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Let´s take a Walk on the Wild
Side
In der Jubiläumsausgabe der interim
500 schrieb "Eine FauenLesben Gruppe aus Berlin" einen Beitrag "Zur Umgangsweise
mit Vergewaltigung in gemischtgeschlechtlichen politischen Zusammenhängen".
Die in dem Beitrag angeführten Zitate stammen fast auschließlich
von 1989 und zeigen deutlich den Stand der Diskussion in der radikalen
Linken. Gerade in der feministischen Debatte um sexuelle Gewalt gegen Frauen
und Mädchen, hat es in den letzten elf Jahren Entwicklungen gegeben,
deren Umsetzung wir gerne auch in unserer Szene sehen würden.
"In der Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt scheint es für viele Frauen schwer zu sein, Unterschiedlichkeit im Denken zu akzeptieren, vielleicht noch schwerer als sonst. Hier werden Stärke und damit politische Durchsetzungskraft zur Veränderung der Situation betroffener Mädchen und Frauen ausschließlich aus der Gemeinsamkeit erwartet, selbst Zweckbündnisse mit Institutionen und Personen außerhalb eines feministischen Konsenses werden als riskant betrachtet. Unterschiedliche Sichtweisen oder Kritik an diesem postulierten Konsens bedeuten das Verlassen einer gemeinsamen Linie, von der allerdings unklar bleibt, von wem oder wie sie festgelegt wurde. Sie ist in den Anfangsjahren der feministischen Gewaltdiskussion entstanden und beansprucht Gewohnheitsrecht." (Dr. Kavemann, Barbara; 1995, S.13
ff)
In der von Barbara Kavemann beschriebenen Situation befinden wir uns hier und heute, wenn es darum geht einen Umgang mit Vergewaltigung in der linksradikalen Szene zu finden. Das Recht auf "Definitionsmacht der Frau" schwebt wie ein Damoklesschwert über jeder Diskussion. Um es gleich zu Beginn unseres Beitrags auf den Punkt zu bringen: Wir wollen das Definitionsrecht der Frau nicht abschaffen, wir wollen aber das Verbot übertreten und es hinterfragen. Unserer Wahrnehmung nach umfaßt die Definitionsmacht von Frauen drei Aspekte: 1. Eine Frau erlebt eine Situation als Vergewaltigung. 2. Das subjektive Erleben der Frau wird in eine objektive Tatsache gewandelt. 3. Der betreffende Mann wird als Vergewaltiger
benannt.
The White Side Die letzten zehn Jahre linksradikaler Politik haben Veränderungen und unserer Meinung nach auch Bewußtseinserweiterungen mit sich gebracht, die einem Stillstand hinsichtlich der Frage zur sexuellen Gewalt gegen Frauen und Kinder entgegenwirken sollte. Eine Diskussion zum Thema Recht auf Definitionsmacht der Frau bedeutet für uns nicht, einen Roll-Back anzutreten, sondern Errungenschaften weiterzudenken. Die Definitionsmacht der Frau, was eine Vergewaltigung ist, war eine Errungenschaft der Frauenbewegung und ist rund dreißig Jahre alt. Sie ging über die Vorstellungen bürgerlicher Gesetze hinaus, die Vergwaltigung nur unter nachweislichem Zwang bei gleichzeitiger vaginaler Penetration anerkannte. Damit wurde klar, daß es bei Vergewaltigung nicht um sexuelle Befriedigung, sondern um Macht und Unterwerfung ging. Vergewaltigung in der Ehe wurde Thema, sexueller Missbrauch und Täter im engsten sozialen Umfeld wurden geoutet. Das hat den Raum eröffnet für viele Frauen über ihre Vergewaltigungen öffentlich zu reden. Aus der Vereinzelung heraustretend, wurde Vergewaltigung von Frauen als gesellschaftliches Phänomen begriffen. Diese Entwicklung war aber nie ein reibungsloser Prozeß. Meist wurden Frauen hierfür angefeindet, ihre Aussagen in Frage gestellt. Männerkumpanei, Bedrohungen und Täterschutz gehörten von Anfang an dazu. Das Outen von Vergewaltigern war schon immer ein äußerst heikles Thema, bei dem Emotionen hochgeschlagen sind, viele der Aggressionen von Männern wie von Frauen wurden gegen die vorbringenden Frauen gerichtet. Kühle Köpfe waren eine Seltenheit. Diese Diskussionen haben nicht unwesentliche Schritte der Emanzipation in der bürgerlichen Gesellschaft zur Folge gehabt. Vergewaltigung in der Ehe und sexueller Missbrauch sind heute strafbar. In linken Zusammenhängen stand auf Vergewaltigung Ausschluß aus allen sozialen Zusammenhängen. Wir alle wissen, daß die Definitionsmacht
eine Errungenschaft war. Viele Veränderungen und Diskussionsprozesse
wurden in Gang gesetzt, nicht zuletzt in Liebesbeziehungen waren diese
Diskussionen hilfreich für Veränderungen.
