14.Oktober 2004
„Entfernung“ von Metin Kaplan Präzedenzfall
Auch kurdische Politiker massiv von Abschiebung bedroht
In cäsarischer Manier und mit schneidender Stimme verkündete
Bundesinnenminister Otto Schily die am Dienstagabend „erfolgreich
abgeschlossene“ Abschiebung des Islamisten Metin Kaplan in die Türkei,
die als ein „gutes Zeichen für die wehrhafte Demokratie“ zu werten sei.
Kaplans Anwältin, Ingeborg Naumann, hingegen bezeichnet die Abschiebung
als ein „halbillegales Vorgehen“, das ihrer Meinung nach seit längerem „abgesprochen und vorbereitet“ worden sei. Dadurch habe sich der
Rechtsstaat zur „Bananenrepublik“ degradiert.
Es muss befürchtet werden, dass der „Fall Kaplan“ das Einfallstor ist
für weitere Ausweisungen von politisch Verfolgten in die Türkei. Der
Druck des Bundesinnenministeriums auf das Bundesamt für Migration,
Abschiebehindernisse wie drohende Folter nicht mehr anzuerkennen, wird
zunehmen. Die Regelungen im ab Januar 2005 in Kraft tretenden
Zuwanderungsgesetz geben den Behörden weitreichende Befugnisse.
Politische Aktivist(inn)en werden künftig unter einen allgemeinen
Terrorismusverdacht gestellt und der Kategorie der „unerwünschten“ Ausländer/innen zugeordnet, denen der Staat „klare Kante“ (Schily)
zeigen will.
Erfahrungen mit dieser staatlichen Gesinnung machen alle Kurdinnen und
Kurden, die wegen ihrer politischen Betätigung zu Haftstrafen verurteilt
worden sind. Ihnen wird in der Regel die Asylberechtigung widerrufen,
vor oder nach einer Haftentlassung die Wiederausstellung von Reisepässen
versagt und mit einer Ausweisung gedroht.
Erst im März diesen Jahres ist Sabahattin Bekirogullari nach Verbüßung
der Hälfte seiner Strafe direkt aus dem Gefängnis in die Türkei
abgeschoben, dort festgenommen und bei der Anti-Terror-Abteilung verhört
worden. Der Kurde hatte sich aus Protest gegen die Verschleppung des
damaligen PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan im Februar 1999 an der
Besetzung des kenianischen Fremdenverkehrsbüros in Frankfurt/M.
beteiligt. Hierfür war er vom Landgericht Frankfurt zu einer
Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. Die
türkischen Behörden waren aufgrund des Informationsaustausches in
Strafsachen vom politischen Hintergrund des Abgeschobenen informiert.
Bereits Monate zuvor wurden in der Türkei lebende Familienangehörige von
Sabahattin Bekirogullari von Polizeikräften drangsaliert und bedroht.
Die Bundesregierung glaubt, sich mit der „Entsorgung“ von Menschen aus
der Verantwortung für die Folgen einer verfehlten Politik stehlen zu
können. Doch politische Probleme brauchen politische Lösungen. Weder
angekündigte Panzerlieferungen in die Türkei noch „Hasspredigten“ gegen
Personen, „deren umgehende Entfernung aus dem Bundesgebiet zwingend
geboten ist“, wie die Richter des Kölner Verwaltungsgericht ihre
Entscheidung begründeten, tragen dazu bei.