Charakeristika der Revolution Kurdistans
Die Beschaffenheit der kurdischen Gesellschaft, die im vorausgehenden Abschnitt kurz umrissen wurde, legt den Charakter der kurdischen Revolution fest. Diese Revolution, ein neuer Typus einer bürgerlich-demokratischen Revolution, läßt sich folgendermaßen charakterisieren:
a) Die Revolution hat zwei Aspekte - einen nationalen und einen demokratischen. Der nationale zielt ab auf die koloniale Herrschaft im politischen, militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich. In ihrer ersten Stufe muß die Revolution zwingend diesen Aspekt in den Vordergrund stellen. Da der nationale Konflikt den Hauptkonflikt darstellt ist er der bestimmende Faktor für die Lösung der weiteren gesellschaftlichen Konflikte. Solange der nationale Konflikt ungelöst bleibt, ist die Lösung eines jeden gesellschaftlichen Konfliktes für sich unmöglich. Der erste Schritt hin zu einer Revolution im Lande muß notwendig einen nationalen Charakter verkörpern. Der zweite Aspekt der Revolution ist der demokratische. Ziel der demokratischen Revolution ist die Aufhebung der noch aus dem Mittelalter fortbestehenden Konflikte wie etwa der der feudalen und kompradoren Ausbeutung, des Stammeswesens, des religiösen Sektierertums und der sklavengleichen Ausbeutung der Frauen. Mit der Lösung dieser Konflikte wird die Gesellschaft einen demokratischen Charakter annehmen.
Es besteht eine enge Beziehung zwischen diesen beiden Aspekten der Revolution. Beide Aspekte sind nahezu miteinander verschmolzen. Die demokratische Revolution schreitet in Verbindung mit der nationalen fort, wobei letztere den vorherrschenden Aspekt darstellt. In ihrer Entwicklung ist die nationale Revolution eng verknüpft mit der Entwicklung der Demokratie in der Gesellschaft.
b) Ein weiterer Aspekt der Revolution Kurdistans ist die Frage der Führerschaft. Die Tatsache, daß die fundamentale Kraft der Revolution die Arbeiter-Bauern-Allianz sein wird, ergibt sich klar aus zwei Faktoren: zum einen aus der Fremdherrschaft, die historische Kontinuität erreicht hat, und aus der engen Kollaboration der einheimischen herrschenden Klassen, die diese Fremdherrschaft hervorgebracht hat, zum anderen aus der Tatsache, daß die nationale Bourgeoisie, deren Entstehung in unseren Tagen von Imperialismus und Kolonialismus sehr erschwert wurde, in Kurdistan nicht den Status einer Klasse erreicht hat (das Auftauchen individueller Elemente widerspricht dieser Tatsache nicht), desweiteren ergibt sich dies aus dem Umstand, daß die Landbesitzer und Kompradoren als Klasse seit langem schon nationalen Verrat begangen haben sowie aus der Schwäche der städtischen Kleinbourgeoisie. Aufgrund seines Klassencharakters kann der kleinbürgerliche Nationalismus die Arbeiter-Bauern-Allianz nicht hervorbringen. Nur die ideologische, politische und organisatorische Führerschaft des Proletariats kann eine solche Allianz ins Leben rufen.
Sowohl die Herausbildung als auch die Bereitstellung einer Führung für die Arbeiter-Bauern-Allianz erfordern einen unermüdlichen Kampf gegen bürgerlich-nationalistische, national-verräterische und revisionistische Strömungen.
c) Ein drittes Charakteristikum dieser Revolution ist, daß sie auf dem Weg über die Mobilisierung der breiten Kräfte des Volkes über einen lang andauernden Kampf siegen wird. Diese Mobilisierung der breiten Kräfte des Volkes und die Strategie eines langfristigen Kampfes sind nicht willkürlich gewählt worden. Der extrem harten Repression der Kolonialherren kann nur mit einem solchen Verständnis von Kampf begegnet werden. Die Methoden des Kampfes basieren notwendig in weitem Umfang auf Gewalt. Das heißt nicht, daß keine anderen Methoden des Kampfes unter entsprechend günstigen konkreten Bedingungen angewandt werden.