The Black Side Neben dieser weißen Seite, die wir eben beschrieben haben, gibt es aber auch die schwarze und vor allem eine mit vielen Grautönen. Zunächst die schwarze Seite - das Geheimnis- , über die wir nicht sprechen dürfen, die aber viele kennen und alle ahnen. Es hat immer wieder Fälle gegeben, bei denen mit der Definitionsmacht unehrlich umgegangen wurde, oder sie mißbraucht wurde, aus persönlichen oder politischen Gründen. Der Umgang mit Vergewaltigern war in diesen Fällen in hohem Maße unehrlich. Die Folgen trafen aber in gleicher Härte: Ausschluß des Vergewaltigers. An dieser Stelle wird es wohl Aufschrei und Beschimpfungen geben. Wenn wir aber ehrlich sind, wissen wir, daß es die Wahrheit ist. Wir behaupten nicht, daß das Geheimnis ein Regelfall ist, wir sagen, es war die Ausnahme, aber auch kein Einzelfall. Das Outen von Vergewaltigern war immer schon schwierig, weil angstbesetzt, denn schließlich geht es um uns selbst. Durch das Geheminis wird ohnehin vorhandenes Mißtrauen geschürt. An dieser Stelle befinden wir uns jetzt. Wenn in der linken Szene eine Vergewaltigung öffentlich gemacht wird, setzen sofort Abwehrmechanismen ein. Den Frauen wird nicht geglaubt, den Männern Täterschutz unterstellt. Vor diesem Hintergrund schlagen wir vor, die Definitionsmacht
der Frau neu zu bestimmen und möglicherwise sogar einen erweiterten
Regelkatalog zu erstellen, um eine andere Umgangsweise zu finden.
