Dieses Dokument ist Teil des Buches Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg, 1998
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Konzernname bis 1985: AEG-Telefunken AG
Konzernzentrale: Berlin/Frankfurt a.M.
Anfang der 80er Jahre befand sich das Grundkapital der AEG-Telefunken AG in Höhe von fast 620 Millionen DM im Streubesitz von ca. 180.000 Aktionären. Als Hausbank und offenbar auch grösster Einzelaktionär stellte die Dresdner Bank AG mit dem ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs von 1979 bis 1984 den Aufsichtsratsvorsitzenden der AG. Vorstandsvorsitzender war seit 1980 Heinz Dürr.
Der Riesenkonzern mit 96.000 Beschäftigten im Inland war damals schwer angeschlagen: Am 9. August 1982 wurde Vergleichsantrag gestellt. Durch Arbeitsplatzabbau, Verkauf von Tochtergesellschaften und Gläubigerverzicht konnte AEG den Zusammenbruch jedoch vermeiden. 1985 begann die Daimler Benz AG (DB) mit dem Erwerb von AEG-Aktienkapital. Durch die Erhöhung des Daimler-Anteils von 24,9 auf 56 Prozent wurde AEG im Jahr 1986 zu einem Konzernunternehmen von DB.
Die folgende Darstellung bezieht sich auf die Zeit bis zum 30. Juni 1989. An diesem Tag gingen die im Sektor Luftfahrt/Raumfahrt/Rüstungstechnik engagierten AEG-Werke auf die neugegründete Daimler-Tochter Telefunken Systemtechnik GmbH (TST) über.
Die Traditionslinie der AEG in der Rüstungstechnik zieht sich durch das ganze 20. Jahrhundert; besonders gute Geschäfte machte der Elektrokonzern auf dem Kriegssektor unter Kaiser Wilhelm II. und in der NS-Zeit.1 Auch in den 80er Jahren hat AEG in den Listen der wichtigsten deutschen Rüstungsunternehmen einen der vordersten Plätze belegt. Von Aussenstehenden wurde der AEG-Rüstungsumsatz für 1980 und 1983 auf fast 2 Milliarden DM geschätzt. Gemessen an dem gewaltigen AEG-Gesamtumsatz lag der Rüstungsanteil nicht einmal sehr hoch; die diesbezüglichen Schätzungen für die Zeit von 1980-86 schwanken zwischen 12 und 20 Prozent.2 Von allen AEG-Geschäftsbereichen wiesen damals der Geschäftsbereich Hochfrequenztechnik in Ulm mit ca. 70 Prozent und der unten behandelte, in Hamburg ansässige Geschäftsbereich mit ca. 60 Prozent die höchsten Rüstungsanteile auf.
Name bis 1985: Geschäftsbereich Schiffbau, Flugwesen und
Sondertechnik
Sitz bis Oktober 1988: 20459 Hamburg (Neustadt),
Steinhöft 9
ab November 1988: 22763 Hamburg (Othmarschen),
Behringstr. 120
mit Werken in:
Wedel, Industriestrasse 29
Wedel, Hafenstrasse 32 (bis 1988)
Schenefeld, Friedrich-Ebert-Allee 13-21 (bis 1988)
Beschäftigte: Der AEG-Bereich Marine- und Sondertechnik hatte 1985 im ganzen Bundesgebiet ca. 4.500 Beschäftigte, davon entfielen im Hamburger Raum auf den Fachbereich Schiffbau 600, den Fachbereich Marinetechnik 530, den Fachbereich Flugwesen und Sondertechnik 1.300 und den Fachbereich neue Technologien, Raumfahrt 380 Beschäftigte.
