fausto kolinko | 1/2001
Interview mit der "Direkten Aktion"
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1. Bitte stellt euch bzw. eure Initiative kurz vor.
Wir sind Leute aus dem Ruhrgebiet. Unser politischer Ansatz lässt sich etwa so kurz zusammenfassen: Wir suchen die Macht, die den Kapitalismus überwindet und eine neue Gesellschaft ohne Ausbeutung schafft. Diese Macht liegt in der Selbstorganisation der ArbeiterInnen innerhalb der Ausbeutung. Unsere Aufgabe ist, an den Auseinandersetzungen, die ArbeiterInnen führen, teilzunehmen und die kommunistische Bewegung, die darin liegt, zu unterstützen. Als kolinko haben wir im Herbst 1999 eine Untersuchung der Call Center angefangen. Wir haben Infos gesammelt und diskutiert, mit GenossInnen im In- und Ausland Kontakt aufgenommen, Interviews mit Call Center-ArbeiterInnen gemacht und sind selbst dort arbeiten gegangen. Seit Oktober 2000 machen wir eine Flugblattserie und Website dazu.

2. Nicht alle wissen, was und wie in einem Call Center gearbeitet wird. Könnt ihr das kurz vorstellen.
Hinter dem Begriff "Call Center" steckt eine relativ neue Arbeitsweise: Leute arbeiten am Telefon, meist mit sogenannten Headsets, also Kopfhörer plus Mikrophon. Die eingehenden Anrufe ("Inbound") werden über eine Computeranlage an die gerade freien Telefon-ArbeiterInnen verteilt. In den meisten Fällen sitzen diese an vernetzten PCs, mit deren Hilfe sie Datenbanken anzapfen und Informationen eingeben. Bei ausgehenden Anrufen ("Outbound") rufen die Telefon-ArbeiterInnen andere Leute an. Call Center werden mittlerweile in fast allen Bereichen eingeführt: in den Banken (Telefonbanking), wo die gelernten Filial-ArbeiterInnen durch die ungelernten - und wesentlich schlechter bezahlten - "Call Center Agents" ersetzt werden sollen, in Versicherungen, wo der Vertrieb rationalisiert wird, in vielen Industrien (Kundenservice, Logistik), im Handel (Marketing, Bestellannahme), usw. Es gibt auch einen Call Center-Sektor. Das sind Firmen, die anderen Unternehmen Call Center-Dienstleistungen anbieten.

3. Was ist die Motivation für eure Untersuchung?
Untersuchung heißt erstmal, rauszufinden, wie wir an einem bestimmten Ort mit anderen ArbeiterInnen gegen Arbeit und Ausbeutung kämpfen und dabei eine Macht entwickeln können. Dabei konzentrieren wir uns auf eine Arbeitsweise bzw. einen Sektor, um die Situation dort genau zu verstehen und konkrete Ansatzpunkte für eine Intervention zu finden. Wir sehen das aber nicht als "Teilbereichskampf" im autonomen Sinne. An den Orten der Ausbeutung wirken alle gesellschaftlichen Verhältnisse zusammen. Und nur in den Auseinandersetzungen dort, in denen die ArbeiterInnen als Klasse kämpfen lernen, kann eine Macht entstehen, welche die hierarchische Arbeitsteilung, die Trennung in verschiedene Geschlechter, Nationalitäten, usw. abschafft. Wir schlagen vor, dass andere Kollektive andere Bereiche untersuchen, da intervenieren und wie wir die Erfahrungen in eine Diskussion über die Perspektiven der Klassenkämpfe einbringen.

4. Warum ausgerechnet Call Center? Weil ihr selbst dort arbeitet? Oder gibt es dafür noch andere Gründe?
Im Ruhrgebiet läuft seit Jahren ein massiver - auch mit Staatsknete gesponserter - Aufbau von Call Centern. Politiker und Unternehmer verkaufen uns das als Zukunft des Kapitalismus - und der Arbeit an sich. Ähnliches läuft in anderen Regionen in Europa, vor allem in England, den Niederlanden und Irland. Call Center gibt es mittlerweile in allen Ländern Westeuropas, in Nordamerika und anderswo. Sie sind Ausdruck einer breit angelegten Rationalisierung und Taylorisierung von Büroarbeit. In unser Region gab es zudem einen Streik bei der Citibank in Bochum und Duisburg als Zeichen von Kämpfen in dem Sektor. Das waren Gründe, das zu untersuchen. Daneben spielte das ganze "linke" Gelaber vom Ende des Klassenkampfes - nicht zuletzt in der sogenannten New Economy - eine Rolle. Und ebenso das Aufwärmen gewerkschaftlicher Konzepte, mit der Zielsetzung, "Mindeststandards" durchzusetzen. Wir haben dieses Wegreden der Klassenverhältnisse bzw. die gewerkschaftliche Kapitulation satt. Die Entscheidung, dort arbeiten zu gehen, hat vor allem zwei Gründe. Klar, auch wir brauchen Geld zum Leben und die Call Center-Jobs im Ruhrgebiet sind relativ leicht zu kriegen. Aber es war vor allem ein politischer Schritt: Wir halten es für zentral, gezielt die Bereiche auszusuchen, die wir untersuchen und in denen wir intervenieren. Wir wollen nicht vereinzelt in irgendwelchen Betrieben hängen und "da was machen, wo mensch gerade ist". Vielmehr ist es wichtig, die Bereiche zu untersuchen, die eine gewisse ökonomische und politische Bedeutung haben und in denen neue Konflikte entstehen und Auseinandersetzungen laufen. Als wir mitbekamen, dass im Ruhrgebiet Tausende in diesem Sektor arbeiten - zum Teil Hunderte unter älichen Bedingungen zusammen in einem Gebäude - haben wir uns vorgenommen, da mehr rauszukriegen und einzugreifen.