The Gray Scale Wir kommen damit zu den Grautönen, die den eigentlichen Konfliktstoff bieten. Zunächst wollen wir festhalten, dass einzig und allein, die betroffene Frau entscheiden kann, ob sie vergewaltigt worden ist oder nicht. Wir nennen diese Entscheidung absichtlich nicht Definitionsmacht. Was eine Vergewaltigung ausmacht, läßt sich nicht in objektive Kriterien fassen, denn sexuelle Gewalt wird subjektiv dem sozialen Kontext entsprechend empfunden trotz ihrer gesellschaftlichen Realität. Wir haben uns nach langem hin und her dennoch auf eine Definition von Vergewaltigung geeinigt, da wir im Verlauf unserer Diskussion nicht umhin kamen, einen Rahmen für das, was eine Vergewaltigung ausmacht, zu nennen. Denn es besteht ein Unterschied zwischen sexuellen Übergriffen und einer Vergewaltigung nach wie vor. Es gilt dieses festzuhalten, sowohl für die Auswirkungen als auch für den darauffolgenden Umgang einschließlich der Sanktionen. Hier unsere Definition: Eine Vergewaltigung hat dann stattgefunden, wenn der Mann wissentlich gegen den Willen der Frau seine sexuelle Befriedigung durchgesetzt hat. Diese Definition beinhaltet für uns die entscheidende Frage nach dem wissentlichen Handeln. Wenn eine Frau sagt, sie ist vergewaltigt worden, bedeutet der Umkehrschluss nicht automatisch, dass der Mann ein Vergewaltiger ist. Wenn eine Frau sich vergewaltigt fühlt, dann darf daran kein Zweifel bestehen, denn es entspricht ihrer Realität. Es kann aber trotzdem sein, dass der Mann nicht vergewaltigt hat, da er das Nicht-Wollen der Frau nicht erkannt hat. Wir wissen, dass wir an dieser Stelle dünnes Eis betreten, aber wir möchten hier dennoch vorsichtig weitergehen. Frauen und Männer haben gleichermaßen Verantwortung beim Sex, sei es in langjährigen Liebesbeziehungen, oder beginnenden, in kurzen Affären oder in one-night-stands. Frauen sind nicht immer nur Opfer ihrer Erfahrungen. Sie sind in der Lage Grenzen zu ziehen, Konflikte anzusprechen und Signale zu setzen. Ebenso müssen Männer nicht immer beim Sex wachsam sein, auch sie haben das Recht sich gehen zu lassen und nur bei sich zu sein. Wenn wir wirklich Abstand nehmen wollen, von den schwarz-weißen Opfer-Täter-Analysen, dann muss das zugestandene Recht für Frauen auch für Männer gelten. Beim Sex sollte das Motto gelten: Alles was gegenseitigen Spass macht, ist erlaubt ! Es kommt aber immer wieder zu Situationen, wo erst der Sex noch ok ist und plötzlich aber, aus irgendeinem Grund, ist es vorbei. Sie kann es nicht formulieren. Er merkt scheinbar gar nix. Stunden, Tage oder Wochen später ein schlechter Geschmack beim Gedanken an die Nacht. Sie fühlt sich von ihm vergewaltigt, er hätte wissen können, was bei ihr los war. Es hat ihn nicht interessiert, er wollte nur seinen Orgasmus und für ihn war es eine tolle Nacht. Sie fühlt sich zu Recht vergewaltigt. Ist er damit ein Vergewaltiger ? Was ist, wenn er wirklich den Moment
verpasst hat, wo es für sie gekippt ist ? Wenn er es wirklich nicht
gemerkt hat, weil sie ihm was vorgespielt hat, nicht anders konnte, keine
Worte fand, und aus welchen Gründen auch immer nicht Stopp sagen konnte..
Diese
Situationen sind die Grenzfälle, an denen die Konflikte losbrechen
And what happens now? Üblicherweise passiert in unseren Kreisen folgendes. Die Vergewaltigte trifft sich mit ihren FreundInnen und versucht darüber zu reden, was auch im engsten Freundeskreis sehr schwierig ist. Nach einiger Zeit werden die FreundInnen dann den Vorfall mit weiteren FreundInnen diskutieren und irgendwann wird sich entschieden das Ganze öffentlich zu machen. Bis der Vorfall öffentlich gemacht wird, sind meist einige Wochen vergangen. Der betreffende Typ erfährt es, sei es mündlich, sei es als Flugblat oder Graffiti. Er ist schockiert und versucht Kontakt mit der Frau aufzunehmen, der aber abgelehnt wird. Stattdessen kriegt er mit, daß sämtlich FreundInnen von ihr sich von ihm abwenden und echt schlechte Stimmung herrscht. Er merkt dass es Ernst ist und beginnt mit seinen eigenen Freunden darüber zu reden. Diesen gegenüber wird er natürlich seine Unschuld beteuern, um Solidarität zu erhalten. An diesem Punkt folgen die Auseinandersetzungen keinem kritischen reflektierendem Muster, sondern sie verlaufen entlang freundschaftlicher Linien. Je schlechter nun die VertreterInnen
dieser beiden Linien es schaffen, miteinander zu reden, desto heftiger
wird die Auseinandersetzung sein.
