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kolinko | 10/2001
Beitrag zu anti-deutscher Kriegshaltung
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[Antwort auf die Stellungnahmen "für die Zivilisation, für den Kommunismus" (Antideutsche Gruppe Wuppertal ) und "Kritische Fragen an den friedensbewegten Protest" (Antifa Duisburg, Antifa Mülheim/ Essen West, Antideutsche Gruppe Wuppertal, Antipostfa Recklinghausen, AK Antideutsche Kritik in der AADO)[1]]
1. Warum wir euch antworten
Uns geht es auch nach den Anschlägen auf das WTC weiter um den "Kommunismus", um die der Suche nach der gesellschaftlichen Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung. Kommunismus begreifen wir als Bewegung der Selbstbefreiung der Ausgebeuteten, gegen jede staatliche oder sonstige Vertretungs- und Vermittlungsstrukturen. Nach den Anschlägen, als Zeichen der Barbarei dieser globalen Gesellschaft, steht der Staat allerdings wieder mächtig und scheinbar unüberwindbar im Rampenlicht. Uns wundert nicht, dass die diversen (regionalen) Staats- und Kapitalvertreter, sei es in den USA, Afghanistan, Israel, Pakistan oder sonst wo, den Anschlag dazu nutzen, ihre Macht zu stabilisieren und sich vor ihrer "Bevölkerung" als notwendige Beschützer aufzuspielen. Was ankotzt, ist die Tatsache, dass auch viele Linke kräftig dabei helfen, das allgemeine Abhängigkeitsgefühl vom Staat und seinen HelferInnen zu stärken. So jedenfalls lesen wir u.a. eure oben genannten, in denen ihr die "Verteidigung der westlichen Zivilisation" bzw. mögliche "US-Militarschläge" begrüßt.[2]
2. Die politischen Reaktionen nach den Anschlägen auf das WTC zeigen die Staatsfixiertheit vieler Linken deutlich
Klar, wie ihr auch an verschiedenen Stellen selbst schreibt, reagierten viele Linke auf klassische antiimperialistische Art und Weise auf die Anschläge. Dabei schwingt ihr gleich die Keule des Antisemitismusvorwurfs, wenn Leute Brass auf die militärische und wirtschaftliche Politik des US- Staats haben (nicht zuletzt auch im Nahen Osten). Wir können den Brass nachvollziehen, kritisieren aber vor allem zwei Dinge:
a) dass diese Anschläge als "Angriff auf den Kapitalismus" gewertet werden; es war schon vor den Anschlägen klar, dass sich z.B. die "revolutionären Strömungen" innerhalb der Globalisierungsbewegung deutlicher von den reformistischen (und tendenziell antisemitischen/nationalistischen) Vorstellungen vom Kapitalismus als "Herrschaft des Finanzkapitals" distanzieren müssen. Wir kritisieren diese Vorstellung in erster Linie, weil sie unserem Bedürfnis nach Befreiung nicht gerecht wird: wir wollen uns nicht nur von unserem Bankkonto befreien, sondern vor allem von der zwanghaften Routine unseres Jobs, der Kontrolle durch die staatliche Verwaltungsmaschine, dem Hirnschiss durch Erziehung und Bildung etc. Dabei lässt sich das Kapitalverhältnis nicht durch "symbolische Aktionen" (Belagerung von Gipfeltreffen, Entglasen von diversen Bankfilialen etc.) ernsthaft erschüttern.
