Buko24.
12.-14.10.2001
AG: Die EU und der Nationalstaat Gegensatz oder unheilige
Allianz?
Teil
1: Aus den Höhen in die Niederung
Allgemeine
Reflexionen zum Zusammenhang von "Globalisierung", Supranationalität
und Nationalstaat
Gliederung
des Referats
- Globalisierung.
Allgemeine Begriffsklärung
- Geschichte
der Globalisierung
- Der
Prozess der europäischen Vereinigung
- Die
Rolle des Nationalstaates und seine Transformation
Globalisierung:
Allgemeine Begriffsbestimmung
Der
Begriff "Globalisierung" wird in der öffentlichen
Diskussion ebenso inflationär wie schwammig gebraucht. Er beschreibt
zum einen komplexe Zusammenhänge, ist aber zum anderen von
einer erheblichen inhaltlichen Unklarheit geprägt. Je nach
politischem und theoretischem Standpunkt wird unter "Globalisierung"
höchst verschiedenes verstanden. Für die einen enthält
sie das Versprechen auf eine bessere und friedlichere Welt, für
die anderen verbindet sich mit ihr die Vorstellung eines globalen
Chaos.
Konkret
heißt das, dass unter Globalisierung eine Vielzahl von Prozessen
subsumiert werden (ökologische, ökonomische, kulturelle,
politische, "zivilgesellschaftliche"), so dass der Begriff
jegliche Trennschärfe einbüßt.
Zweitens
ist trotz der Vehemenz, mit dem der Begriff "Globalisierung"
ins Zentrum gesellschaftlicher Diskurse gerückt wurde und wird
nicht der Nachweis erbracht worden, dass die Vielzahl der sich zum
Teil gegenseitig widersprechenden Prozesse tatsächlich global
- also weltweit - stattfinden. Es scheint viel eher ziemlich sicher
zu sein, dass aus einer einseitigen Interessenslage heraus eben
diese Suggestion aufrecht erhalten werden soll. Richtiger ist jedoch,
dass der überwiegende Teil der unter dem Begriff "Globalisierung"
subsumierten Prozesse, eben nicht "global", sondern in
den Regionen der Welt stattfindet, die über die ökonomischen,
politischen und wissenschaftlichen Ressourcen verfügen, eben
diese umzusetzen, genauer gesagt in den Industrienationen der Welt.
Erste
Annäherungen
Im
wesentlichen lassen sich folgende Bedeutungsebenen des Begriffes
Globalisierung unterscheiden.
- Technisch
wird mit ihr die Durchsetzung neuer Technologien besonders in
der Informationsverarbeitung und -übertragung verbunden.
Folge dieser technologischen Entwicklungen sind die Vorstellungen
der Verdichtung von Zeit und Raum und somit der Welt als scheinbares
"globales Dorf".
- Politisch
wird von ihr vor allem im Zusammenhang mit dem Ende des "kalten
Krieges", dem so genannten "Ende der Geschichte"
und der damit verbundenen bipolaren Aufteilung der Welt gesprochen.
Der Zusammenbruch der Staaten des Warschauer Paktes gilt als der
historische Sieg des liberalen Demokratiemodells.
- Ideologisch
kulturell wird unter Globalisierung die Universalisierung
bestimmter Wertmuster verstanden, z.B. die allgemeine Anerkennung
liberaldemokratischer Prinzipien und grundlegender Menschenrechte,
aber auch die Verallgemeinerung des kapitalistischen Konsummodells.
- Ökonomisch
bezieht sich der Begriff zunächst auf die Liberalisierung
des Waren-, Dienstleistungs-, Geld- und Kapitalverkehrs, die Internationalisierung
der Produktion und die immer beherrschendere Stellung multinationaler
Unternehmen. Historisch lässt sich nun erstmals von einem
weltweiten kapitalistischen Markt sprechen, somit ist der Kapitalismus
weltweit beherrschend und universell geworden.
