Licht am
Horizont
Annäherungen an die PKK |
III. Der Kampf der Frauen
als zentraler Punkt innerhalb der PKK
III.6. Die Rolle des Parteivorsitzenden
Abdullah Öcalan
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III.7. Unumkehrbarkeit des Prozesses. Was wurde installiert?
Inwieweit die traditionelle kurdische Gesellschaft und damit die Versklavung der Frauen heute schon zerschlagen ist und durch neue Werte eine neue Frauenrolle soweit installiert werden konnte, daß von einer Unumkehrbarkeit eines Prozesses gesprochen werden kann, ist in allen vier Teilen Kurdistans durch die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und die Entwicklung des Kriegs verschieden. Diese Frage bedarf einer genauer Untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann, einige Aspekte sollen jedoch herausgegriffen werden.
Nach 12 Jahren bewaffneten Befreiungskampfes kann fast keine kurdische Frau ihr abgeschottetes traditionelles Leben weiterführen. Flucht, Vertreibung, Exil, Repression, aber auch die Arbeit der Partei wirken auf ihr Leben ein.
Das Partei-Prinzip der Organisierung auf allen Ebenen geht vor allem die Frauen an. Angestrebt werden feste Organisationen, die jede Frau erreichen, eine Institutionalisierung der Revolution. Diese Organisationen und Institutionen sollen auch nach dem Krieg weiterbestehen. Nicht nur die Frauenarmee auch die Organisationen der YAJK (Yektiya Azadiyen Jinen Kurdistan) sollen Fakten schaffen, damit die Frauen nie wieder in ihre alte Rolle zurückgedrängt werden können.
Viele Frauen, die aus den Metropolen der ganzen Welt kommen, arbeiten vor ihrem Eintritt in die Guerilla eine zeitlang in der Front (ERNK), um die Parteiarbeit in der Praxis und die Realität der Bevölkerung, die Bedingungen der kurdischen Gesellschaft besser kennenzulernen. Überall wo die PKK organisiert ist, gibt es Komitees, die für ein bestimmtes Gebiet zuständig sind. Weibliche Kader haben die Aufgabe, die Frauen dort zu organisieren, sie besuchen die Frauen zu Hause, tagsüber, wenn die Männer bei der Arbeit sind. Sie haben die Aufgabe, den Frauen ihre eigene Situation bewußt zu machen, sie von der Notwendigkeit zu überzeugen, an der Revolution teilzunehmen. Für diese Frauen ist es ein langwieriger Prozeß, sich aus ihrer fest verwurzelten Struktur herauszureißen. Viele haben fünf, sechs oder zehn Kinder. Sie haben ihr Leben im Haus verbracht und mit niemanden geredet, allenfalls etwas mit den Nachbarinnen geplaudert. Die Frauen werden aufgefordert, an Schulungen und Versammlungen teilzunehmen. Bücher werden vorgelesen. Frauen bekommen oft das erste mal in ihrem Leben die Möglichkeit über sich selbst, ihre eigene Situation zu reden, darüber wird im offenen Rahmen diskutiert. Diese Treffen schaffen Vertrauen untereinander und dadurch Selbstvertrauen. Die Frauen lernen die Methoden und Prinzipien der Partei kennen, sich selbst zu sehen, sich wichtig zu nehmen. Dabei verändert sich auch die Situation in der Familie. Wenn Frauen ihren Ehemännern über politische Bewertungen berichten, erleben sie, daß ihnen zum ersten Mal im Leben zugehört wird. Viele Frauen fangen an, selbst Verantwortung zu übernehmen, in der Front tätig zu werden. Viele kleine Schritte haben die Rolle der Frau heute schon stark verändert. Männer passen auf die Kinder auf, Männer und Frauen diskutieren in einem Raum, vor wenigen Jahren war so etwas in den meisten Familien undenkbar, heute ist es Alltag. Viele Frauen werden viel bewußter und aktiver als ihre Ehemänner, weil sie viel deutlicher die Notwendigkeit der Veränderung sehen.
Familien, die in Kontakt mit der Partei stehen, gehen damit die Verpflichtung ein, ein Leben nach den Regeln der Partei zu führen. Verheiratung von Kindern und Jugendlichen, Polygamie, Gewalt in der Familie nehmen ab oder verschwinden mit der Zeit ganz. In seltenen Fällen schreitet die Partei auch direkt ein, in der Regel ist es aber nicht notwendig, weil sich das Bewußtsein verändert hat.
Ein Wertewandel hat eingesetzt, die Frau wird nicht mehr im Zentrum eines Ehrbegriffs gesehen, den man beschützen muß, sondern ein Anfang ist getan, daß sie als Mensch gesehen wird. Mädchen wachsen nicht mehr mit dem Ziel auf, in die Sklaverei der Ehe zu gehen, sondern haben z.B. die Perspektive Partei/ Guerilla vor Augen.
