20. November 2016
Im §129b-Strafverfahren
gegen Ahmet Çelik:
Verteidigung beantragt RÜcknahme der VerfolgungsermÄchtigung gegen PKK
Seit dem 12. Mai 2016 findet vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf ein Strafverfahren gegen den kurdischen Politiker Ahmet Çelik statt. Ihm wirft die Anklage vor, sich als Sektorleiter von Juni 2013 bis Juli 2014 u.a. in Düsseldorf und Köln für die PKK betätigt zu haben.
Im Oktober 2010 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, den §129b StGB auch auf die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) anzuwenden. Weil es sich bei der PKK aus Sicht der Behörden um eine „terroristische“ Vereinigung außerhalb der EU handelt, ist das Vorliegen einer Ermächtigung zur Strafverfolgung von exilpolitisch aktiven Kurdinnen und Kurden in Deutschland durch das Bundesjustizministerium erforderlich. Während es zu Beginn mehrere Einzelermächtigungen gab, hat das BMJV am 6. September 2011 eine generelle Verfolgungsermächtigung erteilt, die den Personenkreis mutmaßlicher Leiter von PKK-Sektoren oder –Gebieten umfasst. Diese Entscheidung hat das Ministerium in Absprache mit dem Innen- und Außenressort sowie dem Bundeskanzleramt getroffen und macht damit den politischen Charakter dieser Maßnahme deutlich. Die Verfolgungsermächtigung erhält keine Begründung.
Am 22. September 2016 haben der Berliner Rechtsanwalt Lukas Theune und weitere Kolleg*innen im Auftrag ihres Mandanten die Rücknahme der Verfolgungsermächtigung gegen Mitglieder der PKK beim Bundesjustizministerium beantragt. Diese Initiative wurde mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass an der Strafverfolgung festgehalten werde und eine Begründung für die Ablehnung der Rücknahme „nicht vorgesehen“ sei.
Nunmehr hat Lukas Theune am 17. November 2016 beim Kammergericht Berlin eine gerichtliche Entscheidung beantragt, wonach das Bundesjustizministerium dazu verpflichtet werden soll, die politisch motivierte und mit erheblichen Grundrechtseingriffen verbundene Verfolgungsermächtigung zurückzunehmen.
Das Ministerium müsse seine Entscheidung überprüfen, wenn es seit 2011 wesentliche Änderungen in der Sachlage gebe und – wie im Verfahren gegen Ahmet Çelik - die Voraussetzungen einer Verfolgungsermächtigung nicht mehr vorliegen. Dies treffe insbesondere auf den Tatzeitraum Juni 2013 bis Juli 2014 zu.
In der rund 80 Seiten umfassenden Begründung werden die historischen Hintergründe des türkisch-kurdischen Konflikts dargestellt, die Phase des Friedensprozesses und seiner Aufkündigung durch den türkischen Präsidenten, die Entwicklungen nach den Wahlen vom vergangenen Jahr, die logistische und militärische Unterstützung des sog Islamischen Staates durch die türkische Regierung, der gescheiterte Putsch und Erdoǧans Gegenputsch, der Einsatz des türkischen Militärs gegen die syrischen Kurd*innen sowie die Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen insbesondere in den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei.
Einen Rechtsstaat gebe es in dem NATO-Mitgliedsland seit dem 15. Juli 2016 „nicht einmal mehr als potemkinsches Dorf“. Ihr „wahres diktatorisches Gesicht“ habe das Regime in den vergangenen Monaten gezeigt und damit „die Begründetheit“ des Antrags bestätigt.
Die Türkei jedenfalls stelle unter den gegebenen Umständen kein taugliches Schutzgut des §129b StGB dar. Vielmehr würde die strafrechtliche Terrorismusbekämpfung dazu missbraucht, Regime zu schützen, die selbst rechtsstaatliche Mindestanforderungen nicht erfüllten und sich über Garantien der Menschenrechtskonvention hinwegsetzten. Dadurch werde gewaltsamer Widerstand zur Erlangung oder Wiederherstellung von völker- und menschenrechtlichen Standards geradezu herausgefordert
Im Gegensatz zur Bundesregierung und den Strafverfolgungsbehörden ist die Verteidigung der Auffassung, dass sich die kurdische Bewegung für Demokratie auf der „Basis der Geltung von Menschenrechten und der Achtung der Würde aller Menschen“ einsetze, „gegen eine AKP-Regierung, die unbeirrbar auf ihrem Weg in die Diktatur“ voranschreite.
Das Bundesjustizministerium dürfe sich bei der Frage, ob es eine Verfolgungsermächtigung erteilt, nicht an außenpolitischen Opportunitätserwägungen orientieren und dabei hinnehmen, „dass die Würde der Menschen insbesondere im Südosten der Türkei“ missachtet werde. Nicht zuletzt sollte die jüngste unmissverständliche Kritik des UN-Sonderberichterstatters, David Kaye, am Vorgehen der türkischen Regierung, bei einer Neubewertung berücksichtigt werden. Nach Rückkehr von einem einwöchigen Besuch bezeichnete er die Lage in der Türkei als katastrophal und die Maßnahmen unter dem Ausnahmezustand als drastisch und unverhältnismäßig.
AZADÎ e.V., Rechtshilfefonds
für Kurdinnen und Kurden in Deutschland