Ursachenforschung
Als
Hauptursache für alle "Prozesse" im Zusammenhang
mit Globalisierung lässt sich die Weltwirtschaftskrise der
70er Jahre ausmachen. Zu diesem Zeitpunkt erreichte das als Fordismus
bezeichnete Akkumulations- und Regulationssystem des Kapitalismus
die Grenzen seines möglichen Wachstums. Charakteristisch für
den Fordismus ist zunächst eine Akkumulationsstrategie, die
auf tayloristischer Massenproduktion, einer starken Ausdehnung der
kapitalistischen Lohnarbeit und der Durchsetzung eines Massenkonsummodells
beruht. Die Folge dieser Entwicklung war eine fortschreitende Durchkapitalisierung
der Gesellschaft in der Weise, dass traditionelle Formen der Subsistenzproduktion
durch kapitalistisch produzierte Waren verdrängt und die sozialen
Beziehungen insgesamt in erheblichen Umfang kommerzialisiert wurden.
Die
Durchsetzung dieses Akkumulationssystems war an die Etablierung
eines politisch-sozialen Regulationssystems gebunden, welches durch
folgende Merkmale gekennzeichnet war:
- einen
hohen Grad an staatlicher Wirtschaftssteuerung (Keynesianismus)
- den
Ausbau einer staatsinterventionistischen Wachstums-, Einkommens-
und Beschäftigungspolitik
- die
Anerkennung der Gewerkschaften
- die
politische Institutionalisierung übergreifender Klassenkompromisse
im Rahmen korporativer, d.h. Unternehmen, Gewerkschaften und Staat
in "sozialpartnerschaftlichen" Verhandlungssystemen
zusammenbindenden, Strukturen
Der
Fordismus kann durchaus als globales System bezeichnet werden, denn
dem Fordismus in den Metropolen entsprach ein "peripherer",
der sich einigen der abhängigen Länder im Zuge der nachholenden
Industrialisierung herauszubilden begann. Gleichzeitig blieb der
Fordismus im Kern nationalstaatlich organisiert. In seinem Zentrum
stand die Erweiterung der Binnenmärkte auf der Basis einer
erweiterten Staatsintervention und staatlich institutionalisierter
Klassenkompromisse.
Anfang
der 70er Jahre zeigte sich jedoch, dass sich die Kapitalprofite
im Rahmen der bestehenden tayloristischen Technologien und Arbeitsprozesse
nicht beliebig steigern ließen. Die wohlfahrtsstaatliche Regulationsweise
geriet mehr und mehr in Konflikt mit den Profitinteressen des Kapitals.
Somit ist die Krise des Fordismus weniger eine Krise des Wohlfahrtsstaates,
als das die Vereinbarkeit von Kapitalprofit und Massenwohlfahrt
ein Ende gefunden hatte.
Krisenverschärfend
erwies sich, dass die verstärkte Internationalsierung der Produktion
und der wachsende Einfluss multinationaler Konzerne, die Grundlagen
der nationalstaatlich orientierten, auf die Entwicklung des inneren
Marktes gerichteten, Akkumulations- und Regulationsweise mehr und
mehr untergruben.
Alter
Wein in neuen Schläuchen
Hält
Mensch sich Ursachen vor Augen ist es nun leicht nachzuweisen, dass
die technologischen, politischen und ideologisch-kulturellen Erklärungen
für die Entwicklung der Globalisierung nicht hinreichen.
Es
handelt sich bei der Globalisierung um einen im Kern ökonomischen
Vorgang. Somit haben wir es hier mit einer Strukturveränderung
des Kapitalismus zu tun, die dieser Gesellschaftsform ein ganz neues
Gesicht und eine ganz neue Bedeutung verleiht. Dies bedeutet, dass
es sich um eine massiv eingesetzte Strategie des Kapitals zur Lösung
der Akkumulations- und Regelweise handelte, die sich in der Hauptsache
auf die Entwicklung der Binnenmärkte sowie die Entwicklung
eines übergreifenden Klassenkompromisses konzentriert hatte
"Globalisierung"
im ökonomischen Sinn, also die radikale Liberalisierung des
Waren-, Geld- und Kapitalverkehrs soll nun die Voraussetzungen für
eine erneute, systematisch und "weltumspannend" durchgeführte
Rationalisierung des kapitalistischen Produktions- und Arbeitsprozesses
schaffen.
Folgende
Ziele werden dabei verfolgt:
- Die
Durchsetzung von Technologien und Arbeitsprozessen, die dem Kapital
einen erneuten umfassenden Rationalisierungsschub versprechen.
So wird auch deutlich, dass die Durchsetzung neuer Technologien
keinesfalls die Ursache, sondern Zweck der Globalisierung ist.
- Die
strukturelle Verschiebung der gesellschaftlichen Einkommensverhältnisse
zugunsten des Kapitals, der Abbau des Sozialstaates und die Zerstörung
der diesem zugrunde liegenden Klassenkompromisse.
