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Diskussionsbeitrag zu den Anschlägen auf WTC und Pentagon von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) - auf Anregung einer LinksRhein-Leserin aufgenommen - thanx!
Diskussionsbeitrag von Christoph Spehr Bremen (Die Ökofalle)
Erste Einschätzung der Terroranschläge in den USA
1. Die Mega-Anschläge und die Opfer
Die brutalen Flugzeug-Anschläge bzw. Mega-Attentate (keines dieser Worte trifft die riesige Tragödie richtig) auf das World Trade Center, das Pentagon etc. in den USA am 11. September 2001 sind aufs Schärfste zu verurteilen. Es hat wohl Tausende Tote gegeben. Es ist entsetzlich. In diesen Tagen und Stunden sind unsere Gedanken und Mitgefühle bei den Toten, den Ermordeten, den Verletzten und ihren Angehörigen und Freund/innen. Die Anschläge und ihre Folgen hinterlassen einen in Fassungs- , Rat- und Sprachlosigkeit. Wer meint, solche Mega-Morde politisch begründen zu können, irrt total. Jegliche Rechtfertigung, Genugtuung oder Freude ist völlig fehl am Platz. Solche Anschläge sind ausschließlich menschenverachtend und barbarisch.
2. Die möglichen Täter
Zum derzeitigen Zeitpunkt (12.09.2001, 12.00 Uhr) ist noch völlig ungeklärt, wer diese Mega-Anschläge auf Symbole der US-Macht verübt hat oder verübt haben könnte. Für eine Durchführung dieser unvorstellbaren Anschläge sind umfassendes Know-How (als Piloten, als Techniker etc.), genaue Koordination, Logistik und totale Skrupellosigkeit erforderlich. Wer ist dazu in der Lage? Derzeit wird in den Medien über die "üblichen Verdächtigen" spekuliert. Zuerst waren "die Palästinenser" im Blickfeld. Es ist fatal ganze Gruppen von Menschen bestimmter Herkunft für diese Mordanschläge verantwortlich machen zu wollen oder sie zu verdächtigen. Die Form der Spekulationen in einigen Medien ist zum Teil hochproblematisch. Es ist dringend vor Vorverurteilung zu waren. Dann tauchte der Name Osama bin Laden auf und wird bisher immer wieder genannt. Was bisher fehlt sind Fakten und Hintergründe. Die Frage, was jemanden oder eine Gruppe dazu bringt, solche Mega-Anschläge durchzuführen, muß gestellt werden. Auch muß die Frage erlaubt sein, warum gerade die USA (und dort gerade das World Trade Center und das Pentagon) Ziel dieser Mega-Anschläge geworden sind. Sollte Osama Bin Laden hinter diesen Anschlägen stecken, muß kritisch angemerkt werden: Die US-Regierung haben über Jahre ihn und seine Komplizen finanziert und aufgebaut, als er nützlich erschien, um in Afghanistan gegen die Invasion der Roten Armee der Sowjetunion zu kämpfen. Ähnliches gilt für die Unterstützung von Saddam Hussein durch die USA und für andere Gruppen, die einst "nützlich" erschienen. Jetzt zeigt sich der Effekt, dass die herbeigerufenen Zauberlehrlinge nicht mehr beherrschbar sind und sich gegen ihre einstige Ziehväter wenden. Es muß endlich Schluß sein mit einer doppelbödigen Moral in der internationalen Politik, die die Attribute "gut" und "böse" je nach aktueller Weltlage oder Opportunität verteilt.
