Leicht
überarbeitete Fassung des Referats vom 20. August 2003 im
Conne Island (Mobilisierungsveranstaltung für die
BGR-Demonstration “Kein Frieden mit Deutschland. Gegen
Geschichtsrevisionismus, Antiamerikanismus und
deutsch-europäische Großmachtambitionen” am 01. September
2003 in Leipzig). Teil 1.
Vorab I
“Der bekannte Spruch aus den
Vierzigern besagt, dass der Zweck der NATO darin bestand,
die Amerikaner drinnen, die Russen draußen und die Deutschen
unten zu halten. Es liegt in der Natur der heutigen
Verhältnisse, dass der letzte Zweck weiterlebt, sofern man
‚Deutschland‘ mit ‚Europäischer Union‘ übersetzt ... Die
derzeitigen Unstimmigkeiten über die neue Auftragsdefinition
der Nato sind der unausgesprochene und erstaunlich diskret
behandelte Ausdruck dieser neuen Konkurrenzbeziehung
zwischen Westeuropa und den USA” (US-Journalist William
Pfaff, 23.02.1999)
Vorab II
Im folgenden
geht es um die deutsche Europapolitik. Bewußt ausgeblendet
bleibt dabei die Motivation anderer europäischer Staaten,
sich für das Projekt Europa zu engagieren. Diese ist den
deutschen Interessen teils konträr – so die Vorstellung,
Deutschland innerhalb von Europa außenpolitisch zähmen zu
können –, teils gleichläufig, z.B. was die Schaffung eines
gemeinsamen Wirtschaftsraumes betrifft. Aus unserer
Perspektive ist dies allerdings irrelevant, da wir
einerseits als antideutsche Gruppen gegen deutsche
Großmachtambitionen agieren, andererseits Deutschland
inzwischen zu der dominanten Macht in der EU geworden ist,
so dass sich deutsche und europäische Interessen – im
Gegensatz zur Situation in anderen europäischen Ländern –
kaum noch unterscheiden lassen.
II Thesen
In der Leipziger Zeitschrift
CEE IEH-Newsflyer erschien im Februar 2003 ein Text
eines sich antideutsch dünkenden Autors, der sich gegen
einen Artikel
der bundesweiten Zeitschrift Phase 2 richtete. Der Text in
der Phase 2.06 beschäftigte sich mit der politischen und
ökonomischen Durchdringung Osteuropas durch Deutschland. Die
Zusammenfassung dieses Artikels las sich dann im CEE IEH
folgendermaßen: “Deutschland ist böse, wirtschaftliche
Interessen sind böse – fertig ist der linksradikale
Eintopf.” Verhöhnt wurden angeblich geschichtsblinde
Beschreibungen wie: “aggressive deutsche Außenpolitik”, “die
Eroberung Osteuropas durch die deutsche Wirtschaft”, “der
deutsche 'Drang nach Osten' ist erst am Anfang”. Diesen
Drang als Germanisierung zu bezeichnen, wäre so schlimm wie
das antiamerikanische Lamento über die Amerikanisierung
durch McDonalds. Deutsche Expansionsbestrebungen Richtung
Osteuropa seien, so der CEE IEH-Autor beschwichtigend,
lediglich Ausdruck der “dem Kapital innewohnenden
Expansion”, die nicht zu verteufeln, sondern zu begrüßen
sei, schließlich berge diese Entwicklung zivilisatorische
Elemente für beide Seiten – Deutschland und Osteuropa – in
sich; dies vor allem auch vor dem Hintergrund des
Nationalsozialismus, der der rational-wirtschaftlichen Logik
zuwider gehandelt habe, weswegen das antifaschistische
Widerstandspotential der Wirtschaft im Dritten Reich nicht
unterschätzt werden dürfe. Der dritte Versuch Deutschlands,
sich Osteuropa zu unterwerfen, also als Wiedergutmachung für
die beiden vorhergehenden Versuche? Der ehemalige
Außenminister Kinkel sah dies 1993 mit Bezug auf die
deutsche Europapolitik so ähnlich: “Nach außen gilt es etwas
zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: im
Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die
unseren Wünschen und unserem Potential entspricht.”
Dem möchte
ich zwei Thesen entgegenhalten:
-
Der deutsche
Sonderweg (der gar nicht mehr so besonders ist, insofern
sich die deutsche Ideologie als Exportschlager vor allem in
den Ländern erwiesen hat, die auf ähnliche historische
Ausgangsbedingungen verweisen können) ist Folge einer
“normalen” bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung sowie der
spezifischen historischen Konstellation, nämlich der
verspäteten und von oben verordneten Etablierung des
Bürgertums, daß sich nie, nicht mal rhetorisch den Idealen
der Aufklärung verpflichtet fühlte, sondern von Anbeginn in
Abgrenzung gegenüber diesen Idealen sich völkisch,
antisemitisch und antimodernistisch gebärdete.
-
Die deutsche
Europapolitik weist seit ca. 150 Jahren eine gewisse
Kontinuität auf, die bis heute durch ihre sowohl
wirtschaftliche als auch völkisch-geopolitische Motivation
bestimmt ist. Diese beiden Momente sind nicht als sich
ausschließender Gegensatz zu begreifen, vielmehr bedingen
sie sich gegenseitig, erlangen allerdings im Lauf der
Geschichte unterschiedliches Gewicht.
Um
Mißverständnisse zu vermeiden: Die richtige Benennung der
kaum rational-wirtschaftlich begründbaren Vernichtung der
europäischen Jüdinnen und Juden im Holocaust als
Zivilisationsbruch (und das damit verbundene Konstatieren
der Unterbrechung einer kontinuierlichen Entwicklung), heißt
nicht, daß es 1933 und 1945 jeweils zu einem kompletten
Bruch oder einer gar entgegengesetzten Entwicklung in
politischer, wirtschaftlicher und ideologischer Hinsicht
gekommen ist. So meint der Begriff der Germanisierung des
Ostens (der eben nicht mit dem Holocaust gleichgesetzt
werden kann) eine völkische und ökonomische Durchdringung,
die es vor, während und nach dem Dritten Reich gab – in zwar
unterschiedlicher, aber eben nicht entgegengesetzter Weise.
Das soll im folgenden mit einem kurzen historischen Abriß
belegt werden.
Der erste
Weltkrieg
Vor dem Ersten Weltkrieg reiften
in Deutschland in Kreisen der Großindustrie und Politik
erste Überlegungen bezüglich der Schaffung eines
europäischen Großwirtschaftsraumes. So kam es z.B. 1904 zur
Gründung des Mitteleuropäischen Wirtschaftsvereines, der
sich das Eintreten für eine europäische Zollunion auf die
Fahnen schrieb. Die VertreterInnen der modernen Industrien
(Leicht-, Elektro- und Chemieindustrie), die sich ökonomisch
überlegen oder zumindest konkurrenzfähig wähnten, vertraten
dabei die moderate Linie: “Friedliche” wirtschaftliche
Durchdringung des zu eroberndenden Raumes. Für die
angeschlagene Schwerindustrie kam eine wirtschaftsliberale
Strategie nicht in Frage, da es ihren Untergang bedeutet
hätte. Dementsprechend organisierten sich deren
VertreterInnen eher im völkischen Alldeutschen Verband und
setzten auf die militärische Unterwerfung fremder Gebiete.
