18. März: Tag der Politischen Gefangenen
1922 wurde auf dem IV. Weltkongress der kommunistischen Internationale die Internationale Rote Hilfe (IRH) gegründet und u. a. die Durchführung eines internationalen Tages der politischen Gefangenen beschlossen, der am 18. März 1923 erstmals ausgerufen werden konnte. Mit diesem Tag sollte vor allem das Bewusstsein und die Solidarität für die Lage der politischen Gefangenen weltweit erzeugt und verankert werden und auf diese Weise auch praktisch zum Ausdruck kommen.
1933 wurde dieser Tag von den Nationalsozialisten verboten.
Seit 1996 wird der 18. März als Tag der Solidarität mit den Gefangenen propagiert, an dem durch vielfältige Aktivitäten die Öffentlichkeit auf staatliche Unterdrückung und Repression aufmerksam gemacht wird.
Zu diesem Tag erklärt AZADI:
Kurdische Bewegung soll rechtlos bleiben
Nahezu ohne Kenntnisnahme durch die Bevölkerung und Parteinahme durch die Linke verbüßen immer noch kurdische Aktivist(inn)en in den deutschen Gefängnissen jahrelange Haftstrafen.
In den in der Regel durch Oberlandesgerichte gegen sie gefällten Urteilen werden ihnen seit Anfang 1998, der Neueinstufung der PKK durch die Strafverfolgungsbehörden, fast ausnahmslos Verstöße gegen den Paragraphen 129 (Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung) zur Last gelegt. In der Presse wird über die Verfahren meist nur kurz, an untergeordneter Stelle und unter Verwendung der stereotypen staatsanwaltschaftlichen Presseerklärungen, d.h. aus der Sicht der Bundesanwaltschaft, berichtet.
Wenn es die Absicht des Bundesinnenministers war, die kurdische demokratische Bewegung mit Hilfe des Paragraphen 129 im Bewusstsein der Öffentlichkeit auf die Stufe eines Drogenkartells oder Menschenhändlerringes zu stellen, dann scheint dieses Kalkül aufgegangen zu sein.
Auch die Verfolgungsmethoden gegen Organisationen und Aktivist(inn)en der kurdischen Demokratiebewegung gleichen immer mehr denen, die sonst nur gegen Drogen- und Menschenhändlerringe angewandt werden: eine umfassende Telefonüberwachung sowie immer neue Versuche, Spitzel, Provokateure und Kronzeugen anzuwerben, gehören zur Normalität.
Die gängigsten Strafvorwürfe gegen kurdische Politiker sind die „Erpressung von Spendengeldern“, die „Verfälschung von Personaldokumenten zur illegalen Schleusung von Personen“ und vor allem die „Ausübung einer innerorganisatorischen Strafjustiz“.
Dabei gestattet der § 129 die Bestrafung allein wegen der Zugehörigkeit zu einer als kriminell bezeichneten Organisation, auch wenn konkrete Tatvorwürfe nicht erhoben werden. Von dieser Möglichkeit wird durch die Oberlandesgerichte noch heute extensiv Gebrauch gemacht.
Dazu kommt der im allgemeinen nicht mit dem § 129 begründete, doch z.T. mit hohen Haftstrafen geahndete Tatbestand des „Landfriedensbruches“ als Reaktion auf die Entführung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan vor fünf Jahren.
Nicht mit Strafhaft, sondern in der Regel mit empfindlichen Geldstrafen wird die Beteiligung an der im Mai 2001 begonnenen „Identitätskampagne“ zur Solidarisierung mit der in Deutschland verbotenen PKK geahndet, besonders die Veranstaltung von Unterschriftenaktionen und die Übergabe der Unterschriftenlisten. Obwohl der Protest gegen das PKK-Verbot nach Auffassung des Bundesgerichtshofes im Rahmen des Rechtes auf freie Meinungsäußerung gesehen werden muss, wird die Identitätskampagne, an der sich in Deutschland über 40.000 Menschen beteiligten, als "PKK-gesteuert" verfolgt.