3. Die mögliche Reaktion der US-Regierung
Die weltpolitische Lage hat sich nun grundlegend geändert. Der 11. September 2001 ist wohl der Wendepunkt der Weltpolitik hin zu mehr Gewalt. Eine zentrale Frage lautet nun: Wie wird die US-Regierung reagieren? Es ist zu befürchten, daß sie in heftigster Form Rache üben wird. Die aussen- und friedenspolitischen Implikationen dieser Mega-Anschläge könnten furchtbar sein. Die Aussen- und Wirtschaftspolitik, aber insbesondere auch die Militärpolitik der Administration des derzeitigen US-Präsidenten George W. Bush waren schon bisher so, daß sie selten nach den Folgen ihrer Politik für Menschen außerhalb der USA, insbesondere in Gebieten ausserhalb der westlichen Staaten fragte. Die Schwelle für die Anwendung von (militärischer) Gewalt war für die(se) Regierung der USA bisher immer sehr niedrig. Es ist zu befürchten, daß sich die Militärpolitik der USA weiter verschärfen wird. Weitere und direktere Kriege der US-Regierung gegen vermeintliche oder tatsächliche Gegner, staatlicher oder nichtstaatlicher Art, sind nach den brutalen Mega-Anschlägen leider sehr viel wahrscheinlicher geworden.
4. Verwundbarkeit der hochtechnisierten Welt
Die Mega-Anschläge zeigen die Verwundbarkeit der hochtechnisierten Welt. Der zivile und militärische Flugverkehr werden nach dem 11. September 2001 nicht mehr so durchgeführt werden können wie zuvor. Kommunikation, Mobilität und Finanzverkehr - drei zentrale Momente der westlichen Welt waren und sind durch diese Mega-Anschläge deutlich beeinträchtigt (Telefonverkehr und Internet waren und sind wegen Überlastung zum Teil zusammengebrochen, die Finanzmärkte spielen verrückt - nein, sie folgen ihrer eigenen immanent makabren Logik: die Kurse der Rüstungsfirmen und der Ölmultis steigen!) .
5. Die innenpolitischen Implikationen der Mega-Anschläge
Die innenpolitische Situation in den USA wird sich stark verschlechtern. Aber auch das innenpolitische Klima in Deutschland könnte sich enorm verschärfen. Repressionen gegen Menschen bestimmter Herkunft und gegen alle die berechtigte Kritik an der Politik der US-Regierung haben, sind zu befürchten. Jetzt werden viele diese Mega-Anschläge für ihre Politik instrumentalisieren, z.B. für eine verstärkte innen- und aussenpolitische Aufrüstung. Für eine weitere Stärkung von Polizei und Militär, die Militarisierung wird wieder weiter vorangetrieben werden. Nein, es sind keine militärischen Reaktionen vonnöten, notwendig ist der Abbau wirtschaftlicher Ungleichheiten in der Welt. Statt repressiver und militärischer Reaktionen ist eine Veränderung von politischen Strukturen hin zu mehr Gerechtigkeit vonnöten.
Die groß erklärte Freiheit, die Globalisierung, ist zumeist nur eine Freiheit, eine Globalisierung, des Handels, nicht der Menschen und dieser Handel, diese Globalisierung hat seine/ihre Opfer.
Es ist Gerhard Schröder und Joschka Fischer entschieden zu widersprechen: Nein, es geht nicht um Solidarität mit dem Staat USA, um Solidarität mit der Regierung der USA, um Solidarität der "zivilisierten Welt". Nein, es geht um Solidarität mit den Menschen, die von den Mega-Anschlägen betroffen sind.
Tobias Pflüger u.a. nach Diskussion mit einigen IMI-Vertreter/innen, 12.09.2001
Der Text kann weiter verbreitet werden, wie üblich bei Quellenangabe (http://www.imi-online.de/). Rückmeldungen wären interessant (mailto:imi@imi-online.de).
1. Das ist kein Krieg. -
Auch wenn die Dimension der Terroranschläge schockierend ist: Das ist kein
Krieg. Bis jetzt noch nicht. Kriege sind bewaffnete Auseinandersetzungen
zwischen Staaten oder Bürgerkriegsparteien in einem Land; Krieg erfordert
einen bekannten Gegner, dessen militärische Struktur angegriffen werden kann.
