Dieses Dokument ist Teil des Buches Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg, 1998
22305 Hamburg (Barmbek-Nord), Bramfelder Strasse 164
Stammkapital: 400.000 DM
Beschäftigte: 140 (1985), 83
(1996)
Umsatz: 13,7 Mio DM (1982), 11,6 Mio. DM (1995)
Geschäftsführer: Prof. Odo Krappinger (bis 1988), Dr.
Hans G. Payer (1988-94), Dr.-Ing. Gerhard Jensen (seit 1994)
Die HSVA befasst sich mit experimentellen und theoretischen Untersuchungen für Schiffbau, Schiffahrt, Offshore-Technik und Eistechnik. Mit Hilfe von Modellen von Schiffen und anderen Wassergeräten werden in verschiedenen Tanks und Becken Tests zu Manövrierfähigkeit, Seegangsfestigkeit und zu Fragen wie der Propeller-Kavitation und der Hydroakustik durchgeführt. Etwa 50 Modelle durchlaufen jährlich das Versuchsprogramm.8
An der HSVA sind 28 Unternehmen aus Schiffbau, Schiffahrt und Meerestechnik als Gesellschafter beteiligt. Anfang 1997 besassen die höchsten Einzelanteile: der -> Germanische Lloyd, -> Blohm + Voss, HDW, der Bremer Vulkan und die Schichau Seebeckwerft (beide in Konkurs) sowie die Thyssen Nordseewerke. Die Freie und Hansestadt Hamburg besitzt zwar keine Geschäftsanteile an der GmbH, doch wird die HSVA zu den Unternehmen "unter staatlicher Einflussnahme" gezählt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Hamburg das genutzte Betriebsgelände aufgrund eines Vertrages von 1913 der HSVA unentgeltlich überlässt. Aus diesem Grund ist die Stadt auch im Aufsichtsrat der GmbH vertreten.
Die HSVA führt in erheblichem Umfang Untersuchungen für militärische Projekte durch. Diese betreffen sowohl Beschaffungsvorhaben der Bundesmarine als auch solche ausländischer Seestreitkräfe.
Schon vor 1980 fanden in der HSVA ausgiebige Tests für die MEKO-Exportfregatten von -> Blohm + Voss statt.9 Daneben wurden hier hydrodynamische Modellversuche für ein U-Boot-Rettungssystem vorgenommen, das erstmals in indische U-Boote eingebaut wurde (die ersten beiden U-Boote für Indien wurden 1982-86 bei HDW produziert).10
Als Blohm + Voss 1990-92 im Rahmen einer Vorkonstruktion Korvetten der Reihe MEKO 100 entwickelte, wurden bei der HSVA in ausführlichen Modellversuchen die Linien dieses Kriegsschiffstyps optimiert.11
Ende 1992 begannen Versuchsreihen für Luftkissen-Katamarane, sogenannte SES-Fahrzeuge (Surface Effect Ships) - ein Projekt, das vom Bundesministerium für Forschung und Technologie gefördert wird, mit dem aber auch militärische Interessen verknüpft sind (vgl. die Entwurfsarbeiten von -> Blohm + Voss und der -> Marinetechnik GmbH zu SES-Fahrzeugen).12 Auch beim Projekt "Mehrzweckschiff" der Bundesmarine wurde die HSVA beteiligt.13
Im Jahr 1986 bat die GAL-Bürgerschaftsfraktion den Senat um Auskunft, für welche Kriegsschiffstypen in der HSVA in den letzten zehn Jahren Modellversuche durchgeführt worden seien und welche Institutionen und Unternehmen diese in Auftrag gegeben hätten. Der Senat erklärte, es widerspräche "den Grundsätzen des Datenschutzes, wenn Interna aus dem Geschäftsleben einer privaten GmbH veröffentlicht würden".14
Über den Umfang und die bewusste Förderung der rüstungsbezogenen Forschung in dieser "gemeinnützigen" Forschungseinrichtung informiert ein 1995 veröffentlichter Beitrag eines HSVA-Abteilungsleiters, aus die folgenden Auszüge zitiert sind:15
"Seit Dezember 1989 steht dem BWB (Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, d.Verf.) und der Marine mit dem Hydrodynamik- und Kavitationstunnel HYKAT bei der Hamburgischen Schiffbau-Versuchsanstalt HSVA eine der weltweit modernsten Versuchseinrichtungen zur Vermessung von Schiffs-, Boots- und Strömungskörpermodellen sowie zum Testen von Schiffsantriebs- und Schiffspropulsionsorganen zur Verfügung. Bereits während der Planungsphase wurden die Anforderungen aus dem Bereich der Wehrtechnik See an die verschiedenen technischen Geräte der Marine berücksichtigt. So wurde neben der Verwirklichung einer grossen Messstrecke mit sehr guten Strömungseigenschaften besonders Wert auf gute hydroakustische Eigenschaften gelegt. (...) Für die Untersuchung der Manövriereigenschaften von Torpedos und U-Booten wurde eine separate Versuchseinrichtung gebaut (...) Trotz der Einschränkung durch die endliche Begrenzung der Messstrecke bietet der Oszillator (auch in Zusammenhang mit den hydroakustischen Gegebenheiten des HYKAT) aussergewöhnliche Untersuchungsmöglichkeiten, unter anderem für Flugkörper. Die intensive Nutzung dieser Versuchseinrichtung in den vergangenen Jahren - auch durch ausländische Marinen bzw. Torpedoentwickler - hat dies eindrucksvoll unter Beweis gestellt. (...) Seit 1990 wurden und werden sowohl im Auftrag des BWB als auch in der Direktbeauftragung durch einzelne Firmen und Konsortien wehrtechnische Untersuchungen an Modellen und an Original wehrtechnischem Material gemacht."