Der auch zur
Durchsetzung dieser Ziele von deutscher Seite angezettelte
Erste Weltkrieg beflügelte die deutsch-europäischen
Phantasien. Alle waren sich einig, daß der Krieg eine
günstige Gelegenheit zur Erfüllung der Träume vom “deutschen
Platz an der Sonne” sei – und wenn es auch nur die
osteuropäische Sonne sein sollte. Ein von Deutschland
besetztes Osteuropa wurde als gerechter Ausgleich für die
fehlenden Kolonien begriffen. Schon seit 1840 war in
Deutschland klar, welche Rolle Osteuropa in diesem Szenario
zu spielen hatte: Lieferant für Rohstoffe und Agrarprodukte
sowie Absatzmarkt für deutsche Produkte – eine eigenständige
Industrialisierung in Osteuropa mußte deswegen um jeden
Preis verhindert werden. Und je nach Gesinnung kam noch
hinzu, daß Osteuropa als zu zivilisierendes Hinterland oder
germanisches Siedlungsgebiet angesehen wurde – oder eben
beides.
Ein preußischer
Ministeriumsvertreter formulierte während des Ersten
Weltkrieges, Ziel deutscher Politik sei: “den großen, in
sich geschlossenen Wirtschaftskörpern der Vereinigten
Staaten, des Britischen und des Russischen Reiches die
Gesamtheit der europäischen, wenigstens der
mitteleuropäischen Kontinentalstaaten unter deutscher
Führung in gleicher wirtschaftlicher Geschlossenheit
gegenüberzustellen mit dem doppelten Zweck: 1. den Gliedern
dieser Gesamtheit – vornehmlich Deutschland – die
Vorherrschaft auf dem europäischen Markte zu sichern, 2. im
handelspolitischen Kampf mit jenen Weltreichen um die
Bedingungen der Zulassung zu beiderseitigen Märkten die
Gesamtwirtschaft des verbündeten Europa als einheitliche
Macht ins Feld führen zu können”
Bei der Eroberung
osteuropäischer Gebiete wurde erstmals die völkische
Minderheitenpolitik gegen fremde Staaten in Stellung
gebracht, d.h. vermeintlich oder real unterdrückte
Minderheiten werden mit völkischer Menschenrechtspropaganda
gegen die verfeindeten Staaten aufgehetzt. Deutschland
führte sich als Schutzmacht für die Minderheiten auf, um die
betroffenen Staaten besser destabilisieren zu können. So
verteilte die deutsche Armee Flugblätter an die Jüdinnen und
Juden in Polen, in der sie aufgefordert wurden, auf
deutscher Seite zu kämpfen, weil sie sonst Opfer des
Antisemitismus des russischen Zarenreiches würden.
Der durch und durch
antisemitische Alldeutsche Verband (ADV) dürfte mit diesem
Anbiedern an das “Judentum” keinerlei Probleme gehabt haben,
schließlich diente es der Durchsetzung größerer Ziele, die
er selbst in seiner Kriegszieldenkschrift von 1914
formuliert hatte. Es existierten zu Kriegsbeginn beim ADV
schon klare Vorstellungen, wie mit den zu erobernden
Ostgebieten zu verfahren sei: “Ganz gewiß ist dabei nicht an
sofortige Verleihung aller preußischen, staatlichen und
staatsbürgerlichen Rechte an Land und Leute zu denken. Es
wird vielmehr eine Zwischenzeit von vorerst unbestimmter
Ausdehnung einzutreten haben, innerhalb deren das neue
Gebiet ganz allmählich zu einem vollberechtigten Teile
Preußen hinaufgestaltet wird, entsprechend dem Maße seiner
inneren Festigung, des Wachstums seiner deutschen
Besiedlung, kurz, seiner wirklichen inneren Verwachsung und
Verschmelzung mit Preußen-Deutschland”
– bis auf die deutsche Besiedlung, die heute nur noch eine
marginale Rolle spielt – klingt das wie die aktuellen
EU-Papiere zur Osterweiterung.
Weimarer
Republik
Nach dem
Scheitern der militärischen Eroberung eines
deutsch-europäischen Großwirtschaftsraumes im Ersten
Weltkrieg setzte die geheime staatliche Volksgruppenpolitik
zur Revision des Versailler Vertrages ein: finanziert von
deutschen Behörden wurden Grundeigentum und Betriebe im
Ausland aufgekauft, um das deutsche Gewicht in den
jeweiligen Ländern mit deutscher Minderheit zu stärken,
diverse Osteuropa-Institute entstanden usw.
Der Außenminister Stresemann
formulierte in einer Denkschrift aus dem Jahr 1925, daß der
Minderheitenschutz zur Beeinflussung der öffentlichen
Meinung im Sinne deutscher Interessen zu propagieren sei. So
wurde im gleichen Jahr von deutscher Seite der Europäische
Nationalitätenkongreß in Konkurrenz zum Völkerbund
(Vorläufer der UNO) einberufen, in dem nicht die souveränen
Staaten vertreten waren, sondern versucht werden sollte, mit
Hilfe der verschiedenen Völker und Minderheiten die
Souveränität der Staaten zu untergraben. In den Europäischen
Nationalitätenkongreß sollten auch nicht-deutsche
Minderheiten eingebunden werden, die jedoch kurz nach der
Gründung wieder austraten – die Instrumentalisierung für
deutsche Interessen war damals noch zu offensichtlich.
Drittes Reich
Mit der
Machtübernahme der Nazis gewannen Konzepte militärischer
Eroberung Oberhand über die Versuche der völkischen
Geheimdiplomatie, der “friedlichen” europäischen Einigung
und wirtschaftlichen Durchdringung. Diese Modelle wurden
jedoch nach 1933 nicht sofort obsolet. So versuchten die
Nazis 1934 Minderheiten in der Sowjetunion für deutsche
Interesse einzuspannen: Sie sollten Volksgruppenrechte und
autonome Gebiete, und zwar solche mit vielen Bodenschätzen,
einfordern. Auch während des Zweiten Weltkrieges wurden
getreu der Nazi-Parole “Europa den Europäern” Institutionen
und Behörden für eine europäische Großraumwirtschaft
geschaffen. Ähnlich den Plänen aus dem Ersten Weltkrieg
erklärte sich das Dritte Reich aufgrund seiner
geographischen Lage und seiner völkischen Überlegenheit für
Europa “verantwortlich”: westeuropäische Industriestaaten
sollten auf Dauer abhängig gemacht werden, die
osteuropäischen Länder hingegen zu Agrar- und Siedlerstaaten
umgebaut werden.