Das Etikett "Krieg" lenkt ab von der Fragwürdigkeit von blinden
Vergeltungsschlägen, die vorwiegend aus symbolischen und innenpolitischen
Gründen forciert werden. Es sei daran erinnert, dass z.B. die "Ziele" im
Sudan, die 1998 von den USA bombardiert wurden, sich nachträglich als
"Irrtum" herausstellten. Terror wird durch Gegenterror nicht bekämpft, und er
rechtfertigt ihn nicht.
2. Es kommt jetzt alles darauf an, keinen Krieg daraus zu machen. -
Die Rhetorik vom Krieg und die Politik des Gegenschlags spielt in
leichtfertiger Weise mit der Gefahr eines tatsächlichen Krieges, vor allem
eines Krieges zwischen dem Westen und arabischen Ländern. Zweifellos geht
Terror in der Welt auch vom Boden der USA und Europas aus; dass eine
Bombardierung entsprechender "Zentren" nicht verständnisvoll hingenommen
werden kann, erleben wir gerade. Dasselbe gilt für Länder in Asien, Afrika
oder Nahost aber auch. Aktuell ist es der Westen, der einen Angriffskrieg
gegen arabische Staaten vorbereitet, der bereits als Krieg des Guten gegen
das Böse abgefeiert wird. Die Geschwindigkeit, mit der angebliche
"Erkenntnisse" produziert werden, ist mehr als fragwürdig. Die
Leichtfertigkeit, mit der das Risiko eines tatsächlichen Krieges in Kauf
genommen wird, ist ebenso schockierend wie das Desinteresse an den Menschen,
deren Leben direkt und indirekt gefährdet wird.
3. Das ist kein Anschlag gegen die Freiheit, nicht einmal gegen den
Kapitalismus, und es läßt sich auch keiner draus machen. -
Mit den verheerenden Anschlägen ist weder die "freie Welt", sprich der
Westen, noch die "zivilisierte Welt", sprich die Industriestaaten, auch nicht
die "Demokratie", sprich der Kapitalismus angegriffen worden. Abgesehen
davon, dass man bis jetzt nicht weiß, wer die Anschläge mit welchem Ziel
durchgeführt hat, richten sie sich gegen Symbole der USA als weltweiter
Interventionsmacht, ökonomisch und militärisch. Das ist eine relativ
spezielle Botschaft. Die Rede vom "Angriff auf die Freiheit" bäckt dieses
spezifische Gewaltpotenzial mit allem und allen in der Gesellschaft zusammen
und verdeckt gezielt, dass eben diese Interventionsmacht und -praxis seit
langem bewusst und kalkuliert Risiken auch für die eigene Bevölkerung anzieht
- vor allem indem sie anderswo Gewalt ausübt und Armut schafft, aber auch
indem sie bedenkenlos Gruppen militärisch aufrüstet, über die sie dann die
Kontrolle verliert.
4. Das ist kein Anschlag für die Freiheit, nicht einmal gegen den
Kapitalismus, und es läßt sich auch keiner draus machen. -
Man muss keine Sympathie für das Pentagon oder für das internationale
Finanzkapital hegen, um festzustellen, dass die Anschläge eine faschistische
Handschrift tragen. Ähnlich wie bei den Anschlägen in Bologna, Oklahoma und
anderen sollten mit maximaler Gewalt möglichst viele Menschen getötet werden,
Chaos und Krieg sind die kalkulierten, erhofften Folgen dabei. Der Tod von
Zivilisten, die unmittelbare Lebensgefahr die für Palästinenser, für
Israelis, für die Bevölkerung arabischer Staaten und viele andere
hervorgerufen wird, sind den Tätern vollständig gleichgültig. Egal ob die
Verantwortlichen arabische Fundamentalisten, amerikanische Rechtsextreme,
eine Verbindung mehrerer Gruppen oder ganz Andere waren: hier läßt sich kein
antikapitalistischer Kontext konstruieren, hier rechnet ein reaktionäres,
organisiertes Machtpotential mit einem Gegner ab, der der eigenen Macht im
Weg steht; hier wird geschlachtet, weil man sich von den Folgen eine
Eskalation verspricht, von der das eigene Machtgebilde auf Kosten zahlloser
Anderer profitieren soll.