- Das
internationale Kapital soll in die Lage versetzt werden, ohne
Rücksicht auf nationale Grenzen die jeweils kostengünstigsten
Produktionsstandorte auszunutzen und im Rahmen weltumspannender
Unternehmensnetzwerke mit einander zu kombinieren ("wordwide
sourcing"), bzw. damit drohen zu können.
Durchgesetzt
werden diese strategischen Ziele durch das internationalisierte
Kapital in Zusammenarbeit mit neoliberalen Regierungen, die infolge
der Krise des Fordismus an die Macht gekommen waren.
Entscheidendes
Ziel ist eine Struktur- und Funktionsveränderung des Staates,
die eine soziale Regulierung und eine wohlfahrtsstaatliche Politik
im traditionellem Sinne unmöglich macht. Somit ist die aktuelle
Globalisierung im Kern ein Projekt des kapitalistischen Klassenkampfes.
Tausend
Scherben
Ein
Trugschluss ist die Annahme, ein "globalisierter Kapitalismus"
führt zu einer einheitlichen, harmonischen und kooperativen
Weltgesellschaft. Das neoliberale Versprechen zunehmender Wohlfahrt
und fortschreitender Demokratisierung hat sich längst als Lüge
erwiesen und ist insofern auf seinen propagandistischen Gehalt zu
untersuchen.
Tatsächlich
nämlich bedeutet Globalisierung eine wachsende ökonomische,
soziale und politische Fragmentierung, die sich auf verschiedenen
Ebenen feststellen lässt.
- Die
Pluralisierung des kapitalistischen Zentrums. Eine Folge der Krise
des Fordismus ist auch das Ende der ökonomischen US
Hegemonie. In der Nachkriegs Weltordnung konnten Japan
und Westeuropa ökonomisch zu ebenbürtigen Konkurrenten
heranwachsen. Das kapitalistische Zentrum besitzt nun die Gestalt
einer Triade, deren drei Teile in eine sich intensivierende Konkurrenz
verstrickt sind. Damit verschiebt sich die Achse der internationalen
Auseinandersetzung vom Ost-West Gegensatz zu einem Konflikt zwischen
den kapitalistischen Metropolen. Somit wird deutlich, dass die
der Globalisierung zugrunde liegende Tendenz zur Liberalisierung
und zum Freihandel nicht Ausschluss sondern Bedingung für
den gleichzeitig wachsenden regionalen Protektionismus und die
Existenz zumindest latenter Wirtschaftskriege ist.
- Die
Ausdifferenzierung der kapitalistischen Peripherie. Das Verhältnis
von Zentrum und Peripherie ist sozial räumlich erheblich
komplexer geworden. Von einer eindeutig lokalisierbaren "Dritten
Welt" im traditionellen Sinne kann heute nicht mehr gesprochen
werden. So ist die dritte Welt eher in die erste Welt expandiert,
während es in der Dritten Welt eine partielle Zunahme von
Schichten gibt, die in "Erstwelt"-Lebensbedingungen
leben.
- Die
Vermögensunterschiede sind größer als jemals,
ganze Weltregionen scheinen von jeder wirtschaftlichen Entwicklung
abgehängt und der absoluten Verelendung preisgegeben zu werden
(dazu gehören große Teile Afrikas, einige asiatische
Staaten und auch Teile der ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten).
- Statt
einer gemeinsamen, demokratisch legitimierten "Weltregierung",
bedeutet Globalisierung, dass die Nationalstaaten zwar ihre Funktion
und ihre Bedeutung stark verändert haben aber immer noch
entscheidend die Weltordnung bestimmen. Der Standortwettkampf
bedeutet massive Re-Nationalisierung, innergesellschaftliche Klassenspaltung
und sozialen Kannibalismus.
Europäische
Union
Bei
der Untersuchung des Projektes Europäische Union lässt
sich ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Begriff der Globalisierung
feststellen. Hier sollen das Verhältnis von Nationalstaat und
Supranationalität sowie die Herausbildung neuer Formen der
politischen und ökonomischen Regulation entwickelt werden.
Ähnlich
wie der Begriff Globalisierung, subsumieren sich unter dem Begriff
Europäische Union, neben den realen Strukturen und Prozessen,
eine Vielzahl unterschiedlichster Visionen und Angstszenarien.
