bezug staatlicher Leistungen wie Krankengeld oder Erziehungsgeld oder Ausbildungsförderung, ist eine Prognoseentscheidung erforderlich, ob der Einbürgerungsbewerber künftig in der Lage sein wird, seinen Unterhalt künftig allein aus eigenen Kräften zu bestreiten. Im Klartext: der Einbürgerung würdig ist nur, wer jahraus, jahrein in die Sozialkassen einzahlt ohne jemals auf deren Unterstützung angewiesen zu sein. Um so auch als “Neudeutsche” die alte Funktion der Gastarbeiter zu erfüllen, weitaus mehr zur sozialen Sicherung beizutragen, als man selbst in Anspruch zu nehmen berechtigt ist.

Green-Card: rotes Tuch für MigrantInnen?

Das beste Beispiel für den Verkauf von Rück- als Fortschritten ist jedoch die Green Card Offensive Schröders vom Sommer 2000. Seit August 2001 in Kraft hat die Verordnung über die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für IT-Fachkräfte (IT-Aufenthaltsverordnung, so heißt die deutsche Green Card) mit der Green Card im US-amerikanischen Sinne, welche zur Einbürgerung führt, herzlich wenig zu tun: Lediglich einen befristeten Aufenthalt von maximal 5 Jahren für erst mal 20.000 Ausländer mit Hochschul- oder Fachhochschulausbildung, denen für die Beschäftigung bei einem konkreten Unternehmen der IT- Branche eine Arbeitsgenehmigung zugesichert oder erteilt wurde und die eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber über ein Jahresgehalt von mindestens 100.000 DM nachweisen, sieht die Verordnung vor. Und neu ist an der sogenannten Green Card Verordnung rein gar nichts: schon die seit 1991 bestehenden Verordnungen über Arbeitsaufenthalt und Arbeitsgenehmigung enthalten Ausnahmeregeln die im Fall von Fachkräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt den Zugang ausländischer Fachkräfte vorsehen. Allein 1999 kamen über diese Vorschriften 37.700 ausländische Fachkräfte in die BRD.

Warum also diese medienwirksame Zusatzverordnung namens “Green Card? Erhellend wirkt da zum Einen der Blick auf die rot-grüne Koalitionsvereinbarung, zum Anderen auf die unterschiedliche Ausgestaltung der bereits bestehenden arbeits- und aufenthaltrechtlichen Verordnungen hinsichtlich Möglichkeiten einer Aufenthaltsverfestigung in der BRD. Gegenüber diesen verleiht die Green Card Regelung nämlich deutlich weniger Rechte. Für Fachkräfte die nach den bereits bestehenden Verordnungen in die BRD kommen, wäre eine Aufenthaltsverfestigung durch Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und nach weiteren 3 Jahren einer uneingeschränkten Aufenthaltsberechtigung, sowie der uneingeschränkte Familiennachzug möglich. Darüber hinaus bestünde keine Bindung an einen bestimmten Arbeitgeber. Einer Aufenthaltsverstetigung und Integration stünde rechtlich also nichts im Wege. Wer nach der IT-Verordnung zuwandert, erhält lediglich eine auf 5 Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis und eine an einen bestimmten Arbeitgeber gebundene Arbeitserlaubnis. Eine Aufenthaltsverstetigung wird so ausgeschlossen, die Arbeitserlaubnis ist auf eine bestimmte Branche beschränkt und familiäre Strukturen werden nicht berücksichtigt. Damit erschließt sich auch die 2. Antwort auf das Warum der Neuregelung: Sie war nicht weniger als der geschickte Anstoß einer öffentlichen Debatte über ein Zuwanderungsgesetz. So sollte auch der rassistisch eingestellten Wählerschaft die Notwendigkeit von (Arbeits)immigration behutsam verklickert werden und ihnen gleichzeitig die Angst genommen werden, die MigrantInnen könnten Ansprüche auf Partizipation an deutschen Wohlfahrtssystemen anmelden und womöglich ganz hier bleiben, statt - wie früher die Gastarbeiter - nur vorübergehend zu kommen, über einen Engpass hinwegzuhelfen und dann wieder zurückzukehren. Einwanderung wurde vorübergehend wieder als win-win-Situation dargestellt: alle gewinnen, MigrantInnen, UnternehmerInnen – dem unternehmerischen Migrant/in werde gewissermaßen die Grenze geöffnet. Als klassisches Verkaufsargument für legale Arbeitsmigration wird bezeichnenderweise die demographische Entwicklung angeführt: Denn die Sorge um die deutsche Rentensicherheit, erhöht die Akzeptanz im Volke gegenüber Einwanderung dann doch beträchtlich.