b) dass Linke dazu aufrufen, sich als Reaktion auf die Anschläge hinter irgendeine Nation zu stellen; dabei macht es für uns erst mal keinen entscheidenden Unterschied, ob nun zur Unterstützung der "vom US-Imperialismus" angegriffenen Staaten oder wie von euch zur "Verteidigung Israels und der westlichen Zivilisation" aufgerufen wird. Denn beide "Lager" haben eines gemeinsam: sie brauchen das Konstrukt der "Volksgemeinschaft", z.B. der "palästinen-sischen" oder "israelischen". Diese Haltung verschliesst die Augen vor den realen Konflikten, die in jeder Region vor sich gehen. So ist die gewalttätige Politik des israelischen Staats gegenüber vielen ArbeiterInnen in der Region (tägliche Einreise als billige Arbeitskräfte, tägliches Abschieben in die umliegenden Ghettos) so wenig eine Handlung des "israelischen Volks", wie die Selbstmord-attentate und die Folter durch PLO-Bullen die Akte "der arabischen Welt" sind. Die Aufstände in vielen arabischen Ländern gegen die "islamischen Herrscher", wie zuletzt in Algerien, zeigen deutlich, dass die Vorstellung der "Volksgemeinschaft" bull- shit ist. Auch diese Regionen sind geprägt von Klassenkonflikten, die sich sowohl offen gegen die Ausbeutung richten, als auch als scheinbar religiöse/nationalistische Konflikte kanalisieren lassen.
3. Das Schielen nach dem Staat ist nicht bloss ein "Sehfehler", sondern Folge der realen Schwäche des Klassenkampfs
Klar, dieses ganze "Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sonder zwischen oben und unten"-Blabla gammelt so vor sich hin, angesichts der zu begrüßenden Krise der "nationalen Befreiungsbewegungen", aber auch angesichts dessen, dass auf Ausbeutung und Unterdrückung momentan selten kollektive und befreiende Formen des Kampfes gefunden werden. Ihr selbst seht dieses Problem[3].
Wir sollten uns fragen, warum das so ist, und wie wir es ändern können. Wir sehen sowohl hinter dem Näherrücken von Teilen der hiesigen Linken an und in den Staat, als auch im Aufschwung der Islamisten und anderer Reaktionäre eine Folge der Niederlagen von Klassenbewegungen: Wenn die Perspektive einer umfassenderen gemeinsamen Befreiung erstickt wird, scheint der Rückzug in die religiöse, nationale Gruppe, der Bezug auf den Staat etc. als einzige Möglichkeit, sich vor weiteren Verschlechterungen zu schützen bzw. mit der eigenen Misere klarzukommen.
Hierfür gibt es viele Beispiele: die Revolution im Iran 1978/79 begann als Protest der proletarisierten Landbevölkerung und der StudentInnen und konnte durch seine nationale Isolation von den Ajatollahs in islamistisch-antiimperialistische Bahnen gelenkt werden. Ebenso der Aufstand in Algerien 1988, der sich gegen die Krisenpolitik des Staats und die Folgen der IWF-Massnahmen richtete und erst mit seiner Niederlage von den Islamisten instrumentalisiert werden konnte.
4. Die Schwäche der revolutionären Bewegung wird durch Forderungen an irgendeine staatliche Seite nur verstärkt
Warum "entscheiden" sich Menschen für die barbarische Form, auf ihre beschissene Lage zu reagieren bzw. - was wohl viel häufiger der Fall ist - warum tun sie nichts, um diese Lage zu verändern? Diese Frage lässt sich nicht auf der individuellen Ebene klären, wie es bei euch im Zitat (2) anklingt. Das Problem lässt sich auch nicht lösen, in dem mensch auf die Entscheidung der "weltweiten Arbeiterklasse" wartet, die ohne weltweiten Klassenkampf ebenfalls nur ein Konstrukt ist. Bleibt also nur der Staat, als "bewusste Instanz"? Zu diesem Entschluss kommt ihr, wenn auch unter langem Hin- und Herwinden[4].
