Mai 1975
Stockholm [1]: wie geht es weiter?
Unsere Genossen Ulrich Wessel [2] und Siegfried Hausner [3] sind tot. Die anderen des Kommandos Holger Meins sitzen im Gefängnis, die Liste ist noch länger geworden. Partei- und Regierungsvertreter, die Bullen jubeln über ihren »Sieg«. Was ist los mit dieser Niederlage? Was soll jetzt überhaupt geschehen, um die Gefangenen rauszuholen, um weiterzukämpfen? Läßt uns, die revolutionäre Linke, der Tod der beiden - und inzwischen auch der Tod des Genossen Werner Sauber [4] - so unberührt, wie es Holgers Tod für große Teile der Linken doch letztendlich gewesen ist?
Verschiedene Umstände haben bewirkt, daß die Herrschenden nach Stockholm sich in einem triumphalistischen Geschrei ergehen konnten, wie es schon längere Zeit nicht mehr zu hören war. Die Genossen vom Kommando Holger Meins haben versucht, die Bedingungen zu schaffen für eine Befreiung der politischen Gefangenen.
Klar war, daß eine Aktion ähnlich der Lorenzentführung [5] nicht ausgereicht hätte; »wichtigere« und mehr Leute zu entführen, ist jedoch mit den gegenwärtig zur Verfügung stehenden Mitteln kaum möglich, so daß ihre offene Besetzung der deutschen Botschaft eine richtige Aktion war. Dennoch ist der Versuch mißglückt. Der Druck hat nicht ausgereicht. Gefangengenommen waren nur deutsche Beamte, nur »kleine Lichter« (bis auf den Botschafter selbst vielleicht) und alles spielte sich im Ausland, nicht im direkten Verantwortungsbereich der BRD-Regierung ab. Es war also leichter für diese Regierung, den Forderungen nicht nachzugeben, als es hätte sein müssen. Der Umstand, daß zudem alle Geiseln nach der Sprengung entkamen, paßte in dieses Konzept, es konnte als Erfolg der eingeschlagenen Taktik ausgegeben werden. Und Maihofer [6] und Konsorten brüsten sich damit, daß sie diesmal nicht den Kürzeren gezogen haben: Der Trick, Hubschrauber bei den deutschen Knästen in Wartestellung zu bringen, habe die Terroristen via Fernsehen getäuscht und den Stockholmer Behörden Zeit gegeben für ihre Vorbereitungen zum Sturm auf das Gebäude; die Terroristen seien Randfiguren gewesen, unerfahren, unsicher, Dilettanten.
Nun gut, Herr Maihofer, nicht nur aus Fürstenfeldbruck [7] haben wir gelernt, wir lernen auch aus der Bullentaktik im Fall Lorenz und aus Stockholm! Die Bande Großer Krisenstab (GKS) [8] hat keinen Anlaß zu triumphieren!
Klar ist, daß jetzt ein anderer Druck erzeugt werden muß, um unsere Genossen rauszuholen, klar ist, daß nicht die Sorge um Menschenleben die Handlungen der Politiker bestimmt, sondern ganz andere taktische und strategische Überlegungen, genau wie sie auf unsere Kampfformen, -orte und -zeitpunkte gezwungen werden zu reagieren.
Wie nach der Ermordung von Holger Meins [9] kann die GKS-Bande sicher sein: wir ziehen die Konsequenzen. Die Stadtguerilla wird wie den Tod Holgers auch die Genossen Ulrich Wessel, Siegfried Hausner, Werner Sauber rächen, sie wird jeden Versuch machen, die Gefangenen zu befreien, weil das ein von ihrer Existenz untrennbarer Teil ist:
Nicht zulassen, daß das heuchlerische Mordgeschrei anhalten kann, angesichts der massiven und tödlichen Gewalt, die in allen denkbaren Formen täglich gegen Menschen angewandt wird.
Nicht zulassen, daß die Vertreter dieser Ordnung unsere Genossen ermorden und sich dann in ihren Villen und Bungalows zufrieden schlafen legen können.
Nicht zulassen, daß die gefangenen Kämpfer jahrelang mit schweinischen Methoden, die sich nur ein Ärztestand wie in diesem Land und eine solche Justiz ausdenken können, kaputtgemacht werden.
