veteran against the war prols | 2/2003
Thesen gegen den Krieg
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Ausgehend von der Debatte in einem regionalen Zusammenhang, der die Lage des Klassenkampfs in der Region und darüber hinaus diskutiert, haben einige von uns in den letzten Wochen Veranstaltungen gegen den Krieg gemacht (in Köln, Düsseldorf und Oberhausen; eine weitere wird am 12. März in Münster stattfinden). Es geht uns darum, den aktuellen Zusammenhang von Krieg und der Krise des Kapitalismus und die Möglichkeit eines revolutionären Bruchs deutlich zu machen. Hier einige Thesen zur Diskussion. [1]

Krieg ist keine Lösung,
aber die einzige, die sie haben


Die Lügen, die uns die US-Regierung und andere Kriegstreiber auftischen, um die militärische Eskalation gegen den Irak zu rechtfertigen, zeigen, wie verzweifelt sie darum bemüht sind, einen Krieg um jeden Preis zu rechtfertigen. Ihr Gefasel von Menschenrechten, der Entwaffnung von Diktatoren und der Errichtung einer demokratischen Ordnung in der Region wird kaum noch ernst genommen, auch nicht von großen Teilen der Bewegung gegen den Krieg.
Solange Diktaturen wie in Saudi-Arabien oder im Irak für die tödliche Ruhe sorgen, welche die Kapitalisten brauchen, um die dortigen ArbeiterInnen auszubeuten, den Rohstoffnachschub zu sichern und hohe Profite einzufahren, solange wurden sie von den Regierungen der USA, Deutschland, Frankreich usw. unterstützt. Auch die Ba'ath-Partei unter Saddam Hussein schaffte es lange, die Ausbeutung der Prols zu organisieren und für Stabilität zu sorgen, und wurde somit von den USA und anderen mit Waffen versorgt.
Die Regime müssen aber mit Abstrafung rechnen, wenn sie nicht mehr für Ruhe sorgen können, sich nicht der Hegemonie der kapitalistischen Metropolen unterordnen oder wenn diesen eine Konfrontation und militärische Eskalation als Drohung gegen die einheimischen Prols oder zur Rechtfertigung weiterer Aufrüstung in den Kram passt. Abstrafung, das bedeutet Entzug von Krediten, Sanktionen und Embargo... oder: Krieg, wie gegen den Irak 1991, Serbien 1999, Afghanistan 2001.

