Licht am
Horizont
Annäherungen an die PKK |
III. Der Kampf der Frauen
als zentraler Punkt innerhalb der PKK
III.7. Unumkehrbarkeit des Prozesses.
Was wurde installiert?
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III.8. Der 1. Nationale Frauenkongreß in Kurdistan im März 1995
Heval Faraschin: „Anfang 1993 kam die Anweisung des Parteivorsitzenden Abdullah Öcalan, daß die Frauen sich auf die Frauenarmee vorbereiten sollen. Wenn ihr fragt, warum Frauenarmee muß ich sagen: eine Gesellschaft die sich weiterentwickeln möchte und sich untereinander organisieren muß, da muß die Situation gleichberechtigt sein. Wenn sich die Frau ausschließlich in einem anderen Staat organisiert, ohne dort die Herrschaft des Mannes anzugreifen, kann sie sich nicht unabhängig und frei entwickeln. Das ist z.B. ein wesentlicher Fehler im Realsozialismus gewesen, weswegen er dann auch scheiterte. Nach der Entscheidung für die Frauenarmee beschloß man einen nationalen Frauenkongreß zu organisieren.< <
Der materiell-politische Ausgangspunkt zum Nationalen Frauenkongreß war also die Bildung der Frauenarmee. Im folgenden Artikel wird die Entwicklung vom gescheiterten Frauenkongreß zum 1. Nationalen Frauenkongreß beschrieben. Teile der inhaltlichen Diskussion werden benannt, zwei wesentliche Fragen, die für den Kampfprozeß erörtert wurden und die gelöst werden mußten, dargestellt. Anschließend können die wichtigsten Beschlüsse zur Frauenarmee nachgelesen werden. Alle Beschlüsse, die gefaßt wurden, wurden während des Kongresses gemeinsam diskutiert.
Eigentlich sollte der 1. Nationale Frauenkongreß schon 1993 stattfinden. Dieser Kongreß fand auch statt, wurde aber später durch den Parteivorsitzenden Abdullah Öcalan annulliert. Die inhaltlichen Gründe dafür waren: 1. Die Frauentruppen standen unter der Herrschaft der Männertruppen, 2. dieser vermeintliche Frauenkongreß war sehr weit von der Kriegsrealität entfernt. Es wurde nämlich die Frage gestellt, ob Frauen am bewaffneten Kampf teilnehmen wollen und wenn ja, wie viele. Diese Frage entsprach aber überhaupt nicht mehr der Realität, im Gegenteil, es sollten sich damals schon so viele Frauen wie möglich an der Guerilla beteiligen. Die Frauen, die sich damals gegen diese rückständige Haltung wehrten, konnten sich nicht gegen diese durchsetzen. Der 3. Punkt: Alle technischen Vorbereitungen wurden von den Männern geleistet. Alle Beschlüsse wurden von den Männern getroffen und die Frauen „durften" sie dann hinterher akzeptieren. Die Frauen hatten überhaupt keine Mühen in den Kongreß gesteckt, bzw. sie waren damals noch nicht selbstbewußt genug gewesen, ihre inhaltlichen Themen, den Schutz, die technischen Geräte selbst zu organisieren.
Im März 1995 fand dann der 1. Nationale Frauenkongreß statt, der auch anerkannt wurde. Auf diesen Kongreß hatten sich die Frauen eineinhalb Jahre vorbereitet. Der Kongreß dauerte 7 Tage. Die Versammlung fand in einer riesigen Höhle (die extra dafür ausgesprengt worden war) statt. Es nahmen 350 Frauen daran teil. Während des Kongresses lief gleichzeitig die Celik-Operation der türkischen Armee, die die Bedingungen sehr erschwerte. Heval Hatice: „Trotzdem haben wir diese Last auf uns genommen, all diese Mühe, um diesen Kongreß selbstbewußt durchzuführen. Daß wir uns den Kongreß nicht einfach haben nehmen lassen, hat uns dann auch gerade bei seiner Durchführung sehr viel Stärke gegeben. „
Wegen dieser Operation konnte sich natürlich nur ein Teil der Frauen am Kongreß beteiligen. Einzelne Delegierte und auch Delegationen wurden zum Kongreß geschickt. Es kam auch eine Frauendelegation aus der Kaderschule, diese hatten sich dort speziell auf den Kongreß vorbereitet. Frauen, deren Einheiten sich zu dem Zeitpunkt in der Nähe des Kongreßortes aufhielten, konnten teilnehmen. Heval Dilan: „Der Kongreß fand am 8. März statt - diesen Geist des Internationalen Frauentages wollten wir aufnehmen und weiterentwickeln."
Im Gegensatz zu 1993 drückte dieser Kongreß einen wirklich neuen Schritt aus, in dem die Frauen alles selbst organisiert und aufgebaut hatten.
Der Schwerpunkt des Kongresses lag auf dem Thema der Menschheitsgeschichte, es ging um die Frau in der Gesellschaft und um die Lösung der Frauenfrage bis heute, das heißt um die Rolle der Frau in der Revolution, wie die Frau leben will.