Die Aufgaben der Revolution Kurdistans
Die Revolution, deren Charakteristika wir oben umrissen haben, ist eine notwendige Stufe zur Etablierung der klassenlosen Gesellschaft, die unser höchstes Ziel darstellt, sowie zur Einführung des Sozialismus, der ersten Stufe dieser Gesellschaft; im wesentlichen wird die Revolution die Erfüllung folgender Aufgaben ermöglichen:
A) Die Beendigung der Herrschaft des türkischen Kolonialismus und des hinter ihm stehenden Imperialismus über Kurdistan. Zu diesem Zweck müssen folgende Punkte erfüllt werden:
1 - Die Errichtung einer breiten nationalen Einheitsfront aus Arbeitern, Bauern, Intellektuellen und Patrioten aus anderen Klassen und Schichten.
2 - Die Sicherstellung der totalen Organisation des Volkes durch die Bildung von Einheiten der Arbeiter, Bauern, Handwerker, Jugendlichen und Frauen.
3 - Die Führung eines Volkskampfes, der die Hauptform des Kampfes gegen den Kolonialismus darstellt; zu diesem Zweck muß eine Volksarmee geschaffen werden, die sich in der Hauptsache aus der Bauernschaft rekrutiert.
4 - Die Beendigung der Auseinandersetzungen innerhalb des Volkes, die durch religiöses Sektierertum und das Stammesdenken des kolonialistisch-bürgerlichen Parteiensystems provoziert und von den Landbesitzern zur Konsolidierung ihrer eigenen Klassenherrschaft benutzt werden. Die Abschaffung von Regionalismus und beschränktem national-bürgerlichen Denken.
5 - Die Entlarvung kapitulanter Haltungen, die nicht darauf abzielen, das koloniale Joch der Türkischen Republik zu zerschmettern, und Dinge wie "regionale Autonomie", "Autonomie" etc. vorschlagen, also im wesentlichen Kompromisse mit dem Kolonialismus darstellen; einen entschlossenen Kampf gegen diese durchführen.
6 - Die Konfiszierung des Landes von Landbesitzern, die im Laufe des Kampfes mit den Kolonialherren kollaborieren, und die Verteilung dieses Landes an landlose Bauern.
7 - Die Errichtung eigener wirtschaftlicher, kultureller, erzieherischer und gesundheitlicher Einrichtungen im Kampf gegen die vielfältigen Formender Zerstörung, die der Kolonialismus über das Volk gebracht hat.
B) Die Einsetzung einer Arbeiter- und Bauernregierung als erster Schritt zur Errichtung der demokratischen Volksdiktatur. Diese Regierung wird folgende Maßnahmen durchführen:
1 - Die Konfiszierung aller von den Kolonialisten ausgebeuteten natürlichen Ressourcen sowie der Fabriken, der landwirtschaftlichen Betriebe und aller anderen Unternehmen. Sie werden alle in öffentliches Eigentum übergehen.
2- Die Abschaffung des Finanz- und Kreditsystems des Kolonialismus und die Einrichtung eines unabhängigen Finanz- und Kreditsystems.
3- Die Errichtung der Souveränität über das Land; keine Duldung von Militärbasen oder Vorrechten irgendeines anderen Landes.
4 - Die Konfiszierung des Gesamtbesitzes aller Landeigentümer- unter Ausschluß des Eigentums von Patrioten-; die Vergesellschaftung und Verteilung dieses Landes an Bauern mit geringem oder gar keinem Landbesitz. Den patriotischen Kreisen wird das zur Bestreitung des Lebensunterhaltes notwendige Land belassen, der Rest wird durch Vereinbarungen dem Besitz der Öffentlichkeit übergeben.
5 - Die Streichung aller Schulden armer Bauern gegenüber Wucherern und Banken.