Die Verantwortlichen, die Nutznießer dieses Systems überall angreifen, zur Rechenschaft ziehen, die Mechanismen ihres Unterdrückungsinstrumentariums überall unterbrechen und zerstören. Ihrer erdrückenden Übermacht setzen wir den revolutionären Guerillakrieg entgegen: seine Taktik und Strategie werden für unsere Verhältnisse und von unseren Verhältnissen weiterentwickelt, aufbauend auf der Praxis und Theorie der Genossen in vielen Ländern der Welt.
Die Vorgehensweise des Staates wird von manchen Leuten, die vor Zeiten selbst den Anspruch hatten, linke Radikale zu sein, inzwischen nahezu gebilligt. Das geht von DKP-SEW-Kreisen inzwischen über Wallraff [10] bis zu den Führern des Sozialistischen Büros [11], die schon mehr oder minder offen selbst nach den Bullen rufen. Von denen soll hier allerdings nicht die Rede sein, sondern von »den anderen«, die sich zwar auf der gleichen Seite fühlen wie wir, aber ihre Probleme sich nicht klarmachen und mit Mauern und Abwehrtricks sich in eine vermeintliche Sicherheit bringen. Ihr Verhältnis zu Aktionen wie der Lorenzentführung oder der Stockholmer Besetzung unterscheidet sich zudem nicht prinzipiell davon, wie sie andere radikale Widerstandsaktionen erleben: als etwas ihnen äußerliches, sie nicht betreffendes; da wird gewertet, klassifiziert, Zensuren werden ausgeteilt, wie bei einem Fußballspiel im Fernsehen. Gewinnt der »Favorit«, entwickelt sich eine Art sportlicher Begeisterung für die Besseren, an Niederlagen wird - man kann es kaum anders nennen - »herumgemäkelt«, selbst wenn es sich dabei um den Tod von Genossen handelt. Sie begreifen nicht, daß es ihre Genossen sind, sie haben immer noch nicht den endgültigen Trennungsstrich gezogen zwischen sich und dem in tausenderlei Formen auftretenden und sie vereinnahmenden Herrschaftssystem.
Deshalb fehlen die Betroffenheit, der Haß auf diese Verhältnisse, ein Gefühl dafür, was der Guerillero eigentlich macht, wenn er solche Aktionen durchführt. Dieses Unberührtsein hängt auch zusammen mit ihrer gefühlstötenden, untätigen Ratlosigkeit. Sie sehen zwar auch, was ist, »wissen« aber angeblich aus ihren bisherigen Erfahrungen, daß sie »nichts machen können«; sie verbrämen das in der Regel, bringen z.B. Kritik, die einen nur staunen lassen kann (»das SPK [12] war schon immer etwas verrückt!« oder sagen, wie die Aktion viel besser und richtiger hätte gemacht werden können! - Dann macht es doch bitte, Genossen!) oder sie flüchten sich in verschiedenste Auswege von Freiraum-Gebilden [13] für sich und ihre insider-groups bis zur Scheinpoiltik in ihren Parteien und Büros. Oder ganz ohne Ausweg: Sie verdrängen die Reste in sich, die aufgrund eines diffusen Betroffenseins noch rebellieren wollen, mit vielerlei Tricks, um ihr Selbstverständnis noch aufrecht erhalten zu können. Dieses »Linkssein« täuscht jedoch nur noch einige Zeit darüber hinweg, daß man darüberhinaus nichts mehr am Hut hat.
Warum »können« sie nichts machen? Weil sich in vielen Arbeitsansätzen zeigt, daß die Trennung zwischen »Politik« und einem selbst nicht läuft, daß das Politikmachen immer wieder hinauslief auf: andere auffordern, agitieren, belehren, daß sie doch was machen sollten. Agitation, Information ist natürlich richtig, aber warum versuchen alle, sich selbst rauszuhalten? Haben Angst, sich selbst als Teil des vom System kaputt gemachten Volkes zu betrachten?
Horst Mahler [14] (der frühe natürlich) hat es vor Gericht mal so gesagt: »... Die einzige Anklage, die ich gelten lasse, ist die, daß wir dafür zuwenig getan haben; daß wir zulange gezögert und nicht unser Bestes gegeben haben; daß wir zuviel geredet und zuwenig gehandelt haben; daß wir zulange versucht haben, die Falschen vom Richtigen zu überzeugen, statt das Richtige selbst zu tun.«
Es wird geredet und gewartet: daß andere das Richtige tun. Widerstand, Kampf gegen das Herrschaftssystem sind jedoch Prozesse, in den vielfältigen Bereichen entwickeln sich Inhalte, Methoden, Bewußtsein vielfältig, ungleichzeitig usw.