Ihr kritisiert erst die Vorstellung, dass mit dem Anschlag auf das WTC das Kapitalverhältnis getroffen worden wäre. Jetzt begrüßt ihr selbst Bomben gegen...(ja gegen wen oder was eigentlich), um das halbfeudale Ausbeutungsverhältnis in Afghanistan oder einem anderen "arabischen Land" zu beenden. Welche Vorstellung von Befreiungsprozessen stecken dahinter? Welches gesellschaftliche Verhältnis lässt sich denn mittels Staatsdekreten, übergangsregierungen oder Bombenangriffen grundlegend verändern? Wenn wir in guter anti-deutscher Manier die Unterstellungsmaschine ankurbeln würden, liesse sich folgendes Vermuten: ihr denkt, die Barbaren da unten sind eh nicht fähig, sich selbst zu befreien, also schicken wir ihnen ein wenig Entwicklungshilfe?! Die Bomben auf Afghanistan haben nicht nur bereits hunderte ProletarierInnen getötet und tausende in den Hunger geschickt, sie werden auch die Bedingungen für Kämpfe gegen Ausbeutung und staatliche Verwaltung verschlechtern, was die Erfahrungen aus dem Golfkrieg 1991 zeigen: Vor dem Krieg brannte Saddam H. der Arsch vor Streiks und Aufständen. Erst die NATO-Bomben, der äussere Feind, brachten wieder "Ruhe" in die Region und sicherten seine Macht. Falls die Taliban nicht für geordnete Ausbeutung in der Region werden sorgen können, wird halt versucht, dies durch andere Formen der Kontrolle zu erreichen: wie im Kosovo über eine UNO-Militärregierung, eine Militärdiktatur wie in Pakistan, eine andere "islamistische" Regierung (z.B. aus Kräften der "Nordallianz"). Dass Bomben auf ein paar Taliban (bis jetzt wohl eher auf die, die selbst zu arm waren, um zu flüchten) die "Selbstmordattentate" in Israel oder anderswo nicht stoppen werden, lässt sich absehen.
Auch eure andere Begründung, warum die "westliche Zivilisation" jetzt mit Bomben gegen die Islamisten verteidigt werden müsste, ist daneben. Erst stellt ihr die "westliche Zivilisation" als "Kehrseite der islamistisch-völkischen Ideologiebildung" dar, um sie dann aufgrund ihres "uneingelösten Glückversprechens" zu verteidigen. Letzteres seht ihr als Voraussetzung für eine kommunistische Revolution, wenn mensch es gegen die kapitalistischen Verhältnisse wendet[5].
Wir sehen keinen Gegensatz zwischen der (serbische ArbeiterInnen mit URAN-Müll) bombardierenden "westlichen Zivilisation" und den "kapitalistischen Verhältnissen". Daher können wir auch nicht verstehen, wie ihr das "Glücksversprechen" der einen gegen das Elend der anderen ausspielen wollt. Was ist das überhaupt, dieses Glücksversprechen? Der Tellerwäschertraum?!
Wir sollten dem bürgerlichen Staats nicht noch seine Ketten lackieren, in dem wir die Menschen vor die abstrakte Wahl stellen: wollt ihr von den Koranjüngern oder von Westerwelle und Dispokredit terrorisiert werden? Diese Wahl existiert nicht, in dem Sinne, dass die "bürgerlichen Freiheiten" (Lohnarbeit, eingeschränkte Demonstrations- etc. Freiheiten) sich nicht wählen lassen und nicht ein für alle mal garantiert sind. Die "Glücksversprechen" hängen sehr viel mehr von einer stetigen Akkumulation ab (die auf unserem Rücken stattfindet und die sich schlecht wählen oder verteidigen lässt) und auf die, wie wir gerade merken, die nächste schärfere Krise folgt. Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich in Afghanistan oder in Dänemark gegen Ausbeutung kämpfe. Aber sowohl den ProletarierInnen in Kabul, als auch in Kopenhagen bleibt nichts anderes übrig, als es unter den jeweiligen Umständen zu tun.
5. Was tun?
Wie schon angedeutet, die Ohnmacht bzw. die Appelle an staatliche Seite haben materielle Gründe: das Ausbleiben von grösseren Klassenbewegungen. Wenn wir uns trotzdem weder resigniert kritisch zurücklehnen, noch den öden und perspektivlosen Weg in die herrschende Realpolitik gehen wollen, bleiben vor allem zwei Dinge zu tun:
a) sich in die Kämpfe und Konflikte gegen Ausbeutung und die sich zuspitzende Krise einmischen, sei es im Ruhrgebiet oder sonst wo; dort die Tendenzen unterstützen, die sich sowohl gegen die Profitlogik der Bosse und Gewerkschaften wehren, als auch die Trennungen in verschiedene Berufe, Geschlechter, Nationen etc. aufbrechen.
