Fazit: Beginn einer neuen Epoche?

Erinnern wir uns noch einmal an die Kernaussagen westlicher Politiker:
· US-Präsident Clinton forderte für die Kurden "das wesentlichste Geburtsrecht, das auf ein ganz normales Leben";
· Verheugen sagte, dass es ohne eine substanzielle Veränderung der türkischen Kurdenpolitik keinen EU-Beitritt geben wird;
· Zum ersten Mal in ihrer Geschichte unterzeichnete die Türkei eine internationale Erklärung, in der die Wörter "Kurden" oder "Kurdisch" vorkommen. Hierin wird die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien, die auch die Rechte der "kurdisch-stämmigen türkischen Bürger" beinhaltet, und die Abschaffung der Todesstrafe gefordert;
· EU-Ratsvorsitzende de Gama erklärte, dass die türkische Regierung versichert habe, die Rechte der Kurden nach und nach, Schritt für Schritt zu gewähren.
Wenn wir diese Erklärungen der westlichen Politiker in eine Beziehung setzen zu den letzten Erklärungen der politischen Funktionsträger in der Türkei, ergeben sie gemeinsam einen Sinn und ermutigen uns in der Hoffnung auf Frieden und Demokratie.
All diese Erklärungen stammen aus der jüngsten Zeit. Zusammengefasst ergeben sie folgendes Bild:
- Ohne die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien wird es keinen Beitritt zur EU geben.
- Um aber die Kopenhagener Kriterien zu erfüllen, muss die Türkei insbesondere die Kurdenfrage lösen.
- Das heißt im Endeffekt: Ohne die Lösung der Kurdenfrage wird es keinen EU-Beitritt geben.
Die "Kopenhagener Kriterien" sind ist die Formel, mit der versucht wird, die Türkei zu demokratisieren und die Kurdenfrage zu lösen. Und die Kurden sagen "ja" zu diesem neuen Kurs.
Cüneyt Ülsever fasste seine Einschätzung nach dem Clinton-Besuch in seiner Hürriyet-Kolumne am 17.11.99 sinngemäß so zusammen: "Seitdem Apo durch die USA an die Türkei ausgeliefert wurde, sage ich, soweit ich kann, dass die lebendige Auslieferung Apos den Beginn einer neuen Epoche für die Türkei bedeutet. Zu den Vorbereitungen der Türkei gehören Hausaufgaben. Clinton hat diese Hausaufgaben noch einmal erwähnt. Schlüssel für die Vorbereitung der Türkei für das nächste Jahrhundert ist die Stabilität. Sie geht über die Demokratie und Menschenrechte. Das heißt, dass die Stabilität der Türkei mit der Lösung der Kurdenfrage sehr eng verbunden ist."
*15
Der Abgeordnete und Ko-Vorsitzende der Parlamentariergruppe "Türkei" des Europäischen Parlaments Daniel-Cohn Bendit äußerte kürzlich in einem Interview mit der französischen Tageszeitung "Le Monde", die Türkei habe 2 Alternativen: entweder Bagdad oder Barcelona. Bagdad bedeute, dass sich nichts ändere und der Staat eine unitaristische, zentralistische und kemalistische Republik bleibe wie bisher. Barcelona hingegen bedeute, dass die Türkei sich zu den Werten des Westens bekenne, sich umgestalte und eine föderative Struktur wie in Spanien annehme, in der die kurdischen Regionen als Teil der Türkischen Republik einen Status hätten wie dort Katalonien. Diese Türkei habe eine Zukunft in Europa. *16
Die Türkei hat sich zu positiven Veränderungen zugunsten aller Beteiligten durchringen müssen. Und die Kurden haben auf dem Weg zur Neugestaltung des gesellschaftlichen Lebens in der Türkei tatkräftige Hilfe geleistet.
Viele Signale deuten darauf hin, dass die Türkei sich verändern muss und wird, und zwar innerhalb der nächsten 4 Jahre. Diesen Zeitrahmen hat die EU als Empfehlung vorgegeben und zuletzt haben auch die Generäle diesen Terminplan unterstrichen. Es gibt kein Zurück mehr.
Deswegen gibt es trotz aller Rückschläge und Widersprüche begründete Hoffnung darauf, dass Frieden und Demokratie auch in einem Land wie der Türkei möglich sind.


*15 H, 17.11.99
*16 Le Monde, 18.5.00

Memorandum deutscher Friedens- und Menschenrechtsorganisationen