Doch warum sollen wir warten? Oder Ihr? Und worauf? Der schöne Satz »Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein?« gilt nämlich! Gilt für uns wie für alle, die aus ihren Einsichten, Erfahrungen, bewußt erlebten Veränderungen beginnen, Konsequenzen für's Verhalten, für's Handeln zu ziehen.
Die Stadtguerilla bei uns ist jetzt und auf absehbare Zeit eine Minderheit und ihr Kampf ist äußerst langwierig und schwierig, die Entwicklung zur Stadtteilguerilla, Schul- und Universitätsguerilla, zur autonomen Guerilla von Frauen - zur Guerilla also als Massenperspektive - geht nicht von heute auf morgen. Doch deshalb ist sie nicht falsch!
Wir können natürlich nicht im Rahmen dieses Beitrages die ganze Vielfalt in Theorie und Praxis der ganzen Linken umfassend behandeln, das kann nur durch weitere Beiträge von uns im Laufe der Diskussion und durch unser Verhalten und unsere Praxis geschehen. Doch unabhängig von allen Differenzierungen ist eines klar:
An der Frage der bewaffneten Aktion, der subjektiven Teilnahme am revolutionären Kampf, der umfassenden Verwirklichung des Konzepts Guerillakrieg werden immer wieder und deutlicher Polarisierungen stattfinden zwischen denen, die erst mal abwarten wollen, die ein bißchen wollen statt alles, die den Weg des Reformismus gehen, die den Schritt nicht riskieren, tatsächlich zu kämpfen und die Revolution zu wollen und den anderen, die sehen, daß ihnen nichts freiwillig gegeben wird, daß »Geschenke« immer neue, raffiniertere Unterdrückung und Entfremdung mit sich bringen, die erleben, wie das System der Herrschaft die Menschen immer mehr kaputtmacht, wie es seinen menschenverachtenden täglichen Terror ausübt, eiskalt und ohne zu zögern, wenn es um die Absicherung ihrer Herrschaft geht und die daraus lernen:
Sich selbst zur Wehr zu setzen! Zusammen mit allen anderen, die ihre Lage zu erkennen beginnen, die Beseitigung dieser Verhältnisse mit aller Phantasie, Liebe und Gewalt in die eigenen Hände zu nehmen.
RZ Anschlagstafel 1973 - 1975
Die Aktionen der Revolutionären Zelle lassen sich in drei Bereiche unterteilen:
- antiimperialistische Aktionen, Aktionen gegen die Beteiligung der USA, ITT am Putsch in Chile, gegen die chilenischen Faschisten in der BRD und Westberlin;
- Aktionen gegen die Filialen und Komplizen des Zionismus in der BRD;
- Aktionen, die den Kämpfen von Arbeitern, Jugendlichen, Frauen weiterhelfen sollen, die ihre Feinde bestrafen und angreifen.
* 16.11.73 - Anschlag auf ITT in Berlin wegen der Beteiligung des US-Konzerns am Putsch in Chile [15].
* 17.11.73 - Anschlag auf ITT in Nürnberg.
* 01.05.74 - Brandanschlag auf das Auto von Peter Sötje in Berlin. Sötje ist für den Abriß des Jugendzentrums Putte mitverantwortlich.
* 14.06.74 - Anschlag auf das während der Fußballweltmeisterschaft stark bewachte Generalkonsulat von Chile in Westberlin.
* Sept. 74 - Anschlag auf die Maschinenfabrik Korf in Mannheim, die zu 3/4 im Besitz der Zionisten ist.
* Sept. 74 - Anschlag auf das EL-AL [16]-Büro in Frankfurt wegen der Völkermordstrategie der Zionisten gegenüber den Palästinensern.
* 16.11.74 - Brandanschlag auf den BMW des Geschäftsführers der Krone-Werke während einer Betriebsversammlung vor der Kongreßhalle in Berlin.