Mütter schicken ihre Töchter in die Guerilla, von fast jeder Familie sind Mitglieder im Kampf, so daß es eine starke Verbindung zwischen der ARGK und der Bevölkerung gibt.
In Nordwestkurdistan und zunehmend auch in Südkurdistan sind Fraueneinheiten aktiv. Ihre Präsenz hat ein neues Frauenbild geschaffen. Nach 1990 mußten die Guerillas in vielen Gebieten Kopftücher tragen, wenn sie in die Dörfer gegangen sind, weil sie sonst von-der Bevölkerung nicht akzeptiert worden wären. Heute ist in NW-Kurdistan eine bewaffnete Fraueneinheit nichts ungewöhnliches mehr.
„Anfangs, so ab 1984 war es sehr schwierig für die Freundinnen. Die Bevölkerung verstand nicht, wie Frauen und Männer zusammen leben und zusammen kämpfen können. Weil viele Frauen lange in der Front gearbeitet und die Führung in den Serhildans, z.B. in Cizre übernommen und sich organisiert haben, war ab 1993 eine große Achtung vor den Frauen entstanden. Als man hörte, daß auch viele Freundinnen im Kampf gefallen sind, wurde der Bevölkerung bewußt, daß Frauen sehr stark sein können. Seitdem gab die Bevölkerung die eigenen Töchter in die Partei, in den Kampf. .. Ich kann aus Erfahrung sagen: Wenn wir in die Dörfer kamen, haben uns oft alte Leute die Hände geküßt. Normalerweise küßt man den Älteren die Hände, nicht den Jüngeren. In den Dörfern wollten die Frauen den Freundinnen immer ihre wertvollsten Sachen geben, als Zeichen ihrer Achtung." (Heval Newal)
Heval Dilan: „Wenn wir heute in ein Dorf kommen, in dem z. B. ältere Männer sind und sie dann die bewaffneten Frauen sehen, fragen sie ob sie auch kämpfen können. Wenn sie das bestätigt bekommen, macht das einen großen Eindruck auf sie. Sie sehen, daß Frauen aus ihrem Dorf das auch machen können, daß Frauen auch Kraft haben. „
Zum Wandel in der Guerilla, der Bildung der Frauenarmee wurde schon einiges gesagt. Auch wenn heute noch der größte Teil der Genossinnen aus den dörflichen Strukturen Kurdistans stammt, hat sich die Guerilla in den letzten Jahren für kurdische Frauen aus den Metropolen der ganzen Welt, z.B. aus Europa, Russland, Armenien, Kanada und Australien geöffnet. Aber auch viele Internationalistinnen haben sich dem Kampf angeschlossen, vor allem aus der Türkei, aber auch aus vielen anderen Ländern. Frauen verschiedener Herkunft, Sozialisation und aus verschiedenen Klassen tragen ein anderes Bild der Frau in die Guerilla hinein. Unterschiedliche Kulturen und Vorstellungen prallen aufeinander. In dieser Auseinandersetzung kann jede ihre eigene Frauenrolle hinterfragen, gemeinsam kann entwickelt werden, wie eine freie unabhängige Frau leben kann.
Dieser Beitrag zeigt nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Kampf der Frauen in der PKK für ihre Unabhängigkeit. Wie ihre Perspektive in einem freien Kurdistan aussehen wird, ist offen. Bisher wurde „nur" ein erster Schritt gemacht, dem noch viele folgen müssen. Der Erfolg der PKK liegt in ihrer Strategie, nicht abzuweichen von ihrem Ziel, aber auch in ihrer Sensibilität, die verschiedenen Schritte die zum Erfolg führen, langsam aufzubauen und nicht dogmatisch an den Realitäten vorbei zu planen. Das tiefe Bewußtsein darüber, daß die Befreiung der Frau nicht erst nach der Revolution angegangen werden kann, sondern im Zentrum der Befreiung steht, daß Änderungen nicht mit formalen Lösungen, Regeln und Gesetzen erreicht werden, sondern am besten im bewaffneten Kampf, waren der Grund für den Aufbau der Frauenarmee. Die Organisierung von Frauen in allen Bereichen, auch in der Armee ist eine Garantie dafür, daß sich diese Entwicklungen nicht zurückschrauben lassen. Frauen haben angefangen, sich einen Teil der Macht zu nehmen und werden ihn nicht mehr hergeben.
