a) Repressalien aus
jüngster Zeit
Seit dem Helsinki-Gipfel
im Dezember 1999 nahmen die Menschenrechtsverletzungen wieder erheblich
zu. Die Verfolgung und Unterdrückung von KurdInnen und Menschenrechtlern
gehen unvermindert weiter. Von Dezember bis Mai wurden massenhaft kurdische
HADEP-Politiker sowie kurdische Gewerkschafter und Menschenrechtler festgenommen
und verhaftet.
· Nach ihrer Rückkehr von einer internationalen Tagung in
Deutschland wurden die 3 gewählten kurdischen HADEP-Bürgermeister
aus Diyarbakir, Siirt und Bingöl am 19. Februar 2000 verhaftet und
misshandelt. Erst nach heftigen Protesten im In- und Ausland wurden sie
nach 9 Tagen freigelassen. Der Prozess gegen sie wird aber fortgeführt.
· Am 24. Februar 2000 wurden fast alle HADEP-Vorstandsmitglieder
zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt.
· Der ehemalige Vorsitzende des Menschenrechtsvereins Akin Birdal
musste am 28. März erneut ins Gefängnis, obwohl er noch unter
den gesundheitlichen Folgeschäden des 1998 auf ihn verübten
Attentats leidet.
· Der ehemalige Ministerpräsident Erbakan wurde am 10. März
2000 wegen einer Rede aus dem Jahr 1994 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
· Über 10.000 politische Gefangene, über 100 Intellektuelle,
80 Journalisten sitzen immer noch in den Gefängnissen der Türkei.
· 12 Zeitungen und Zeitschriften dürfen in den Ausnahmezustandsregionen
nicht vertrieben werden. Wegen des Vertriebsverbots nach Kurdistan, zugenommener
Unterdrückung, Verfolgung der Mitarbeiter und Festnahmen hat die
prokurdische Tageszeitung Özgür Bakis am 22.4.00, genau am Tag
der kurdischen Presse, ihr Erscheinen eingestellt. Kurdische Zeitungen
und Zeitschriften, wie Azadiya Welat oder Pine, die Außenminister
Cem gern bei sich trug, um seinen europäischen Kollegen zu zeigen,
wie demokratisch die Türkei ist, dürfen ihre Zielklientel nicht
erreichen. Dies gilt auch für kurdische Bücher.
· 50.000 vertriebene kurdische Familien möchten in ihre Dörfer
zurück und es wird ihnen nicht erlaubt.
· Auch in diesem Jahr unternahm die türkische Armee im Rahmen
ihres "alljährlichen Frühjahrsputzes" militärische
Operationen gegen die PKK diesseits und jenseits der türkisch-irakischen
Grenze mit Dutzenden Toten auf beiden Seiten.
· Am 12. Mai 2000 wurde die erst Mitte April wiedereröffnete
Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD in Diyarbakir erneut geschlossen,
am 17. Mai auch die in Van. *10
· In fünf Provinzen gilt immer noch der 1987 verhängte
Ausnahmezustand. Damit hat der dortige Regionalgouverneur sehr weitreichende
Befugnisse. So kann er den Medien Restriktionen auferlegen, missliebige
Personen deportieren und sogar ganze Dörfer zwangsevakuieren lassen.
· Im jüngsten 61-seitigen Bericht des US-Außenministeriums
zur Menschenrechtslage in der Türkei wird Ankara zwar bescheinigt,
einige Gesetzänderungen auf dem Weg gebracht habe, um Missstände
zu beseitigen. In der Praxis aber seien schwere Menschenrechtsverletzungen
weiterhin an der Tagesordnung. Dazu gehörten Folter und Misshandlungen
durch Sicherheitskräfte, Ermordungen und Verschwindenlassen von Bürgerrechtlern,
Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit,
massive Behinderungen der Arbeit missliebiger politischer Parteien und
Menschenrechtsgruppen, die Vertreibung hunderttausender Kurden aus ihren
Dörfern und das kurdische Sprachverbot in Massenmedien und Schulen.
Massive Menschenrechtsverletzungen gebe es vor allem in den überwiegend
kurdisch besiedelten Gebieten der Türkei. Hier forderten die inzwischen
deutlich zurückgegangenen Zusammenstöße 1999 zwar weniger
Opfer als in den Jahren zuvor, aber von einer Normalisierung oder gar
einer politischen Lösung der Kurdenfrage ist man noch weit entfernt.
*11
*10
NN 2/00
*11 US-Department of State, 25.2.00; H, 26.2.00;
ÖP, 27.2.00; FR, 9.3.00; NN 2/00
Der
Staat im Staate wäscht seine schmutzigen Hände
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