Werner Daitz (Mitglied der
Reichsleitung) brachte in seiner Denkschrift für die
Errichtung eines Reichskommisariats für Großraumwirtschaft
(Mai 1940) die Europa-Konzepte auf den Punkt: “Wenn wir den
europäischen Kontinent wirtschaftlich führen wollen, wie
dies aus Gründen der wirtschaftlichen Stärke des
europäischen Kontinents als Kernraum der weißen Rasse
unbedingt erforderlich ist und eintreten wird, so dürfen wir
aus verständlichen Gründen diese nicht als eine deutsche
Großraumwirtschaft öffentlich deklarieren. Wir müssen
grundsätzlich immer von Europa sprechen, denn die deutsche
Führung ergibt sich ganz von selbst und aus dem politischen,
wirtschaftlichen, kulturellen, technischen Schwergewicht
Deutschlands und seiner geografischen Lage.”
Innerhalb der linken
Geschichtswissenschaft gibt es eine nicht abgeschlossene
Auseinandersetzung über die Relevanz und Stroßrichtung
wirtschaftlicher Motive für die NS-Besatzungspolitik in
West- und Osteuropa, für den Vernichtungsfeldzug und den
Holocaust. Darauf kann hier nicht eingegangen werden, weil
es den Rahmen sprengen würde.
Festzuhalten aber bleibt, daß zumindest die
Besatzungspolitik weitestgehend den (allerdings
radikalisierten) Konzepten aus dem Ersten Weltkrieg und der
Zwischenkriegszeit entsprach.
1945-1989
Nach dem
Zweiten Weltkrieg war der außenpolitische Spielraum der BRD
aufgrund der verordneten Westorientierung im Kalten Krieg
gering. Die Europäische Union wurde in den 50er Jahren
(damals noch unter anderem Namen) als reines
Wirtschaftsprojekt der “kerneuropäischen Staaten” gegründet.
Die Besatzungspolitik und Westbindung (EU, Nato) zeitigten
ambivalente Folgen: Einerseits verbreiteten sich westliche
Wertvorstellungen und Politikmodelle – teils nur erduldet,
teils auch wirklich verinnerlicht. Anderseits bedeutete
diese “Normalisierung”, daß die BRD sich wieder langsam zur
Weltmacht emporarbeiten durfte. Das sogenannte
Wirtschaftswunder der 50er Jahre war allerdings weniger eine
Folge “deutscher Wertarbeit” oder der “aufopferungsvollen
Aufbauarbeit der Tümmerfrauen” als vielmehr der
Nachwirkungen des Dritten Reiches: Die Arisierungen, die
massive Industrialisierung durch die staatlich gelenkte
Kriegswirtschaft, die Ausplünderung der europäischen Länder
sowie die fehlenden Reparationszahlungen und die
wirtschaftliche Hilfe seitens der USA ließen die Deutschen
als die eigentlichen Gewinner aus dem Krieg hervorgehen.
Schon Ende der 50er/Beginn der 60er Jahre hatte die BRD die
wichtigsten westlichen Handelspartner der osteuropäischen
Länder, nämlich die USA und Frankreich, auf hintere Plätze
verwiesen. Die deutsche Wirtschaft platzierte sich schon
zwei Jahrzehnte nach dem vermeintlich verlorenen Krieg an
zweiter Stelle (nach der SU), was den Außenhandel mit allen
osteuropäischen Ländern betraf.
Innenpolitisch war der Bruch nach 1945 weniger deutlich:
Restaurative und revanchistische Tendenzen waren an der
Tagesordnung, in allen gesellschaftlichen Bereichen waren
faschistische Kontuinitäten, die 1968 etwas unter- aber
nicht abgebrochen worden, zu beobachten. Die BRD betrachtete
sich als Rechtsnachfolgerin aller Deutschen im Sinne von
1943/44, die Nichtanerkennung der DDR wurde vom Westen als
antikommunistische Haltung akzeptiert, völkische
Bestrebungen beschränkten sich zwangsläufig auf die
Aktivitäten der Vertriebenenverbände, die innerpolitisch
einflußreich waren, aber außenpolitisch kaum zum Zuge kamen.
Nach 1989
Der aktiv betriebene
Zusammenbruch der DDR und die Wiedervereinigung sollten auf
dem Weg zur Verwirklichung deutscher Großmachtambitionen nur
eine Zwischenetappe darstellen. So verkündete der damalige
Bundeskanzler Helmut Kohl kurz nach der Wiedervereinigung
die weiteren Ziele: “Wir Deutschen sind höchst interessiert,
den Prozeß der europäischen Einigung voranzutreiben ... denn
jetzt sind wir die Nummer 1 in Europa.”
Die deutsche
Großmachtpolitik in und mit Europa ruht auf vier Säulen, die
alle mehr oder weniger miteinander verknüpft sind:
1.
politische Dominanz
(Deutschland setzt als bevölkerungsreichstes Land auf die
demographische Demokratie,
d.h. versucht entsprechend dem Bevölkerungsanteil der
einzelnen Länder die Mitspracherechte festzulegen. Die
bisherigen Regelungen – u.a.: alle Länder haben gleiche
Mitspracherechte und es wird einstimmig entschieden – wurden
auf Betreiben von Deutschland bereits abgeschafft bzw.
sollen in Zukunft immer weiter aufgeweicht werden. So
plädiert Schröder für die Stärkung des Europaparlaments, in
dem Deutschland schon die Mehrheit hat, wenn es sich kleine,
gefügige Staaten mit ins Boot holt. Sehr demokratisch und
unbürokratisch klingt auch die Forderung Deutschlands, den
Chef der Europäischen Kommission wählen anstatt ernennen zu
lassen – aber auch dahinter versteckt sich nur die simple
arithmetische Überlegung, daß bei einer Wahl alle anderen
Länder nichts zu melden hätten.)
2.
Militärmacht
(Die deutschen Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992
definierten erstmals nach 1945 offiziell die
außenpolitischen Interessen als imperiale, so soll die
Bundeswehr die “Aufrechterhaltung des Zugangs zu Märkten und
Rohstoffen in aller Welt” sicherstellen. Dementsprechend
wurde seit 1989 die Bundeswehr sukzessiv von der
Verteidigungs- zur weltweit agierenden Angriffsarmee
umgebaut. Auslandseinsätze wurden schleichend zum
Normalzustand. Perspektivisch wird im europäischen Rahmen
der Gleichstand mit und die Unabhängigkeit von den USA
angestrebt. Die geplante europäische Armee ist mit den
18.000 deutschen SoldatInnen eigentlich eine deutsche Armee,
die lediglich von anderen Staaten mit 1.000 bis maximal
12.000 SoldatInnen unterstützt wird.)
3.
wirtschaftliche Dominanz
(Die BRD erwirtschaftet 30% des Bruttoinlandprodukts der EU
und damit mehr als Frankreich und Großbritannien zusammen.
