Eine Sexismus-Debatte spaltet
die Berliner Antifa. von ivo bozic jungle world 26.4.00
Auf der Homepage www.antifa.de
deutet nichts darauf hin, dass etwas vorgefallen sein könnte. Auch
sonst war ein Jahr lang von der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB)
nichts zu dem Vergewaltigungsvorwurf zu vernehmen, der gegen ein ehemaliges
Mitglied der Gruppe erhoben wird.
Und das, obwohl der Streit
um diesen Fall - zumindest in Berlin - inzwischen zu einer Spaltung der
gesamten Szene zu führen scheint. Vor einigen Wochen endlich veröffentlichte
die AAB in dem autonomen Szene-Blatt Interim ihr angekündigtes Positionspapier.
Die Reaktionen reichen von dem Kommentar, dass »die Grenze des Zumutbaren«
erreicht sei, bis zum offenen Boykott-Aufruf gegen die Vereinigung, die
als mitgliederstärkste und einflussreichste Antifa-Organisation angesehen
werden darf.
Im März 1999 war in
der Interim ein Flugblatt erschienen, in dem eine Frau angab, drei Monate
zuvor von einem Mitglied der AAB vergewaltigt worden zu sein. Der Vorwurf:
»Obwohl ich ihm mehrmals gesagt habe, dass ich nicht mit ihm schlafen
will, hat er mich gefickt.« Es wurden nicht nur der komplette Name
und die Adresse des Täters in der Zeitschrift veröffentlicht,
auch wurden rund um seine Wohnung Losungen gesprüht, es wurde versucht,
in seine Wohnung einzubrechen und ihn vor seiner Arbeitsstelle abzufangen.
Durchaus übliche Methoden bei Autonomen, um die Sanktion des Ausschlusses
aus allen Szene-Zusammenhängen durchzusetzen.
Doch nicht nur den Vergewaltiger
trafen die Reaktionen der Szene. Auch die AAB wurde heftig unter Beschuss
genommen. Die Gruppe hat feste Regeln für solche Vorfälle: Zunächst
wird auf einer Vollversammlung (VV) eine mündliche oder schriftliche
Stellungnahme der betroffenen Frau gehört - samt ihren Forderungen
an die Gruppe und den Täter. In einem zweiten Schritt holt man eine
Stellungnahme des Angeklagten ein, anschließend tagen die Frauen
und Männer der Gruppe getrennt, wobei die Frauen-VV über die
weiteren Maßnahmen entscheidet.
Das Verfahren der AAB gilt
in der autonomen Szene als Verrat, weil damit das Definitionsrecht der
Frau angetastet wird. Während es in der Szene ausreicht, wenn eine
Betroffene die Tat als Vergewaltigung bezeichnet, stellt die AAB durch
eine objektive Erörterung des Falls, bei der auch der Angeklagte gehört
wird, die Schilderung der Frau in Frage. Dies wollten einige Szene-Frauen
nicht hinnehmen und stürmten mit Knüppeln bewaffnet die VV der
AAB.
Die AAB wiederum erklärte,
der Beschuldigte sei inzwischen aus der Gruppe ausgetreten. Daher könne
es keine weiteren Sanktionen geben. Ein Jahr später ist nun ein Papier
mit dem Titel »Neue Sachlichkeit« erschienen. Seitdem hat die
AAB Hausverbot im Szene-Lokal »Ex« und die meisten Gruppen
der autonomen Szene lehnen eine weitere Zusammenarbeit mit der Organisation
ab. Selbst innerhalb der AA/BO, in der die AAB organisiert ist, kam es
zum Streit. Die Braunschweiger AA/BO-Gruppe erklärte ihren Ausstieg
aus der bundesweiten Organisation, weil sich die Berliner mit ihrem Papier
eindeutig »auf die Seite des geouteten Vergewaltigers« geschlagen
hätten. Das Verfahren der AAB wird als »Gerichtshof« kritisiert.