Umsatz: 836 Mio. DM für den gesamten Bereich Marine- und Sondertechnik (1985), davon dürften deutlich über 500 Mio. DM auf die Standorte im Hamburger Raum entfallen sein
Geschäftsbereichsleiter: Dr. Ing. Claus Müller (1977-85), Dr. Ing. Torolf Blydt-Hansen (1985-89)
1986/87 beschloß die AEG, ihre fünf im Hamburger Raum vorhandenen Standorte des Geschäftsbereichs Marine- und Sondertechnik an zwei Standorten zu konzentrieren. Hierfür liess der Konzern an der Behringstrasse (Othmarschen) neben dem Komplex der AEG-Tochter Debeg für 40 Millionen DM ein neues zentrales Verwaltungsgebäude für über 1.000 Beschäftigte errichten. Zugleich wurde das Wedeler Werk an der Industriestrasse vergrössert. Dagegen wurden der bisherige Verwaltungssitz am Steinhöft, das Wedeler Werk in der Hafenstrasse und das Werk in Schenefeld aufgegeben. Das Neubauvorhaben in Othmarschen wurde vom Hamburger Senat begrüsst und gefördert.
Der Fachbereich Marinetechnik wurde um 1957 in Wedel aufgebaut und 1962 im Werk Hafenstrasse angesiedelt. 1988 wurde er in das erweiterte Werk Wedel/Industriestrasse verlegt. Dieser Fachbereich befasste sich mit einer grossen Bandbreite von elektrischen und optronischen Anlagen für Kriegsschiffe, aber auch - wie wohl kein zweiter Betrieb in der Bundesrepublik - mit Waffen für die Unterwasserkriegsführung.
Zur Ausrüstung von Kriegsschiffen lieferte AEG Wedel:
"Bordnetzaggregate und -schaltanlagen, elektrische Antriebe und Leitstände, Brückenpulte, Automationssysteme, Messwerterfassung, -verarbeitung und -überwachung, Einrichtungen für magnetische Vermessung und Entmagnetisierung, magnetische Eigenschutzanlagen, Minenräumanlagen, Batterieladestationen (für U-Boote, d.Verf.), Landanschlüsse, Anlagen für optronische Überwachung, Zielerkennung und Feürleitung, Anlagen zur Täuschung gegnerischer Ortungssysteme, Ruderanlagen, Decksmaschinen, kathodischen Korrosionsschutz und modulare taktische Daten- und Informationssysteme".3
Am Bau der acht Fregatten der Klasse 122 (1979-90) war AEG als Generalunterauftragnehmer in erheblichem Umfang beteiligt. Der Fachbereich Hamburg/Wedel sollte nach dem Planungsstand von 1979 allein für die Elektro-Ausrüstung der ersten sechs Fregatten Aufträge im Wert von 151,7 Mio. DM erhalten.4 Auch für das WEF-System (Elektrik und Elektronik) der vier Fregatten der folgenden Klasse 123 wurde AEG bereits 1987 "als bevorzugter Hauptunterauftragsnehmer" ausgewählt. Aus dem Ausland erhielt das Wedeler Werk gleichfalls Bestellungen für Kriegsschiffsanlagen und -ersatzteile, z.B. aus Kanada, Argentinien und Peru.
1982 beauftragte die Hardthöhe die damals noch konkurrierenden Firmen AEG-Telefunken und MBB Bremen (heute beide STN), jeweils eigene Konzeptionen für das Schnelle Minenkampfboot der Klasse 343 auszuarbeiten. Jede Firma bekam dafür 7,5 Millionen DM.5 Wie Anfang 1985 bekannt wurde, erhielt MBB die Systemführerschaft beim Bau der zehn geplanten Minenkampfboote zugesprochen; AEG musste sich mit der Rolle des Zulieferers von elektrischen und elektronischen Anlagen begnügen.6 Es wurde darüber gemunkelt, dass bei dieser Entscheidung andere als rüstungstechnische Gründe eine Rolle gespielt hatten.7 Als im Februar 1988 MBB Bremen erneut bevorzugt und zum Generalunternehmer für den Bau von zehn Minenjagdbooten der Klasse 332 bestimmt wurde, reagierte man bei AEG mit öffentlich geäusserter Verärgerung. Durch diese Entscheidung würden hochwertige Arbeitsplätze in Hamburg und Wedel gefährdet, verbreitete das Unternehmen.8
Von den 60er bis zu den 80er Jahren ist AEG mit dem Werk in Wedel zu einem führenden europäischen Unternehmen bei der Entwicklung und Fertigung von Torpedos aufgestiegen. Dabei wurde an Entwicklungsarbeiten angeknüpft, mit denen AEG 1943 begonnen hatte.9 Der drahtgelenkte Schwergewichtstorpedo mit akustischem Suchzielkopf, der bis Kriegsende nicht mehr fertig geworden war, erreichte nun gegen 1970 die Produktionsreife. Dieser Torpedo peilt sein Ziel mittels der von dem Opfer ausgehenden Schiffsgeräusche an. Ein sich abspulender Steuerdraht ermöglicht es, den Torpedo noch nach dem Abschuss in seiner Laufrichtung zu beeinflussen. Durch die technischen neuerungen wurde die Treffwahrscheinlichkeit selbst bei erheblich vergrösserter Entfernung vom Angriffsziel stark erhöht.