5. Die Anschläge sind der Bankrott einer militärisch und polizeilich
fixierten Sicherheitspolitik; ein Weitergehen in diese Richtung ist
verantwortungsloser Hasard. -
Die Rede vom Krieg verdeckt auch, dass es vor Terroranschlägen keinen
absoluten Schutz gibt. Die eigene Sicherheit zu erhöhen, erfordert Politik,
nicht militärische Schlagkraft. Es erfordert eine Politik, die zumindest in
höherem Maße auf Kooperation, Ausgleich und Kompromiss bedacht ist, wenn es
um ökonomische Politik und internationale Konflikte geht. Auch wenn die
Terroranschläge nicht beanspruchen können, irgendjemand zu "repräsentieren",
haben sie einen verbreiteten realen Hass auf den Westen und die USA zur
Voraussetzung, um ihre Söldner zu rekrutieren und sich erfolgreich vor
Infiltration abzuschotten. Diesen Hass kann man militärisch nicht
zerschlagen, er ist die Bilanz einer Politik, die weiten Teilen der
Menschheit nichts zu bieten hat - nicht die Ambivalenz eines noch halbwegs
auskömmlichen Lebens im Kapitalismus, sondern buchstäblich nichts außer
Gewalt, Armut, Vertreibung und Demütigung. Sicherheitspolitik besteht heute
im Protest gegen die Politik der G8. Wer findet, am wichtigsten sei, dass die
Bundeswehr jetzt auch möglichst schnell ihre globale Interventionsfähigkeit
weiter vorantreibt, ist nicht nur zynisch, er riskiert bereitwillig unser
aller Leben um der Interessen von Eliten und "Systemzwängen" willen.
6. Es ist notwendig deutlich zu machen, dass wir uns weigern, einen Krieg zu
führen. -
Die an sich bekannte Wahrheit, dass Krieg das Schlimmste ist, was passieren
kann, wird derzeit beschleunigt zugedeckt. Wir erleben kriegsvorbereitende
Propaganda. Es ist wichtig, klar zu machen, dass ein Krieg auf Widerstand
stößt. Anteilnahme und Solidarität für die Getöteten in Amerika und ihre
Angehörigen sind wichtig. Für die innenpolitischen Interessen von Bush und
die strategischen Machtinteressen deutscher Eliten im Nahen Osten den Kopf
hinhalten, hat damit nichts zu tun.
7. Es ist notwendig, einer Spirale von Rassismus entgegenzutreten. -
Es gibt bereits Angriffe auf Ausländer, speziell auf Menschen aus arabischen
Ländern oder aus mehrheitlich moslemischen Ländern, in den USA und auch hier.
Das Spiel von oben ist dasselbe wie immer: Man will solche Übergriffe nicht
haben, betreibt aber die Politik, die sie vorbereitet. Es geht eben nicht
darum, dass "nicht alle Araber so sind" oder der Islam auch ganz nett sein
kann. Es geht um aktiven Schutz für Gefährdete, es geht um eine
selbstkritische Haltung gegenüber der eigenen Politik und Dominanz. Es geht
um das Anerkennen der Tatsache, dass es auch Hass gibt und dass er auch reale
Gründe hat. Es geht um das Eingeständnis der Tatsache, dass der Westen jeder
emanzipatorischen oder sozialen Alternative innerhalb des Islam oder
innerhalb der arabischen Gesellschaften mit kompromißloser Härte
entgegengetreten ist, einfach wegen des Öls. Und es geht darum, mit der
realen Vielgestaltigkeit von Positionen, politischen Überzeugungen und
sozialen Kräften endlich zu kooperieren, zu kommunizieren und zu verhandeln,
anstatt sich die Feindbilder zu schaffen, die das eigene Draufhauen immer
wieder aufs Neue legitimieren sollen.
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sw, 15.09.01