Regierungen
starten Werbeoffensiven, das europäische Aufgaben- und Überraschungspaket
ihren Bürgerinnen und Bürgern nahe zu legen, Innenminister
diskutieren über gemeinsame Maßnahmenkataloge zur Bekämpfung
von Terrorismus und so genannter organisierter Kriminalität,
Justizminister fordern einheitliche Rechtsstandards, Außenminister
fordern eine europäische "Verteidigungsdoktrin",
deren Anfänge im Krieg gegen Jugoslawien bereits zu besichtigen
waren. Mit anderen Worten und darüber hinaus: Jenseits der
bewusst erfahrenen Lebensrealität ist Europa in den Köpfen
längst angekommen als bürokratischer Wasserkopf
in Brüssel, als übernationale Gerichtsbarkeit, als Chiffre
für vielfältige Chancen, Probleme und Zwänge, als
Währung, als Idee und nicht zuletzt das ist die andere
Seite der Geschichte als Abschottungs- und Gefährdungsgemeinschaft,
deren Insassen sich gegen die, die nicht dabei sein sollen, immer
perfekter abschirmen.
Ursachenforschung
II
Der
Kern des europäischen Projektes bestand zuerst in der Schaffung
einer einheitlichen wirtschaftlichen-, monetären- und erst
daran anschließend einer politischen Union. Diese Geschichte
reicht bis in die 50er Jahre zurück, wo die ersten Verträge
über eine gemeinsame Zollunion verabschiedet wurden.
In
den 70er Jahren zum Beginn der Krise des Fordismus kam es in einem
zweiten Schritt nicht zuletzt unter dem Eindruck der Krisenerscheinungen
des bislang stabilen Regulationszusammenhangs zu Diskussionen um
eine gemeinsame europäische Währung. Die angestrebte Währungsunion
war dabei auch eine direkte Reaktion auf den Zusammenbruch eines
internationalen Währungssystems, in dem der US-Dollar stellvertretend
für alle anderen Währungen an den Goldstandard gebunden
war und damit einen stabilen Rahmen für die internationale
Handels- und Finanzpolitik unter der politischen Führung der
USA garantierte.
Der
Abschied von diesem System warf um so dringlicher die Frage auf,
wie die europäische Integration in einen angestrebten gemeinsamen
Markt zu vollziehen sei und vor allem, wie es gelingen könnte,
die Kosten für Finanz- und Warengeschäfte nachhaltig zu
senken.
Alter
Wein in neuen Schläuchen II
Bei
der Zollunion ging es darum, das europäische Kapital in die
Lage zu versetzen, ohne Rücksicht auf nationale Grenzen die
jeweils kostengünstigsten Produktionsstandorte auszunutzen
und diese dann im Rahmen mit einander kombinieren zu können
("worldwide sourcing" in diesem Fall europeanwide sourcing
)
Bei
der Währungsunion, die jetzt 30 Jahre später -
endgültig realisiert ist, geht es um zweierlei: Zum Einen um
die Vereinheitlichung der ökonomischen Leistungen der einzelnen
beteiligten Nationalstaaten, zum Anderen um einen Prozess, in dem
die Bedingungen für die notwendigen Angleichungen politisch
erst geschaffen werden müssen. Nicht zuletzt diesem Ziel dienten
die im Vertrag von Maastricht formulierten Konvergenzkriterien,
die in allen beteiligten Staaten mit Hilfe umfangreicher Deregulierungsmaßnahmen
erfüllt werden mussten. Darunter fällt sowohl die als
"Verschlankung des Staates" bezeichnete Privatisierung
von Betrieben wie auch die Kürzung sozialer Leistungen, Maßnahmen,
die nicht zuletzt im Verweis auf "Sachzwänge" politisch
durchgesetzt werden. Ziel ist somit die strukturelle Verschiebung
der gesellschaftlichen Einkommensverhältnisse zugunsten des
Kapitals, sowie der Abbau des Sozialstaates und die Zerstörung
der diesem zugrunde liegenden Klassenkompromisse
Theoretisch
zumindest lautet die Logik dieses Prozesses so: Auf die Zollunion
und den darin angelegten Wegfall kapitalhemmender Hindernisse folgt
die Kosten senkende Währungsunion. Die Währungsunion wiederum
drängt zur politischen Union. Faktisch jedoch vollziehen sich
diese Prozesse nicht nacheinander, sondern parallel, nicht zuletzt,
weil die höhere Integrationsstufe jeweils die Voraussetzung
für die niedrigere Integrationsstufe darstellt. Ohne gemeinsame
politische Entscheidungen jedenfalls konnte weder die Zollunion,
noch die Währungsunion zustande gekommen. Der Vertrag von Maastricht
stellt dabei in dieser Abfolge politischer Entscheidungen auf nationalstaatlicher
Ebene einen qualitativen Sprung dar, weil hier zum ersten Mal die
Realisierung der politischen Union eng mit der Vereinheitlichung
der Währung verknüpft wurde.
