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Autonomes Hausrecht
von Peter Schulz trend online zeitung 4/2000
Nachdem im August 1996 eine Hamburger
Autonomengruppe den Verkauf der Arranca Nr. 8 wegen Sexismus abgelehnt
hatte, versuchte 1997 eine Gruppe aus dem Berliner Infoladen Daneben, namens
Die Unglücklichen, mit einem etwas unbeholfenen, aber sehr fleißig
erarbeiteten Papier die Debatte über Sexualität und Gewalt im
autonomen Spektrum auf ein theoretisches Fundament zu stellen. Da ereignete
sich in der Tierrechtsszene ein Vorfall (unmittelbar nach einem vergleichbaren
im Castor-Widerstand), der Anlaß gab zu einer wilden Debatte über
weibliches Definitionsrecht und Sanktionsmacht gegen Vergewaltiger in autonomen
Zusammensammenhängen.
Die Interim - autonomes (Zentral-)Organ
- wurde zur Veröffentlichungsplattform einer Reihe im Kern gleichgesinnter
Artikel, die den Ausschluß aus den "eigenen" Zusammenhängen
als adäquates Sanktionsmittel favorisierten. Unstrittig war der Vergewaltigungsbegriff
und das Recht ihn zu definieren. Dies sollte bei der Frau liegen.
Einzig eine Gruppe namens Mili-tante
Spinne legte sich dazu inhaltlich quer. Der Artikel "Mola - Die Morgenlatte"
fiel der Zensur zum Opfer. Die Interim druckte ihn nicht ab und erwähnte
ihn nicht einmal als im Postordner eingegangen.
Die damalige trend-Redaktion veröffentlichte
den "Mola"-Artikel. Pikanterweise zu einem Zeitpunkt 1997 als die Interim
- vom Staatsschutz schwer gesucht - selber ins Cyberspace auswich und den
trend als Veröffentlichungsplattform nutzte.
Auch "Die Unglücklichen" stießen
mit ihrem "Paul&Paula-Papier" auf wenig Gegenliebe, kritisierten sie
doch darin das autonome Spektrum als theoriefeindlich. Wen wundert's -
auch sie wurden von der Interim zensiert. Dies hinderte de Unglücklichen
nicht, ihr Papier am 6. November 1997 als Interim Nr. 436 herauszugeben.
1999 veröffentlichte die Interim
eine Art "Tätersteckbrief", der von einer Frau stammte, die angab,
vergewaltigt worden zu sein. Bei dem Täter
sollte es sich um ein Mitglied der AAB/AO handeln. Schließlich
brauchte es ein Jahr, bis die Organisationszugehörigkeit des Täters
öffentlich bestätigt wurde. Allerdings nicht durch die AAB/AO
sondern durch ausgetretene Mitglieder.
Die Redaktion der letzten trend-Ausgabe
hielt es für angebracht, diese Vorgänge zu dokumentieren. Dies
brachte ihr von Seiten der "Rieger-Gruppe" Kritik ein: "Warum sie trotz
ihrer unzureichenden Konkretion und theoretischer Reflexion ins Internet
gehören, wird leider nicht mitgeteilt."
Als erste Antwort auf diese Kritik
richtete sie die Rubrik Szenedisco ein und versprach, die Texte aus der
97er Debatte nachzureichen. Mit der Redaktion dieser Ausgabe, die daran
weiterarbeiten wird, wurden die politischen Implikationen bzw. Einschätzungen
dieses Doku-Vorhabens diskutiert. Stichwortartig zusammengefaßt einigte
mensch sich auf folgende Punkte:
-
Dies 97er Debatte signalisiert das Ende
der Autonomen als gesellschaftliche Bewegung, indem nun wesentliche Verkehrs-
und Umgangsformen der "eigenen Zusammenhänge" diskutiert werden. Gesellschaftliche
Verhältnisse sind dabei nur noch Folie für die Herleitung von
Argumentationsfiguren. Ihre grundlegende Veränderung bzw. Aufhebung,
wie 10 Jahre zuvor im Rahmen der IWF-Kampagne deklariert, ist nicht mehr
Teil der politischen Praxis.
-
Der Widerstand und die Kampfformen der
Szene gegen den Versuch des Staatsschutzes, 1997 die Interim zu zerschlagen,
verstellten eine selbstkritische Zurkenntnisnahme des Niedergangs. Die
Debatte über Sexualität und Gewalt in den eigenen Zusammenhängen
verkam an ihrer Immanenz. Theoretische Grundpositionen, wie die der "Unglücklichen",
wurden zunächst unterdrückt und dann vehement wie in der Interim
440 zurückgewiesen
-
Als Inhouse-Diskussion geführt, endete
die 97er Debatte folgerichtig bei solch banalen Forderungen wie, "daß
linke Treffpunkte Schutzräume gegen alltägliche Gewaltverhältnisse
sind. Das heißt, daß aufeinander geachtet und eingegriffen
wird." (Interim 435)
-
Zwei Jahre später zeigte sich, dass
nicht einmal das Hausrecht gegen unliebsame Zeitgenossen einfach durchzusetzen
ist. Die einen hätten das Hausrecht nämlich gern durch den mafiotischen
Gerichtshof ihres Vereins legitimiert, den anderen reicht es, wenn
die Betroffenen selber handeln - allerdings unter der Prämisse, das
alle andern bedingungslos zustimmen.
-
Die Debatte über autonomes Hausrecht
schleppt sich nunmehr fast ein Jahr dahin und larviert wie zwei Jahre zuvor,
dass es um etwas anderes geht, als vordergründig aufeinanderprallt.
Nämlich um die Frage: Muss eine Autonome Szene, die hauptseitig nur
noch Antifa/Antira-Politik macht, um schlagkräftig zu bleiben, wie
eine zentralistisch-demokratische Massenorganisation organisiert sein?
Die AAB/BO hat die falsche Antwort gegeben.
Auf dem Hintergrund dieser Einschätzungen
werden wir den weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen im autonomen Spektrum
dokumentieren. Dazu wird es auch gehören, den Zusammenhang zwischen
dem jetzigen (miserablen) theoretischen Zustand und seinen ideengeschichtlichen
Roots darzustellen. Von daher ist es zwangsläufig so, dass diese Thesen
Arbeitsthesen sind, d.h. einer Veränderung unterworfen woraus folgt,
dass wir bisweilen mit eigenen Artikeln eingreifen werden.
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