Turning the Tide Bleibt die bislang praktizierte Definitionsmacht so wie sie ist, dann ist das Erleben der Frau gleich einem objektivem Tatbestand, dann ist der Mann ein Vergewaltiger und dann ist es nur folgerichtig, daß die Bekanntmachung über Flugblättter erfolgt, also ohne den Versuch der Auseinandersetzung, und daß Sanktionen eingefordert werden. Wir wollen nicht, daß die Entwicklung der letzten zehn Jahre an der Sexismus-Debatte haltmacht. Auch in der Sexismusfrage muß die Aufhebung von schwarz-weiß Strukturen und dualistischen Opfer-Täter Perspektiven ein Ziel sein. Damit ist die von uns geforderte Umdeutung der Definitionsmacht kein Roll-Back sondern ein Weiterdenken dekonstruktivistischer Ideen. Für uns bedeutet es, daß das subjektive Erleben der Frau respektiert und gewürdigt wird und somit eine geäußerte Vergewaltigung nicht in Frage gestellt wird. Für uns gibt es allerdings keinen automatischen Wandel von der subjektiven Wahrnehmung in eine objektive Realität. Es muß vielmehr eine Prüfung und kritische Auseinandersetzung sowohl mit der Frau wie mit dem Mann erfolgen. Hier stellt sich natürlich die Frage, wer diese Auseinandesetzung führen soll. Es kann nur sein, daß sich das Umfeld der Frau an das Umfeld des Mannes wendet, dieses mit dem Vowurf konfrontiert, um mit der ausdrücklichen Bereitschaft zur Diskussion zu einer Einschätzung zu kommen. An dieser Stelle ist das Umfeld des Mannes gefragt, denn es muß sich mit dem Mann auseinandersetzen und sollte den Diskussionsprozeß dem Umfeld der Frau gegenüber in einer angemessenen Zeit transparent machen. Gelingt das nicht, was wohl nicht selten der Fall sein wird, gibt es eine Verantwortung der "Szene" in Form einer möglichen dritten Instanz, die in den Fall einzugreifen hat. Wenn wir tatsächlich über die Mechanismem des bürgerlichen Rechts hinauskommen wollen, dann muß es Leute von uns aus gemischtgeschlechtlichen Zusammenhängen geben, die eine solche Verantwortung übernehmen und regelnd und klärend eingreifen. Falls die beteiligten Gruppen zu dem
Schluß kommen, daß eine Vergewaltigung stattgefunden hat, erfolgt
der bedingungslose Ausschluß aus unseren Zusammenhängen. Die
weiteren Sanktionen gegen den Vergewaltiger ermessen sich an der Schwere
der Vergewaltigung.
Der jetzige Zustand ist nicht zuletzt deshalb unerträglich, weil niemand diese Verantwortung übernehmen möchte.Umgekehrt denken wir, daß eben jenes Fehlen von Verantwortung übernehmen, auch Ursache für die Verfahrenheit der jetzigen Situation ist. Einer der Ausgangspunkte für unsere
Diskussion war der Vergewaltigungsvorwurf gegen ein Mitglied der AAB. Hier
wurde in hervorragender Art und Weise gezeigt wie es nicht laufen sollte.
Wir denken, daß es in diesem Fall zu keiner Klärung kommt, wenn
sich nicht die "Szene" oder irgendeine Verantwortung übernehmende
Gruppe, in klärender und regelnder Art und Weise einschaltet. Auch
dieses wird aber nur dann funktionieren wenn das Umfeld der Frau, wie auch
die AAB sich auf einen Trialog einlassen.
Franz und Mandy Meiser
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