Tausend
Scherben II
Ebenso
wenig wie der "globalisierte Kapitalismus" seine Heilsversprechen
einzulösen vermag, ist die Europäische Union ein Ort des
Friedens im Meer der Seligkeit. Den Weg zur Europäischen Union
kennzeichnen weniger Ein- als vielmehr Ausschlüsse und die
hegemonialen Ansprüche vor allem der kerneuropäischen
Nationalstaaten sind der Garant für zahlreiche Brüche
bei den Entscheidungsfindungen.
Politische
Einigungen werden nur in einzelnen Feldern erzielt und selbst sie
sind mit nationalstaatlichen Privilegien, Zuwendungen und Kompromissen
erkauft.
Diese
unterschiedlichen Interessenlagen und die hierarchische Grundstruktur
der EU, auf deren Grundlage sie zur Verhandlung kommen, zeigen sich
auch in der Diskussion um die EU-Osterweiterung. Die ursprüngliche
Konzeption eines politisch und wirtschaftlich vereinigten Europas
ist nicht zuletzt mit dem Zusammenbruch des realsozialistischen
Machtblocks am Ende der 80er Jahre an ihre Grenzen geraten, um in
den 90er Jahren in zwei gegenläufigen und sich dennoch einander
ergänzenden Prozessen zum Ausdruck zu kommen. Zum Einen werden
weiterhin die Bemühungen zur Integration "Kerneuropas"
verfolgt, zum Anderen werden Strategien diskutiert, wie in einem
"Europa der zwei Geschwindigkeiten" osteuropäische
Beitrittskandidaten assoziiert werden können. Die aussichtsreichsten
Anwärter auf eine EU-Mitgliedschaft, wie Polen, Ungarn oder
Tschechien haben sich dabei weit reichenden "Strukturanpassungsprogrammen"
unterziehen müssen, ein besseres Wort für die radikale
Öffnung für den Weltmarkt und hemmungslose Deregulierung.
Andere Länder, wie Rumänien, Bulgarien oder Albanien werden
im Prozess der europäischen Konsolidierung voraussichtlich
nicht einmal als Billiglohnstandort mitspielen dürfen, sondern
schlichtweg abgekoppelt oder finanziell alimentiert
auf die Rolle von Vorposten gegen unerwünschte Migration verpflichtet.
Zusammen
gefasst ergibt sich damit ein Bild von Europa, das mehrere Dimensionen
aufweist. Zum Einen stabilisiert sich in all diesen Prozessen ein
nach außen gerichteter Abschottungszusammenhang, der allen
Beteiligten unterschiedliche Rollen zuweist. Zum anderen vollzieht
sich parallel im Inneren des EU-Projektes ein über nationalstaatliche
Grenzen hinaus reichender Harmonisierungsprozess, der vor allem
ökonomisch und sicherheitspolitisch stattfindet. In den Bestrebungen,
gemeinsame Standards der Kapitalverwertung, der "Kriminalitäts-
und Terrorismusbekämpfung" oder der militärischen
Zusammenarbeit zu schaffen, wird immer wieder auch die Absicht deutlich,
ein Ernst zu nehmender Akteur auf der Bühne des globalen Geschehens
zu werden. Zum dritten erfolgt in diesem Prozess aber auch die Zunahme
autoritärer Politikangebote im Inneren der einzelnen Nationalstaaten.
Ausschließung und Integration, europäische Harmonisierung
und Bedeutungszuwachs der Nationalstaaten sind damit Teile ein und
desselben Prozesses.
Nationalstaat
Unter
Nationalstaat verstehen wir zentralisierte und bürokratisierte
Herrschaftsapparate, die nach der Auflösung der ständisch-feudalen
europäischen Gesellschaftsordnung die konzentrierte Macht ("Gewaltmonopol")
über ein definiertes Territorium mit den darin lebenden Menschen
errungen haben.
