Der rassistische Gehalt der Wintererdbeere
Luftfracht und Flucht, Transport- und Migrationskette
Endlich Urlaub! Die gestresste Familie Schmid stellt den Flugzeugsitz bequem
und läßt sich über dem Ozean von der Stewardess mal so richtig
bedienen. Unter Schmids, im Bauch des Flugzeugs, ist das Gepäck und
einiges mehr: In einem Großraumflugzeug fliegen ca. 14t Fracht mit. 60%
der Fracht wird Passagiermaschinen beigeladen - alles, was der Markt
hergibt, wie die Luftfrachtmanager sagen. Es sind Maschinenteile für
eine deutsche Firmenniederlassung, Luxusgüter für die Oberklasse des
Landes, in das die Schmids fliegen, erlesene Spirituosen für die
Touristenhotels, Pestizide, mit denen internationale Firmen ihre
Ananasplantagen und Schnittblumentreibhäuser besprühen, Medikamente
und Computersoftware.
Zwei Wochen später. Die Schmids hatten einen schönen Urlaub. Sie
haben im Hotel-Pool gebadet, der mit dem von den Einheimischen dringend
benötigten Trinkwasser gefüllt war, haben am Strand
Spezialitäten des Landes serviert bekommen. Während Herr Schmid
möglichst wenig an den nächsten Montag vor dem Computer im Büro
denkt, sitzt er, ohne es zu wissen auf einigen Kubikmetern Computerhardware.
(aus einem Artikel des Evangelischen Pressedienstes)
Der Frankfurter Flughafen ist der größte deutsche
Flughafen. Seit einigen Jahren besitzt er ein riesiges Kühlzentrum
für Perishables (verderbliche Güter). Kein anderes Segment des
interkontinentalen Luftfrachtgeschäfts wächst so schnell wie der
Transport verderblicher Güter. Bohnen aus Kenia, Rindfleisch aus
Argentinien, Lamm aus Neuseeland, Lachs aus Norwegen oder Chile, Maracujas aus
Brasilien, Limetten aus Mexiko - diese Liste mit Köstlichkeiten
ließe sich seitenlang fortsetzen. So wirbt die Lufthansa in einem
ihrer Frachtbriefe für die weltweite Verfügbarkeit von allem zu jeder
Zeit. Perishables haben weltweit einen Anteil von etwa 16%. Für die
Wintererdbeere aus Ecuador oder die Nelken aus Kenia wird die gekühlte
Transportkette per Luft zur notwendigen Bedingung. Die Vermarktung eines
großen Teils der interkontinentalen Perishables ließe sich ohne
Luftfracht überhaupt nicht realisieren.
Die Arbeitsbedingungen zum Beispiel im Bereich der Schnittblumenproduktion sind
extrem hart. Die Arbeiter/innen stehen in einem Nebel aus Pestiziden, oft ohne
jegliche Schutzkleidung. Schwere gesundheitliche Schäden sind die Folge.
Die Löhne und Arbeitszeiten, sowie die soziale Absicherung sind um ein
vielfaches schlechter als in den Metropolen. Schnittblumen - oder auch
Wintererdbeeren sind insofern die (Geld)Früchte eines allein per
Luftfracht durchsetzbaren, rassistisch strukturierten Wertraubs. Die Zurichtung
auf Cash-Crop-Ökonomien macht Luftfrachter regelrecht zu Waffen eines
technologischen Angriffs, der auf verdichteten Zugriff, auf erweiterte
Abhängigkeiten und Ausbeutbarkeiten abzielt.
Rassistisches Ausbeutungsgefälle oder Globalisierung von Armut?
In einer Debatte in der Vorbereitung zum 4. antirassistischen Grenzcamp
stießen zwei Positionen aufeinander.