Deutschland zahlt nicht nur am meisten in die EU-Fördertöpfe
ein und maßt sich deswegen auch das größte Mitspracherecht
an, sondern alle europäischen Länder, bis auf Irland, sind
wirtschaftlich mehr von Deutschland abhängig als von jedem
anderen Land. Eine direkte Folge der wirtschaftlichen
Dominanz ist die währungspolitische Dominanz. So sind die
Stabilitätskriterien für den Euro von Deutschland
diktierte.)
4.
völkische Minderheitenpolitik
(siehe unten)
Weil sich innerhalb der EU trotz
der beschriebenen Mechanismen doch nicht alles sofort im
deutschen Interesse umsetzen läßt, prescht Deutschland (zum
Teil im Verbund mit anderen “kerneuropäischen” Staaten)
regelmäßig in wichtigen Fragen (Außen-, Verteidigungs-,
Wirtschafts- und Asylpolitik) vor und brüskiert alle anderen
Staaten, denen damit zum einen zu verstehen gegeben wird,
daß sie nicht so richtig dazugehören, die aber andererseits
gar nicht anders können, als die vorweggenommen
Entscheidungen früher oder später auch bei sich
nachzuvollziehen. Das Kerneuropapapier der CSU aus dem 1994
formuliert es klar: Deutsche Interessen lassen sich nur im
Rahmen Europa durchsetzen. Als deutsche Interessen
definierte das Papier damals die EU-Osterweiterung, die
gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, eine
deutsch-französische Achse als Zentrum von Kerneuropa und
die Subsidarität, d.h. die Regionalisierung – was nur ein
moderner Begriff für die alte Volkstumspolitik ist.
Um den eigenen Forderungen Nachdruck zu verleihen, wird
angedroht, daß, falls die anderen Staaten nicht die
deutschen Vorstellungen von der EU-Osterweiterung teilen
sollten, “Deutschland ... aus eigenen Sicherheitszwängen
versucht sein [könnte], die Stabilisierung des östlichen
Europas alleine und in der traditionellen Weise zu
bewerkstelligen”
– was mit der “traditionellen Weise” gemeint ist, kann sich
wohl jedeR selbst ausmalen...
Der grüne Außenminister Joschka
Fischer bediente sich eben jener Drohung in seiner
Aktualisierung des Kerneuropa-Konzepts. Im Mai 2000 führte
er in seiner Rede “Vom Staatenverbund zur Föderation –
Gedanken über die Finalität der europäischen Integration”
aus, daß, “getrieben durch den Druck der Verhältnisse”, eine
europäische Avantgarde genötigt sei, ein
“Gravitationszentrum” zu bilden und “vorauszugehen”. Wenn
die anderen nicht im deutschen Interesse mitziehen, dann
heißen die Fragen für Deutschland nur noch: “Wann wird der
richtige Zeitpunkt sein? Wer wird teilnehmen? Und wird sich
dieses Gravitationszentrum innerhalb oder außerhalb der
Verträge [über die Europäische Union] herausbilden”
– Fischer droht also offen mit dem Austritt aus EU und einer
Politik gegen die Interessen der anderen europäischen
Staaten.
Minderheitenpolitik – ein überholtes Konzept?
Im folgenden soll auf die vierte
Säule deutscher Großmachtpolitik – das Setzen auf völkische
Minderheiten –eingegangen werden, zuerst am Beispiel Polens.
Die BRD
erklärte sich nur zur Anerkennung der deutschen Ostgrenze
(zu Polen) bereit, weil Polen 1990 im Gegenzug sich
vertraglich verpflichtete, die “deutsche Minderheit” in
Polen zu schützen und keine Reperationsleistungen für die
nationalsozialistische Besatzung einzufordern. Im folgenden
Jahr schloß Deutschland ein Freundschaftsvertrag mit Polen
ab, der, was die Minderheitenrechte betraf, weit über die
ursprünglichen Forderungen des Bundes der Vertriebenen (BdV)
hinausging. In dem Vertrag – der später mit fast
gleichlautenden Passagen allen osteuropäischen Ländern mit
deutscher Minderheit aufgenötigt wurde – wurde nicht nur der
Schutz, sondern sogar die Förderung und Bestandssicherung
der deutschen Minderheit festgeschrieben. Als Deutsch gilt,
wer sich zum Deutschtum bekennt und deutsche Vorfahren
nachweisen kann. Die polnische Minderheit in der BRD bekommt
in dem Vertrag explizit keine Minderheitenrechte
zugesprochen, da sich nicht als “ursprüngliche” (will
heißen: im Heimatboden verwurzelte, sondern eben nur
zugewanderte) Minderheit gilt. Polen verpflichtet sich also
dazu, Sorge zu tragen, daß die deutsche Minderheit nicht
ausstirbt und Deutsche aus der BRD, die sich als Vertriebene
ausgeben, ein bevorzugtes Niederlassungsrecht in Polen
genießen.
Der Witz an
der ganzen Sache ist, daß es in Polen im Jahr 1989 überhaupt
keine deutsche Minderheit mehr gab. Die meisten Deutschen,
die 1945 auf polnischem Staatsgebiet lebten, flohen aus
Angst vor der Roten Armee bzw. wurden nach Ende des Krieges
ausgewiesen. Diejenigen, die in Polen bleiben durften, weil
sie nicht mit den Nationalsozialisten kollaboriert hatten,
genossen bis in die 50er Jahren in Polen weitgehende
Autonomierechte – wanderten dann aber aufgrund
wirtschaftlicher Gründe in die BRD aus. Wenn deutsche
Vertriebenenverbände oder deutsche Behörden von einer
“deutschen Minderheit” in Polen sprechen, dann beziehen sie
sich auf PolInnen, die im Dritten Reich zwangsgermanisiert
wurden. Aufgrund “rassischer Kriterien” wurden etliche
PolInnen durch die nationalsozialistischen Behörden
eingebürgert und entsprechend umerzogen. Nach 1945 erhielten
diese Menschen natürliche wieder ihre polnische
Staatsbürgerschaft zurück und assimilierten sich schnell.
Diese Menschen galten allerdings nach deutschem Recht
ununterbrochen als Deutsche, weil das deutsche
Staatsangehörigkeitsrecht sich auf den Stand von 1944/45
bezieht.
Nach 1989
bemühten sich der BdV, die deutsche Behörden und deutsche
Vereine in Polen, der “deutschen Minderheit” ihr
“Deutschtum” bewußt zu machen und von den Vorteilen eines
entsprechenden Bekenntnisses zu überzeugen. Die
Propagandaarbeit war erfolgreich. Inzwischen gibt es ca.