* 03.03.75 - Brandanschlag auf den Bamberger Dom wegen der schmutzigen Rolle der Kirche bei der Unterdrückung der Frauen.
* 04.03.75 - Anschlag von Frauen der Revolutionären Zelle auf das vom Bundesgrenzschutz bewachte Bundesverfassungsgericht wegen des Abtreibungsverbots.
* 29.04.75 - Anschlag auf die Ausländerpolizei in Westberlin zum 1. Mai.
* 30.04.75 - Anschlag auf das Gebäude der Landesvertretungen von BDI, BDA, IHK in Mainz zum 1. Mai.
* 30.04.75 - Anschlag auf das Gebäude der IHK in Ludwigshafen zum 1. Mai.
Die Aufzählung unserer Aktionen bleibt unvollständig, bezieht man sich nicht auch auf die zahlreichen Aktionen und Kämpfe anderer Gruppen zur Unterstützung der Befreiungsbewegungen.
Wenn wir ITT-Niederlassungen in der BRD angreifen, steht das in einer Reihe mit Angriffen in der Schweiz, Italien, Spanien, den USA und zahlreichen anderen Ländern gegen einen multinationalen Konzern, der an der direkten Unterdrückung und Ausrottung hunderttausender Menschen in Chile beteiligt ist, die eher ein Recht auf Leben haben als die Schweine, die das Volk ausbeuten.
Die Unterstützung des MIR [17] heißt, wie es die Genossen in Mailand, die das Lager der Face Standard ansteckten, sagten: »Gegen ITT, gegen alle Unternehmen ist der Kampf mit dem Gewehr eine grundsätzliche Entscheidung.«
Das heißt auch, daß der bewaffnete Kampf nicht nur in Chile politisch richtig ist. Wer sich heute mit dem Kampf des chilenischen Volkes solidarisiert, muß den antiimperialistischen Kampf im eigenen Land führen, muß der Vernichtungsmaschinerie des Kapitals überall, auch in der BRD, den Widerstand des Volkes entgegensetzen. Wer sich in der BRD und Westberlin zufrieden gibt mit der Arbeit des Chilekomitees, der Unterstützung chilenischer Revolutionäre, Aktionen gegen Konzerte, Botschaftsauftritte, Fußballspiele, Geldsammlungen, der Propaganda gegen die Militärdiktatur - alles notwendige und nützliche Formen der Solidarität - , ohne eine Perspektive des Kampfes gegen den US-Imperialismus, der bewaffneten Bekämpfung der chilenischen Faschisten in der ganzen Welt zu entwickeln, bleibt hilflos und handelt zynisch gegenüber den Erfahrungen von Chile. In der BRD und Westberlin ist es z.B. nötig, daß die »Repräsentanten« und Marionetten der faschistischen Militärdiktatur in ihren Villen, Botschaften, Handelsvertretungen nicht mehr ruhig schlafen können.
Unsere Anschläge auf Korf und das staatliche israelische Reisebüro sind Ausdruck unserer Solidarität mit dem palästinensischen Volk im Kampf gegen den Zionismus. Seit München 1972, wo die Palästinenser klar gemacht haben, daß die Bourgeoisie ihre »Spiele« [18] nicht als Kraft durch Freude verkaufen kann, als die gesamte Presse auf die Lügen und den Dreck der Bullen eingeflippt sind, als sich die »freie« Presse als Bullen-Presse erwiesen hat, hat die gesamte Linke in der BRD es nicht mehr fertiggebracht, einen Ton zum Völkermord an den Palästinensern über die Lippen zu bringen. Die furchtbaren Verbrechen des deutschen Faschismus an den Juden dürfen uns nicht die Augen verschließen vor dem Ausrottungsfeldzug der Zionisten in Palästina. Die Zionisten haben unheilvolle Lehren aus ihrer Verfolgung gezogen; sie haben gut gelernt und verfolgen, unterdrücken, vertreiben, beuten die Palästinenser und Araber heute aus, wie sie einst selbst verfolgt wurden.