Beim jetzigen Krieg geht es aber nicht nur um den Irak selber. Tatsächlich ist er Teil des verzweifelten Versuchs, eine Lösung für die tiefgreifende Krise des Kapitalismus zu finden. Schon seit den 70er Jahren können die Kapitalisten nicht mehr die Profite machen, die sie erwarten. Sie versuchten, durch Entlassungen und "Rationalisierung" die Kosten zu reduzieren, um profitabler zu produzieren. Und sie suchten nach immer billigeren Arbeitskräften und zogen um die Welt, investierten in Korea oder Ungarn, dann in China oder Vietnam... Immer hofften sie auf unerfahrene ProletarierInnen, die sich dann in den Fabriken ausbeuten lassen sollten. Diese schafften es aber jedes Mal in ein paar Jahren, höhere Löhne und bessere Bedingungen durchzusetzen, weswegen die Kapitalisten dann wieder mit Abwanderung drohten... Aber wo sollen sie noch hin?
Weder diese "Globalisierung" noch die sogenannten "neuen Technologien" bzw. die "Neue Ökonomie" konnten einen anhaltenden, neuen Boom schaffen. Alle kapitalistischen Zentren - Nordamerika, Europa, Japan/Korea - stecken in der Krise. Der Einbruch der Börsen und der Kollaps einiger Weltkonzerne sind aktuelle Ausdrücke.
Gleichzeitig wird die Position der USA als führende Weltmacht immer wackliger. Der globale Kapitalismus wurde immer von einer Hegemonialmacht angeführt (Genua, Holland, das britische Empire, USA). Dabei spielte jeweils auch die Entwicklung der Produktivkräfte eine Rolle, z.B. die Durchsetzung der dampfbetriebenen Fabrikarbeit (britisches Empire) oder der industrialisierten Massenproduktion (USA).
Nun hat die USA ihren wirtschaftlichen Vorsprung gegenüber anderen kapitalistischen Zentren aber längst eingebüßt. Seit Mitte der 80er ist sie zum mit Abstand größten Schuldner geworden, wobei ihre Schulden nur noch durch die Rolle des Dollars als Weltgeld bedient werden können und nur durch ihre militärische Macht "gedeckt" sind.
Die Tatsache, dass weltweit Öl und andere Waren mit Dollar gehandelt werden, bedeutet, dass die Kapitalisten auf große Dollarbestände ihren Zentralbanken angewiesen sind. Die USA konnten ihre Ausgaben (für den Konsum wie für das Militär) also mit der Notenpresse bezahlen. Dies scheint jetzt gefährdet, weil einige Länder ihren Handel schon auf den Euro umgestellt haben bzw. umstellen wollen (z.B. der Irak und Nordkorea). Auch wenn diese Umstellung nicht breit vollzogen und längst nicht ausgemacht ist, so droht doch - auch angesichts des möglichen Rausziehens ausländischen Kapitals aus der verschuldeten US-Ökonomie - eine immense (unkontrollierte) Entwertung des Dollars, die nicht nur die führende Rolle der USA in Frage stellen, sondern die gesamte Weltökonomie weiter aus den Fugen bringen könnte.
Beim geplanten Angriff auf den Irak spielen die USA nun die schon genannte letzte entscheidende Macht aus, die sie haben: die militärische. Sie wollen die irakischen Ölquellen - die größten nach denen in Saudi Arabien - unter direkte US-amerikanische Kontrolle bringen und dafür sorgen, dass der Ölhandel weiter in Dollar abläuft. Zudem steht dahinter die Hoffnung, dass diese direkte Kontrolle des irakischen Öls (und das in der gesamten Region!) auch eine bessere Manipulation des Ölpreises ermöglicht - nach oben wie unten - um so doch noch günstigere Voraussetzungen für einen neuen Aufschwung zu schaffen und die Reproduktionsbedingungen der heimischen ProletarierInnen steuern zu können.

Ob der Krieg aber diese Bedingungen für einen Aufschwung und die Sicherung der Hegemonie der USA schafft, steht in den Sternen. Wenn die Regierungen Frankreichs, Russlands, Chinas und Deutschlands (und auch Teile der Herrschenden in den USA) gegen eine weitere kriegerische Eskalation im Irak sind, dann nicht, weil sie etwa prinzipiell gegen Krieg wären. Sie führen Kriege! (Elfenbeinküste, Tschetschenien, Afghanistan...). Aber sie fürchten, dass ein Krieg - zumal ein einseitig von den USA ausgerufener - zu neuen Konflikten und dann unkontrollierbaren Kriegen führt, die den Nahen und Mittleren Osten und die ganze Welt destabilisieren. Schon jetzt brodelt es in vielen Ländern, nicht zuletzt auch in anderen ölproduzierenden wie Saudi Arabien, Venezuela und Nigeria.
Die Uneinigkeit über den Kriegskurs spiegelt die Uneinigkeit der Herrschenden in Bezug auf das beste Krisenmanagement wieder. Zudem haben Frankreich, Deutschland, Russland usw. auch von den USA abweichende ökonomische Interessen in der Region (Handel mit Iran, Ölverträge...), die sie politisch durchsetzen wollen.

