VorbemerkungKapitel XIII


Die neue Frauenbewegung
»Alles Private ist politisch« ist eine der zentralen Parolen der neuen Frauenbewegung seit Ende der 60er Jahre. Sie drückt die Verbindung subjektiver Unterdrückungserfahrungen mit politischen Forderungen aus, aus der diese Bewegung anfangs ihre politische Sprengkraft bezog. Der persönliche Druck war eine starke Antriebskraft, soziale und politische Umwälzungen einzufordern.
In ihrer ersten großen Kampagne zur Abschaffung des § 218, von der neuen Frauenbewegung 1971 initiiert, wurde eine praktische Unterstützung von Frauen, die abtreiben wollen (z.B. mit Fahrten nach Holland, wo ein liberaleres Abtreibungsgesetz galt), mit der Forderung nach dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen verbunden und gleichzeitig die Ausbeutung und Benachteiligung von Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft durch Doppelbelastung, Gewalt gegen Frauen, Bezahlung nach Leichtlohngruppen etc. angegriffen. Die Frauen erkannten die gesellschaftlichen Ursachen ihrer zuvor individuell wahrgenommenen Unterdrückung und forderten Veränderungen im privaten und öffentlichen Leben.
Aus dem Bedürfnis nach autonomen repressionsfreien Räumen, zu denen Männer keinen Zugang haben, entwickelte sich im Verlauf der 70er Jahre ein breites Netz von Frauenprojekten; Frauenzentren, Frauencafés und Frauenbuchläden werden gegründet. Als Mitte der 70er Jahre Gewalt gegen Frauen zu einem der zentralen Themen der Frauenbewegung wurde, bauten Frauen zur Unterstützung und zum Schutz von geschlagenen und vergewaltigten Frauen Notrufzentralen und Frauenhäuser auf.
Je mehr die Hoffnungen auf rasche Veränderungen im privaten wie öffentlichen Bereich enttäuscht wurden, desto stärker zogen sich Frauen in diese Strukturen zurück, die einen Schutz vor direkter sexistischer Unterdrückung bieten. Das Ziel und die Hoffnungen auf eine gesamtgesellschaftliche Veränderung trat in den Hintergrund. Ein Teil der Frauen setzte ihre Kraft ein, um die Not derer zu lindern, die direkte Gewalt erfahren haben; andere grenzten sich von der patriarchalen Gesellschaft ab, beschäftigten sich auf der Suche nach Wurzeln weiblicher Identität und Vorbildern mit Magie und Spiritismus und ideologisierten die »natürliche Friedfertigkeit« der Frau und eine »neue Innerlichkeit«.
In den 80er Jahren war die Frauenbewegung zersplittert und hatte für viele ihre Anziehungskraft verloren. Gleichzeitig nahmen Frauen, die in gemischten linken Gruppen arbeiteten, feministische Inhalte auf. Ein Beispiel sind die Diskussionen in Mittelamerika-Gruppen über die Lage der Frauen in Nicaragua nach dem Sieg der Befreiungsbewegung.
Aber es wurden auch Forderungen der Frauenbewegung von staatlichen Stellen aufgegriffen, so z.B. Gleichstellungsstellen, die ein gewisses Maß an »Emanzipation der Frau« zum Ziel haben und bemüht sind, radikale Positionen aus der Frauenbewegung zu integrieren.
Auch die Lesben, die im Verlauf der 70er Jahre einen entscheidenden Teil der Frauenbewegung stellten, entwickelten eigene Strukturen und Positionen, auch wenn es weiterhin eine Zusammenarbeit mit Frauen aus gemischten politischen Zusammenhängen gab.

Die Rote Zora
bezieht sich aus dem Selbstverständnis ihrer Akteurinnen als Feministinnen heraus auf die Frauenbewegung, kritisiert aber gleichzeitig deren Begrenzung und Reduktion auf frauenspezifische Themen. Mit den ersten Anschlägen unterstützten sowohl die Frauen der Revolutionären Zellen als auch der Roten Zora die Kampagne gegen den § 218. In ihrem Interview vom Juni 1984 aber sagen die Frauen der Roten Zora: »Wir wollen keine •linke­ Arbeitsteilung nach dem Motto: die Frauen für die Frauenfragen, die Männer für allgemein politische Themen. Die Verantwortung für die Veränderung unseres Alltags lassen wir uns nicht nehmen!« und richten ihre Anschläge einerseits gegen Frauenhändler und Sex-Shops, andererseits gegen die Siemens-Elektronik, die Computerfirma Nixdorf und das Datenzentrum des Verbandes der Vereine Kreditreform als Widerstand gegen Rüstungsproduktion, Überwachung und wirtschaftliche Umstrukturierung.
1985 greifen sie den Widerstand von Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologie auf und konzentrieren ihre Anschläge fast ausschließlich auf diesen Bereich.