Im
ethnisch-kulturellen Sinne "national" waren diese Staaten
höchstens dem Anspruch nach. In der Regel haben sich nicht
"Nationen" einen Staat gegeben, sondern die Inhaber staatlicher
Gewalt haben mit oft gewaltsamen Methoden "Nationalität"
als herrschaftlegitimierendes und stabilisierendes Mittel
erst geschaffen. Demnach drückt der Begriff "Nationalstaat"
vor allem ein Verhältnis gewaltsamer Ein- und Ausgrenzung herschaftsunterworfener
Bevölkerung aus. Am Ursprung der Nationalstaaten steht somit
nicht kulturelle Gemeinsamkeit und "Identität", sondern
Macht, Gewalt und Herrschaft. "Die Nation definiert sich über
ihre Geschichte, aber die Geschichte muss erst geschrieben werden."
(Luhmann)
Im
Zuge des Globalisierung bezeichneten Prozesses kommt es auch zu
einer grundlegenden Transformation des Nationalstaates, deren Eigenart
darin besteht, dass die vorhandenen institutionellen Strukturen
des liberaldemokratischen Repräsentativsystems weitgehend unberührt
bleiben. Diese Entwicklung ist kein automatischer oder quasi naturgesetzlich
notwendiger Prozess, sondern sie wird politisch durch die Regierungen
vorangetrieben.
Welcher
Staat transformiert sich?
Da
es nicht einen kapitalistischen Staat gibt, der sich historisch
durchgesetzt hat, setzt sich die o.g. Transformation vor allem in
den Staaten durch, in denen sich die als "Fordismus" bezeichnete
spezifische Akkumulations- und Regulationsweise durchgesetzt hatte,
also der Typus des "fordistischen" oder "keynesianistischen"
Staates in den Metropolen und ansatzweise auch in der Peripherie.
Merkmale
des fordistischen Staates sind:
- ein
relativ hoher Grad ökonomisch sozialer Staatsintervention
- eine
planmäßige Wachstums-, Einkommensverteilungs- und Beschäftigungspolitik
- allmählicher
Ausbau wohlfahrtsstaatlicher System
Seine
Basis war die Institutionalisierung umfassender Klassenkompromisse
durch Einbeziehung sozialdemokratischer Parteien und Gewerkschaften
in den politischen Regulierungsprozess.
Ökonomisches
Wachstum wurde vor allen Dingen durch die Entwicklung des inneren
Marktes erreicht, Grundlage hierfür war ein fordistisch-tayloristisches
Massenproduktions- und Massenkonsummodell.
Konzentration
auf die inneren Märkte bedeutete aber zugleich relative Abkoppelung
der nationalen Ökonomien vom Weltmarkt mittels einer politischen
Kontrolle des grenzüberschreitenden Geld- und Kapitalverkehrs.
Wieder
mal die Krise der 70er
Anfang
der 70er Jahre zeigte sich jedoch, dass sich die Kapitalprofite
im Rahmen der bestehenden tayloristischen Technologien und Arbeitsprozesse
nicht beliebig steigern ließen. Die wohlfahrtsstaatliche Regulationsweise
geriet mehr und mehr in Konflikt mit den Profitinteressen des Kapitals.
Der
sozialstaatlich-korporative "fordistische" Klassenkompromiss
wurde zu einem entscheidenden Hindernis für die Profitabiltät
des Kapitals. Dies bedeutete, dass die ökonomischen und gesellschaftlichen
Grundlagen des fordistischen Staates unterminiert werden mussten.
Instrumente dieser Politik waren vor allem eine umfassende Liberalisierung
nicht nur des Waren- und Dienstleistungsverkehrs- sondern vor allen
Dingen des Geld- und Kapitalverkehrs. Die Folge dieser Entwicklung
ist, dass der Inhalt und der Bewegungsspielraum der nationalstaatlichen
Politik direkter und unvermittelter von den internationalen Kapitalbewegungen
bestimmt wird.
Dafür
nur einige Beispiele:
- Wechselkurse
sind staatlich kaum noch zu kontrollieren und unterliegen im hohem
Maß spekulativen internationalen Kapitalbewegungen.
- Eine
eigenständige nationale Konjunktur- und Beschäftigungspolitik
mit Hilfe staatlicher Regulierung der Geldmenge und der Zinssätze
scheitert immer offensichtlicher an den Reaktionen der internationalen
Geld- und Finanzmärkte.