Aber was heißt das alles für uns? Die Herrschenden versuchen einerseits, die Krise auf die ProletarierInnen abzuwälzen. Das bedeutet neue Entlassungen, Druck auf die Löhne, härtere Arbeitsbedingungen, Versuche, die staatlich garantierte Einkommen wie Arbeitslosengeld zu senken oder zu streichen... In manchen Regionen geht das weiter: Armut, Obdachlosigkeit, Hunger. Gegen das Dichtmachen der Fabriken, die Verarmung, die Hoffnungslosigkeit rebellieren die Prols weltweit mit Streiks und Demonstrationen. Zuletzt führte in Argentinien der Versuch der Regierung, die Prols für die Kosten des Bankrotts zahlen zu lassen, zu einem Aufstand, in dem die Beteiligten ihre Belange selbst in die Hand nahmen und unter der Losung "Sie sollen alle verschwinden" (gemeint sind die Politiker) Demos, Stadtteilversammlungen und Betriebsbesetzungen organisierten.
Diese Streikbewegungen und Aufstände - ob in Indonesien, China, Algerien, Italien, Argentinien oder jetzt in Bolivien - können bisher keine revolutionäre Perspektive öffnen. Sie wenden sich gegen die Verschlechterungen, bleiben regional und zeitlich begrenzt. Aber nicht nur die anhaltende Krise verspricht ihre Ausweitung und Radikalisierung. Hier spielt auch die weltweite Anti-Globalisierungsbewegung eine Rolle. Darin tummeln sich zwar auch Kräfte, die den Kapitalismus reformieren wollen, aber die Tatsache, dass es eine weltweite Debatte über Alternativen zum Bestehenden gibt, die sich an den Klassenkämpfen orientiert, erscheint den Herrschenden als Bedrohung ihrer Weltordnung.

Eine Strategie der Herrschenden gegen diese Bedrohung ist Krieg... in Indonesien, Algerien, Palästina, im Kosovo und jetzt im Irak. Krieg bedeutet immer, dass sich ProletarierInnen gegenseitig den Schädel einschlagen. Im Krieg äußert sich die Funktion des Staates, der uns in Nationen, Ethnien, Religionen... spalten soll. Wir sollen für die Profitinteressen der Herrschenden - und zur Verteidigung unser eigenen, vermeintlich besseren Situation - in den Krieg ziehen, gegen andere Prols.
Dagegen gab es nicht nur immer wieder Kämpfe, im Zusammenhang mit Krieg entstanden zum Teil auch revolutionäre Situationen. Denken wir an die Streiks und Bewegungen, die den 1. Weltkrieg beendeten und die Möglichkeit einer Revolution auch hier auf die Tagesordnung setzten, oder die Aufstände, Demos und das massenhafte Desertieren, die den Kriegskurs US-Regierung in Vietnam untergruben und Teil der revolutionären Mobilisierung Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre waren.
Soweit sind wir (noch?) nicht, auch wenn die weltweiten Demos - die größten seit dem Vietnamkrieg - ein Ausdruck dafür sind, dass sich hier eine neue Bewegung formieren könnte, welche die unterschiedlichen Motive der DemonstrantInnen zusammenbringt, dabei die zum Teil auch reaktionären Positionen hinwegfegt... und nicht bei der Frage von Krieg stehen bleibt.
Entscheidend dabei ist, wie sich Anti-Kriegsbewegung und Klassenkämpfe verbinden können. Bisher ist das nicht passiert. Wir sehen zwar, dass schon begrenzte Kämpfe die Kriegsvorbereitung ins Stocken bringen können. In Britannien streiken seit November sporadisch die Feuerwehrleute und müssen jeweils durch Soldaten ersetzt werden (die dann nicht in den Krieg ziehen können). In Schottland haben sich einige Lokomotivführer geweigert, Kriegsmaterial für die Irak zu transportieren. Gegenwärtig wird diskutiert, ob und wie am Tag des Angriffs auf den Irak im ganzen Land gestreikt werden kann. Als in den USA im Herbst die Hafenarbeiter streikten, kam es im gesamten Land zu Lieferengpässen und die Kriegsvorbereitungen standen in Frage. Aber es gibt keinen Grund, diese in der Regel gewerkschaftlich kontrollierten Kämpfe abzufeiern. Sie deuten nur die Möglichkeit an, wo und wie solche ArbeiterInnenkämpfe und Anti-Kriegsaktionen zusammenkommen können.