b) innerhalb der revolutionären Bewegung klarmachen, dass trotz aller Ohnmacht kein Staat, keine Nation der Erde unsere Probleme lösen kann; einen klaren Trennungsstrich zu den Positionen/Gruppen ziehen, die dazu beitragen, die Revolution nicht nur "perspektivisch", sondern ganz praktisch aus den Augen zu verlieren, in dem sie uns selbst zu vertreten suchen oder mit dem Staat in Verhandlung treten (z.B. Gruppen wie ATTAC) bzw. staatliche Interventionen einfordern. Die dafür notwendige Diskussion können wir nicht nur in einer allgemeinen Form führen. Was wir dringend brauchen, ist eine Diskussion über konkrete Klassenauseinandersetzungen, z.B. gerade über die in Israel oder dem Nahen Osten (als der Region, wo die Perspektive der gesellschaftlichen Befreiung momentan, zu mindest nach medialer überlieferung, am stärksten durch religiöse/nationalistische Auseinandersetzungen verdeckt wird).
Also los, all ihr, die ihr nicht nur vom Kommunismus träumen wollt!
las kalinkas gegen den inselkoller
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Fussnoten
1 I. "Für die Zivilisation, für den Kommunismus" (Antideutsche Gruppe Wuppertal) [http://trend.partisan.net/trd1001/t051001.html]
II. "Kritische Fragen an den friedensbewegten Protest" (Antifa Duisburg, Antifa Mülheim/ Essen West, Antideutsche Gruppe Wuppertal, Antipostfa Recklinghausen, AK Antideutsche Kritik in der AADO) [http://trend.partisan.net/trd1001/t041001.html] [zurück]
2 "Werden nicht beiderseits [sowohl von der Friedensbewegung, als auch den Islamisten] die negativen Folgen der objektiv abstrakten Prozesse der globalisierten Kapitalakkumulation personalisiert und auf die USA als Sitz der 'zionistischen Weltverschwörung' bzw. des 'internationalen Finanzkapitals' projiziert?(II)" [zurück]
3 "Ist es nicht vielmehr so, dass die Zivilisation durch Herrschaft und Ausbeutung zwar beständig Hass hervorbringt, die Leidenden aber immer noch die Entscheidung treffen müssen, ob sie diesen mit in der Tat barbarischen Ideologien wie dem klerikalfaschistischen Islamismus antisemitisch wenden oder aber emanzipatorisch gegen die Grundlage des Leidens, die Vergesellschaftung durch Kapital und Staat, richten?(II)" [zurück]
4 "Was spricht prinzipiell dagegen, klerikalfaschistische Terrorregime wie die Taliban zu beseitigen und damit den ihnen (noch) Unterworfenen ein erträglicheres Leben zu ermöglichen und zudem die Gefährdung von Juden im Nahen Osten durch den Islamismus zu mindern? (...) Trotz der scheinbaren Unmöglichkeit ihres Unterfangens sind US-Militarschläge zu begrüßen, wenn und und soweit sie helfen, einerseits die Bedrohung gegen Israel und diejenigen, die mit ihm identifiziert werden, abzumildern und/oder andererseits den Tugendterror gegen die islamischen Regimen Unterworfenen schwächen"(I)? [zurück]
5 "Während dem verwirklichten Gottesstaat jegliches die Verhältnisse transzendierende Moment abgeht, birgt die bürgerliche Gesellschaft - wie rudimentär auch immer - stets noch ein nicht eingelöstes Glücksversprechen als Voraussetzung, eine kommunistische Revolution überhaupt denken zu können"(I). oder "Wäre im gegenwärtigen Konflikt die Verteidigung der westlichen Zivilisation und des ihr immanenten Glücksverprechen von Emanzipation und Wohlstand nicht die Voraussetzung dafür, eben dieses Glücksversprechen in kommunistischer Absicht gegen die kapitalistischen Verhältnisse selbst zu wenden und damit auch die barbarische Kehrseite, den Antisemitismus jedweder Provenienz, perspektivistisch durch Revolution zu beseitigen"(II)? [zurück]
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