Immer häufiger wird haftentlassenen Aktivist(inn)en und ihren Familien der Asyl- oder Aufenthaltsstatus entzogen und sie werden, Verfolgung und Folter bewusst in Kauf nehmend, in die Türkei abgeschoben. Langjährig in Deutschland ansässigen Kurdinnen und Kurden wird - als Strafe für ihre Teilnahme an der Bekenntniskampagne - die Einbürgerung erschwert oder verweigert.
Beispiel: Die Haftzeit von Sabahattin Bekirogullari wurde vorzeitig beendet, um ihn am 5. März 2004 vom Frankfurter Flughafen nach Istanbul abschieben zu können. Als nächstes ist zu befürchten, dass auch seine Ehefrau und die fünf Kindern abgeschoben werden. Sabahattin Bekirogullari war im August 2000 vom Landgericht Frankfurt/M. wegen der Teilnahme an der Besetzung des kenianischen Fremdenverkehrsbüros in Frankfurt/M. im Februar 1999 aus Protest gegen die Verschleppung von Abdullah Öcalan zu 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Das Gericht hatte ihm vorgeworfen, als Mitglied der verbotenen PKK gehandelt zu haben. Seit dem 16. Juli 2001 bis zu seiner Abschiebung befand sich der Kurde in der JVA Butzbach. Seit der Flucht der Familie nach Deutschland im Jahre 1997 erschien die Polizei regelmäßig bei den Familienangehörigen von Frau Bekirogullari in der Türkei und erkundigte sich nach dem Verbleib des Schwiegersohnes.
Sabahattin Bekirogullari wurde nach seiner Ankunft auf dem Istanbuler Flughafen festgenommen, zwei Tage lang verhört. Wenig später erschien die Polizei bei Verwandten und durchsuchten deren Wohnung. Sein derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt.
Über die Haftstrafen hinaus sind hohe Gerichtskosten eine schwere Belastung für die verurteilten Aktivist(inn)en und ihre Familien. Zusätzlich müssen die wegen Landfriedensbruchs Verurteilten häufig auch noch für die Kosten des Polizeieinsatzes bzw. für Telefonüberwachungsmaßnahmen (TÜ) aufkommen. In einem Fall hatte die Staatsanwaltschaft einem Kurden Verfahrenskosten in einer Höhe von über 78.000,-- € auferlegt, wogegen dessen Verteidiger erfolgreich Beschwerde eingelegt hatte. In einem anderen Verfahren, in das mehrere Kurden involviert waren, stellte die Staatsanwaltschaft einem Betroffenen die unglaubliche Summe von über 390.000,-- DM in Rechnung, wovon alleine für TÜ und entsprechende Übersetzungskosten 306.816,43 DM verlangt wurden. Auch hiergegen wurden juristische Schritte unternommen.
Bekanntlich existiert die PKK nicht mehr. Der neue Volkskongress (Kongra-Gel), der sich der Demokratisierung der kurdischen und türkischen Gesellschaft wie auch seiner eigenen Organisationsstrukturen verschrieben hat, wird von den deutschen Strafverfolgungsbehörden bislang nicht verfolgt, obwohl er auf Betreiben der türkischen Regierung am 13. Januar 2004 durch das US-State Department auf die „Liste ausländischer Terroristenorganisationen“ gesetzt und durch Bundesinnenminister Schily unbesehen als - selbstverständlich illegale - Nachfolgeorganisation der PKK eingestuft wurde.
Auf diese Weise bleibt der rechtlose Status der kurdischen Bewegung auch in Deutschland erhalten, lässt sich die Repression je nach Bedarf - vor allem in Wahlkampfzeiten - und außenpolitischer Konstellation (vor allem gegenüber der Türkei und den USA) verstärken oder abschwächen, obwohl die Gerichte solchen Politikwechseln nicht immer mit der gewünschten Schnelligkeit folgen können und man auch im Bundeskriminalamt lieber die gegen die Kurden aufgebauten Overkill-Kapazitäten pflegt.