Daß die Ausländerpolizei in bewährter deutscher Tradition mit der Geheimpolizei faschistischer und vom Militär regierter Länder zusammenarbeitet, ist nicht erst seit dem Verbot von GUPS und GUPA [19] bekannt. Bevorzugt werden Patrioten, antifaschistische Kämpfer und Revolutionäre abgeschoben, die in ihren Heimatländern mit dem Tod oder langjährigen Freiheitsstrafen bedroht sind. Oder sie schaut untätig zu, wenn sich die Geheimdienste solcher Länder auf dem Boden der BRD tummeln und breitmachen, um hier fortzusetzen, was sie im eigenen Land praktizieren: die Ausrottung des Widerstandes, der sich gegen die Unmenschlichkeit und Unterdrückung wendet. Widerstand auf allen Ebenen, in allen Bereichen, mit allen Mitteln, ist die einzige Möglichkeit, Mensch zu bleiben, Mensch zu werden.
Widerstand heißt nicht, den Kopf unter den Arm zu packen, die Knarre in die Hand und loszurennen. Widerstand heißt auch nicht, nur links zu sein, an der Revolution teilnehmen zu wollen und die Dreckarbeit den anderen, der Guerilla zu überlassen. Widerstand heißt: über jede Form des Reformismus, der Arschkriecherei und des Anbiederns an dieses System hinauszugehen. Das fängt an, wo man lebt und arbeitet. Am Arbeitsplatz, wo man sich durch Maschinen-Ausfälle gegen die Arbeitshetze wehren kann, geht über kleinere und größere Brände bei Firmen, über Streiks, Fabrikbesetzungen, Demonstrationen über Angriffe auf die Institutionen der gegen das Volk »Regierenden« und der Unterdrücker bis hin zu Bestrafungs-, Rache- und Befreiungsaktionen.
Widerstand gegen dieses System der Unmenschlichkeit heißt, sich zu organisieren, den eigenen Lebensbereich zu verändern, zu lernen, sich als handelndes Subjekt zu begreifen, Phantasie und Kampfkraft zu entwickeln.
Wenn die Frauen der Revolutionären Zellen das Verfassungsgericht angegriffen haben, tun wir das, um uns gegen die Verfassung dieses imperialistischen Staates zu schützen, um gegen dieses Schandurteil der Klassenjustiz, gegen die Heuchelei von Pfaffen und Kurpfuschern vorzugehen. Andererseits wollen wir der Frauenbewegung zeigen, daß Selbsterfahrungsgruppen, Frauenläden, Selbsthilfe (Abtreibung) usw. nicht genügen, daß Ärzte, Pfaffen, notorische Chauvinisten nicht länger ihr Unwesen treiben dürfen.
Auch im Kampf für selbstverwaltete Jugendzentren, bei revolutionärer Arbeit in den Fabriken stellen sich diese Fragen. In diesem Zusammenhang haben wir das Auto des Bezirksstadtrates Sötje in Berlin verbrannt, der für den Abriß des Jugendzentrums Putte mitverantwortlich war. Auch der Geschäftsführer der Krone-Werke hatte für seine Verantwortung für die Arbeitshetze, die zahlreichen Arbeitsunfälle in diesem Betrieb einen Totalverlust an seinem BMW zu beklagen.
Diese Vergeltungs- und Bestrafungsaktionen haben nur dann einen Sinn, wenn sie nicht vereinzelt bleiben, wenn sie sich häufen, nachgemacht werden, wenn überall Autos, Villen, Flugzeuge, Gemäldesammlungen brennen, wenn Antreiber verprügelt werden, Politiker sich nicht mehr in »ihre« Wahlbezirke trauen können. Jeder Direktor, Geschäftsführer, Spekulant, Pfaffe, jeder Faschist, Berufsverboterlasser, jedes Bürokratenschwein muß damit rechnen, persönlich bestraft, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Erst bei einer Vervielfachung dieser Aktionen werden sie ihre erzieherische Wirkung haben, dann geben sie den Forderungen der Arbeiter, Jugendlichen, Frauen, Nachdruck.
Es ist eine unserer Perspektiven, umfassender und offensiver in Massenkämpfe einzugreifen, nicht nur zu bestrafen, uns mehr oder weniger formal auf Bewegungen zu beziehen, sondern mit unseren Aktionen direkten Nutzen zu bringen, Vorteile zu verschaffen. Dies ist allerdings sehr schwierig, setzt eine umfassende Logistik voraus, die erst von uns und/oder anderen aufgebaut werden muß.