Diskussionen zum Frauenkongreß gab es bereits einige Monate vorher in der Parteischule. Der Parteivorsitzende diskutierte mit den Frauen über das Niveau des heutigen Kampfes und gab Perspektiven für die Zukunft. Diese Diskussionen führte er auch per Funktelefon mit den Frauen aus der Armee. Alle Diskussionen wurden schriftlich festgehalten.
Auf dem Kongreß wurde hauptsächlich über Auffassung und Praxis der Frauen und Männer im Kriegsalltag diskutiert. Eine wichtige Frage war, wie kann die Frau zu einer starken Persönlichkeit werden. Das ist eines der wesentlichen Probleme für die meisten Genossinnen im Kriegsalltag. Oder, wie kann sich die Frau weiter ausbilden, damit sie sich im Befreiungskampf weiterentwickelt. Damit wurde angesprochen, daß die Zentrale der Frauenarmee Schulungsmöglichkeiten anbieten muß, die die Bedürfnisse in Bezug auf Bildung, Gesundheit, Logistik usw. wahrnimmt und entsprechend der Notwendigkeit in die Praxis umsetzen muß. Auch dazu gab es Beschlüsse - alle Beschlüsse des 5. Parteikongresses (Januar 1995) zur Frauenarmee, wurden auf dem Frauenkongreß noch erweitert. So wurden 23 Freundinnen in die Frauenarmeezentrale gewählt. „Das wichtigste Ergebnis des Kongresses war, daß das was die ganze Zeit theoretisch gesagt wurde, konkret in Beschlüsse für die politische und praktische Arbeit bzw. für den Kampf umgesetzt wurde." (Heval Faraschin)
Es nahmen auch Internationalistinnen aus der Türkei und dem arabischen Raum teil. Diese analysierten die gesellschaftliche Realität „ihrer" Länder und versuchten Ansätze für eine politische Lösung zu entwickeln. Daraus entstanden als Beitrag zum Kongreß jeweils ein „türkisches" und ein „arabisches" Manifest.
Der Kongreß war zwar ein nationaler Frauenkongreß, aber im Prinzip schon die Vorarbeit für einen internationalen, der ja dann auch beschlossen wurde. Hier einige Kommentare von Genossinnen, wie der Frauenkongreß moralisch auf sie gewirkt hat:
„lch habe dort zum ersten Mal die Frau selbst gesehen. Zum 1. Male habe ich sie selbst bemerkt, die Frau, die an sich glaubt. Wenn dieser Kongreß auch „nur„ ein nationaler Kongreß war, inhaltlich war es eigentlich ein internationaler Frauenkongreß. „ (Heval Hatice)
„ln Europa waren alle Freundinnen und Freunde gespannt, mit welchem Ergebnis der Frauenkongreß enden wird, welches Ziel sich gesetzt wird. Man sagte uns: 'Ihr werdet den Geschmack der Freiheit spüren'. „ (Heval Newroz, eine Genossin, die aus Europa kam)
» Beim Verlassen der Kongreßhöhle wurde sie die „befreite Höhle„ genannt. Zum ersten Mal war es so, daß die Frau, die sich bislang gedanklich nicht öffnen konnte, die noch gefangen war, über alles diskutieren konnte - über alles, was es gibt. „ (Heval Newal)
» Den Freundinnen im Kampf hat der Kongreß viel Kraft gegeben. Wir haben uns sehr frei gefühlt. Wir haben bemerkt, daß das jetzt unsere Zentrale ist; die in jeder Beziehung innerhalb des Krieges notwendig ist. Vor allem aber auch ist sie für Probleme zuständig, die wir innerhalb der Einheiten nicht lösen können. „ (Heval Newroz)
Einige Beschlüsse des 1. Frauenkongresses
im März 1995 in Kurdistan
I. Die Organisationsweise der Frauenarmee und Armeebildung:
1. Die Frauenarmee hat das Ziel, die Freie Frau zu schaffen, damit sie aktiv an der Revolution teilnimmt und zu einer Kraft wird. Organisiert wird sie von den politischen und militärischen Frauenkadern.
2. Die Frauenarmee nimmt die Parteiavantgarde wahr. Das Programm und Statut wird auf dieser Ebene verfaßt.
3. Die Zentrale der Frauenarmee ist gebunden an die Partei, an das Generalsekretariat und an die Parteizentrale. Die Zentrale ist Teil in der Partei in Armee und Front, aber handelt nach ihrem inneren Statut.
4. Die Zentrale hat ihre eigenen Unterorgane und wo immer die Möglichkeit besteht, vertreten diese Organe die Frauen.
5. Die Zentrale schult ihre eigenen Kader, bereitet Ersatzkader vor und gibt ihnen politischen militärischen und technischen Unterricht. Sie eröffnet ihre eigenen Kaderschulen und profitiert von den Bildungsmöglichkeiten der Partei.