- Der
Versuch sozialstaatliche Sicherungssysteme auszubauen, scheitert
immer häufiger an den Drohungen des Kapitals mitsamt der
Produktionsstandorte abzuwandern.
Die
unmittelbare Folge ist ein absolutes Primat der "Standortpolitik"
und die Entwicklung des "nationalen Wettbewerbstaates"
(Hirsch).
Der
nationale Wettbewerbsstaat
Der
Begriff beschreibt einen Staat, dessen innere Struktur und dessen
Politik entscheidend von den Zwängen der internationalen Standortkonkurrenz
bestimmt wird. Ihn kennzeichnen vor allem zwei Merkmale:
- In
funktionaler Hinsicht hört der Staat auf, die nationale Ökonomie
auf der Basis administrativ organisierter Klassenkompromisse zu
regulieren. Sein vorrangiges Ziel ist nun vielmehr die Optimierung
der Kapitalverwertungsbedingungen auf nationaler Ebene in Bezug
auf den "globalisierten" Akkumulationsprozess in fortwährender
Konkurrenz mit anderen nationalen "Standorten". Dies
geschieht ohne Rücksicht auf einen internen sozialen und
politischen Interessensausgleich, materielle Wohlfahrt oder die
Anforderung einer gleichgewichtigen Entwicklung der sozialen Räume
und Sektoren. Wirtschaftliches Wachstum ist keinesfalls mehr mit
zunehmenden Massenwohlstand verbunden, sondern führt zur
Verarmung breiter Schichten der Bevölkerung. Staatliche Wirtschaftspolitik
im Sinne von "Standortpolitik" erweist sich somit als
Umverteilungspolitik zugunsten des Kapitals.
- Strukturell
vollzieht sich damit eine Entdemokratisierung innerhalb des institutionellen
Rahmens der liberalen Demokratien. D.h. grundlegende politische
Entscheidungen werden von demokratischen Willensbildungsprozessen
und den sich darin ausdrückenden Interessen der Bevölkerung
abgekoppelt. Staatliche Politik unterwirft sich immer mehr den
"Sachzwängen" des Weltmarktes
Der
nationale Wettbewerbsstaat stellt somit eine historisch neue Form
des autoritären Staates dar.
Er
ist, entgegen der Theorie vom "schwachen Staat", ein durchaus
starker, ökonomisch und sozial in erheblichem Umfang intervenierender
Staat. Dies wird nicht zuletzt daran deutlich, dass sich der Abbau
des Sozialstaates mit einem äußerst zügigen Ausbau
des Polizei- und Überwachungsstaates verbindet.
Nationale
Grenzen werden zwar innerhalb der kapitalistischen Zentren teilweise
durchlässiger, verwandeln sich aber gegenüber der Peripherie
in militärisch immer perfekter kontrollierte Festungswälle.
Und die staatlichen Militärpotentiale werden angesichts des
Ende des Kalten Krieges keineswegs vermindert, sondern zu technologisch
hochgerüsteten Instrumenten der globalen "Krisenintervention"
umgebaut.
>>
teil 2
Literaturverweise
- Altvater,
Elmar/Mahnkopf, Brigitte: Grenzen der Globalisierung. Münster:
Westfälisches Dampfboot, 1996.
- Gruppe
venceremos: Die Bretter, die die Welt bedeuten. Die Rolle des
Nationalstaates im deregulierten Weltkapitalismus. In: Jungle
World, 10.11.1999.
- Hirsch,
Joachim: Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat. Demokratie und
Politik im globalen Kapitalismus. Berlin/Amsterdam: Edition ID-Archiv,
1995.
- Hirsch,
Joachim: Krise als Chance. Ein Plädoyer für einen radikalen
Reformismus. In: Jungle World, 16.2.2000.
- Hirsch,
Joachim: Der Imperialismus ist umgezogen. Über die Zukunft
des Anti-Imperialismus in den Zeiten der Globalisierung. In. Jungle
World, 7.3.2001.
- Jessop,
Bob: Die Zukunft des Nationalstaates: Erosion oder Reorganisation?
In: Studien der Forschungsgruppe Europäische Gemeinschaften
(Hg.): Europäische Integration und politische Regulierung
Aspekte, Dimensionen, Perspektiven. Marburg, 1995.
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