5. Mit wem arbeitet ihr zusammen? Gibt es Kontakte zu Leuten in anderen Ländern, die im gleichen Bereich was machen?
In der BRD halten wir Kontakt zu einigen Gruppen aus der klassenkämpferisch und revolutionär orientierten Linken. Einige davon unterstützen uns mit Informationen und helfen beim Verteilen der Flugblätter. über den Untersuchungsvorschlag sind auch neue Kontakte zu Gruppen im Ausland entstanden, die uns Infos schicken und den Untersuchungsvorschlag und die Flugblätter weitertragen. Die Gruppe Colletivo Rete Operaia, die Untersuchungen und Interventionen in den Fabriken um Bologna/Italien macht, hat den Untersuchungsvorschlag aufgegriffen und Kontakte zu Call Center-ArbeiterInnen in ihrer Region aufgebaut. Ähnliches macht eine Gruppe in England.

6. Wie seid ihr vorgegangen? Wie bekommt ihr eure Flugblätter unter die Call Center-ArbeiterInnen?
Wie schon erwähnt, haben wir erstmal Informationen über Call Center gesammelt, die Arbeitsweise, Maschinerie und Arbeitsorganisation in Call Centern untersucht und uns auf das ArbeiterInnenverhalten und die Konflikte dort konzentriert. Wir haben dann entschieden, unter dem Namen hotlines eine Flugblattserie zu machen, in der wir die ArbeiterInnendiskussionen aufgreifen und unsere Positionen einbringen. Wir haben das auf vier Flugblätter aufgeteilt: 1. Arbeitszeitverlängerungen, 2. Arbeitintensivierung, 3. Sinn und Unsinn der Arbeit, 4. Selbstorganisation. Die ersten beiden sind schon draussen. Wir verteilen sie mit GenossInnen vor Call Centern der Region, schicken sie an ArbeiterInnen, die wir kennen, usw. Außerdem haben wir bisher zwei Flugblätter zu konkreten Auseinandersetzungen in Betrieben gemacht: zur geplanten Betriebsratswahl bei Medion/Mülheim (Medion baut und verkauft die Aldi-Rechner), und zu den "Standardformulierungen" bei Quelle, wo den ArbeiterInnen wortwörtlich vorgeschrieben wird, wie sie am Telefon zu reden haben. Zur Verbreitung der Flugblätter und anderer Beiträge sowie zum Anschieben der ArbeiterInnendiskussion haben wir eine Website und Email-Adresse eingerichtet (siehe unten), die auch von den GenossInnen in Italien genutzt wird.

7. Wie waren bisher die Reaktionen?
Unterschiedlich. In manchen Call Centern wurden die Flugblätter diskutiert und weiterverteilt. Die ArbeiterInnen sagten, dass endlich mal was passiert und freuten sich, dass die Chefs ins Schwitzen kamen. Einige ArbeiterInnen haben uns auch geschrieben - und Leute aus Betriebsräten. Auffällig war, dass die Geschäftsleitungen äußerst irritiert reagiert haben, beim Verteilen rauskamen, Drohungen aussprachen und Hausmitteilungen schrieben. Vor und in Call Centern werden sonst halt keine Flugblätter verteilt. Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre haben sich zum Teil aufgeregt, weil wir zur Selbstorganisierung und "wildem Streik" aufriefen. Die wollen halt wieder die Konflikte regulieren und dabei ein paar neue Mitglieder abgreifen. Wir haben nicht erwartet, dass mit den Flugblättern eine Welle anrollt. Die Konflikte in Call Centern sind zwar zahlreich, aber werden von den ArbeiterInnen wenig offen ausgetragen. Wir können uns und denen einen Spiegel vorhalten und sagen, welche Mittel der Arbeitsintensivierung und Spaltung gegen die ArbeiterInnen eingesetzt werden, und dass individuelle Formen der Arbeitsverweigerung - Krankfeiern, Langsamarbeiten, usw. - zwar einen grundsätzlichen Widerspruch ausdrücken, der sich aber nur kollektiv und revolutionär lösen lässt.