Wir wollen zum Schluß noch auf Aktionen gegen Justiz, Bullen, für die Befreiung der gefangenen Revolutionäre eingehen. Andere Stadtguerilla-Gruppen haben hauptsächlich solche Aktionen durchgeführt. Sie finden unter sehr ungünstigen Kräfteverhältnissen statt, es ist allein eine Auseinandersetzung zwischen dem Staat und uns. Die Hetze ist hier relativ leicht, die Aktionen isolieren uns objektiv.
Die Befreiung der Genossen im Knast bleibt trotzdem eine dringende Notwendigkeit. Die Vernichtungshaft [20] ist keine Erfindung, sondern Wirklichkeit. Wir brauchen die Genossen in Freiheit, nicht als Märtyrer hinter Gittern. Deswegen werden auch wir alles versuchen, die gefangenen Revolutionäre zu befreien.
Stockholm ... führt zum Faschismus?
Oft wird der revolutionären Linken vorgeworfen, durch ihre Aktionen trage sie zur Faschisierung der Gesellschaft bei, spiele den Reaktionären in die Hände, biete einen Vorwand zum Abbau demokratischer Rechte.
So undifferenziert und z.T. kindisch diese Angriffe sind, so undifferenziert war meist unsere Antwort. Wachsender Widerstand, zunehmende Kämpfe provozieren eben Krise und Unterdrückung. Das ist klar und richtig: wer dies nicht anerkennt, der Unterdrückung nicht standhalten will, gehört nicht zum revolutionären Lager.
Im Folgenden sollen stärker diejenigen Widersprüche analysiert werden, die nicht allein bundesrepublikanische Ursachen haben, jedoch Strategie und Taktik der Bourgeoisie bestimmen und sich in verstärkter Repression auswirken. Auch lassen sich für die BRD und Westberlin die Folgen der zunehmenden Arbeiterkämpfe, der Unruhen in den Stadtteilen und auf dem Lande, unter den Jugendlichen, Frauen, Ausländern auf das Gefüge der herrschenden Klassen und Parteien nicht in der Alternative »Faschismus oder Revolution« fassen.
Der repressive Apparat, der gegen uns aufgefahren wird, das Ausmaß der Bespitzelung, Einschüchterung, Terrorisierung, die sich ausbreitende Angst unter den Oppositionellen und Revolutionären, stehen in keinem Verhältnis zur Schwäche unserer Gruppen, zur relativen Schwäche der Arbeiterbewegung in der BRD und Westberlin.
Der Staat ist vielmehr dabei - und in diesem Ziel sind sich die Parteien einig - alle revolutionären und nicht reformistischen Ansätze restlos zu eliminieren, da wo nötig, Leute einzusperren, Organisationen aufzulösen. Dies betrifft keineswegs allein nur Guerilla-Gruppen, sondern auch kämpferische Gruppen in den Betrieben, Stadtteilen, Universitäten, autonome Frauen- und Ausländergruppen.
Die Atempause für die Kommunisten in der BRD und Westberlin ist vorüber. Es wird wieder zu einer Kampf- und Existenzfrage, seine Meinung zu äußern, Marxist zu sein, Flugblätter zu verteilen; es ist wieder gefährlich, Staat, Parteien, Justiz zu kritisieren, sich zu nehmen, was einem sowieso schon gehört. Kommunistische Politik ist notwendig (auch) illegal.
Der Staat kehrt wieder zurück zu den Formen der Totalrepression marxistischen Denkens und Handelns, die seit 1933 bis zur Mitte der 60er Jahre üblich war.
Vermutlich der Klassencharakter der antiimperialistischen Bewegung in den 60er Jahren, die sich zu großen Teilen aus dem Nachwuchs der herrschenden Klasse zusammensetzte, die Abkehr vom Sozialismus sowjetischer und DDR-Prägung, der bis dahin besonders verfolgt wurde, sowie vor allem die Krise der politischen und wirtschaftlichen Konzepte der Herrschaftssicherung haben uns von 1966/67 bis 1972 Möglichkeiten einer politischen Praxis geboten, die vorher illegal waren und illegal organisiert werden mußten und die seit 1972 wieder - zunehmend - illegalisiert werden. Diese Schonfrist wurde auch ermöglicht durch die Ablösung der aufgebrauchten CDU/CSU durch eine SPD, der wir mit unserer Mobilisierung in den 60ern einerseits ihre Wahlsiege besorgten und die dadurch andererseits die Möglichkeit besaß, zu zeigen, wie sie es schaffte, ohne größere Loyalitätseinbrüche auftretende Krisen zu bewältigen.