Für die Untersee- und Schnellboote der Bundesmarine fertigte AEG zwei Torpedotypen: "Seal" (DM2A1) zur Bekämpfung von Überwasserschiffen und "Seeschlange" (DM 1) zur U-Boot-Jagd. Aus diesen Typen leitete AEG zwei Varianten für den Export ab: zunächst den Torpedo SST 4 (Special Surface Target) gegen Überwasserschiffe, danach den Torpedo SUT (Surface and Underwater Target), der mit seiner Sprengladung von 250 kg sowohl Überwasserschiffe als auch U-Boote versenken kann. Der verantwortliche Entwicklungsingenieur von AEG Wedel, U. Ramsaür, stellte das neue SUT- Torpedosystem 1982 in einem Beitrag für die englischsprachige Zeitschrift "Naval Forces" vor.10 Das System habe sich, so schrieb er, in rund 3.000 Test- und Übungsläufen bewährt.
Eine genaue Statistik über die Zahl der verkauften AEG-Torpedos ist nie veröffentlicht worden. In dem 1984 erschienenen Buch "Waffenschmiede Deutschland" wurde immerhin eine ungefähre Grössenordnung genannt: "Von ihren Torpedos verkaufte AEG in den vergangenen zehn Jahren etwa tausend Stück - nicht einmal die Hälfte davon an die deutsche Bundesmarine. Die anderen wurden exportiert."11 Für den Erwerb eines einzigen Torpedos musste der jeweilige Käufer deutlich über eine Million DM zahlen. Die Lieferung von 100 SUT-Torpedos an Indien, die um 1983 durch eine Hermes-Bürgschaft abgesichert wurde, hatte einen Wert von 180,5 Millionen DM 12 Bis 1989 wurden Kriegsschiffe folgender Länder mit AEG-Torpedos aus Wedel ausgerüstet:13
Bundesrepublik |
18 U-Boote Klasse 206 und 206 A |
Seeschlange und Seal |
Deutschland 1969-75, Kiel und Emden |
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10 Schnellboote Klasse 142 |
Seal |
bis 1963, Lürssen Bremen Krögerwerft Rendsburg, Torpedo- Umrüstung, Anf. d. 70er Jahre |
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10 Schnellboote Klasse 143 |
Seal |
1973-77, Lürssen Bremen und Krögerwerft, Rensburg |
Griechenland |
8 U-Boote Klasse 209 |
SUT |
1968-72 und 1976-80, HDW Kiel |
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4 Schnellboote Klasse Combatante |
SST 4 |
1970-72, Cherbourg /Frankreich |
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10 Schnellboote Klasse Combatante III N |
SST 4 |
1976-82, Skaramanga / Griechenland |
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wahrscheinlich 6 (7) Schnellboote Jaguar Klasse |
SST 4 |
1957-59 Lürssen Bremen und Krögerwerft, Rensburg, abgegeben an Griechenland 1976/77 |
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6 U-Boote Klasse 209 |
SST 4 |
1972-90 HDW Kiel und SUT Gölcük / Türkei |
Argentinien |
2 U-Boote Klasse 209 |
SST 4 |
1970-74 HDW Kiel |
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2 U-Boote Klasse TR 1700 |
SST 4 |
1980-85, TNSW Emden |
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2 Schnellboote Intrepida Klasse |
SST 4 |
1971-74, Lürssen Bremen |
Peur |
6 U-Boote Klasse 209 |
SST 4 |
1971-83, HDW Kiel |
Kolumbien |
2 U-Boote Klasse 209 |
SST 4 |
1972-75, HDW Kiel |
Venezuela |
2 U-Boote Klasse 209 |
SST 4 |
1973-77, HDW Kiel |
Ecuador |
2 U-Boote Klasse 209 |
SST 4 |
1974-78, HDW Kiel |
Indonesien |
2 U-Boote Klasse 209 |
SUT |
1977-81, HDW Kiel |
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Fregatte Ki Hajar Dewantara |
SUT |
