Das alte EX in neuem Fahrwasser - oder:
ein Ameisenhaufen hinterläßt Spuren
Menschen und Unbeschreibliche
Sie geben sich geheimnisvolle und klangvolle Namen,
wie z.B. AOK, Assels, CD-Rom, K40, Klippklaap,
Komplex, Mix, Philos, Piradio, Rappelkiste oder
Venceremos, die neuen
MacherInnen dieser legendären Kreuzberger
Kneipe. Dahinter steckt ein äußerst seltenes
Potpourri von knapp 100 Menschen aus dem unangepaßten
Großstadtsumpf: u.a. Frauen- und
Männerzusammenhänge, schwule und lesbische
Gruppen, Menschen aus der antifaschistischen Arbeit
und Schülerarbeit, aus Hausgemeinschaften, aus
Kollektiven, der Internationalismus-Arbeit, aus
diversen undogmatischen politischen Projekten und
sozialen Strukturen, SchüerInnen, AnarchistInnen,
PhilosophInnen, Autonome, StudentInnen,
ArbeiterInnen und Angestellte, Auszubildende,
Nichtdeutsche und Deutsche und viele, die einfach
unbeschreiblich sind. Ein Extrakt aus 20 Gruppierungen
im Alter zwischen 17 und 57 Jahren, mit eigenwilligen
Charakteren, den vielfältigsten Ideen und den
unterschiedlichsten Biographien.
Die unvermeidlichen Überschüsse
Seit Februar 1998 beleben wir als 'Berliner
Mischung' die Gaststätte EX im
Mehringhof. Freiwillig, aus politischem Interesse und
ohne pekuniären Profit für die tägliche
Arbeit am Tresen zwischen 12:00 Uhr und 4:00
morgens. Je nach ihrer Größe übernehmen die
Gruppen für einzelne Schichten oder ganze Tage
die Kneipe, 1 bis 2 Schichten pro Person im Monat sind
dabei die Regel, manchmal auch mehr. Es steht den
verschiedenen Projekten offen, ihren Kneipentag offen
zu gestalten,
z.B. ihre Arbeit darzustellen oder sich durch das
Verbreiten unerträglich guter Stimmung allseits beliebt
zu machen. So entsteht ein öffentlicher Ort mit
möglichst wenig kleinkapitalistischen
Zwängen und möglichst viel Platz für
Begegnung, Informationsaustausch, Kommunikation,
Parties, Kultur und Spaß und zwar gleichermaßen
für BetreiberInnen und Gäste. Die
unvermeidlichen Überschüsse werden von
Anfang an zur Senkung der Preise verwendet, zum
Abbau der Schulden für die Übernahme und
Anfangsinvestitionen, Entlohnung fü logistische
Arbeiten (Koordination,
Einkauf, Buchführung, das seltene Kochen und die
häufigen Reparaturen) und für die politische
Arbeit zur Verfügung gestellt. In der Höhe
dieser Summe spiegelt sich wieder, wie erfolgreich es
uns gelingt, Euch als Gäste zu gewinnen.
Ein holpriger Weg
Im Februar '99 hat dieses Experiment das
vereinbarte Versuchsjahr hinter sich gebracht. Wie
lange es fortbestehen wird, hängt vor allem von
uns selber ab: schaffen wir es endlich, das
alldreiwöchige Plenum unter die 5-Sunden-Grenze
zu drücken, trauen wir uns Entscheidungen trotz
kontroverser Standpunkte zu, können wir unsere
Unterschiede als Verschiedenheit und nicht als
Bedrohung akzeptieren, kommt erst das Putzen und dann
das revolutionäre Lösungsmittel, erst das
Ohr, dann die große Klappe?? Sollte auf diesem
holprigen Weg so etwas wie Vertrauen auftauchen - dann
sind wir unschlagbar!
Charme
Währenddessen brauchen wir Eure Geduld, denn
keiner von uns ist zum/r ZapferIn geboren
worden. Bedienen, Kassieren, stundenlanges Putzen und
Service gehören auch nicht gerade zu unseren
Lieblingsbeschäftigungen, das genaue Einhalten
eines verbindlichen Organisationsschemas grenzt schon
grauenhaft nah an Disziplin. Kleinigkeiten, z.B. wenn
die Kaffeemaschine morgens Rauchzeichen gibt, die
Elektrik ihren schlechten Tag hat, kein Geld für
die Bezahlung des Bierlieferanten bereit liegt, sich
die Kühlung der Zapfanlage bei Hochsommer-Wetter
verabschiedet oder ein Typ vom Gesundheitsamt
überraschend die Papierhandtücher
kontrollieren will, verlangen von uns nur einen
ausgeglichenen Adrenalinspiegel und einen Blick in das
Kneipenbuch ab. Wenn aber z.B. die Musikanlage partout
nicht leiser zu stellen geht und ohnenhin nur Reggae
spielen mag, das Weizenbier vom Hahn als Schaumteppich
Karriere macht, der vertieft telefonierende
Tresendienst die durstigen Seelen in seinem
Rücken übersieht, der bestellte Apfelsaft
verdächtig nach Rhabarber schmeckt, die Snickers
zum x-ten Male durch intensiven Eigenverbrauch leider
nicht mehr in den Verkauf gelangen, ja dann hilft nur
noch unser unwiderstehlicher Charme, Euch zu
Stammkunden zu machen ...
The End
Wir werden viel daran arbeiten, Dinge zu verbessern
und Neues zu erproben, nur verbiegen werden wir uns
deshalb nicht. Lieber ein aufrechter Gang als
Erbsenzählerei.
HASTA LA VICTORIA!
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