Internationale Solidarität
Ein zentrales Element ihrer Politik ist die Solidarität mit Frauen der 3.Welt. Analog zu den Revolutionären Zellen sehen die Frauen der Roten Zora die Analyse des Antiimperialismus als Voraussetzung, die weltweiten Unterdrückungs- und Spaltungsmechanismen zu begreifen und einen effektiven Widerstand entwickeln zu können.
In ihren Aktionen gegen die Bekleidungsfirma Adler setzen sie diese Position praktisch - und erfolgreich - um: Die Firma Adler läßt einen Großteil ihrer Produktion in südostasiatischen freien Produktionszonen fertigen. Als die südkoreanischen Arbeiterinnen für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen streikten, legte die Rote Zora zur Unterstützung der Koreanerinnen Brandsätze bei den deutschen Filialen von Adler - zunächst am 21. Juni 1987 in der Hauptverwaltung in Haibach, am 15. August 1987 dann gleichzeitig bei neun Filialen in Halstenbeck, Bremen, Oldenburg, Isernhagen, Kassel, Holzwickede, Neuss, Frankfurt und Aachen.

Ihr Verhältnis zu den Revolutionären Zellen
erklärt die Rote Zora in dem Interview von 1984: »Wir haben in unserer Entwicklung eigene Inhalte bestimmt - deswegen sind wir ja als Frauen autonom organisiert - greifen aber auf die Erfahrungen der RZs zurück. Darüberhinaus kann eine Zusammenarbeit von radikalen Gruppen den militanten Widerstand insgesamt stärken. Es gab produktive Formen der Zusammenarbeit wie die Aktionen zum Reagan-Besuch und das Diskussionspapier zur Friedensbewegung. Es gibt auch immer wieder nervige Diskussionen.
Denn die Männer, die ansonsten ihren radikalen Bruch mit diesem System in eine konsequente Praxis umsetzen, sind oft erschreckend weit davon entfernt zu begreifen, was antisexistischer Kampf heißt und welche Bedeutung er für eine sozialrevolutionäre Perspektive hat. Es ist unter uns Frauen auch umstritten, wo die Grenzen sind, an denen uns die Zusammenarbeit stärkt oder unseren Frauenkampf lähmt. Wir denken aber, daß uns mit einigen Frauen der RZs unsere feministische Identität verbindet.«
Im Rückblick läßt sich feststellen, daß die Revolutionären Zellen zwar bereits im »Revolutionären Zorn Nr. 1« vom Mai 1975 den Kampf um Frauenbefreiung als Bestandteil ihrer Politik benannten, die praktische Umsetzung jedoch den Frauen der Revolutionären Zellen und der Roten Zora überlassen blieb.
Aus den neuen Texten der RZ geht hervor, daß sie einerseits mit der Thematisierung von Rassismus und Sexismus eine neue Debatte um einen antipatriarchalen Kampf begonnen haben, andererseits die Rote Zora die Zusammenarbeit mit den Revolutionären Zellen aufgegeben und sich von ihnen getrennt hat.

Da die Erklärungen der gemeinsamen Aktionen der Revolutionären Zellen und der Roten Zora anderen Schwerpunkten zugeordnet sind, werden hier der Vollständigkeit halber diese Anschläge nochmals genannt:
März 1981 - Verteilung gefälschter Fahrausweise im Ruhrgebiet.
Juni 1982 - anläßlich des NATO-Gipfels und des Besuchs des US-Präsidenten Reagan Brand- und Sprengstoffanschläge gegen mehrere amerikanische Firmen und Einrichtungen: US-Offiziersclubs in Bamberg, Frankfurt, Gelnhausen und Hanau; ITT Hannover; IBM, Düsseldorf; Control Data, Düsseldorf; das deutsch-amerikanische Institut, Tübingen; Bourns-Ketronic, Hamburg; McDonnell Douglas, Köln.
August 1984 - Anschläge gegen die Firmen Kreutzer und Koch, die ihre Produkte in Gefängnissen und Psychiatrien fertigen lassen
April 1985 - Anschlag gegen die Firma Siemens, Isernhagen.


Die Anmerkungen zu diesem Kapitel befinden sich im Buch auf Seite 747 ff.




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