1979-81, Split / Jugoslawien |
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2 gr. Patrouillenboote PB 57 |
SUT |
1983-89, Lürssen Bremen und PT PAL Surabaya/Indonesien |
Chile |
2 U-Boote Klasse 209 |
SUT |
1980-84, HDW Kiel |
Indien |
2 U-Boote Klasse 209 |
SUT |
1982-86, HDW Kiel |
Waren Torpedos im Zweiten Weltkrieg in grosser Zahl und mit verheerender Wirkung - nicht zuletzt bei der Versenkung von Handelsschiffen - zum Einsatz gekommen, spielten sie in den Kriegen nach 1945 keine massgebliche Rolle mehr. Allerdings, einen Krieg mit Torpedo-Einsatz hat es gegeben: den Falkland-/ Malvinenkrieg von 1982. Die Torpedos aus Wedel bekamen hier ihre "Bewährungsprobe". Zweimal, am 1. und 11. Mai 1982, griff das argentinische U-Boot "San Luis" (gebaut von HDW) britische Kriegsschiffe mit SST-4-Torpedos an, doch in beiden Fällen konnten sie ihre vernichtende Wirkung nicht entfalten. Im ersten Fall verlor die Besatzung nach einigen Minuten die Kontrolle über den abgeschossenen Torpedo; im zweiten Fall soll der Torpedo - zumindest nach einigen Berichten - den britischen Flugzeugträger "Invincible" getroffen haben, ohne dass die Sprengladung explodierte.14 Dagegen gelang es einem britischen Atom-U-Boot mit einem alten amerikanischen Torpedo des Typs Mk 8, den argentinischen Kreuzer "Belgrano" zu versenken - 368 argentinische Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.
Ungeachtet der Kriegsereignisse gab sich AEG-Telefunken alle Mühe, die argentinischen Torpedo-Kunden zu halten. In mehreren Schreiben vom September und Oktober 1982 - wenige Monate nach Kriegsende - bot AEG ihnen wunschgemäß diverse Ersatzteile zum SST-4-Torpedo für rund eine Million DM an und bestätigte zugleich die "Wartung und Reparatur von Torpedo-Teilen".15 Ende 1984 liess die argentinische Marine einen Torpedokopf von 180 kg zum Hersteller in Wedel zurücktransportieren, um ihn wegen des Versagens im Falklandkrieg zu reklamieren. Trotz fehlender Einfuhrgenehmigung kam der Torpedokopf durch den Hamburger Freihafenzoll, wobei die damals in Hamburg ansässige Waffeneinkaufskommission der argentinischen Marine (vgl. den Abschnitt über das Argentinien-Geschäft von Blohm + Voss) hilfreich mitwirkte. Auch der Rücktransport klappte problemlos. Ein ehemaliger Mitarbeiter der argentinischen Marinekommission versicherte später an Eides Statt, dass AEG-Torpedoköpfe auch während des Waffen-Embargos nach Argentinien gingen: "Einmal wurde die Ware von der AEG nach Spanien verschifft und in Gij¢n (...) von dem deutschen auf ein spanisches Schiff umgeladen und dann nach Buenos Aires befördert."
Insgesamt aber bedeutete die Tatsache, dass die bisher so gerühmten deutschen Torpedos im Falklandkrieg nicht den Nachweis ihrer unfehlbaren Tödlichkeit hatten erbringen können, für AEG einen spürbaren Rückschlag im Exportgeschäft. Brasilien z.B. wählte für die 1984 bei HDW in Kiel bestellten U-Boote den Torpedo "Tigerfish" von der britischen Konkurrenzfirma Marconi. Auch die Türkei zog es vor, ihre 1987 bei HDW in Auftrag gegebenen U-Boote mit dem "Tigerfish" zu bewaffnen, und Peru rüstete seine U-Boote von SST-4 auf den italienischen Whitehead- Torpedo um. Dafür, dass AEG auf den Torpedo-Export nicht verzichten musste, sorgten neue Aufträge aus dem asiatischen Raum.
