25. November 2014
21 Jahre PKK-VerboT :
Perspektivwechsel jetzt !
Vor dem Hintergrund der Verteidigung von Kobanê/Rojava durch die Kräfte der YPG/YPJ gegen die Terrormiliz IS und der Auseinandersetzungen um die Lieferung deutscher Waffen an die Peschmerga der kurdischen Autonomieregierung im Nordirak, hat die Diskussion um eine Neubewertung der PKK an Dynamik gewonnen. Bis hinein in bürgerliche Medien und Parteikreise wird zunehmend die Haltung der Bundesregierung in Frage gestellt, einerseits aus außenpolitischen Erwägungen ihr genehme Kurden mit Waffen auszustatten, andererseits aus ebensolcher Motivation seit 21 Jahren am PKK-Betätigungsverbot und der Stigmatisierung der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland festzuhalten.
So haben sich in den vergangenen Monaten unterschiedliche Organisationen, Initiativen und Persönlichkeiten an die Öffentlichkeit gewandt mit der Forderung, die Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden zu beenden, das PKK-Verbot aufzuheben, die PKK von der EU-Terrorliste zu streichen und nicht zuletzt das demokratische Selbstverwaltungsprojekt Rojava in Nordsyrien zu unterstützen.
Seit Anfang 2013 hat auch die türkische Regierung die PKK de facto als politische Kraft im Mittleren Osten anerkannt, indem sie offizielle Verhandlungen mit dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan über eine friedliche Lösung des jahrzehntelangen Konflikts führt. Auch wenn dieser Dialogprozess aufgrund der Situation in Syrien zur Zeit fragil ist, blieben größere militärische Auseinandersetzungen zwischen Armee und Guerilla in der Türkei aus.
Waren die Strafverfolgungsbehörden bei den unzähligen Solidaritätsdemonstrationen, Protesten und Kundgebungen, die in den vergangenen Monaten bundesweit stattfanden, noch zurückhaltend, zieht die Repressionsschraube wieder an. Je mehr die Kämpfe um Kobanê aus den medialen Schlagzeilen geraten, umso häufiger geraten Protestierende wieder ins Visier der Polizei, wenn sie verbotene Fahnen – z.B. mit dem Bild von Abdullah Öcalan – zeigen oder inkriminierte Parolen rufen. Das führt zumeist zu vorübergehenden Festnahmen, erkennungsdienstlichen Behandlungen und zur Einleitung von Ermittlungsverfahren nach dem Vereinsgesetz. Das musste auch die Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Nicole Gohlke, kürzlich erfahren. Der Immunitätsausschuss des Bundestages hob ihre Immunität auf, um strafrechtlich gegen sie ermitteln zu können. Sie hatte bei einer Kundgebung in ihrem Redebeitrag auf die Notwendigkeit der Aufhebung des PKK-Verbotes hingewiesen und dabei die Organisationsfahne entrollt.
Von den Entwicklungen im Mittleren Osten unbeeindruckt, ließ die Bundesanwaltschaft am
29. August in Bremen den kurdischen Aktivisten Mehmet D. verhaften. Er wird beschuldigt, sich seit Anfang 2013 in Deutschland als Mitglied an einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB) beteiligt zu haben. Seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Oktober 2010, den vor zwölf Jahren eingeführten § 129b auch auf die PKK auszudehnen, sind inzwischen fünf kurdische Aktivisten zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden.
Als Folge der Verbotspolitik sind auch die zahlreichen besonders von bayerischen und baden-württembergischen Ausländerbehörden verfügten Ausweisungsverfügungen zu nennen. Betroffen hiervon sind Kurdinnen und Kurden, die sich in kurdischen Vereinen für ihre legitimen kulturell-politischen Anliegen einsetzen, die Veranstaltungen und Demonstrationen organisieren oder sich lediglich daran beteiligen. Diese Aktivitäten werden als „terroristische“ Unterstützungshandlungen diskreditiert und die Betroffenen zu „Gefährdern“ der inneren Sicherheit stigmatisiert, die es laut einem Bescheid gilt, aus dem Bundesgebiet zu „entfernen“. Mit gleichen Begründungen werden Einbürgerungen verweigert, Asylanerkennungen widerrufen oder wie in einem uns aktuell bekanntgewordenen Fall, die Staatsangehörigkeit wieder aberkannt, die der betroffene Kurde erst vor fünf Jahren erhalten hatte.
Wir fordern die politischen Entscheidungsträger*innen, die sich in den letzten Monaten für eine Neubewertung der PKK ausgesprochen haben, auf, der grundlegend veränderten Situation im Mittleren Osten endlich Rechnung zu tragen und ihren Worten Taten folgen zu lassen. Ein erster Anlass dazu wäre die wahrscheinlich Anfang nächsten Jahres auf Antrag der Linkspartei stattfindende Bundestagsdebatte über die Aufhebung des PKK-Verbots. Wir hoffen, dass die zahlreichen Initiativen zur Aufhebung des Verbots, die sich dieses Jahr gebildet haben, 2015 noch an Kraft gewinnen. Eine Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland und die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste sind die überfälligen Konsequenzen aus der aktuellen außenpolitischen Entwicklung und auch innenpolitisch dringend notwendig, damit die in Deutschland lebenden Kurd*innen endlich ihre demokratischen Rechte ohne Angst vor staatlicher Repression wahrnehmen können.
AZADÎ e.V.
Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden
in Deutschland, Köln
25. November 2015