Dabei waren die parlamentarischen Weichen für ein Einwanderungsgesetz längst gestellt, nicht nur weil der ausländerrechtliche Dschungel eine an ökonomischen und an Kriterien der effektiven Zugangskontrolle orientierte flexible Ausländerpolitik verhinderte. Bereits beim Asylkompromiss 1993 erkaufte sich die CDU die Zustimmung der SPD mit der Bereitschaft, über ein Einwanderungsgesetz zu reden. Und in der rot-grünen Koalitationsvereinbarung vom Oktober 1998 steht zu lesen: “Wir erkennen an, dass ein unumkehrbarer Zuwanderungsprozeß in der Vergangenheit stattgefunden hat und setzen auf die Integration der auf Dauer bei uns lebenden Zuwanderer”. Dem rot-grünen Anspruch, Vertreter einer neuen liberalen Politik zu sein, sollte der öffentlichkeitswirksame Vorstoß, ausländischen Fachkräften, “jene Karte zu geben, die in Amerika Green Card heißt” (Gerhard Schröder auf der Cebit 2000) nicht zuletzt den nötigen glaubhaften Anstrich geben.

Zuwanderung begrenzen und steuern: Ein neues Gesetz für alte Hüte

Das parteiübergreifende Bekenntnis zum Einwanderungsland Deutschland und eine Flut von Einwanderungs-, Zuwanderungs- und/oder Zuwanderungsbegrenzungskonzepten folgten auf dem Fuß. Heißen sie nun “Zuwanderung steuern und begrenzen” (Positionspapier von CDU/CSU vom 10.5.2000), “Zuwanderung gestalten, Integration fördern” ( Bericht der Süssmuth-Kommission vom 4.7.2001) oder “Steuerung, Integration, innerer Friede” (Eckpunkte der SPD-Bundestagsfraktion vom 6.7. 2000) der Tenor ist der gleiche: Nach anfänglichen Bekenntnisorgien zum Einwanderungsland Deutschland sprechen die nunmehr vorgelegten Konzepte allesamt die Sprache der “Steuerung” und “Begrenzung” von Zuwanderung. Nach anfangs noch realistischen Zahlen von 300.000 Einwanderern jährlich, plädierte die von Rita Süssmuth geleitete Zuwanderungskommission der Bundesregierung nur noch dafür, 50.000 Zuwanderer jährlich ins Land zu lassen und nach dem SPD-Konzept sollen bis 2010 erst mal nur hochqualifizierte Akademiker nach Deutschland kommen. Die Wählerseele besänftigt so was.

Ob gestaffelte Quoten, Kontingente oder Punkte nach individuellem Wert, also nach Alter, Qualifikation, gesichertem Lebensunterhalt, Deutschkenntnissen, “Beziehungen zu Deutschland”: wer außer über das zusammengekürzte Asylverfahren hinaus ins Land darf, bestimmt die Arbeitsmarktlage. Beim “wie lange” sind Haltungskosten und “Integrationsfähigkeit” der Arbeitsbienchen ausschlaggebend. Daß dabei der hochqualifizierten Fachkraft, weniger Hürden auf dem Weg zu einem dauerhaften Aufenthalt mit rechtlicher und sozialer Absicherung aufgestellt werden, als der zur Überbrückung von saisonalen Engpässen im Niedriglohnsektor eingestellten Arbeitskraft, ist nichts neues und logische Konsequenz des Kalküls : Alles für den Wirtschaftsstandort Deutschland, aber bitte nicht auf Kosten unserer nationalen sozialen Sicherungssysteme und nur bei Anpassung an deutsche Staatsbürgerschaftsideologie (Leitkultur). Natürlich hat die Industrie ein stärkeres Interesse an Deregulierung und der Möglichkeit, der direkten Anwerbung bei Bedarf, natürlich vertreten die Gewerkschaften zur Zeit in der Einwanderungsdebatte die reaktionärsten Positionen, greifen die Kirchen einzelner humanitärer Notsituationen heraus und dient die Legalisierungsdebatte PDS und Grünen als Legitimiationskampagne für Einwanderungsbegrenzung. Trotz all der bestehenden Differenzen um Details: bei Fachkräften und bei von vornherein zeitlich begrenzt angeworbenen Arbeitskräften für Dienstleistung- und Niedriglohnjobs sind sich dann exemplarisch wieder alle einig. Es geht um die altbekannte Verbindung zwischen nationalistischem und ökonomischen Kalkül: Zuwanderung zugunsten des deutschen Arbeitsmarktes, Einwanderung als Belohnung für langjährige Bereitschaft zur Verwertung und zur Anpassung.