Besonderes Interesse an dem SUT-Torpedo zeigte Indonesien. Dieses militärisch ambitionierte Land begnügte sich nicht damit, eine grössere Anzahl dieser Unterwassergeschosse für seine Kriegsflotte zu kaufen. 1982 schloss AEG mit dem staatlich-indonesischen Luftfahrt- und Technologiekonzern P.T. Nurtanio einen Vertrag über eine Torpedo- Kooperation. Es wurde vereinbart, dass AEG alle Schlüsselkomponenten und verschiedene Materialteile für den Torpedo SUT dem indonesischen Partnerunternehmen zur Endfertigung liefern sollte.16 Im Hintergrund zog auch hier der indonesische Forschungs- und Technologieminister Habibi die Fäden, der zugleich Direktor des indonesischen Staatskonzerns ist. Als Habibi 1983 in Hamburgs Landesvertretung in Bonn über die industrielle Modernisierung seines Landes sprach, erwähnte er auch kurz die künftige Zusammenarbeit mit AEG im Torpedobereich.17 über Einzelheiten wurde danach nichts weiter bekannt.
Neue Recherchen ergeben aber, dass die indonesische Partnerfirma inzwischen selbst als Torpedo-Exporteur im asiatischen Raum auftritt. Ausgerechnet Taiwan, das angeblich keine Waffen aus Deutschland bekommen soll, bestellte 1988 in Indonesien etwa 200 deutsche SUT-Torpedos. Näheres zu diesem Geheimgeschäft, über das die Bundesregierung nichts zu wissen vorgibt, ist bei der AEG-Nachfolgefirma DMT Marinetechnik GmbH nachzulesen. Auch pakistanische U-Boote sind inzwischen offenbar mit SUT-Torpedos bewaffnet - hierzu Informationen bei STN ATLAS Elektronik GmbH.
Die deutsche Regierung stellte dem Wedeler AEG-Werk in jedem Jahr Millionenbeträge für die Perfektionierung der Zerstörungswirkung von Torpedos bereit.18 Gegen 1980 begann man mit der Entwicklung einer zweiten Generation drahtgelenkter Torpedos. Im Januar 1983 unterzeichneten die deutsche und die norwegische Regierung ein Memorandum of Understanding zur Kooperation im U-Bootbau. Darin wurde bereits festgelegt, dass sowohl die künftigen norwegischen U-Boote als auch die zu modernisierenden U-Boote der Bundesmarine mit dem neuentwickelten AEG-Torpedo "Seehecht" (Version DM2A3) bewaffnet werden sollten. AEG-Telefunken Wedel wurde beauftragt, als Generalunternehmer für runde 160 Millionen DM den Torpedo DM2A3 bis 1989 zur Einführungsreife zu entwickeln. Insgesamt wurden am Ende nur für die Entwicklung dieser Unterwasserwaffe 276,7 Mio. DM ausgegeben. Noch vor Abschluss der Entwicklungsphase erhielt AEG im Jahr 1987 offenbar eine Art Vorvertrag zur Lieferung von 450 Torpedos, wobei damals von einem Stückpreis von 1,28 Mio DM ausgegangen wurde.19 Die endgültigen Aufträge zur Serienproduktion gingen an die AEG-Nachfolgefirmen DMT Marinetechnik GmbH und STN Systemtechnik Nord GmbH.
