b) Der Staat im Staate
wäscht seine schmutzigen Hände
Parallel zu massiven
Menschenrechtsverletzungen finden Razzien gegen sogenannte islamische
Terrororganisationen statt, vielleicht auch um damit ein Gegengewicht
herzustellen und die Kurden und demokratischen Kräfte zu beruhigen.
Mitte Januar 2000 wurde die "Hisbollah" und später auch
andere Organisationen zum meistdiskutierten Thema in der Türkei.
Die einen sehen in der Hisbollah ein zur Bekämpfung der PKK eingesetztes
Instrument des Staates. Für die anderen ist sie eine pro-iranische
islamistisch-fundamentalistische Organisation, die das Land Türkei
und die türkische Nation zu spalten versucht.
Welche Version ist richtig? Hat der türkische Staat eine solche mörderische
Bande aufgezogen, um sie gegen Oppositionelle und den kurdischen Widerstand
einzusetzen, oder haben ausländische Mächte solche Organisationen
gegründet und in der Türkei etabliert, um diese zu schwächen?
Der Name "Hisbollah" fiel erstmals Ende der 80er Jahre. Ihren
eigentlichen Ruhm erlangte sie aber in den 90er Jahren, als täglich
auf den Straßen von Diyarbakir, Batman und Silvan Dutzende Menschen
am hellichten Tag vor aller Augen bestialisch getötet wurden, wofür
die Hisbollah verantwortlich gemacht wurde.
Ihre Operationsgebiete waren also die vom Krieg beherrschten und von insgesamt
über 300.000 Sicherheitskräften - Armee-, Gendarmerie- und Polizeiangehörigen
- belagerten Städte Kurdistans. Aber der Staat, der 10- bis 15-jährige
Zeitungsverkäufer, Menschenrechtler und Gewerkschafter verfolgte
und 85% der kurdischen Bevölkerung polizeilich hat registrieren lassen,
der also über alles Bescheid wissen musste, sah fast nichts, als
kurdische Intellektuelle und Oppositionelle zu Tausenden auf offener Straße
regelrecht hingerichtet wurden.
Bedenkt man, dass es über 10.000 politisch motivierte Morde im Ausnahmezustandsgebiet
gegeben hat, wird das Ausmaß dieser Grausamkeiten deutlich. Zielobjekte
dieser Bande waren fast ausschließlich Kurden und ihre Operationsgebiete
waren bis vor wenigen Monaten die kurdischen Städte.
Hätte die PKK nicht einseitig ihre Waffen zum Schweigen gebracht,
und würden die bewaffneten Auseinandersetzungen noch andauern, dann
hätten Operationen gegen solche Mörderbanden wohl bis heute
nicht stattgefunden.
Der Zeitpunkt der Operationen hängt auch mit der innenpolitischen
Tagesordnung der Türkei zusammen. Bis Mitte Januar haben die Vollstreckung
oder Aussetzung der Todesstrafe gegen Öcalan und die Vorschläge
von kurdischer Seite zur friedlichen Lösung der Kurdenfrage und zur
Demokratisierung des Landes die politischen Diskussionen in der Türkei
beherrscht.
In der Absicht, mit der Tugendpartei (Fazilet Partisi), gegen die bereits
im Mai 1999 ein Parteiverbotsverfahren eingeleitet wurde, abzurechnen
und sie in die Knie zu zwingen, hat der Staat die Hisbollah und andere
islamische Terrorbanden auf die Tagesordnung gebracht. Der Bevölkerung
sollte vor Augen geführt werden, welche Grausamkeiten eine Organisation,
die wie die Tugendpartei den Islam auf ihre Fahnen geschrieben hat, begehen
kann. So wollte man einerseits die Unterstützung der Bevölkerung
für die Tugendpartei schwächen und ihrem Ansehen Schaden zufügen.
Und darüber hinaus wurde den Kurden und demokratischen Kräften,
vor allem aber der PKK signalisiert: "Ihr wolltet Gegenschritte zum
Friedensprozess, also bitte: wir rechnen mit den Mörderbanden und
mit Hisbollah ab."
In Wirklichkeit spricht vieles dafür, dass staatliche Institutionen
ihre Drecksarbeit von den anderen haben erledigen lassen und heute versuchen
ihre "Altlasten" auf die anderen abzuschieben. Und dass hinter
der islamischen "Hisbollah" und anderen Terrororganisationen
diejenigen stecken, die auch hinter Gladio und JITEM, hinter der Konterguerilla
und dem Susurluk-Skandal stecken. Sie sind "uneheliche Kinder"
des türkischen Staates, der sie im Sumpf des Krieges in Kurdistan
gezeugt hat, also Geschwister der o. g. paramilitärischen Organisationen,
deren Väter im innersten Zentrum des Staates, im "Staat im Staate"
sitzen.
Und diese Einschätzung gilt auch für die anderen Terrororganisationen,
gegen die heute noch Operationen durchgeführt werden und auf deren
Konto z. B. die Attentate auf prominente Journalisten wie Ugur Mumcu oder
Ahmet Taner Kislali gehen.
Im
Gegensatz zu den negativen Entwicklungen sind auch positive zu verzeichnen
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