8. Zumindest in einen Fall, bei Medion in Mülheim, hat die hbv versucht, auf eure Flugblätter mit der Gründung eines Betriebsrates zu reagieren. Wie habt ihr euch dazu verhalten? Was haltet ihr von Betriebsräten?
Ein paar Tage nachdem wir unser erstes Flugblatt verteilt haben, hat die hbv zu einer Versammlung zur Einleitung einer Betriebsratswahl eingeladen. Angeblich war das schon vorher geplant. Wir haben gleich ein weiteres Flugblatt gegen die Illusionen, die mit Betriebsräten verbunden sind, verteilt. Dabei ist nebensächlich, ob ein Betriebsrat von der Geschäftsleitung kontrolliert wird - was sich gerade bei Medion andeutet - oder sich kämpferisch gibt. Betriebsräte sollen die Interessen der ArbeiterInnen vertreten, sprich: kontrollieren und befrieden. Die Leute sollen bei Stress dort hingehen und rummotzen, damit dann alles seinen geordneten, legalen Gang geht - und die Geschäftsleitungen gleich mitkriegen was im Busch ist und reagieren können. für die Durchsetzung von eine paar Minuten Pause mehr oder neuen Topfpflanzen mag das noch funktionieren, aber uns geht es um was anderes.

9. Welche Formen der Organisierung stellt ihr euch vor?
Die Selbstorganisation der ArbeiterInnen in ihren Abteilungen, Betrieben, Schulen, usw. Die Stärke der ArbeiterInnen liegt in ihrer Fähigkeit, sich schnell und unmittelbar - ausgehend von der Kooperation bei der Arbeit - zusammenzutun, gegen die Arbeitsbedingungen vorgehen und auf Maßnahmen der Geschäftsleitung zu reagieren. Das kann offen geschehen, als wilder Streik, oder verdeckt als "Arbeit nach Vorschrift". für die Chefs ist Zeitpunkt und Form der Reaktion nicht auszurechnen und sie haben oft auch keinen Ansprechpartner, auf den sie sich beziehen können. Ausgehend von solchen selbstorganisierten Aktionen kann eine grundsätzlichere Kritik an Arbeit und Ausbeutung entstehen, welche die Vermittlungen über Betriebsräte und Gewerkschaften ablehnt und Perspektiven eine anderen Form der Produktions- und Lebensweise diskutiert. Das passiert nicht automatisch, aber hier liegt eine Chance.

10. Wenn es KollegInnen gibt, die sich durch die Flugblätter angesprochen fühlen, wie geht ihr damit um?
Kommt drauf an: wir diskutieren mit den ArbeiterInnen in den Betrieben, in denen wir arbeiten und schauen, wie wir was mit denen auf die Beine kriegen. Kommen die von woanders, schlagen wir vor, dass sie sich mit anderen ArbeiterInnen von dort zusammentun und überlegen, wie sie in ihrer Situation was reißen können. Aber so pauschal lässt sich das kaum beantworten. Wenn Leute an einer konkreten Zusammenarbeit interessiert sind, treffen wir uns mit ihnen.

11. Wie definiert ihr eure eigene Rolle?
Wie schon gesagt, wollen - und können - wir keine Kämpfe aus dem Boden stampfen. Aber wir können Erfahrungen und Informationen über Kämpfe rumtragen, bestimmte Verhaltens- und Kampfformen der ArbeiterInnen unterstützen oder kritisieren und Vorschläge machen. In diesem Sinne machen wir auch die Flugblätter und Website.

12. Vielleicht gibt es LeserInnen, die selbst in Call Centern arbeiten und die es wichtig finden, eure Initiative zu unterstützen. Könnt ihr Unterstützung gebrauchen und wenn ja, wo und wie?
Wir schlagen vor allem drei Dinge vor: erstens, dass Leute Berichte schreiben über die Situation in ihren Betrieben, Abteilungen, usw. und die in die Diskussion einbringen. Bei uns liegt der Schwerpunkt auf Call Centern, aber wir haben gerade auch ein Flugblatt zur Situation in einer Kugelschreiber-Fabrik in England veröffentlicht, weil wir die Erfahrungen aus verschiedenen Bereichen zusammenbringen wollen.
Zweitens können wir andere Infos aus Call Centern - oder anderen Betrieben - brauchen: Zeitungsausschnitte, Flugblätter, Bilder, etc.
Und drittens sollen Leute unsere Flugblätter vor Call Centern verteilen bzw. an Call Center-ArbeiterInnen weitergeben, die sie kennen., mit denen diskutieren, usw.

13. Wir seit ihr zu erreichen?
Am einfachsten über Email [hotlines@motkraft.net]---[pgp-key hotlines]. Die Flugblätter, Berichte aus Call Centern und weitere Diskussionsbeiträge gibt es auf der Website [www.prol-position.net]


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