Die AEG war zugleich ein führender deutscher Hersteller von Seeminen. Die Seemine gehört zu den von der Öffentlichkeit am wenigsten beachteten Waffensystemen. Bei militärischen Insidern gilt die Tatsache, dass über Seeminen so wenig gesprochen wird, als Vorteil, kann so doch, wie 1985 von einem Rüstungsexperten bemerkt wurde, "oft bedeutend besser und unbehelligter geforscht und entwickelt werden".20 Unter Militärs wird die Seemine wegen ihrer vergleichsweise geringen Kosten, aber dennoch ausgesprochen "tödlichen" Wirksamkeit hoch geschätzt.21 Anders als der Torpedo ist die Seemine eine stationär auf dem Meeresgrund verlegte Waffe, die herannahenden Schiffe auflauert. Wie bei den Landminen ist auch bei den Seeminen das Verlegen technisch einfach, der Aufwand für die Gegenseite, um sie zu entdecken und unwirksam zu machen, um ein Vielfaches höher.
Die "Kunst" der Ingenieure liegt darin, die Seemine so zu konstruieren, dass sie genau dann zündet, wenn die grösstmögliche Zerstörung am gegnerischen Schiff erzielt werden kann.
AEG hat ab Ende der 70er Jahre bis 1983 "Anti-Invasionsminen" (AIM/SAI) für die Bundesmarine und Dänemark produziert. Die Stückzahl der hergestellten Seeminen wird geheimgehalten. Diese Mine, die auch als DM 51 oder in neuerer Zeit als SM G 4 bezeichnet wird, hat ein Gewicht von 115 Kilogramm, wovon allein 60 Kilogramm auf den Sprengstoff entfallen.22 Bei diesem Projekt hat AEG Wedel mit der dänischen Spezialfirma Nea Lindberg A/S, Ballerup, zusammengearbeitet.
Der Wiederaufbau des Bereichs "Flugwesen und Sondertechnik" wurde 1959 dem Ingenieur Wilhelm Heil übertragen, der ab 1936 bereits die AEG-Abteilung "Schiffbau, Flug- und Heerwesen" geleitet hatte.23 Dieser Fachbereich nahm einen grösseren Teil des AEG-Werks Wedel/Industriestrasse in Anspruch. Seine Produktpalette umfasste im militärischen Bereich (Stand 1987):24 "Elektrische, elektronische und opto-elektronische Geräte und Systeme für Heer und Luftwaffe wie Beobachtungs- und Zielgeräte mit unterschiedlichen optronischen Techniken für Tag- und Nachteinsatz, Feuerleit- und Stabilisierungsanlagen, Ausbildungs-Simulatoren, elektrische Bordnetzsysteme für Flugzeuge, Flugkörper und Panzer, Stromversorgungssysteme und elektronische Einrichtungen für militärische Anlagen. Cockpit-Displays und Avionikkomponenten, Radome für Flugzeuge, Fahrzeuge und Landanlagen, Testsysteme für elektronische Baugruppen und Systeme, Überwachungs- und Sicherungsanlagen für Freigelände und Gebäude."
Konkret war das Wedeler Werk in der Industriestrasse u.a. an folgenden Rüstungsprojekten - z.T. schon vor 1980 - beteiligt:
Waffenstabilisierungs- und Turmantriebssysteme 25 für
den Kampfpanzer Leopard 2, von dem bis 1989 über 2.500 Exemplare in Deutschland produziert wurden (hierzu Blohm + Voss, Maschinenbau),
den Flak-Panzer Roland aus deutsch-französischer Koproduktion (auch hierzu Blohm + Voss, Maschinenbau),
das Flak-Panzerfahrzeug Wildcat von Krauss-Maffei,
den leichten Panzer M 41 der dänischen Armee (Kampfwertsteigerung ab Mitte der 80er Jahre),
den israelischen Kampfpanzer Merkava, von dem nach Expertenschätzungen seit den 70er Jahren bis 1994 ca. 1.000 Stück produziert worden sind und der von der isrälischen Armee bei Kämpfen im Libanon eingesetzt worden ist.26
Feuerleitrechner FLER-HG für 250 Panzer Leopard 1A4 der Bundeswehr 27
