Gegen Überwachungsgesellschaft und Sicherheitswahn
In der diesjährigen Sommerdebatte der bürgerlichen "AntifaschistInnen", wie mit den baseballkeulenschwingenden Kindern der deutschen RassistInnen umzugehen ist, einigte man sich wieder einmal auf das Einfordern von (nicht nur staatlicher) Repression gegen "Gewalttäter und Extremisten". Anstatt den rassistischen Konsens als Grundlage des Handelns von Hitlers Enkeln anzuerkennen, werden die gesellschaftlichen Ursachen ausgeblendet und statt dessen alle Mittel der Überwachungsgesellschaft eingefordert, um sich des standortschädigenden Problems zu entledigen.
Die Neonazis taugen dabei als Feindbild (wie es "kriminelle Ausländer" bisher ebenso taten und auch weiter tun werden), um ohne größeren Widerspruch nach schärferen Gesetzen, konsequenterer Überwachung und härterem Vorgehen schreien zu können. Das wahnhafte Verlangen nach mehr Sicherheit ist heute ebenso ein Allgemeingut wie der Arbeitswahn oder der rassistische Konsens. Täglich ist die "innere Sicherheit" in Gefahr und muß mit immer schärferen Maßnahmen gegen "kriminelle Ausländer", "Drogendealer", "gewaltbereite Jugendliche", "Penner", "aggressive Skater", "Schmierfinken", zur Zeit eben auch "Rechtsextreme" und andere Ganoven verteidigt werden. Das wenig originelle, da schon seit den 80-er Jahren in den USA praktizierte, Motto lautet dabei: Null Toleranz.
Doch wie kommt es, daß ehemals liberale Menschen (als bestes Beispiel sei hier nur der RAF-Anwalt Schily genannt) heute Forderungen nach Einschränkungen von Grundrechten erheben, die sie doch früher so gerne gegen den Polizeistaat verteidigt haben? Warum bildet sich eine umfassende Koalition aus Bevölkerung, Medien, politischen Organisationen, staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen? Entwickelt sich die Bundesrepublik zu einem Polizeistaat oder ist durch die Aufrüstung privater Sicherheitsdienste und die Militarisierung öffentlicher Plätze nicht sogar die Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols zu beobachten?
Um es vorweg zu nehmen: Wir sind nicht der Ansicht, daß Orwells Vision eines großen Bruders droht, sondern das eine Überwachungsgesellschaft Wirklichkeit wird, die die Ziele des Überwachungsstaates als Nebenerzeugnis verwirklicht. LadenbesitzerInnen filmen KassiererInnen und KundInnen, ArbeitgeberInnen beobachten ihre Angestellten, AdresshändlerInnen fotografieren jedes Haus in den Großstädten und speichern KonsumentInneninformationen, hunderttausende Kameras blicken auf Bahnhöfe, in Straßenbahnen und Supermärkte, auf Tankstellen, Büros, in Wohnzimmer und auf öffentliche Plätze. Weit mehr noch als das Machtstreben sorgt das Gewinnstreben dafür, daß aus der Privatsphäre und öffentlichen Räumen ein Objekt der Begierde für große Augen und Ohren wird. Doch auch mit rassistischen "Argumentationen" läßt es sich leicht punkten. Der Sicherheitswahn ist überall in der Gesellschaft anzutreffen, über diesen Diskurs wird das Gemeinschaftsgefühl gefestigt und sich von "äußeren" Feinden abgegrenzt.
Während zuerst MigrantInnen und Obdachlose Opfer von permanenter Überwachung, Aufrüstung von Polizei und neighbourhood communities sowie Einschränkung ehemals formal verbriefter Grundrechte sind, bleiben auch politische Gruppen nicht von den Gesetzesverschärfungen (Einschränkung des Demonstrationsrechtes, schärfere Polizeigesetze, umfassendere Überwachung, verdachtsunabhängige Kontrollen, Schnellverfahren, Vorbeugegewahrsam etc.) und der Militarisierung verschont. Die diesjährige Debatte um die Nazis zeigt, wie schnell sich die Überwachungsgesellschaft auch gegen uns richten kann. Politische Handlungsmöglichkeiten werden hingegen jetzt schon sukzessive eingeschränkt. Dadurch erscheint das Bestehen auf demokratischen Grundrechten oft bereits als linksradikale Forderung. Immer öfter ist es die Linke, welche die bundesrepublikanische Geschäftsgrundlage verteidigt, wodurch grundsätzliche linke Inhalte meist in den Hintergrund treten. Um mit unseren Zielen und Anliegen wahrnehmbar zu bleiben, müssen wir zuerst die Möglichkeiten politischer Intervention aufrecht erhalten, aber gleichzeitig unsere grundsätzliche Opposition deutlich machen. Daher auch unser Motto: "Save the Resistance!"
In diesem Reader versuchen wir, einige Teilbereiche des Sicherheits- und Überwachungsdiskurses genauer zu analysieren. Dadurch erhoffen wir uns einen Diskussionsprozess und Antworten auf die Frage, die die AA/BO in ihrem Vorwort zu der Broschüre "Entsichert - der Polizeistaat lädt nach ..." treffend stellte: "Für wen, gegen wen?" Ein Anfang wäre schon gemacht, wenn sich von alten linken Vorstellungen verabschiedet würde, die sich nur auf den Staat konzentrieren. In der Überwachungsgesellschaft treffen sich ökonomische, institutionalisierte und ideologisierte Herrschaft. Die Macht, die sich mit der schon verwirklichten und der potentiell möglichen Kontrolle jeder menschlichen Regung verbindet, hat nicht nur eine Adresse. Es gibt nicht nur einen Hauptschuldigen, der sich für die gegenwärtige Entwicklung ausmachen lässt. Und einen solchen braucht es auch überhaupt nicht, um mit politischem Widerstand beginnen zu können. Die lokalisierten Orte von Macht und Herrschaft bieten genügend Zielfläche, um dagegen anzugehen. Sei es der Widerstand gegen die Residenzpflicht von MigrantInnen oder eine Antirepressionskampagne, die den Staat nicht verklärt. Seien es Aktionen gegen Bürgerinitiativen für mehr Sicherheit und Ordnung oder gegen die Privatisierung öffentlicher Räume. Wenn sich die politische Praxis die gesellschaftlichen Verhältnisse bewußt macht, diese thematisiert und sich nicht nur gegen ein einzelnes Phänomen richtet, gibt es eigentlich keinen Grund, mit ihr zu warten. In diesem Sinne unser vorangestelltes Motto: "Es ist nie falsch das Richtige zu tun".
Beteiligt euch an der Kampagne gegen die Überwachungsgesellschaft und den Sicherheitswahn, kommt zur Demonstration am 14.10.2000 nach Leipzig!
Kooperation vom Bündnis gegen Rechts Leipzig (BgR) und dem Antifaschistischen Frauenblock Leipzig (AFBL) Leipzig, 01.09.2000
|