6 - Die Zusicherung der Demokratie für alle Arbeiter und Bauern in erster Linie, weiterhin für die patriotischen Klassen und Schichten; die Anwendung der Diktatur gegen kollaborierende Landbesitzer und die Kompradorbourgeoisie. Ausräumung der Hindernisse für die Organisation des werktätigen Volkes im wirtschaflichen, politischen und kulturellen Bereich; Entwicklung einer Gesetzgebung für die Organisation in diesen Bereichen.
7 - Die Öffnung neuer Arbeitsbereiche für die Arbeiter-, Maßnahmen zur physischen und intellektuellen Förderung der Arbeiter, Versuch der Einführung des 8-stündigen Arbeitstages.
8 - Abschaffung des kolonialen Rechtssystems und Inkraftsetzung eines demokratischen Rechtssystems.
9 - Abschaffung aller Arten von feudaler Unterdrückung der Frauen und Festschreibung der Gleichheit von Männern und Frauen in allen sozialen und politischen Bereichen.
10 - Beendigung aller Arten von Unterdrückung nationaler oder religiöser Minderheiten.
C) Der Aufbau einer unabhängigen ökonomischen Struktur. Zu diesem Ziele werden folgende Maßnahmen ergriffen:
1 - Die Steuerung der Wirtschaft durch zentrale Planung.
2 - Die bevorzugte Förderung der vergesellschafteten Schwerindustrie.
3 - Die Ausnutzung der natürlichen Ressourcen, die Überführung der Transportunternehmen, des Handels, des Bankwesens und der Massenmedien in öffentliches Eigentum.
4 - Die Durchführung einer Landreform und die Gewinnung der Bauern für die Kollektivierung mit Hilfe und Unterstützung des Staates.
5 - Die Freigabe von Privatinitiativen, die der Entwicklung der Gesellschaft nützlich sind, sowie deren Unterstützung und Subventionierung durch den Staat.
6 - Der Aufbau nationaler Erziehungs- und Kultureinrichtungen anstelle der kolonialen Erziehungs-und Kultureinrichtungen; die Wahl eines der kurdischen Dialekte zur Nationalsprache. Intensivierung der Forschung und Organisationsarbeit im Bereich der kurdischen Sprache, Literatur und Geschichte. Dem ganzen Volk wird die Möglichkeit geboten, lesen und schreiben zu lernen.
D) Die Festigung der Einheit Kurdistans. Dazu sind folgende Maßnahmen vorgesehen:
1 - Die Verwirklichung der Revolution in jedem Teil als eigenes Werk des dort lebenden Volkes.
2 - Der Kampf in jedem Teil gegen jegliche Versuche, die auf eine Versöhnung zwischen dem dort lebenden Volk und dem Apparat des Kolonialstaates durch verschiedenste Reformen im Namen der "Autonomie" abzielen.
3 - Anstrengungen zur Gewährleistung der größtmöglichen gegenseitigen Unterstützung und Solidarität zwischen den in jedem Teil kämpfenden revolutionären Kräften.
4 - Der Zusammenschluß zu einer Einheit wird aus dem freien Willen des Volkes eines jeden Teiles erfolgen.
E) Die Anwendung des proletarischen Internationalismus auf die Beziehungen zu den Nachbarvölkern und auf internationale Fragen. Folgende Punkte sind zu beachten:
1 - Auf der Basis der Differenzierung unterschiedlicher Länder wird die Eigenverantwortung einer jeden revolutionären Bewegung für die Revolution im eigenen Land das bestimmende Prinzip fürdie Beziehungen zu den revolutionären Kräften der Nachbarvölker sein; auf dieser Basis wird der koordinierte Kampf auf verschiedenen Ebenen geführt.
2 - Die Einheit mit den Nachbarvölkern basiert auf der Freiheit und Unabhängigkeit eines jeden Volkes. Es wird ein unablässiger Kampf geführt werden, um jegliche aufgezwungene Einheit zu brechen, die nicht auf diesern fundarnentalen Prinzip beruht.
3 - Die Freundschaft mit den sozialistischen Ländern, die Allianz mit den Nationalen Befreiungsbewegungen und die Solidarität mit der Arbeiterbewegung und demokratischen Tendenzen überall in der Welt wird festgeschrieben, und es wird für die Erhaltung des Weltfriedens gekämpft.