Die einen sahen in dieser Zurichtung von immer mehr Arbeitskräften auf die
Weltmarktketten, der systematischen Zerstörung subsistenzorientierter
Ökonomien und den sozialen Verwüstungen die damit einhergehend sind
ein klar strukturiertes rassistisches Ausbeutungsgefälle. Historisch
begründet auf der Kolonialisierung der südlichen Kontinente werde die
rassistische Kolonialgeschichte weiter reproduziert, perfektioniert und
verschärft. Die Luftfracht setze diesen Verhältnissen noch eins
drauf. Zu den traditionellen Ausbeutungsprodukten wie Kaffee, Zucker, Kakao,
Tabak... kommen diverse weitere hinzu. V.a. für die Legitimation dieser
Ausbeutungsverhältnisse spielt Rassismus eine wesentliche Rolle. Auch
innerhalb Europas besteht ein rassistisch begründetes Lohn- und
Ausbeutungsgefälle Richtung Osten. Zum Beispiel beträgt der Lohn
für die gleiche Arbeit einer Facharbeiterin in der BRD 3000,-, in Polen
300,- und in der Ukraine nur noch 30,- DM.
Dem gegenüber stand die Position, es gebe eine Globalisierung von Armut.
Die Metropolen verslummen, während sich gleichzeitig eine internationale
Managerklasse ausbildet. Die Begriffe von Metropole und Peripherie fassen diese
Globalisierung nicht. Rassismus habe für diese
Ausbeutungsverhältnisse an Bedeutung verloren. Dem Kapital sei es egal,
wer da ausgebeutet wird.
Einigkeit bestand in der Tatsache, daß diese Ausbeutungsgefälle
weiterhin zentrale Quellen von Migrationsströmen sind. Flucht und
Migration sind gleichermaßen Ausdruck der Zerstörung und
Vertreibung, wie auch berechtigter Anspruch auf ein Existenzrecht und bessere
Lebensmöglichkeiten.
Die Zusammenhänge von Luftfracht und Flucht könnten eine
mögliche inhaltliche Brücke zum Widerstand gegen die
Flughafenerweiterung sein. Hier ist aber auch Vorsicht geboten. Viele der BIs
gegen die Flughafenerweiterung argumentieren mit dem Verlust deutscher
Arbeitsplätze durch Verlagerung der Produktion. In diese
Argumentationslinie zu geraten wäre fatal.
Konsum, Konsum, Konsum
Die Lufthansa argumentiert in ihren Werbeslogans mit der weltweiten
Verfügbarkeit von allem zu jeder Zeit.
Hier wird die absolute Konsumfreiheit gefeiert Ich bin so frei. -
Das tut mir gut., während die ProduzentInnen der
Konsumgüter die eigenen Lebensmittel nicht kaufen könnten.
Eine gerechtere Welt würde mit Sicherheit einen Konsumverzicht
unsererseits voraussetzen. Auf die herrschenden Konsumverhältnisse sind
wir zugerichtet. Eine weltweite Konsumfreiheit wäre nicht durchzusetzen.
Hätten z.B. alle Chinesen Lust, Auto zu fahren, wären die
ökologischen Schäden nicht tragbar. Statt der absoluten
Konsumfreiheit wären soziale Beziehungen die wohl wichtigste Grundlage
eines glücklichen Lebens.
Andererseits wäre ein Konsumverzicht oder Boykottaufrufe gegen bestimmte
Ausbeutungsprodukte nur die Spitze des Eisbergs. Konsumverzicht ist im Grunde
eher Gewissensberuhigung, da wir in vielen anderen Lebensbereichen völlig
in das Ausbeutungsgefälle verstrickt sind. Punktuell ist Verzicht sicher
angesagt, auf Schnittblumen ließe sich locker verzichten. Politisch
wäre es aber wichtiger, Produktionsketten aufzublättern - auch
diejenigen aus deren Verstrickung wir uns nicht so leicht lösen
können - und an den Ansätzen der Zurichtung von Ländern auf
Cash-Crop-Produktion aktiv zu werden. Wichtig wäre vor allem eine
Kontaktaufnahme zu Menschen, die von den einzelnen Verhältnissen betroffen
sind.
Praktisch wäre die Frage, wie das Thema als Bindeglied zum Widerstand
gegen die Flughafenerweiterung genutzt werden könnte, ob Aktionen
während des Camps dazu denkbar wären, z.B. beim Blumengroßmarkt
in Frankfurt.
M., Infoladen Hanau
Zuerst veröffentlicht in: Webjounral zum Grenzcamp
(http://www.nadir.org/camp01)
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