Nachtsichtgerät des Typs Passive Fernseh-Ziel- und Beoabachtungsanlage PZB 200, von denen bis 1987 ca. 1.500 Stück produziert wurden 28, u.a. für
die 114 ab 1978 an Kanada gelieferten Panzer Leopard 1,
den in Argentinien produzierten Schützenpanzer VCTP,
die Nachrüstung türkischer Panzer vom Typ Leopard 1 und M 48
Elektro-Installationen für Marinestützpunkte in Thailand und evtl. in Indonesien 29
Cockpitgeräte für Kampfflugzeug Tornado (TV-Tabular Display Unit)
Radome (Schutzhauben für Radarantennen) für Kampfflugzeug Tornado, Transportflugzeug Transall, Flugabwehrrakete Hawk, Flugabwehrsystem Roland und grosse Bodenradaranlagen 30
Enteisungssysteme für Kampfflugzeug Tornado, Jagdflugzeug Alpha Jet, Panzerabwehrhubschrauber PAH-1, US-Kampfhubschrauber Apache.31
Auch die Vorarbeiten für die Programme "Jäger 90" und Panzerabwehrhubschrauber PAH 2 gingen, wie im Geschäftsbericht für 1988 vermerkt wurde, kontinuierlich weiter.32
Dieser Fachbereich hatte seinen Sitz ebenfalls im Werk Industriestrasse in Wedel. Für zahlreiche nationale und internationale Raumfahrtprogramme lieferte er Stromversorgungssysteme auf Solarbasis. 1985 waren AEG-Solargeneratoren bereits in über 100 Satelliten im Einsatz. Obwohl Näheres hierüber nicht bekannt ist, kann davon ausgegangen werden, dass ein Teil dieser Satelliten von der NASA, der ESA (European Space Administration) bzw. nationalen Weltraumbehörden zu militärischen Zwecken ins All geschossen wurden.
Anlässlich einer Besichtigung des Wedeler AEG-Werks durch den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Barschel im April 1985 sprach sich der AEG-Vorstandsvorsitzende Heinz Dürr für eine deutsche Beteiligung am amerikanischen SDI-Weltraumrüstungsprogramm aus.33 AEG gründete sogar eine firmeninterne SDI-Studiengruppe 34, von der man später allerdings nichts mehr hörte.
Auf dem Gebiet der terrestrischen (nicht auf die Raumfahrt bezogenen) Solartechnik produzierte AEG aufklappbare Solargeneratoren für militärische Anwendungen. Mit solchen Anlagen können in abgelegenen Operationsgebieten z.B. Funkgeräte gespeist werden.35 Nach einem taz-Bericht wurden 1986 in Nicaragua AEG-Solarsysteme des Typs PQ 10-20-02 für den militärischen Einsatz bei gefangengenommenen Contra entdeckt.36 Wegen der sehr hohen Produktionskosten hat AEG die Fertigung solcher Solargeneratoren wieder eingestellt.
Eine Liefer- und Leistungsübersicht von 1980 führte für den AEG-Fachbereich "Raumfahrt, neue Technologien" noch ein weiteres Geschäftsfeld in der Grauzone zwischen ziviler und militärischer Bedeutung auf: Uran-Anreicherungsanlagen. Konkret genannt wurden dort z.B. Antriebe für Gasultrazentrifugen. Diese benötigt man für die Urananreicherung nach dem Zentrifugenverfahren, an dem im Zweiten Weltkrieg zunächst die Hamburger Physiker Harteck und Groth gearbeitet hatten und dessen Weiterentwicklung seit 1957 von Degussa und AEG betrieben wurde. Seit den 70er Jahren produzierte AEG Wedel Teilsysteme für die in deutsch-holländisch-britischer Kooperation errichtete Urananreicherungsanlage in Almelo (Niederlande). Zumindest Grossbritannien soll Almelo auch militärisch nutzen, nämlich zur Produktion von hochangereichertem Uran für die eigenen Atom-U-Boote.37 Wahrscheinlich kurz nach 1980 hat AEG Wedel die Zulieferaktivitäten für die Urananreicherungstechnik eingestellt.