Offenbar sollen die kurdischen Gefangenen und die Not ihrer Familien, vornehmlich zur „Generalprävention“, als abschreckendes Beispiel auf die Bewegung und die kurdische Bevölkerung, also als Geiseln und Manövriermasse dienen. Gleichzeitig ist ihre Existenz immer auch ein Signal an die Türkei, außenpolitisches Kapital im Ringen um deren Aufnahme in die Europäische Union.
Doch geht diese Wunschvorstellung an der Realität der kurdischen Bewegung und ihrer Psychologie vorbei. Es zeugt von der Kurzsichtigkeit der deutschen Innenpolitiker (auch von der Vergesslichkeit des ehemals linken Otto Schily), wenn sie wie ihre nordamerikanischen Partner glauben, durch Repression Demokratisierung erreichen zu können. Ein Blick nach Palästina oder auf den Irak sollte für die Einsicht genügen, dass Repression, Not und Existenzangst als bewusst und rachsüchtig eingesetzte Mittel sowie die gezielte Zerstörung der Organisationsstruktur einer emanzipativen Bewegung möglicherweise einen gegenteiligen Effekt haben können.
Die Demokratisierung der kurdischen Gesellschaft und ihrer Bewegung geschieht aus sich selbst heraus und ist tief in dieser verwurzelt. Nicht einmal die noch immer grausame Unterdrückungspolitik des türkischen Staates kann sie aufhalten oder gar verhindern. Sie hat eine eigene Dynamik und folgt eigenen Zielen, die nicht immer ins Konzept deutscher Interessenspolitik passen oder ihr gar untergeordnet werden können.
Wenn Mehmet Demir und Ayten Kaplan, die Vorsitzenden der Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland (YEK-KOM), in ihrem Bemühen, die Demokratisierung der Vereine und ihrer Mitglieder voranzubringen, einer fadenscheinigen Verbotsklage ausgesetzt werden, dann liegt es nahe, darin einen Versuch zu sehen, die Organisationsfreiheit des kurdischen Bevölkerungsteils einzuschränken.
Auch die seit Monaten in einem Verfahren vor dem Landgericht Koblenz unternommenen Versuche, den Kurdischen Roten Halbmond (Heyva Sor a Kurdistanê) zu kriminalisieren mit dem Ziel, seine Arbeit zu zerstören und ein Verbot dieser humanitären und als gemeinnützig anerkannten Hilfsorganisation zu erreichen, fügt sich in diese Staatslogik ein.
Und wenn das Tragen und Rufen von Losungen für den kurdischen Volkskongress (Kongra Gel) mit Anklagen wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz geahndet wird, fällt es tatsächlich schwer, dies nicht als ein Ignorieren und eine Bestrafung der Demokratisierungsbestrebungen zu interpretieren.
Wenn kurdische Politikerinnen und Politiker heute noch wegen fünf bis acht Jahre zurückliegender und aus einer besonderen Repression zu erklärender Organisationsdelikte zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden, so fällt es schwer, darin nicht den Versuch zu sehen, die Organisationen der kurdischen Demokratiebewegung zu zerschlagen.
Eine solche Politik zielt darauf ab, Kurdinnen und Kurden zum Schweigen zu bringen und zu verhindern, dass ihre Anliegen – wie derzeit Proteste gegen die seit 5 Jahren anhaltende Isolationshaft von Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali – öffentliche Aufmerksamkeit finden. Am 13. Februar 2004, zwei Tage vor dem 5. Jahrestag der völkerrechtswidrigen Verschleppung des damaligen PKK-Vorsitzenden, hat Frankreich den kurdischen Fernsehsender Medya-TV schließen lassen.
Die Aufhebung des PKK-Verbots, ein Ende der Kriminalisierung sowie eine freie und legale politische Betätigung von Kurdinnen und Kurden sind nach wie vor Forderungen, die eine linke und demokratische Öffentlichkeit unterstützen sollte.
AZADI e.V.