Politische und wirtschaftliche Krise in Europa ...
SPD/FDP in der Regierungsverantwortung [21] organisierten die Gewalt, als sie begriffen, daß Teile der revolutionären Bewegung nicht in die »Dynamik« des Reformismus einzuspannen waren. Sie verstanden besser als die CDU, daß zunehmend gesellschaftliche Widersprüche auftreten und bewußt werden würden, daß ein Überschwappen der Arbeiterkämpfe in anderen europäischen Ländern auf die BRD nicht zu verhindern sei. Wenn schon wirtschaftliche und politische Krisen, soll ihnen zumindest die revolutionäre Spitze abgebrochen werden, bei gleichzeitigen Zugeständnissen, Reformen und Verbesserungen.
Die Situation in anderen europäischen Ländern: in Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland, Irland, England, der Pariser Mai [22] waren Lehrstücke für die Bourgeoisie. Sie lernte, daß man nicht zögern darf, die Guerilla, die revolutionäre Bewegung bereits im Anfangsstadium zu zersetzen, zu infiltrieren, zu zerstören. Das heißt: die spezifische Taktik des Staatsapparates leitet sich nicht allein aus der BRD-Situation ab, sondern aus der Entwicklung im übrigen Europa.
Die Kräfteverschiebungen im Jahr 1974: der Sturz des Faschismus in Griechenland [23], die Dauerkrise in Italien, eine in den nächsten Jahren abzusehende Ablösung des Faschismus in Spanien, der Sieg des Volkes in Portugal [24] mit einer radikal-reformistischen Regierung, die drohende Regierungsübernahme in Frankreich durch Sozialisten/Kommunisten, die Niederlage des englischen Imperialismus in Nord-Irland [25] müssen SPD/FDP in ihrer Repressionspolitik bestärken. Sie sehen ihre Felle davonschwimmen!
Im Gefolge der Machtverschiebung in Europa und der Welt hat sich die ökonomische Krise des Imperialismus vertieft und ergreift beschleunigt auch die sog. »stabilen« Länder wie z.B. die BRD. Immer schneller folgen Konjunkturzyklen, Auf- und Abschwung aufeinander. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu und pendelt sich bei 1 Million ein, einer noch vor kurzem unfaßbaren Höhe. Die Geldinflation frißt die Lohnzugeständnisse an die Arbeiter auf: sie ist die Folge der staatlichen Versuche, mit Subventionen die Krise des Kapitalismus nicht in Form von noch mehr Konkursen, noch mehr Stillegungen, noch mehr Arbeitslosigkeit auftreten zu lassen. Die steigenden Rohstoffkosten in der Folge nationalistischer (meist nationalistisch-reaktionärer) Veränderungen in der »Dritten Welt« setzen die Konzerne zusätzlich unter Druck, auch wenn im Moment etwa an der sog. »Ölkrise« [26] noch kräftig verdient wird.
Insgesamt verengen die ökonomischen Schwierigkeiten den reformistischen Spielraum, vermindern die Möglichkeit der Befriedung der Arbeiterbewegung durch wirkliche Zugeständnisse und damit der Isolierung revolutionärer Politik.
In dieser Periode der Instabilität und Krise, des Zerfalls der NATO [27], eines Zuwachses der revolutionären Kräfte im Mittelmeerraum, aber auch im übrigen Europa, gewinnt die politische, wirtschaftliche und militärische Stärke des westdeutschen Imperialismus besondere Bedeutung. Die BRD ist in Europa das stärkste Glied in der Kette. Instabilität, politische Krise in Westdeutschland könnten verheerende Folgewirkungen für den Kapitalismus im Westen haben. Der bundesrepublikanische Imperialismus kann seine Ordnungs- und Leitfunktion nur erfüllen, wenn er sich den Rücken freihält von sozialen Unruhen im eigenen Land. Das erklärt die unverhältnismäßige Reaktion und Repression gegenüber der Linken!
... sind die Ursachen der Repression in der BRD!