Das AAB-Papier offenbart,
dass die Gruppe keine oder eine aus der linken Steinzeit entlehnte Gesellschaftsanalyse
hat. Das Patriarchat als konstituierende Struktur der Gesellschaft kommt
überhaupt nicht vor. Das gipfelt darin, dass die AAB beim Benennen
von Opfern und Tätern durchgehend geschlechtsneutral von »Personen«
schreibt, »um die Verwendung des Gegensatzes von Frau = Opfer und
Mann = Täter zu vermeiden« - als wäre das austauschbar.
Doch die AAB formuliert auch Kritik an der autonomen Szene, über die
es nachzudenken lohnt. Zum Beispiel werden martialische Anti-Vergewaltiger-Kampagnen
wie »Dead men can't rape!« als repressive Methode bezeichnet,
die ähnlich dem bürgerlichen Diskurs um Kinderschänder auf
die Einführung der Todesstrafe hinauslaufen.
Vor allem aber kritisiert
die AAB, dass eine Definition von Vergewaltigung und damit eine Differenzierung
von Grenzüberschreitungen von der Szene abgelehnt wird. In der Tat
ist dies ein schwieriger Punkt. Dadurch, dass es allein der betroffenen
Frau obliegt, eine Tat als Vergewaltigung zu bezeichnen und nur bei einer
solchen Zuschreibung Sanktionen der Szene erfolgen, wird der gesamte Zwischenbereich
sexueller Übergriffe ausgeblendet, der zum Teil auch aus kommunikativen
Missverständnissen, psychischem Druck oder der Verletzung von Körper-Distanzen
besteht.
Doch muss es nicht - so wie
es unterschiedliche Abstufungen von Sexismus und Grenzüberschreitungen
gibt - auch eine Abstufung von Sanktionen geben? Bestimmt nur der Grad
der Wut des Opfers die Art der Sanktion? Und bestimmt in Fällen, in
denen es kein konkretes Opfer gibt, nur die Willkür? Ein Beispiel
hierfür ist der Fall eines Berliner Autonomen, der zugegeben hatte,
sich gelegentlich beim Betrachten von so genannten Herren-Magazinen selbst
zu befriedigen und dafür gewaltsam aus einer Szene-Kneipe geschmissen
wurde.
Die Antifaschistische Gruppe
im Prenzlauer Berg (AGiP) fordert nun »alle AAB-Mitglieder, denen
es mit Antisexismus ernst ist«, auf, aus der Gruppe auszutreten und
die AAB komplett zu boykottieren. Andere verweisen auf den Zusammenhang
zwischen dem fehlenden Patriarchatsverständnis der AAB und ihrem Umgang
mit dem Vergewaltigungsvorwurf.
Dieser monokausale Zusammenhang
jedoch ist konstruiert. Auf der Basis einer Gesellschaftsanalyse, die das
Patriarchat ignoriert, lässt sich zwar schwerlich linksradikale Politik
machen, andererseits bedeutet der Besitz einer »richtigen«
Analyse noch lange nicht, vernünftig mit Sexismus in den eigenen Reihen
umgehen zu können. Das beweisen zwei Jahrzehnte autonomer Praxis.
Quer durch die Republik wurde kaum eine Szene von sexistischen Vorfällen
verschont und nicht selten gipfelten die in der Regel sehr hart geführten
Auseinandersetzungen in einer Spaltung der Szene.
Offenbar kommt Sensibilisierung
für das Thema nur über die Konfrontation mit konkreten Fällen
zu Stande und muss augenscheinlich von jeder Generation neu entwickelt
werden. Das muss auch der AAB zugestanden werden. Gerade deshalb ist jedoch
deren Ausgrenzung der falsche Weg. Nur solange die Gruppe an einer Auseinandersetzung
mit der Szene nicht vorbeikommt, sind Entwicklungen möglich.
|