Was sich dann tatsächlich ändert, ob CDU/CSU mit völkisch rassistische Ressentiments in den Wahlkampf ziehen oder wir noch in diesem Jahr ein Einwanderungsgesetz haben, wird sich zeigen. Ob Nationalismus und Rassismus angesichts des Zurücktretens des wohlfahrtstaatlichen Nationalismus und zunehmender Globalität in den Metropolen bedeutungsloser wird, oder angesichts der krisenhaften Zuspitzungen globaler Konkurrenz zunimmt, werden wir wahrscheinlich wie so oft erst in der Retrospektive – im Nachhinein – begreifen.

Auf keinen Fall sollte sich der Eindruck breit machen, dass die derzeitige Debatte um Einwanderung besseres Wetter bringen wird. Von selbst aus der Welt schafft sich Rassismus, genauso wenig wie in den letzten 50 Jahren, mit Sicherheit nicht. Die Änderungen -Verbesserungen und Verschlechterungen- werden Änderungen im vorhandenen Rahmen bleiben. Sich mit diesen Veränderungen zu beschäftigen, genauso wie mit den rassistischen Kontinuitäten die sie flankieren, erscheint uns weiterhin wichtig. Dabei darf die Diskussion um Rassismus nicht isoliert, sondern verknüpft mit anderen Themen wie Kapitalismus und Patriarchat, geführt werden. Dass eben das in den letzten Jahren vernachlässigt wurde, zeigt nicht zuletzt der einseitige Bezug antirassistischer Politik auf die politische motivierte Flucht, der damit einhergehende Rückzug auf Flüchtlingssozialarbeit und die vernachlässigte Diskussion um andere Gründe für Migration. Trotz der absehbaren Versuche, soziale Konflikte weiterhin zu ethnisieren, wird die zunehmende Aufspaltung nicht ausschließlich die Lebensbedingungen von MigrantInnen verschlechtern. Was wir brauchen sind mehr politische und soziale Auseinandersetzungen mit MigrantInnen, um auszuloten, wo Kämpfe gemeinsam geführt werden können. Und wir müssen die Forderung nach offenen Grenzen stellen, die zu Ende gedacht, systemüberwindend ist.

Antirassistische Gruppe Leipzig

Fußnoten

 1 Dieser Text basiert auf einem Referat, dass auf der Veranstaltung “Festung Europa analysieren” der Antirassistischen Gruppe Leipzig am 13.5.01 gehalten wurde.

 2 Wer die Entwicklung nationalstaatlicher und insbesondere deutscher Ausländerpolitik noch weiter zurückverfolgen möchte, sei auf den Artikel: “Von den Arbeitssklaven zur Green Card” im Cee Ieh Nr. 79, S.69 verwiesen

 3 Zwangsarbeit, Internierung und Vernichtung im Holocaust stellten dabei eine Zäsur dar, denn die Motivation für den Arbeitszwang war verschieden, die bundesrepublikanische Ausländerpolitik kann insofern nicht mit der nationalsozialistischen gleichgesetzt werden.

 4 Diese liegt auch dem Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz von Otto Schily zugrunde, der über das Wahlkampfgetöse der CDU/CSU und einzelne humanistisch begründete Bedenken (“Diskussionsbedarf” ) aus den Reihen von SPD und Grünen hinweg, als mehrheitsfähige Gesetzesvorlage geeignet scheint.

Zuerst veröffentlicht in: Klarofix 09/2001

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