500.000 “Deutsche” in Polen – weniger aus einer
nationalistischen Überzeugung heraus (auch wenn daran
gearbeitet wird), mehr aus wirtschaftlichen Gründen: Mit
ihrem deutschen Paß können sie jederzeit in Deutschland
arbeiten, aber selbst in Polen erhalten sie massive
finanzielle Unterstützung von deutscher Seite. So förderte
allein die BRD die deutsche Minderheit in Polen zwischen
1990 und 1997 mit 175 Millionen DM. Die vermeintlichen
“Deutschen” würden keinen deutschen Einbürgerungstest
bestehen – schon weil die meisten kein Deutsch sprechen. So
hielt der Chef der deutschen Minderheit in Polen jahrelang
seine Reden ausschließlich in Polnisch.
Kein Wunder,
daß in den ersten Jahren von deutsche Seite die
Sprachpolitik oberste Priorität genoß. Deutsch wurde als
Unterrichtssprache etabliert, deutsche Schulen schossen aus
dem Boden, deutsche Zeitungen wurden gegründet – mit dem
absurden Ergebnis, daß in einigen Gebieten die “polnische
Minderheit in Polen” keinen muttersprachlichen Unterricht
mehr vorfindet.
Inzwischen
geht es um mehr als nur die deutsche Sprache. So forderte
der BdV-Präsident, durch Landkauf und der Schaffung eines
kulturellen Umfeldes eine pro-deutsche Politik zu forcieren
– und zwar überall dort, wo deutsche Minderheiten wohnen
“oder benötigt werden”!
Die ganze Mühe hat sich für
Deutschland gelohnt: Die deutsche Minderheit, die nur im
nationalsozialistischen Sinne eine ist, hat einen hohen
Organisierungsgrad und die meisten verfügen über einen
deutschen Paß. Sie sind zu einem wichtigen innenpolitischen
Faktor Polens geworden, mit deren Hilfe Deutschland
außenpolitische Vorstellungen durchdrücken kann. Daß
Deutschland dabei vor allem ein instrumentelles Verhältnis
zu den deutschen Minderheiten in Osteuropa hat, wurde in der
CSSR deutlich. Dort existierte seit 1969 ein Verband der
deutschen Minderheit, der aber als zu Prag-nah, also
regierungsloyal, galt. 1992 gründeten einige Deutsche in der
Tschechischen Republik auf Anregung und mit Unterstützung
von sudetendeutschen Verbänden einen neuen Verband, der
prompt von der deutschen Regierung gefördert wurde.
Zur
Durchsetzung eigener Interessen wird sich allerdings nicht
nur deutsche Minderheiten bedient. Anfangs gab es bei den
völkischen Organisationen – in der Tradition des
Europäischen Nationalitätenkongresses – nur einen taktischen
Bezug auf Europa und Menschenrechte. So beschloß der BdV im
Jahr 1965 den Jahrestag “20 Jahre Vertreibungen” unter dem
Motto “Jahr der Menschenrechte” zu begehen, 1969
organisierte der BdV sogar einen Europakongreß, weil sich
die Einsicht durchgesetzt hatte, daß nur unter dem
Deckmantel Europa die eigenen revanchistischen Forderungen
durchgesetzt werden konnten.
Als der
damalige Bundespräsident Roman Herzog am Tag der Heimat 1996
dafür plädierte, europäische Grenzen nicht zu verschieben,
sondern abzubauen, rannte er allerdings offene Türen bei den
Organisatoren, den Vertriebenenverbänden, ein, die schon
viel weiter waren. Seit 1989 spielte die Verschiebung der
Ostgrenze beim BdV keine Rolle mehr – wichtig wurde der,
inzwischen ehrlich gemeinte, weil wirksamere Bezug auf
europäisches Völkerrecht und Regionalismus.
Eine Vorreiterfunktion für diese
Entwicklung spielte die Föderalistische Union Europäischer
Volksgruppen. (FUEV), die, 1954 als
Nazi-Nachfolgeorganisation gegründet, sich inzwischen zu
eine Vorfeldorganisation des Auswärtigen Amtes gemausert
hat. Schon in den 80er Jahren interessierte sich die FUEV
für die gleichen Minderheiten wie die deutsche Linke:
Basken, Iren, Palästinenser, Berber, Tibeter, Kurden – mit
dem kleinen Unterschied, daß die FUEV im Interesse der
Volksgruppenhomogenität die unverzügliche Abschiebung der
AusländerInnen aus Deutschland fordert. DDR-Publikationen
prießen deswegen die Nazi-Organisation als
antiimperialistische Kraft an.
Ziel dieser völkischen
Minderheitenpolitik, die inhaltlich, institutionell und
finanziell von deutschen Behörden unterstützt wird, ist die
Destabilisierung und Schwächung der Nationalstaaten
Westeuropas und die Zerschlagung der sogenannten
“Vielvölkergefängnisse” in Osteuropa (Jugoslawien, CSSR,
Sowjetunion – was ja auch geklappt hat) bis hin zur
Einflußnahme in Israel und Nordafrika. Die FUEV hat 283
Volksgruppen in Europa entdeckt, die, wenn sie ihre “Rechte”
einfordern würden, zum Zerfall aller Nationalstaaten
beitragen könnten – lediglich Deutschland mit “seinen”
vielen deutschen Minderheiten in fast allen (süd)osteuropäischen
Ländern sowie in Belgien, Frankreich, Dänemark, Österreich,
der Schweiz und in Italien würde größer und stärker werden.
Der Präsident der FUEV formulierte die Strategie deutlich:
Erhielten die Minderheiten keinen “Volksgruppenschutz”,
“können und werden sich Entwicklungen nicht verhindern
lassen, welche zu Sezessionen oder zum Verfall von Staaten
führen, ob im Einklang mit geltendem Völkerrecht und
Staatenpraxis oder nicht.”
Analog zum Europäischen
Nationalitätenkongreß (1925) wurde 1996 im rot-grün
regierten Schleswig-Holstein von staatlicher Seite das
Europäisches Zentrum für Minderheitenfragen (EZM) etabliert,
welches sich der Erforschung und dem Schutz der europäischen
Minderheiten sowie dem Konfliktmanagement bei ethnischen
Auseinandersetzungen verschrieben hat. Das EZM wurde bewußt
in der gleichen Stadt wie die FUEV angesiedelt. Das
staatliche Zentrum und die völkische Vorfeldorganisation
arbeiten Hand in Hand. Während das FUEV offen terroristische
Gewalt gegen die (natürlich nur nicht-deutsche) Staatsgewalt
propagiert, schlägt das EZM moderatere Töne an: Dort wird
die Gewalt maximal erklärt und gerechtfertigt – um den
“ethnischen” Konflikt dann unter eigener Obhut einer Lösung
in deutschem Interesse zuführen zu können. Diese Vorarbeit
befähigte Außenminister Kinkel schließlich dazu, dem
UNO-Waffenembargo gegen die UCK entgegenzuhalten: “Natürlich
muß man sich überlegen, ob man von der moralisch-ethischen
Seite her die Kosovo-Albaner vom Kauf von Waffen zur
Selbstverteidigung abhalten darf.”
