Licht am Horizont
Annäherungen an die PKK
V. Rolle der Führung in geschichtlichen und revolutionären Prozessen
V.1.3. Das Beispiel der Weltreligionen
V.2. Führungsbedürfnisse der Bourgeosie
V.3. Führungsbedürfnisse der klassischen Arbeiterbewegung und des Realsozialismus

V.2. Führungsbedürfnisse der Bougeoisie

Das aufsteigende Bürgertum zerriß in seiner Entwicklung alle störenden feudalen und damit auch viele patriarchale Bande. An die Stelle der 'natürlichen', innigen und frommen Ausbeutung setzte sie deren offene, schamlose und dürre Form, wie es im kommunistischen Manifest von Marx und Engels heißt. Die neuen Produktivkräfte zertrümmerten für ewig gehaltene Produktionsweisen, sie setzten gewaltigere Kräfte in Bewegung als jede Gesellschaft vor ihr. In einem 'Rausch der Erzeugung' wie nie zuvor raste die Bourgeoisie auf der Suche nach neuen Märkten über den Erdball. Traditionen, Götter, Tempel und ganze Kulturen fielen, aber ebenso entstanden als Reflex auf die unaufhaltsamen Entwicklungen, sie teilweise vorwegnehmend, neue Gedankensysteme. Die Bougeoisie machte Priester, Richter, Ärzte, Dichter und Forscher zu ihren bezahlten Lohnarbeitern, zu 'Kopflangern' der eigenen Klasse. Um die Produktivkräfte profitabler zu machen, braucht sie die Wissenschaft. Sie braucht eine neue Universalität der Ideen und der daraus abgeleiteten Menschen- und Bürgerrechte, um feudalistische Strukturen niederzureißen. Zugleich braucht sie nationales Bewußtsein für die eigenen Klasse, um ihr eigenes Territorium auch auf diese Weise abzustecken und die ideologische Grundlage für spätere Raubkriege zu schaffen. Aber die gewaltigen Umbrüche und Entwicklungen sind nicht allein wissenschaftlich, theoretisch und künstlerisch zu bewältigen, wofür Namen wie Dante, Gutenberg, Luther, Hobbes, Bacon, Kepler, Galilei, Newton, Descartes, Locke, A. Smith, Diderot und Dutzende andere stehen. Die Bourgeoisie braucht auch die großen Praktiker und Politiker, die rücksichtslos gegen sich und andere um Einflußgebiete und Macht kämpften und kämpfen und dabei die ihnen unterstellten Klassen und Kräfte der Nationen für wichtige historischen Momente zusammenschweißen. Diese Männer durften keine Skrupel zeigen, vielmehr wurde Demagogie zu einem immer wichtigeren Moment, je intensiver die Bourgeoisie ihren Machtapparat in alle Bereiche der von ihr beherrschten Gesellschaften ausdehnte, erst recht von dem Punkte an, an dem die Aufteilung der Welt unter die kapitalistischen Mächte beendet war und zu Beginn unseres Jahrhunderts die Neuaufteilung auf der Tagesordnung stand. Reaktionär im weitesten Sinne wurde das Denken und Handeln der Bougeoisie aber auch schon von dem Zeitpunkt an, als sie sich selbst als politische Macht in den europäischen Staaten etabliert hatte und sich die ihr antagonistisch gegenüberstehende Klasse, das Proletariat, ihrer selbst bewußt zu werden und zu organisieren begann. Demagogie, die offenen Lüge, die erneute Zerstückelung der Wahrnehmung und Darstellung der Welt wurden auch nötig, weil die Bourgeoisie selbst zuvor diese Welt mittels Technik und Kommunikation kleiner und überschaubarer gemacht hatte. Sie selbst hatte zudem die von ihr ausgebeutete Klasse entwickeln müssen, ihr Elemente von Bildung und Organisierung zuführen müssen, um sie als industrielle wie auch in regelmäßigen Abständen als militärische Armee verwenden zu können. Der Bedarf der Bourgeoisie an Führung wuchs und wächst also mit den Widersprüchen, die von der kapitalistischen Produktionsweise hervorgebracht und immer weiter verschärft wurden und werden. Erschwerend hinzu kam für die Herrschenden die Tatsache, daß auch das Proletariat Führungskräfte hervorbrachte, die den Klassenkämpfen neue Schärfe und überhaupt erst ihre grundlegende Richtung gaben: die revolutionäre Überwindung der Klassengesellschaft und die Errichtung einer ausbeutungsfreien sozialistischen Gesellschaftsordnung.