6. Der Generalstabschef der Frauenarmee wird mit der Zeit ihre eigenen Kriegsfronten leiten; wird die Hinsendung der Truppen und die Verantwortung übernehmen. Sie wird Stabsquartiere in Gebieten und Provinzen bilden.
7. Die Fraueneinheiten in den Gebieten und Provinzen werden am Anfang nicht so groß sein. Aber mit der Zeit werden sie zu Zügen und Kompanien und dann zu Regimentern aufgebaut.
8. Die Stabsquartiere werden am Anfang Schulungen in den verschiedensten Bereichen von Journalistik über Kriegsangelegenheiten bis hin zur Gesundheit geben. Institutionen in diesen Bereichen werden zum Ziel gesetzt.
9. Nur Frauen, die mindestens 16 Jahre alt sind, können sich an der Armee beteiligen.
Einige Resolutionen bezüglich der Organisierung
der Kriegsökonomie:
1. In allen Provinzen müssen die Frauen in einer Vereinigung organisiert werden, damit sie alle Logistikbedürfnisse decken können.
2. In jeder Provinz sind Fraueneinheiten, die für die Logistik sorgen müssen, die die Logistik überwachen müssen. Sie müssen entsprechend der Bedingungen in den Gebieten die Bedürfnisse decken können. Die Logistik muß eine Leitung haben und muß ihre Einheiten bilden.
3. In den befreiten Gebieten müssen Einheiten in der Produktionseinheit teilnehmen.
4. Die Weingärten, die von evakuierten Dörfern/Plätzen übriggeblieben sind sollen richtig bewirtet und bearbeitet werden.
5. Die Munitions- und Verpflegungsdepots müssen mindestens alle drei Monate kontrolliert werden und die nötigen Transportmittel müssen besorgt werden.
6. Kontakt- und Koordinationsprobleme. Um diese Probleme zu lösen müssen entsprechende Mittel besorgt werden seien es Funkgeräte, Telefone usw..
Zusatzresolutionen:
1. Bese (Synatcik), die in der Provinz Dersim 1994 als Märtyrerin gefallen ist und Peman, die in Cizre 1994 gefallen ist werden als die Ehrenzentralkomiteemitglieder anerkannt.
2. Die Genossinnen Rengin und Zelal, die im Besta-Gebiet und im ... Gebiet gefallen sind werden als Freiheitssymbole junger Frauen anerkannt.
3. Die Genossin Karker, die als Delegierte vom Kongreß kam und in einem Gefecht in Cudi gefallen ist wird als das Kriegssymbol der Frauenbefreiung und der Frauenarmee anerkannt.
Resolution zu den Volksaufständen:
1. Die Serhildankomitees müssen in Koordination mit der Guerilla arbeiten und müssen entsprechend der Bedingungen bewaffnete und unbewaffnete Selbstverteidigungseinheiten bilden, die die Pflicht haben, für die Sicherheit zu sorgen.
Resolution zur Pressearbeit:
1. Unter Konstitution des Zentralstabsquartiers muß das Pressebüro organisiert werden.
Einige Resolutionen bezüglich des Gesundheitswesens:
1. Es wurde wahrgenommen, daß die Frauenarmee eine spezielle bzw. besondere Organisierung hat,
deswegen wird sie folgendes in der Armee verwirklichen:
a. Sie schafft eine eigene Zentralorganisierung. Mit dieser Grundlage
organisiert sie ihre Gesundheitsorganisationen und Gesundheitseinheiten.
b. Sie organisiert ihr eigenes zentrales Krankenhaus.
2. Die Zentrale sorgt für die Gesundheit der Mutter und des Kindes in den befreiten und halbbefreiten Zonen und arbeitet mit der Front zusammen.
3. Die Beschlüsse, die unsere Partei auf dem 5. Kongreß gefasst hat, sind auch für die Frauenarmee gültig.
Diese sind im folgenden:
a. Um die Kriegsbedürfnisse zu lösen müssen die Gesundheitsinstitutionen und das Gesundheitspersonal in allen Provinzen organisiert werden.
b. Diese Gesundheitsorganisierung muß im Rahmen der militärischen Prinzipien gebildet werden.
Beschlüsse bezüglich der gefallenen GenossInnen, den Verhafteten und den Kriegsfamilien:
1. Die Familien der Märtyrer/innen, der Kriegsgefangenen und der Krieger sollen von der Zentrale der Frauenarmee organisiert werden; sie sollen in Komitees organisiert werden.
2. In den Familien der Gefallenen, der Kriegsgefangenen und der Krieger sollen die Frauen und die Kinder gebildet werden und dementsprechend in diese Richtung organisiert werden.
3. Diesen Familien soll Gewähr geleistet werden, daß sie an geeigneten Orten für den Dienst der Revolution arbeiten, nicht parasitär leben müssen, sondern ihnen Produktivität im Leben ermöglicht wird.
Insgesamt gab es noch wesentlich mehr Resolutionen und noch mehrere
Beschlüsse. Für diese Arbeit wurden jene ausgewählt, die
für Europäerinnen, die in einer politisch nicht zu vergleichenden
Situation leben, nachvollziehbar sind.