Nach dem
Zweiten Weltkrieg und den Erfahrungen mit dem
Nationalsozialismus war auf internationaler Ebene klar, daß
Minderheitenrechte lediglich als individuelle Rechte zu
gewähren sind, d.h. daß ein Diskriminierungsverbot
existieren muß, jedoch keine kollektiven Rechte, wie der
positiver Bezug auf Kultur, Identität und Sprache, daraus
abgeleitet werden können. In der UNO ist das – mit geringen
Abstrichen – noch bis heute so. In den europäischen Gremien
(Europaparlament, KSZE/OSZE) findet seit 1989, vor allem auf
deutsches Betreiben, eine Aufweichung dieser
nicht-völkischen Position statt. Gegen den Willen der
bürgerlichen Zentralstaaten (wie Frankreich) war die
Lobbyarbeit der deutschen NGO’s bei den europäischen Gremien
(FUEV und BdV genießen den Status beratender NGO’s) und der
deutschen PolitikerInnen erfolgreich: 1992 bzw. 1995 trat
eine vom Europaparlament verabschiedete Charta für
Regionalsprachen und -kulturen bzw. für ethnische
Minderheiten in Kraft, in denen ebenfalls nicht nur der
Schutz, sondern auch die Förderung der Minderheiten
festgeschrieben wurde. Infolgedessen entfachten in Europa
“ethnische Konflikte” bzw. bestehende Konflikte erhielten
ein höheres Eskalationsniveau.
Mit diesen
Bemühungen auf europäischer Ebene hat sich Deutschland eine
rechtlich-institutionelle Absicherung für die völkische
Minderheitenpolitik geschaffen – parallel dazu wurde auch
schon immer praktisch agiert: Als z.B. Ungarn ein Gesetz für
Großungarn verabschieden wollte und Rumänien wegen dem damit
verknüpften Angriff auf seine Integrität intervenierte, übte
Otto Schily sich als Konfliktmanager. Er überredete
Rumänien, das völkische Gesetz Ungarns zu akzeptieren und
versprach im Gegenzug die Visafreiheit für RumänInnen bei
der Einreise in die EU (allerdings mit dem Haken, daß nur
einreisen darf, wer 500 € vorweisen kann).
Noch
deutlicher setzte die deutsche Diplomatie bei der
Zerschlagung Jugoslawiens auf die völkische Karte. Entgegen
den anderen europäischen Staaten, der UNO und den USA
unterstützte die deutsche Außenpolitik seperatistische und
nationalistische Gruppen wie die UCK oder die kroatischen
“Freiheitskämpfer” – nicht zufällig die gleichen Verbündeten
wie im Zweiten Weltkrieg. Nur in der deutschen
Besatzungszone im Kosovo hat die UCK Pogromfreiheit gegen
Juden, Roma und Serben.
Walter von Goldendach und Hans
Rüdiger Minow ziehen in ihrem Buch “Von Krieg zu Krieg. Die
deutschen Außenpolitik und die ethnische Parzellierung
Europas” das Fazit, daß der Unterschied zwischen der
deutschen und der amerikanischen, britischen oder
französischen Machtpolitik, die sich ja auch des “Teile und
Herrsche” bedient und zuweilen ethnische Minderheiten für
ihre Interesse instrumentalisiert, darin besteht, daß die
Deutschen an ihre Mittel, also die Konstruktion von
“Völkern” und “Rassen”, glauben und nicht in der Lage sind,
rational und ehrlich zu ihren Interessen zu stehen und diese
durchzusetzen.
Die Deutschen halten also auf Gedeih und Verderb an ihren
völkischen BündnispartnerInnen fest, selbst wenn sie – auch
im eigenen Interesse – bekämpft werden müßten. Ganz im
Gegensatz dazu die amerikanische Außenpolitik, die der
ehemalige stellvertretende US-Verteidigungsminister Joseph
S. Nye 1999 in Bezug auf den Nato-Krieg gegen Jugoslawien
folgendermaßen charakterisierte: “Als eine wohlhabende
Status-Quo-Macht sind die USA daran interessiert, die
internationale Ordnung zu erhalten ... Die blinde
Befürwortung von Selbstbestimmung hätte in einer Welt mit
etwa 200 Staaten und Tausenden sich oftmals überlappenden
Volksgruppen, die einen Anspruch auf Nationsgründung erheben
könnten, äußerst problematische Konsequenzen.”
Nun aber zur
“natürlichen Expansion des Kapitals”,...
...welche so “natürlich” gar
nicht ist. Hier geht es nicht um den “fairen Streit der
Marktkräfte” (wie es die wirtschaftsliberale Theorie
suggeriert und was auch nicht unbedingt besser wäre),
sondern um die Schaffung und Zurichtung von
Großwirtschaftsräumen im deutsch/europäischen Interesse.
Die weltpolitische Lage nach dem Ende des Realsozialismus
erlaubte es der mächtigen EU, den osteuropäischen Ländern,
die eine Alternative zum EU-Beitritt nicht sehen bzw. dies
nicht wagen wollen, die Bedingungen für eben jenen zu
diktieren.
Die
sogenannten Beitrittsverhandlungen sind keine Verhandlungen,
sondern eine Anweisung, was in den einzelnen Ländern vor
dem Beitritt zu geschehen hat. Da schreiben die
europäischen Gremien vor, wie die Justiz aufgebaut werden
muß, welche Verwaltungsreformen durchzuführen sind, daß eine
genehme Asylpolitik zu etablieren und die Grenzüberwachung
aufzubauen ist, daß das Geld dafür ja mit Hilfe des
radikalen Sozialabbaus und der Privatisierung aller
staatseigenen Betriebe zu erwirtschaften ist, daß Demokratie
und Minderheitenrechte dabei jedoch nicht unter den Tisch
fallen dürfen, mit welchen Ländern Handel getrieben werden
darf (nicht mehr untereinander, nur mit der EU), daß eine
für die EU günstige Finanz- und Zollpolitik (EU-Produkte
dürfen zollfrei nach Osteuropa, die Gegenrichtung bleibt
weiterhin mit Zöllen behaftet) zu verfolgen sei usw. – Tempo
und Umfang dieser Entwicklung wird von der EU vorgegeben,
wobei Deutschland die treibende Kraft ist, weil die anderen
westeuropäischen Länder den Prozeß eher skeptisch
beobachten.
In den Verhandlungen haben es
die Länder dann konkret mit Menschen wie Bernd Posselt zu
tun. Der ist einerseits Vizepräsident des EU-Ausschusses für
die Verhandlungen über Beitritt der Tschechischen Republik,
anderseits Vorsitzender der Sudetendeutschen
Landsmannschaft, CSU-Europaparlamentarier und Mitglied in
der faschistischen Paneuropa-Union.
Nach dem
EU-Beitritt
hören die
Schikanen gegen die osteuropäischen Länder nicht auf. So
ist, wir erinnern uns an die Kriegszieldenkschrift des
Alldeutschen Verbandes aus dem Jahre 1914, nicht die
sofortige Angleichung innerhalb der EU vorgesehen.
Osteuropäische Arbeitskräfte genießen keine
Niederlassungsfreiheit und die Agrarwirtschaft Osteuropas
darf, solange sie eine Bedrohung für deutsche Bauern
darstellt, nicht mehr als ein Viertel der Förderung
erhalten, die westeuropäischen landwirtschaftlichen
Betrieben zusteht.
Wer sich in
den “Verhandlungen”, die als Wettkampf inszeniert werden,
nicht ans Regelwerk hält, wird mit politischer oder
militärischer Gewalt diszipliniert. Die Präsidenten
Rumäniens, der Slowakei und Jugoslawiens galten in der
westlichen Öffentlichkeit als undemokratisch oder gar als
Wiedergänger Hitlers, obwohl sie demokratisch gewählt waren
und sich nur folgender Verbrechen schuldig gemacht hatten:
Widerstand gegen die IWF-Vorgaben, nicht sofortige
Privatisierung, eigenständige Arbeitsmarktpolitik,
Energiezufuhr aus Rußland bzw. Bewahrung von Rudimenten
einer Sozialpolitik. Wer sich nicht 100% unterwarf, mußte
damit rechnen, daß eine vor allem von Deutschland
unterstützte Opposition bald die Macht übernehmen würde
(Slowakei) – und wenn diese von allein nicht stark genug
ist, dann vorher ein Krieg vom Zaum gebrochen wird
(Jugoslawien).
Aber auch
ohne die Beitrittsverhandlungen hat sich Deutschland
inzwischen genug Einfluß in Osteuropa gesichert. Die
jeweiligen Nationalökonomien sind fast vollständig in
deutscher Hand (bis zu 80%) bzw. von ihr abhängig – aber
auch für Deutschland selbst ist Osteuropa vor Frankreich und
den USA zum wichtigsten Wirtschaftsraum geworden. Da es die
Bundesregierung zu ihren Hauptaufgaben zählt, “günstige
weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen zu sichern und die
Intensivierung der wirtschaftlichen Kooperation wirkungsvoll
zu fördern”, ist es kein Wunder, daß sie sich vor allem um
Osteuropa, dem alten wie neuen Eldorado der deutschen
Wirtschaft engagiert. Deutsche Vereine, Schulen,
Universitäten, Stiftungen, Außenhandelskammern sollen ein
deutsch-freundliches Klima in Osteuropa schaffen. Während
viele Länder vor dem Euro-Zeitalter die DM als Leitwährung
einführten, etablierte sich in anderen Deutsch als
Dienstsprache in den Betrieben – auch ganz ohne deutsche
Minderheit.
Frei von
großdeutschen Ambitionen ist allerdings weder der deutsche,
in Osteuropa agierende Mittelstand, der sich oft aus
Vertriebenenveteranen rekrutiert, noch die deutschen, meist
CSU-nahen Mediengiganten, die Propagandaarbeit im deutschen
Sinne leisten. Auch VW startete genau zum 60. Jahrestag des
Überfalls auf die Tschechische Republik am 15. März 1939,
genannt “Frühjahrsoffensive”, eine Werbekampagne unter der
Headline “Die große Frühjahrsoffensive” in den dortigen
Medien – und dies war kein sprachlicher Ausrutscher, denn
die Anzeigen waren im Stil einer Militärpostkarte gehalten.
Genauso wenig ist es ein Zufall, daß der Freistaat Bayern
den Sprecher der sudetendeutschen Landsmannschaft zum Chef
der Bayerischen Landesbank ernannte, die eines der größten
Finanzinstitute in Prag ist. Der Vertriebenenfunktionär will
nun ökonomische Subversion im Sinne deutscher und
sudetendeutscher Interessen betreiben.
Angesichts dieser Entwicklungen
verfielen die antideutschen Gruppen (bevor sie den
Hauptfeind nicht mehr im eigenen Land entdecken wollten) dem
Alarmismus und setzten in ihren unzählichen Publikationen
das deutsche Projekt Europa mit dem Nationalsozialismus
gleich. So titelte die Bahamas “SS-Maastricht” und schrieb –
das war, ehe sie die deutsch-patriarchale Sexualität zu
einem schützenswerten Gut erhoben hatte – , den Spiegel
zitierend, angewidert: “Dem deutschen Kapital folgt der
deutsche Mob. ‚Hordenweise ziehen sächsische Kampftrinker
durch Cheb, brüllen nach billigem Bier ... Schwankende
rotgesichtige Säufer belästigen Frauen... Tschechische
Straßen gelten Gästen mit glänzenden Karossen als
rechtsfreier Raum ... 70.000 osteuropäische Frauen stehen in
der Grenzregion an den Straßen und hoffen auf Freier aus
Deutschland.‘”
Die europäischen Konflikte und
Kriege, generell: die deutsche Europa-Politik, sind als
Ordnungsversuche zu verstehen, die dem seit über 100 Jahren
bestehenden Konzept der konzentrische Kreise um einen
deutschen Großraum endlich zum Durchbruch verhelfen sollen.
Als historisches Vorbild dient der Deutsche Bund: Preußen
war die Großmacht in der Mitte und schluckte 1871
“friedlich” seine Peripherie – so entstand das Deutsche
Kaiserreich. Seit Ende des 19. Jahrhundert bis heute wird
mit Verweis auf die geographische Lage in “Mitteleuropa” und
der daraus erwachsenden Verantwortung, der sich Deutschland
nicht entziehen könne, Großmachtpolitik betrieben. Eine
Argumentationsfigur ist dabei, daß Deutschland einen Puffer
gen Osten installieren müsse. Nur die Art der Bedrohung ist
den historischen Konjunkturen unterworfen: Mal waren es die
“barbarischen Russen”, dann ist es die kommunistische
Bedrohung, heute sind es die Flüchtlingsströme aus dem
Osten.
Carl Schmitt formulierte 1939 das bis heute gültige Prinzip
der deutschen Politik: “Reiche sind in diesem Sinne die
führenden und tragenden Mächte, deren politische Idee in
einen bestimmten Großraum ausstrahlt und die für diesen
Großraum die Intervention fremdräumiger Mächte grundsätzlich
ausschließen.”
Die
politische Geographie gliedert sich dementsprechend auf in
das Kerneuropa, darum als erste Zone die restlichen
momentanen EU-Staaten. Es folgen im zweiten Kreis Länder wie
Slowenien, Kroatien, Polen, die Tschechische Republik und
Ungarn, mit denen eine wirtschaftliche Kooperation und
weitgehende Integration in die EU angestrebt wird. An
dritter Stelle müssen sich Länder wie Rest-Jugoslawien,
Rumänien, Bulgarien damit begnügen, einer aktiven
Deindustrialisierung unterworfen zu werden und als
Rohstofflieferanten zu dienen. Zu guter letzt sollen völlig
abgeschriebene Länder wie Albanien vom Markt abgekoppelt und
einer Armutsverwaltung unter militärischer Kontrolle
unterstellt werden.