Auf den Demos zeigt sich dieser Zusammenhang noch wenig. Hier in der BRD äußert sich dort eine Abneigung gegen den Irrsinn des Krieges, aber einige (viele?) laufen noch der Bundesregierung hinterher, die den Friedensengel mimt oder das "alte, zivilisierte Europa" hochhält, um ihre Interessen durchzusetzen... und gleichzeitig den Krieg (und andere Kriege) unterstützt.
Es ist richtig, wenn die Leute gegen den Krieg angehen, aber wir können hier deutlich machen, dass der Irrsinn viel tiefer geht: Der Kapitalismus schafft nicht nur immer wieder Kriege wie den im Irak, er ist auch tägliche Gewalt. Er spaltet uns, zwingt uns in beschissene Jobs, produziert immer wieder Mangel, Hunger, Verzweiflung... Krise! Wir können dabei ansetzen, dass auch hier viele Prols - egal, ob sie in Fabriken, Büros, Krankenhäusern und auf Baustellen lohnarbeiten oder versuchen, von staatlicher Stütze zu leben - die Tiefe dieser Krise selber erfahren. Sie haben eine Ahnung davon, dass diese Gesellschaftsordnung keine Perspektive materieller Verbesserung mehr verspricht und kein lustvolles Leben mehr anzubieten hat. Viele erwarten, dass der Krieg nur eine weitere Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen bringen wird.

Nun besteht gerade in Zeiten des Umbruchs, des Auseinanderfallens und der Krise eine revolutionäre Chance, die Möglichkeit den ganzen gesellschaftlichen Zusammenhang auszuhebeln und eine neue zu entwickeln. Gegen den Irrsinn von Krieg, Ausbeutung und Krise gilt es, die Grundfesten des Kapitalismus zu untergraben, die Spaltungen in "Nationen" - ob US-amerikanisch, deutsch, irakisch, palästinensisch oder israelisch - die Spaltungen in "Einheimische" und "AusländerInnen", Frauen und Männer, nach Berufen und Sektoren, die Hierarchien bei der Arbeit...
Es geht nicht nur gegen diesen Krieg, sondern gegen jeden Krieg und gegen die ausbeuterischen gesellschaftlichen Verhältnisse, die immer wieder neue Kriege schaffen. Streiks und ähnliche Aktionen gegen die Ausbeutung können Druck ausüben und den Krieg behindern. Zusammen mit einer breiten gesellschaftlichen Mobilisierung können sie ihn auch verhindern... und ein entscheidender Schritt sein auf dem Weg zur Überwindung des Kapitalismus.

Prols gegen den kapitalistischen Frieden, Februar 2003
[prols@prol-position.net]


weiterlesen zu Krieg, Krise, Klassenkämpfen u.a. auf
[www.wildcat-www.de]
[www.nadir.org/kolinko]
[www.prol-position.net]

Im März kommt ein Sonderheft des Wildcat-Zirkulars gegen den Krieg raus mit Artikeln zu "Krieg und Öl", die Aktualität der Krise in den USA, zur Friedensbewegung und den Hafenarbeiterstreiks dort, zum Konflikt in Palästina u.a.m. Schaut auf die Wildcat-Website für Bestellinfos.


[1] Eine Version dieses Beitrags erschien in der März-Nummer der Düsseldorfer Zeitung Terz. Allerdings haben die JournalistInnen der Terz den Titel, die AutorInnen und die Einleitung geändert, den Text gekürzt und Zwischenüberschriften eingefügt. Das alles ohne Rücksprache oder Nachfrage. Lasst gefälligst solchen Scheiß! [zurück]


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