Politische Führung in Sinne der Bourgeoisie kann auch bedeuten, daß sie in bestimmten Entwicklungsphasen die Interessen ihrer reaktionärsten Fraktionen in diktatorischen Terrorregimes zusammenfaßt. Beispielhaft seien hier die Personen Hitlers und Mussolinis genannt. Diese beiden Persönlichkeiten können auch als Ausdruck der geistigen und politischen Krise ihrer Gesellschaften begriffen werden. Tiefe moralische Zerrüttung, umfassende Zerstörung vieler Wertbegriffe, ökonomische Krisen und Umbrüche, soziale Unsicherheit, drohender sozialer Abstieg - so wird allgemein die 'Stunde der Demagogen' definiert. Kommt die Unterstützung von entschiedenden Fraktionen der herrschenden Klasse hinzu, sind menschenfeindliche Diktaturen die Regel, in denen systematischer Terror gegen jeden Ansatz von Oppositon ausgeübt wird. Sie entfalten allerdings in ihrer Entwicklung oft eine Eigendynamik, die den Gesamtinteressen der zuvor 'auftraggebenden' Klasse nicht mehr entspricht, ihre Existenz sogar grundlegend gefährden kann. Im Laufe dieser Diktaturen werden und Methoden der Herrschaftskontrolle und -ausübung, die im Ansatz oft schon vorhanden sind, vervollkommnet. Ist letzteres geschehen, bedarf es zu ihrer Benutzung keiner Diktatur mehr, sondern nur noch einer Bürokratie bzw. Technokratie. Extrem menschenverachtende und in der Wahl ihrer Mittel skrupellose 'Führer' wie die genannten sind also selbst Ausdruck einer Führungskrise der Bourgeoisie, weil sie mit der Etablierung einer Diktatur die effektivere Form von Herrschaft, die parlamentarische Demokratie, aufgibt.

Jedoch ist es keinesfalls so, daß Führungskrisen des Imperialismus nur in faschistischen oder faschistoiden Diktaturen zum Ausdruck kommen. Sie zeichnen sich bereits im Zerfall der bürgerlichen Parteiensysteme ab, in der wachsenden Gleichgültigkeit der Bevölkerung darüber, welche Fraktion der herrschenden Klasse sie in den bürgerlichen Parlamenten ver- und zertritt. Der offensichtliche Verlust der Werte, mit denen die Bourgeoisie ihre Entwicklung politisch antrat, zeigt sich zugespitzt im politischen System. Bei gleichzeitigem Mangel an sogenannten 'charismatischen' Persönlichkeiten steigt der Druck ungelöster Probleme. Die Vervielfachung des Tempos bei der Informationsverarbeitung durch elektronische Medien, und das millionenfache Kopieren bringen die Verflachung der 'Medienmenschen' (2) mit sich, ein weiterer Ausdruck des fortschreitenden Verfalls der Gesellschaft. Entsprechend steigt die Akzeptanz 'harter', 'ungeschminkter', faschistoider (Politiker-) Typen in den am meisten verunsicherten Teilen der Bevölkerung. Andererseits könnten diese Führungskrisen auch als unübersehbares Zeichen dafür gewehrtet werden, daß Führung nunmehr nur noch auf einer viel umfassenderen, demokratischen Ebene, in völlig anderen Formen und mit neu definierten Werten - eben nicht im Interesse der bisherigen Eliten - möglich und notwendig ist.
 


(2) Von der Figur in einer Fernsehserie über deren Darsteller, vom Talkmaster und bis zu dem von ihm befragten Politiker gibt es immer weniger signifikante Unterschiede in der Typisierung, einschließlich des Zuschauers, der Ziel dieser Indoktrinierung ist und gleichzeitig in deren Schema hineingepreßt wird.