Alles neu
macht rot-grün?
Wie keine
deutsche Regierung zuvor hat es die Rot-grüne seit 1998
verstanden, eine postfaschistische Politik zu etablieren. Es
wird weder direkt an die nationalsozialistische Politik
angeknüpft, wie es vor allem in der Nachkriegszeit an der
Tagesordnung war und von konservativen Kreisen bis heute
propagiert wird. Noch findet eine Verdrängung und Abkehr von
der Geschichte sowie eine Zurückhaltung in außenpolitischen
Fragen statt, eine Politik, für die die CDU-Regierungen bis
1989, eingeschränkt bis 1998 standen. Vielmehr vollzog sich
mit den Achtundsechzigern an der Macht die endgültige
Transformation einer ehemals nationalsozialistischen
Gesellschaft. Dies bedeutet allerdings keine Abkehr von
faschistischer Ideologie und entsprechenden Politikformen,
sondern deren Modernisierung und Integration, um ihnen zum
Durchbruch zu verhelfen.
Eckpunkte dieser Entwicklung
sind der dritte Angriff auf Jugoslawien in einem Jahrhundert
– Kohl wußte noch, daß der Einsatz der Bundeswehr in
Ländern, in denen die Wehrmacht gewütet hatte, nicht
opportun ist; Schröder und Fischer hingegen konnten gerade
mit Verweis auf die deutsche Geschichte den Angriff
legitimieren. Desweiteren wäre der Sieg der
Vertriebenenideologie (fast) ohne Vertriebenenverbände zu
nennen: Den Job erledigen Günther Grass und Jörg Friedrich
mit ihren Büchern, die Grünen mit dem Vergleich des
“eigenen” Vertriebenenleids mit dem der AlbanerInnen im
Kosovo und die SPD-Politprominenz, die sich für ein
Internationales Zentrum gegen Vertreibung in Berlin oder im
Ausland einsetzen, viel besser. Die Vertriebenen werden aber
nicht arbeitslos. Da sie nicht mehr als reaktionäre
Querulanten gelten, für die sich Deutschland schämen muß
(vielmehr muß sich jedeR schämen, der sich den Vertriebenen
in den Weg stellt), sind sie als nichtstaatliche
Menschenrechtsabteilung des Staates anerkannt worden und
leisten konkrete Vorortarbeit, die doppelt so hoch honoriert
wird wie zu Zeiten der CDU.
Auch innerhalb der EU werden
moderatere Töne angeschlagen, um in der Sache härter
durchgreifen zu können. Joschka Fischer sagt: “Je
europäischer Deutschland seine Interessen definiert, desto
mehr verwirklichen sich unsere Interessen”.
Und Gerhard Schröder gibt den Wolf im Schafspelz bzw. den
Barbar im Designeranzug, dem niemand mehr zu widersprechen
vermag. Er sucht in europäischen Wirtschaftsfragen die
offene Konfrontation mit Frankreich – um dann in
Kriegsfragen mit Frankreich zusammen Amerika Paroli zu
bieten. Die Deutschen sind begeistert und dankens qua
Friedensdemo und Zustimmung zum Sozialabbau, nur den
Konservativen geht alles zu schnell. Deswegen ist es kein
Wunder, daß scheinbar die einzigen vernünftigen Kritiken an
der deutschen Politik in der Welt und F.A.Z. zu lesen sind –
aber nicht, weil, wie die Bahamas glaubt, sich die
Konservativen ein bißchen Restvernunft oder -anstand bewahrt
haben, sondern weil sie der eigenen, der wiedererlangten
deutschen Stärke noch nicht richtig trauen können und
glauben, vorsichtiger und langsamer zum Ziel kommen zu
müssen. Dabei nimmt niemand Anstoß an der Schröderschen
Logik, daß, wer eine friedliche Außenpolitik betreiben will,
massiv aufrüsten muß. Die Deutschen kennen das noch aus dem
Kalten Krieg und die europäischen Länder wissen, daß
Deutschland schon genug politisch, wirtschaftlich und
militärisch gerüstet ist, um zum Mitmachen keine Alternative
bestehen zu lassen.
Der Vorteil der
postfaschistischen Demokratie, die sich vom Stigma des
Rückwärtsgewandten befreit hat und doch an Altbekanntes
anknüpft, ist, daß sich endlich auch die Linke guten
Gewissens am deutschen Projekt beteiligen kann.
Nur ein aktuelles Beispiel – eines von tausenden: In der
linken Zeitschrift Forum Wissenschaft erschien in der
Ausgabe 03/2003
ein anfänglich kritischer Artikel über europäische
Forschungspläne mit militärischer Ausrichtung. Doch das
Fazit des Autors lautet: “Nicht zuletzt durch die Forcierung
der politischen und wirtschaftlichen Einigung durch das
Instrument der strategischen Forschungsförderung könnte
Europa in die Lage versetzt werden, mittelfristig eine
ähnliche Weltmachtrolle zu spielen wie die USA. Diese
Entwicklung ist in höchstem Maße ambivalent. Die Konkurrenz
auf dem Weltmarkt wird zu verstärkten innereuropäischen
Kooperationen führen und damit die Unterschiede zwischen EU
und Nichtmitgliedstaaten vergrößern ... Abriegelung der
Außengrenzen ... wenig wahrscheinlich, dass sich
ausgerechnet (in der EU) die höchsten sozialen, ökologischen
oder ethischen Standards durchsetzen. Andererseits ist eine
multipolare Ordnung einer einseitig durch die USA dominierte
Weltordnung natürlich vorzuziehen. ... Dennoch kann es ein
lohnendes Ziel sein, an den Bemühungen zum Aufbau einer
Weltmacht Europa zu partizipieren und zu versuchen, deren
soziales, demokratisches und ökologisches Profil zu
schärfen.”
Literatur
Hannes
Hofbauer: Osterweiterung. Vom Drang nach Osten zur
peripheren EU-Integration, Promedia: 2003
Walter von
Goldendach/Hans Rüdiger Minow: Von Krieg zu Krieg. Die
deutschen Außenpolitik und die ethnische Parzellierung
Europas, Verlag 8. Mai: 1996
Samuel
Salzborn: Heimatrecht und Volkstumkampf: Außenpolitische
Konzepte der Vertriebenenverbände und ihre praktische
Umsetzung, Offizin: 2001
Hunno
Hochberger/Emil Hruska: Der deutsche Hegemonialanspruch:
Gefahr für Mitteleuropa. Ein historisches Lesebuch,
GNN-Verlag: 1998
Bahamas
17/1995 (Schwerpunkt: Deutsche Osteuropa-Politik)
iz3w
210/1995 (Schwerpunkt: Deutsche Außenpolitik)