Im Einzelnen erfolgten im HYKAT Messungen für:
die Fregatten der Klassen 122 und 123,
das U-Boot U 212,
die Torpedos DM2A3, DM2A4, LCAW,
das Unterwasserfahrzeug Pinguin B 3
verschiedene Sonarplattformen und
Schleppantennen.
Neben den Kriegsschiffswerften gehört demnach der Torpedo- und U-Boot-Sonar-Entwickler -> STN ATLAS Elektronik zu den Hauptnutzern dieser Anlage. Zu den Zielen der im HYKAT vorgenommenen Untersuchungen gehört die "Verbesserung des Geräuschverhaltens von Fregatten- und Torpedopropellern". Militärisch hat diese Zielsetzung folgenden Hintergrund: Je leiser z.B. Torpedopropeller arbeiten, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Besatzung des gegnerischen Schiffs das Herannahen des Torpedos bemerkt, und desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Schiff getroffen und versenkt werden kann.
1996 rechnete die HSVA mit neuen Aufträgen des BWB im Zusammenhang mit dem Projekt Fregatte 124 und mit der Studie NAOS ("Nichtakustische Signatur").
Wie hat sich der Hamburger Senat in der Frage der Rüstungsforschung an der HSVA und speziell des Baus des HYKAT verhalten? Noch 1986 erklärte er gegenüber der GAL-Fraktion, er habe "für die in der Anfrage bezeichneten Zwecke (Modellversuche für den Kriegsschiffbau, d.Verf.) seit dem Wiederaufbau der Forschungsanstalt nach 1945 keine Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt".
Das muss sich spätestens kurz darauf geändert haben. Denn in einem 1991 erschienenen Beitrag dankten zwei HSVA-Vertreter nicht nur dem Forschungs- und dem Verteidigungsminister, sondern auch "und nicht zuletzt der Freien und Hansestadt Hamburg" für die finanzielle Unterstützung des 1986 bis 1989 realisierten HYKAT-Projekts.16
Als die GAL-Bürgerschaftsfraktion 1995 ihren Antrag "Konversion statt Rüstungsproduktion in Hamburg" einbrachte, forderte sie im dritten Punkt, dass "Hamburger öffentliche Institutionen die Forschung und Entwicklung für militärische Zwecke einstellen" sollen. In der Begründung zum Antrag führte die GAL aus: "Die Forschung z.B. an der Schiffbauversuchsanstalt über die hydrodynamischen Eigenschaften von Torpedos werden als Beitrag zur Waffenperfektionierung abgelehnt."17 Im Wirtschaftsausschuss der Bürgerschaft, in den der GAL-Antrag überwiesen worden war, lehnten die Vertreter von SPD, CDU und STATT Partei die oben zitierte dritte Forderung des Antrags ab.18
(Bemerkung zum GAL-Antrag: Die HSVA zu den öffentlichen Institutionen zu rechnen, erscheint etwas problematisch; bei ihr handelt es sich, wie ausgeführt, um eine kommerzielle Einrichtung, auf die die Stadt durch ihren Vertreter im Aufsichtsrat allerdings Einfluss ausüben kann.)
Die HSVA wurde 1913 als erste kommerzielle Schiffbau-Versuchsanstalten in Deutschland gegründet. Nachdem die Tätigkeit der HSVA bereits in ihrer Anfangsphase durch Forschungen für Kriegszwecke geprägt worden war (1915-18): Versuche mit U-Boot-Modellen), erhöhte sich ihre militärische Bedeutung wieder ab 1930 mit der Inbetriebnahme eines Schleppkanals für hohe Geschwindigkeiten, an dem auch die japanische Marine grosses Interesse zeigte.19 In der NS-Zeit erfolgte eine Vergrösserung des HSVA-Personals von weniger als 70 auf 120 Beschäftigte. Der 1930 gebaute Schleppkanal wurde 1934 an die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt verpachtet. Ab 1937 führte die HSVA verstärkt Druckmessungen an Torpedos und Flugzeugkanzeln durch. Für die Erweiterung der Anlagen erhielt die HSVA während des Zweiten Weltkriegs Zuschüsse von der Kriegsmarine, dem Luftfahrtministerium und dem Hamburger Staat. Nach 1945 liessen die Briten die HSVA, die 1943 bereits schwer beschädigt worden war, demontieren. Am 22. Februar 1952 wurde der Grundstein für den Wiederaufbau der HSVA gelegt.
Anmerkungen: