FrauenRechtsBüro
gegen sexuelle Folter e.V. Friedelstr.
52
tel: 030 - 627 37 941 email:
info@womensrightsproject.de An die Öffentlichkeit Betr.:
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde, in
der Anlage veröffentlichen wir die überarbeitete und um neue
Kategorien ergänzte Statistik des Istanbuler Projekts "Rechtliche
Hilfe für Frauen, die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt
oder auf andere Weise sexuell misshandelt wurden".
a. als "kriegsbedingt" wurden die Situationen eingestuft, in denen Frauen durch bewaffnete Kräfte wie z.B. Dorfschützern oder Militär in Anlehnung an die durch den Staat vermittelte Machtposition in den kurdischen Gebieten nur und ausschließlich zur Demütigung, d.h. ohne Vorwurf, Festnahme oder außer Zerstörung sonstiger Absichten sexuell misshandelt und gefoltert wurden. b. Unter dem Punkt "um männliche Familienangehörige zum Sprechen zu bringen...." sind diejenigen Situationen zu verstehen, in denen die betroffene Frau, ohne dass ihr selbst irgendein Vorwurf gemacht würde, zum Mittel einer Absicht degradiert wird: durch die Androhung oder auch Realisierung sexueller Gewalt an ihnen meist vor den Augen männlicher Angehöriger oder Freunde, sollen diese dazu gebracht werden, Aussagen der von ihnen verlangten Art zu machen. In einer solchen Situation wird auf das Verantwortungsbewusstsein und die Gefühle derjenigen Personen abgezielt, die zum Sprechen gebracht werden sollen, während die betroffene Frau selber in totaler Missachtung ihrer Würde und Integrität lediglich "Mittel zum Zweck" ist. Jeder Mensch, der sich selber einmal in einer solchen Situation befunden hat, weiß, welcher Art brutal zerstörerischer Kräfte in einer solchen Situation zum Einsatz gelangen. Die andere Situation besteht darin, dass sich männliche Angehörige nicht in den Händen der staatlichen Kräfte befinden und durch die Androhung oder Realisierung sexueller Gewalt die betroffene Frau dazu gebracht werden soll, von ihnen verlangte tatsächliche oder vorgefertigte Auskünfte über männliche Angehörige oder Freunde zu geben, wie z.B. Aufenthaltsort, Kontakte und Beziehungen, Aktivitäten etc. Diese Situationen kommen sowohl nach Festnahmen als auch rein kriegsbedingt insbesondere in den kurdischen Gebieten bei Hausdurchsuchungen oder Gebietsrazzien vor. c. "Bestrafung für tatsächlich oder vermeintlich politisch aktive Angehörige" ist ebenfalls eine frauenspezifische Dimension politischer Verfolgung, die in den Lageberichten des Auswärtigen Amtes bzw. im "Fachjargon" auch als "Sippenhaft" bezeichnet wird: Die betroffene Frau wird mißhandelt und gequält, da sie dafür "büßen" soll, daß Familienangehörige in Opposition gegen den Staat vermeintlich oder tatsächlich tätig wurden. Auch in diesen Situationen wird die betroffene Frau zu einem "Mittel" degradiert, nämlich demjenigen der Rache. Diese Situationen sind häufig kriegsbedingt und ihnen geht oft keine Festnahme voraus, d.h., dieser Art Folter findet in Häusern oder auf offenem Gelände statt.
a. Umsiedlung innerhalb der Türkei bedeutet, daß der Repressionsdruck auf die Betroffene insbesondere nach Anzeigenerstattung in ihrem Siedlungsgebiet so groß wurde, daß keine Lebenssicherheit mehr bestand. Dies betrifft fast ausschließlich Frauen aus den kurdischen Gebieten. Diese Situation hat nicht zur Folge, daß die Betroffenen im Westen Ruhe finden, im Gegenteil. Meist sind sie auch hier erneuter Repression ausgesetzt, zumindest aber sind die sozialen und existenziellen Umstände derart katastrophal, daß sie kaum "überleben" können. Es handelt sich um betroffene Frauen, denen die Flucht ins Ausland nicht gelingt oder die aus anderen Gründen die Flucht ins Ausland scheuen. Sie können nur mit direkter seelischer und materieller Unterstrützung von außen überleben. b. Einschüchterung etc. kommt alternativ oder kumulativ vor. Die brutalste Situation, mit der wir konfrontiert waren, ist diejenige eines jungen Mädchens, welches nach Anzeigenerstattung auf dem Weg vom Therapiezentrum "TOHAV" nach Hause erneut durch zivile Beamte überwältigt und vergewaltigt wurde. Während dieser zweiten Vergewaltigung wurde ihr "gesagt": "Du wirst schon sehen, was es heißt, türkische Polizei wegen Vergewaltigung anzuschwärzen". Diese Situation wirft u.a. ein entscheidendes Licht auf die vom Auswärtigen Amt im letzten Lagebericht behauptete "Therapiemöglichkeit" innerhalb der Türkei. c. Strafverfahren wegen Anzeigenerstattung meist in Zusammenhang mit Öffentlichkeitsarbeit sind wegen "Verunglimpfung des Staates und seiner Organe" oder "Verleumdung" sowohl gegen Anwältinnen des Projekts als auch gegen betroffene Frauen eingeleitet worden. In der Statistik beziehen wir uns nur auf die Anzahl der Strafverfahren, die gegen Betroffene eingeleitet wurden. Soweit zur Statistik. Wir wollen noch auf folgendes hinweisen: 1.
Der Begriff "Folter" oder "Mißhandlung" als
Form der "unmenschlichen Behandlung" wird von uns in Übereinstimmung
mit dem internationalen Sprachgebrauch verwandt. Das Urteil des BGH (
3 StR 372/00 ) vom 21.2.2001, in dessen Leitsätzen es heißt:
"Der Begriff der Folter des Art. 147 der IV. Genfer Konvention erfaßt
jedes zweckbezogene Zufügen schwerer körperlicher oder seelischer
Leiden, das durch staatliche Organe oder mit staatlicher Billigung begangen
wird. Die Folter ist gegenüber der "unmenschlichen Behandlung",
die keine auf das Quälen eines Menschen gerichtete Absicht voraussetzt,
der engere Begriff." weist allerdings auch einen zukünftigen
Weg auf, wo es heißt: "Bei der Abgrenzung der Folter von der
unmenschlichen Behandlung ist aber zu beachten, daß die zunehmend
höheren Anforderungen an den Schutz der Menschenrechte und die Grundfreiheiten
es erforderlich machen, die herkömmliche Definition der UN-Aanti-Folterkonvention
im "Lichte der heutigen Verhältnisse" auszulegen."
Dies ist unsere Aufgabe insbesondere in Bezug auf die spezifischen Umstände
frauenspezifischer Folter und Mißhandlung durch staatliche Kräfte.
Anlage: Statistik vom 30.6.2001/ Istanbuler Büro
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