Viele Punkte konnten hier nicht angesprochen werden oder wurden nur kurz angerissen, sollten aber genauer betrachtet werden, um die Frauen in der Guerilla zu verstehen. Einer dieser Punkte wäre die Geschichte der Frauen im Befreiungskampf. Frauen sind seit der Gründung der PKK 1978, beziehungsweise schon seit 1973 in den ideologischen Gruppen, beteiligt. Der Befreiungskampf hat viele starke Frauen hervorgebracht, die Vorbild und Motivation für Andere waren, den Kampf ebenfalls aufzunehmen. Die Frauen in der Guerilla fühlen tiefe Verbundenheit mit den Märtyrerinnen und sehen allein schon deswegen große Verantwortung, den Kampf bis zum Ende zu führen. Hier soll noch ein Beispiel gegeben werden: Heval Newroz: »Bevor ich in die Partei eingetreten bin ist die Freundin Bese Anus als Erste gefallen. Das hat mich sehr beeindruckt, ich kannte sie auch persönlich, sie war eine sehr selbstbewußte Frau, ebenso die Freundin Berivan, die in Cizre als erste Kommandantin gefallen ist. Am meisten haben mich die Freundinnen beeinflußt, die neben mir gefallen sind. Ich habe viele von ihnen mit eigenen Händen weggetragen. Eine junge Freundin ist ein besonderes Vorbild für mich. Diese Freundin habe ich bei Regen und Schnee, nachdem sie verletzt war, getragen. Und den ganzen Tag lang hat sie Widerstand gegen den Tod geleistet, wollte sich dem Tod nicht übergeben. Diese Freundin hat soviel Blut verloren und der Weg war so weit, ihr Widerstand ist eine Legende für sich. Alle Frauen, die für die Menschheit kämpfen, machen einen großen Eindruck auf mich. „
Die Frauenarmee ist noch keine Garantie dafür, daß der jetzt erkämpfte Umbruch in der kurdischen Gesellschaft nicht wieder zurückgeschlagen wird. Eine Garantie bietet nur die umfassende Weiterführung der radikalen Linie der Partei, die sich seit ihrer Gründung das Ziel der Befreiung der Frauen vorgenommen hat und die die dafür notwendigen Schritte eingeleitet hat. Die Frauenarmee ist der Schritt, der der jetzigen Phase der Revolution angepaßt ist aber noch lange nicht das Ziel.
Wir können viel von den Frauen lernen, die in der Guerilla, in der Frauenarmee kämpfen. Sie machen die Erfahrung, daß der Imperialismus seine Weltherrschaft wie eine Bestie verteidigt, aber, daß man trotzdem gegen diesen Feind siegen kann.
Durch die feudal-patriarchale Gesellschaftsstruktur, die Frauen völlig aus dem sozialen politischen Leben verdrängt hatte, war es ein langer Kampf, Strukturen zu schaffen, in denen sich Frauen eine selbstbewußte Identität erkämpfen können.
In der kurdischen Revolution wird der Versuch gemacht, anders als bei anderen Befreiungsbewegungen, die Abschaffung des Patriarchats nicht auf eine Phase nach der Revolution zu verschieben, sondern schon jetzt in allen gesellschaftlichen Bereichen Frauen zu stärken und einzubinden, ihnen in der Revolution die Avantgarderolle zuzuschreiben. Die kurdischen Frauen können sich auf eine Partei stützen, die das Patriarchat als einer der tragensten Pfeiler des Imperialismus erkannt hat und deshalb in konsequent und radikal alle patriarchalen Denkmuster und Strukturen angreift. Die Frauenarmee schafft die Bedingungen, in denen Frauen selbstorganisiert und bewaffnet für die Befreiung von allem Rückständigen und Unterdrückenden kämpfen.
Sie sind noch dabei eigene Vorstellungen und Forderungen zu entwickeln, wie ihr Leben in einem befreiten sozialistischen Kurdistan aussehen wird. Mit der Frauenarmee wurde ein Instrument geschaffen, Erkämpftes gegebenenfalls auch zu verteidigen.
Viele Frauen haben ihr altes, relativ sicheres Leben im Exil in den Metropolen Europas, der Türkei, Kanada, Rußlands usw. verlassen um an diesem Kampf teilzunehmen, darunter auch viele, die keine Kurdinnen sind. Die Frauen haben erkannt, daß sie in der Partei die Chance zur eigenen Befreiung verwirklichen können.
Avantgarde verstehen sie als Aufruf an die Frauen der ganzen Welt, den
Kampf gegen den Imperialismus ebenfalls aufzunehmen. Die Frauen, die weltweit
in den Befreiungsbewegungen kämpfen sind ein Vorbild für uns,
denn sie haben sich vorgenommen, gegen den Imperialismus zu siegen.