Unsere Aktionen liefern keinen Vorwand für diese Repressionen, erst die Hetze des Staates und der Meinungskonzerne bewerkstelligen das. Notfalls benutzt der Staat beliebige Situationen und schafft sich selbst die Vorwände. Es müssen nicht Bomben sein oder Entführungen, es kann auch der Fordstreik [28] sein oder die Bewegung in Wyhl [29], die Bonner Rathausbesetzung [30] der KPD, die 3,7 % des KBW im Rathaus zu Heidelberg, die Chile-Veranstaltung des Sozialistischen Büros.
1951 wurde die Bereitschaftspolizei der BRD aufgestellt wegen der »ständigen Drohungen« der KPD. Die Notstandsgesetze [31] wurden erlassen, ohne Vorwand, weil man für den Notfall vorsorgen muß. Verfassungsschutz, Polizei, Bundesgrenzschutz wurden seit 1969 erheblich verstärkt, der Etat des Bundeskriminalamtes (BKA) zwischen 1969 und 1974 verzehnfacht, als Reaktion auf die antiimperialistische Bewegung, die seit 1969 wieder aufgeflammten Arbeiterkämpfe und die Stadtguerilla-Gruppen.
Die chilenische Organisation MIR hat diese Situation als »anhaltende Krise« bezeichnet. Eine anhaltende Krise, weil sie weder in die eine noch in die andere Richtung schnell lösbar wäre. Der Franzose Poulantzas [32] sagt: »Aber ich glaube nicht, daß das Problem heute in Westeuropa heißt: Faschismus oder Revolution. Das Dilemma besteht vielmehr - und das sieht man ganz klar hier in Frankreich - in der Alternative zwischen einer neuen Form des •autoritären Staates oder einer sozialdemokratischen •Lösung. Die politische Krise ist noch nicht so reif und so weit fortgeschritten, daß die Alternative Faschismus oder Revolution lautet.« Poulantzas nimmt unter den gegenwärtigen Bedingungen eine ausgedehnte Periode der Instabilität mit aufeinanderfolgenden bürgerlichen Regierungen, mit wechselnden Koalitionen und wechselnden innerparteilichen Kräfteverhältnissen zwischen »links« und »rechts« an usw. Das Hauptcharakteristikum des Faschismus, eine militante Massenbewegung, ist nirgends in Sicht, auch nicht in Italien. [33] Das schließt staatsfaschistische Entwicklungen nicht aus und die Anwendung polizeistaatlicher und faschistischer Methoden. Dies kann jedoch nie zur Niederlage einer entfalteten revolutionären Bewegung führen, wohl zu ihrer Schwächung, Defensive, zeitweiligen Zurückdrängung.
Die »anhaltende Krise« drückt sich in der BRD bisher politisch in einer für uns nicht günstigen Weise aus (z.B. Wahlen). Aber die scheinbar festgefügte Parteienstruktur, in der sich 25 Jahre lang nichts tat, ist in Bewegung geraten. Die Identifikation der »Bürger« mit »ihrer« Partei, sei es SPD, FDP, CDU/CSU, ist geringer geworden. Für sie ist die revolutionäre Linke noch keine Alternative, aber in gewissem Maße haben sie das Vertrauen in die bürgerlichen Parteien verloren. Die Fortentwicklung des Vertrauensverlustes zum revolutionären Bruch ist möglich. Gerade in der wirtschaftlichen Krise, ohne eine wirklich bedeutende revolutionäre Kraft, haben die Kämpfe in den Betrieben erheblich zugenommen, wenn auch noch nicht allgemein.
Die internationale Situation und die besondere Notwendigkeit einer politisch und auch wirtschaftlich stabilen BRD deuten darauf hin, daß die »anhaltende Krise« mit einer autoritären Lösung beantwortet wird. In diesem Zusammenhang ist die starke Repression zu verstehen, die sich noch vorrangig gegen die Linke richtet und nicht gegen das gesamte Volk.
Die Kämpfe der Arbeiter in der BRD sind noch sehr vereinzelt, wenn sie auch zunehmen. Die Aktionen der Stadtguerilla und der übrigen revolutionären Linken sind ein Versuch, diese Krise aufrecht zu erhalten, eine Alternative aufzubauen, die ökonomische Krise in eine politische zu verwandeln. Wir machen uns keine Illusionen über die Dauer dieses Prozesses, aber wir müssen und können ihn beschleunigen, nur gewaltsam kann er aufgelöst werden.