Um 1982 rief der IG-Metall-Vertrauenskörper des AEG-Geschäftsbereichs Hamburg/Wedel einen Arbeitskreis "neue Produkte" ins Leben. In der Grundsatzerklärung wurde festgestellt, der Standort sei bei einer weitgehend festgefahrenen Produktionspalette und einem Rüstungsanteil von über 50 Prozent "von einer zunehmend unsicheren Arbeitsplatzsituation gekennzeichnet". Der Arbeitskreis wolle darauf hinarbeiten, dass die vorhandenen hochentwickelten Technologien angewendet würden, um die Beschäftigung zu sichern und gesellschaftlich sinnvolle Alternativen zur Rüstungsproduktion zu finden. Allerdings: Im Gegensatz zu dem Arbeitskreis Alternative Fertigung bei -> Blohm + Voss bestand der AEG-Arbeitskreis nur kurze Zeit.38
In Einzelfällen fanden die von AEG für militärische Zwecke entwickelten Techniken und Verfahren eine zivile Nutzanwendung. So lieferte die von Ingenieuren des Fachbereichs Flugwesen und Sondertechnik entwickelte Technik der kameragelenkten Zielverfolgung die Grundlage für Anlagen zur Automatisierung der Brief-und Paketsortierung.39
Gute Chancen für eine Ausweitung ziviler und zugleich ökologisch zukunftsweisender Aktivitäten schienen sich AEG vor allem im Bereich der terrestrischen Solartechnik zu bieten, obwohl auch hier - wie dargestellt - militärische Einsatzmöglichkeiten bestehen. Das Bundesministerium für Forschung und Technologie finanzierte ab 1977 ein langfristiges Entwicklungsprogramm, in dessen Rahmen AEG Wedel Wege zu einer stark verbesserten Wirtschaftlichkeit der Sonnenenergienutzung aufzeigen sollte.40 Die Kosten pro 1 Watt Solargeneratorleistung sollten von 100 DM (Stand 1977) auf 5 DM gesenkt werden. Das ehrgeizige Ziel wurde nicht ganz erreicht: bis 1987 konnten die Kosten auf 12 bis 13 DM pro Watt reduziert werden.
Mit "öffentlichen Mitteln abgesichert, war es AEG möglich, im Solarbereich konkrete Einzelprojekte zu realisieren. 1983 ging das grösste Solarkraftwerk Europas auf der Nordseeinsel Pellworm in Betrieb. In verschiedenen Ländern der Dritten Welt kamen kleinere Solargeneratoren von AEG zum Einsatz, so in Indonesien, Ägypten und Mexiko. In dem indonesischen Dorf Picon z.B. übernahmen solarbetriebene Wasserpumpen die Reisfeldbewässerung. Mit einem saudi-arabischen Unternehmen vereinbarte AEG 1986 den Aufbau einer landeseigenenen Fertigung von Solargeneratoren.41
Im April 1987 nahm AEG in Wedel ein neues Werk für die kommerzielle Herstellung von Solarzellen bzw. Solarmodulen in Betrieb. Die ursprüngliche Ankündigung von 1985, die Zahl der in diesem Bereich Beschäftigten werde von 400 auf 600 steigen 42, wurde allerdings nicht eingehalten. Niemand ahnte 1987, dass die Hoffnungen, die man in die Solartechnik als ziviles Produktionsfeld für Wedel setzen konnte, schon wenige Jahre später zerstört werden sollten. Die Umstrukturierungspolitik der neuen Muttergesellschaft, der DASA, führte bis 1996 zur fast vollständigen Aufgabe des Solarstandorts Wedel (Näheres hierzu Telefunken Systemtechnik GmbH TST/DASA-Produktbereich Energie- und Anlagentechnik).
Der Rüstungskomplex AEG Wedel entstand im Zusammenhang mit der Wiederbewaffnung ab 1956; er bildete für bestimmte Militärtechnikbereiche einen Ersatz für die bis 1945 in Berlin konzentrierten AEG-Standorte. Zu der Frage, ob schon vor 1945 Rüstungsaktivitäten von AEG im Hamburger Raum festzustellen sind, zwei Hinweise:
AEG war Mitbesitzerin der 1918 gegründeten Deutschen Werft in Finkenwerder, die im Zweiten Weltkrieg U-Boote baute und dabei auch KZ-Häftlinge aus Neuengamme einsetzte.43
In einer rüstungsgeschichtlichen Publikation wird für die Zeit des Zweiten Weltkriegs ein AEG-Werk in Hamburg erwähnt, das mit der Torpedotechnik befasst war.44
Anmerkungen: